JudikaturOLG Innsbruck

Ds3/14 – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
27. Oktober 2014

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Wolfgang Salzmann als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Georg Hoffmann und die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Ingrid Brandstätter als weitere Mitglieder des Senates in der Disziplinarsache gegen Dr. P***** nach der in Anwesenheit der Schriftführerin RiAA Mag. Dr. Manuela Bauer, des Ersten Oberstaatsanwaltes Mag. Richard Freyschlag und des Disziplinarbeschuldigten durchgeführten öffentlichen Verhandlung am 27.10.2014 zu Recht erkannt:

Spruch

Dr. P***** ist

s c h u l d i g ,

Text

er hat die nach § 57 Abs 1 zweiter Satz RStDG auferlegten Pflichten, sein Amt gewissenhaft zu erfüllen, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen und die bei Gericht anhängigen Angelegenheit so rasch wie möglich zu erledigen, dadurch schuldhaft verletzt, dass er in den folgenden Verfahren des Bezirksgerichtes S***** Verfahrensstillstände verursacht und Entscheidungen nicht innerhalb der von § 415 ZPO oder § 270 Abs 1 StPO vorgesehenen Fristen ausgefertigt hat, und zwar

***** U ***** Verfahrensstillstand 1 Jahr und 8 Monate

***** U ***** Verfahrensstillstand 9,5 Monate

***** U ***** Verfahrensstillstand 10 Monaten und 6 Tage

***** U ***** Verfahrensstillstand 6 Monate und 20 Tage

***** U ***** Ausfertigungsdauer ca 9 Monate

***** U ***** Verzögerungen von 15 Monaten und 14 Tagen

***** MSch ***** über 7 Monate Verfahrensstillstand

***** MSch ***** über 6 Monate Verfahrensstillstand

***** MSch ***** Verfahrensstillstand ca 11 Monate

Ausfertigungsdauer ca 9,5 Monate

***** MSch ***** Ausfertigungsdauer über 6 Monate

***** MSch ***** Ausfertigungsdauer über 8 Monate

***** U ***** Verfahrensstillstand ca 1 Jahr (Rücklangen

des Aktes vom Revisor 13.6.2013;

Verhandlungsausschreibung am 2.6.2014)

***** U ***** Verfahrensstillstand 13 Monate (Strafantrag

eingebracht 19.4.2013; Verhandlungsaus-

schreibung und Einholung Strafregister-

auskunft 28.5.2014).

Dr. P***** hat hiedurch ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen.

Über Dr. P***** wird hiefür nach § 104 Abs 1 lit a RStDG die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt.

Dr. P***** hat gemäß § 137 Abs 2 zweiter Fall RStDG die mit EUR 300,-- bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

entscheidungsgründe

Auf Grund der in der mündlichen Disziplinarverhandlung aufgenommenen Beweise, nämlich der Einvernahme des Disziplinarbeschuldigten, der Verlesung von Ausdrucken aus dem elektronischen Personalakt des Disziplinarbeschuldigten, Verlesung der Disziplinaranzeigen ON 1 und ON 16 samt Auszug aus dem Revisionsbericht, Der Auszüge aus dem Vj-Register betreffend die Akten ***** U *****, ***** U *****, ***** U *****, ***** U *****, ***** U *****, ***** U *****, ***** U *****, ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** U *****, ***** U *****, der Akten ***** U ***** und ***** U ***** sowie der Stellungnahmen des Disziplinarbeschuldigten vom 16.4.2014 (ON 11) und vom 19.8.2014 (ON 21) steht folgender Sachverhalt fest:

Der am 2***** geborene Disziplinarbeschuldigte wurde am ***** zum Richter der Bezirksgerichte R***** und T*****, am ***** zum Vorsteher des Bezirksgerichtes R***** und nach dessen Auflösung am ***** zum Richter des Bezirksgerichtes S***** ernannt. Er leitet die Gerichtsabteilung *****, welche die Geschäftskreise a) alle Strafsachen, b) Rechtshilfe in Strafsachen, c) Unterbringungssachen und d) Heimaufenthaltssachen umfasst. Bis ***** umfasste die Gerichtsabteilung ***** auch den Geschäftskreis „außerstreitige Verfahren in Bestandsachen (MRG, WEG, WGG, Heizkostenabrechnungsgesetz etc.)‟.

Seine Dienstbeschreibungen lauteten zuletzt auf sehr gut (2006) und gut (2012).

Dr. P***** wurde bereits mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 23.5.2011, Ds 2/10-19, eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 RStDG schuldig gesprochen, über ihn wurde nach § 103 Abs 1 lit b RStDG in der damals geltenden Fassung die Ordnungsstrafe der Verwarnung verhängt.

Am 7.2.2014 erstattete der Präsident des Oberlandesgerichtes ***** auf Grund des Regelrevisionsberichtes über das Bezirksgericht S***** aus dem Jahr 2012 neuerlich eine Disziplinaranzeige gegen Dr. P*****, eine Nachtragsanzeige vom 4.7.2014 folgte.

Dr. P***** ließ in folgenden Verfahren folgende Verfahrensverzögerungen und Verzögerungen in der Ausfertigung von gerichtlichen Entscheidung auflaufen:

***** U ***** Verfahrensstillstand 1 Jahr und 8 Monate

***** U ***** Verfahrensstillstand 9,5 Monate

***** U ***** Verfahrensstillstand 10 Monaten und 6 Tage

***** U ***** Verfahrensstillstand 6 Monate und 20 Tage

***** U ***** Ausfertigungsdauer ca 9 Monate

***** U ***** Verzögerungen von 15 Monaten und 14 Tagen

***** MSch ***** über 7 Monate Verfahrensstillstand

***** MSch ***** über 6 Monate Verfahrensstillstand

***** MSch ***** Verfahrensstillstand ca 11 Monate

Ausfertigungsdauer ca 9,5 Monate

***** MSch ***** Ausfertigungsdauer über 6 Monate

***** MSch ***** Ausfertigungsdauer über 8 Monate

***** U ***** Verfahrensstillstand ca 1 Jahr (Rücklangen des Aktes vom Revisor 13.6.2013; Verhandlungsausschreibung am 2.6.2014)

***** U ***** Verfahrensstillstand 13 Monate (Strafantrag eingebracht 19.4.2013; Verhandlungsausschreibung und Einholung Strafregisterauskunft 28.5.2014).

Im Jahr 2012 bestand beim Bezirksgericht S***** insgesamt ein Fehlbestand von 0,38 VZK an Richterkapazitäten, um eine 100 %ige Auslastung zu erreichen. Faktisch waren die beim Bezirksgericht S***** tätigen Richter mit durchschnittlich 107,78 % belastet. Allerdings waren in den Bereichen MSch und Unterbringungssachen zu viele Kapazitäten verwendet.

Zu den oben beschriebenen Verfahrensverzögerungen in den genannten Verfahren kam es, weil Dr. P***** monatelang, teilweise auch über ein Jahr lang keine aktenkundigen Tätigkeiten entfaltete.

Im Verfahren ***** U ***** trat ein Verfahrensstillstand ab der Kalendierung des Aktes durch den Sprengelrichter Mag. A***** vom 15.10.2010 auf 5.11.2010 bis zur Ausschreibung der Hauptverhandlung am 28.6.2012 für 30.8.2012 ein. Nach Einlangen eines Ablehnungsantrages legte Dr. P***** den Akt durch mehrere Monate nicht vor, wartete einfach einen in G***** parallel geführten Zivilprozess zum selben Schiunfall ab und selbst nach Übermittlung des letzten Cg-Protokolls, in welchem auch der Schluss der Verhandlung festgehalten war, setzte er keine Verfahrensschritte. Auch nach Einbringung eines Antrages auf Diversion wartete Dr. P***** noch mehr als 10 Monate, bis er eine Verhandlung ausschrieb.

Im Verfahren ***** U ***** kam es zu einer Verzögerung von 15 Monaten und 14 Tagen. Am 2.12.2010 fällte Dr. P***** ein Abwesenheitsurteil. Ein dagegen erhobener Einspruch langte am 15.2.2011 bei Gericht ein. Am 16.2.2011 wurde eine Buchungsbestätigung für eine Geschäftsreise und weitere Urkunden vorgelegt. Danach setzte Dr. P***** bis zum 30.5.2012 (Entscheidung über den Einspruch) keinerlei Verfahrensschritte.

In den verbundenen Verfahren ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** MSch ***** kam es zu einem Verfahrensstillstand von 11 Monaten und einer Ausfertigungsdauer von 9,5 Monaten. Von der Zustellverfügung mit der Anordnung eines Anschlags am 28.7.2010 bis zum Verbindungsbeschluss unter Anberaumung einer Tagsatzung für den 30.8.2011 am 28.6.2011 setzte Dr. P***** keine Verfahrensschritte. Am 3.11.2011 wurde die mündliche Verhandlung geschlossen. Am 7.12.2011 wurden ausstehende Urkunden vorgelegt, am 13.12.2011 langte eine Stellungnahme der Gegenparteien zu den Urkunden ein. Der Sachbeschluss wurde in der Geschäftsabteilung erst am 24.9.2012 abgegeben.

Im Verfahren ***** U ***** dauerte die Ausfertigung des Urteils (Schuldspruch gegen zwei Angeklagte wegen eines Baustellenunfalls) vom 31.5.2011 bis 24.2.2012 (knapp unter 9 Monate). Es fanden vier Hauptverhandlungen statt, ein Sachverständigengutachten wurde eingeholt und zahlreiche Zeugen vernommen. Die Beweiswürdigung umfasste 7 Seiten.

Die festgestellten Verfahrensverzögerungen und verspäteten Entscheidungsausfertigungen gehen nicht auf eine Überlastung des Disziplinarbeschuldigten zurück, sondern auf die mangelnde Organisation seiner Arbeit und die fehlende Bereitschaft, Tagsatzungen möglichst rasch auszuschreiben und erforderliche Verfahrensschritte möglichst rasch zu setzen.

Im Jahr 2010 war Dr. P***** 95 Tage im Krankenstand, von 10.8.2010 bis 7.11.2010 war dem Bezirksgericht S***** ein Sprengelrichter zugeteilt.

2013 zeigte Dr. P***** ein sehr hohes Engagement. Entsprechend einem mit dem Präsidenten des Landesgerichtes Salzburg vereinbarten Abarbeitungsplan reduzierte er seinen Anhängigkeitsstand in U-Sachen bis 1.7.2013 auf ca. 160 Verfahren und bis 31.12.2013 auf ca. 120 Verfahren. Eine kontinuierliche Aktenbearbeitung durch eine Änderung der Ausschreibungspraxis ist bisher allerdings nicht gelungen. Per 14.1.2014 waren in der Gerichtsabteilung ***** U lediglich eine und in der Gerichtsabteilung ***** U insgesamt 10 Verhandlungstermine für den Zeitraum vom 16.1. bis zum 23.1.2014 ausgeschrieben. In der Gerichtsabteilung ***** U schienen insgesamt 10 Verfahren und in der Gerichtsabteilung ***** U ein Verfahren auf, in welchen seit Monaten wiederum keine Verfahrensschritte gesetzt worden waren. Derzeit ist der Stand der offenen U-Akten wieder auf ca. 150 gestiegen.

Diese Feststellungen stützen sich auf die Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichtes *****, die schriftliche Stellungnahme des Disziplinarbeschuldigten und dessen weitgehend geständige Verantwortung. Die in der Anzeige aufgezeigten Verfahrensverzögerungen und Verzögerungen bei der Ausfertigung von Entscheidungen wurden vom Disziplinarbeschuldigten bereits in seiner schriftlichen Stellungnahme als richtig zugestanden. Die Feststellungen zur Aufarbeitung der Rückstände stützen sich auf die Anzeige des Präsidenten des OLG *****. Dass der Stand der anhängigen Verfahren zwischenzeitlich auf ca. 150 offene Akten gestiegen ist, ergibt sich aus der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten.

Rechtliche Beurteilung

In rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes ist dem Disziplinarbeschuldigten ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG vorzuwerfen. Für die festgestellten Verfahrensverzögerungen und verzögerten Entscheidungsausfertigungen gibt es keine sachliche Begründung, die Verfahrensverzögerungen sind durchwegs erheblich. Hervorzuheben sind vor allem die Verfahren ***** U *****, ***** U *****, die verbundenen Verfahren ***** MSch *****, ***** MSch *****, ***** MSch *****, aber auch ***** U ***** und ***** U *****. Die Verzögerungen betrugen in diesen Fällen sogar über ein Jahr. Die Entscheidung in den genannten MSch-Verfahren wurde mit unvertretbarer Verzögerung ausgefertigt.

Vorwerfbar ist auch die Dauer der Ausfertigung des Urteils im Verfahren ***** U *****. Auch wenn dieser Entscheidung ein komplexer Sachverhalt zugrunde lag, die aufgenommenen Beweise eine Beweiswürdigung von 7 Seiten erforderten, und das Urteil letztlich in Rechtskraft erwuchs, war dies kein Grund für eine derartig eklatante Überschreitung der Ausfertigungsfrist.

Bei der Strafzumessung erschwerend war die gehäufte Anzahl von Verzögerungen in der Ausfertigung von Entscheidungen und in der Verfahrensführung.

Die zu Ds 2/10 OLG Innsbruck über den Disziplinarbeschuldigten verhängte Ordnungsstrafe darf nicht als Vorstrafe berücksichtigt werden (Ds 6/84 = SSt 56/6; RIS-Justiz RS0072554).

Mildernd waren das Geständnis und der Umstand, dass es dem Disziplinarbeschuldigten gelungen ist, den Anhängigkeitsstand in U-Sachen zu reduzieren, wenngleich eine kontinuierliche Aktenabarbeitung durch eine Änderung der Ausschreibungspraxis bisher nicht gelungen ist.

In Anbetracht dieser Strafzumessungsgründe ist die Disziplinarstrafe des Verweises (§ 104 Abs 1 lit a RStDG) schuldangemessen.

Die Entscheidung über die Kosten des Disziplinarverfahrens ist im § 137 Abs 2 RStDG begründet, in Anbetracht des Verfahrensaufwandes sind die Kosten des Disziplinarverfahrens mit EUR 300,-- angemessen festgesetzt.

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