JudikaturOLG Innsbruck

Ds13/14 – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
10. September 2014

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Salzmann als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Hoffmann und die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Brandstätter als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Dr. Manuela Bauer als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen die Richterin des Landesgerichts W***** Dr. M***** S***** nach Anhörung der Disziplinaranwältin und der Disziplinarbeschuldigten in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Die von der Disziplinaranwältin beantragte Einleitung der Disziplinar untersuchung gegen die Richterin des Landesgerichts W***** Dr. M***** S***** wird a b g e l e h n t .

Text

Begründung:

Ein Senatspräsident des Oberlandesgerichts L***** brachte am 10.7.2014 die Sachverhaltsmitteilung beim Disziplinargericht ein, wonach die Disziplinarbeschuldigte im Verfahren ***** Cg ***** des Landesgerichts W***** bloß aufgrund einer Parteiaussage der Beklagten ein Anerkenntnisurteil erlassen und dabei auch noch das Klagebegehren überschritten habe. Der Sachverhalt erscheine disziplinarrechtlich bedeutsam, weil die Kenntnis und Beachtung grundlegender Verfahrens vorschriften wie § 27 ZPO wohl zu den Dienstpflichten eines Richters gehöre. Ihre Verhandlungsführung erwecke überdies den Eindruck, sie wolle auf die Parteien, besonders die Beklagte, unsachlichen (Kosten-)Druck ausüben, um sie zu einer Beendigung des Prozesses zu veranlassen. Dieser Verdacht ergebe sich insbesondere aus der Ladung, in der sie die, wenn auch bislang nicht durchgeführte, Trennung des Verfahrens in acht Einzelverfahren angekündigt habe und den Parteien den Erlag von Kostenvorschüssen von EUR 30.000,-- bzw EUR 15.000,-- zum Beweis ihrer Ansicht nach unschlüssiger Klagsbehauptungen bzw Einwendungen aufgetragen habe.

Die Disziplinaranwältin beantragte daraufhin die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gegen die Richterin des Landesgerichts W***** Dr. M***** S***** gemäß § 123 Abs 1 RStDG im Umfang des zur Anzeige gebrachten Sachverhalts, weil die Erlassung eines Anerkenntnisurteils bloß aufgrund einer Parteiaussage der Beklagten unter Überschreitung des Klagebegehrens eine Verletzung der Dienstpflichten des § 57 Abs 1 RStDG bedeuten könnte, zumal die Kenntnis und Beachtung grundlegender Verfahrensvorschriften wie § 27 ZPO zu diesen Dienstpflichten gehöre. Disziplinarrechtlich weiter bedeutsam erscheine die Verhandlungsführung, die laut Anzeige den Eindruck erwecke, die Disziplinarbeschuldigte wolle auf die Parteien, besonders auf die Beklagte, unsachlichen (Kosten-)Druck ausüben, um sie zu einer Beendigung des Prozesses zu veranlassen.

Die Disziplinarbeschuldigte beantragt in der ihr gemäß § 123 Abs 1 zweiter Satz RStDG eingeräumten Äußerung, die Einhaltung der Disziplinaruntersuchung abzulehnen und das Disziplinarverfahren einzustellen. Sie führte dazu aus, dass es sich beim Verfahren ***** Cg ***** des Landesgerichts W***** um eine hoch komplexe Bankenklage handle, bei der Salden aus acht Einzelkonten eingeklagt werden. Bei den den einzelnen Konten zugrundeliegenden Kreditverhältnissen sei zwischen Abstattungskreditverträgen und Kontokorrentkreditverträgen zu differenzieren; teilweise spiele auch die Frage eine Rolle, ob sich das Haftungsrisiko durch erfolgte Konvertierung von Fremdwährungskrediten erhöht habe. Aus ihrer langjährigen Praxis in Cg-Sachen sei ihr bewusst, dass die Parteienvertreter bei der Einklagung von Salden aus Kreditverhältnissen oftmals größte Schwierigkeiten hätten, das Klagebegehren schlüssig zu stellen. In einem von ihr übernommenen Verfahren (***** Cg ***** des Landesgerichts W*****) habe nach Aufhebung der Entscheidung ihrer Vorgängerin durch die Rechtsmittelinstanz ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, wobei es nicht einmal dem Sachverständigen möglich gewesen sei, die verrechneten Zinsen und Zinsanpassungen nachzuvollziehen. Für dieses Gutachten habe der Sachverständige Gebühren von rund EUR 43.000,-- verzeichnet, wobei ihm infolge Verletzung der Gebührenwarnung letztlich nur EUR 14.000,-- zuzuerkennen waren. Aus diesem Grund fühle sie sich verpflichtet, den Parteien in einer frühen Phase des Verfahrens das Risiko des Entstehens horrender Sachverständigen gebühren vor Augen zu führen und trachte man nach Möglichkeit danach, die Verfahren so zu organisieren, dass sie in vertretbarer Verfahrensdauer abgeführt werden könnten. Es sei ihr daher ein besonderes Anliegen, schon in einer frühen Phase des Verfahrens auf die Problematik der mangelnden Schlüssigkeit von Vorbringen und Einwendungen hinzuweisen.

Bei Geltendmachung mehrerer Ansprüche in einer einzigen Klage sei eine getrennte Verhandlung über die einzelnen Ansprüche zulässig, wobei sie diesbezüglich auf 1 Ob 6/90 verweise. Dies hätte im konkreten Fall den Vorteil gehabt, bei einem einzelnen Konto quasi einen „Musterprozess“ voranzutreiben und dort zu versuchen, das Klagsvorbringen und die Einwendungen schlüssig zu stellen, was auch zu einer wesentlichen Verringerung der Kosten führen würde. Ausschließlich aus diesen Erwägungen und keineswegs zwecks Ausübung von Kostendruck habe sie auf die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Trennung des Verfahrens in Einzelverfahren hingewiesen. Außerdem habe sie in der Ausschreibung auf die Notwendigkeit der Schlüssigstellung hingewiesen, um auf Basis schlüssigen Vorbringens überhaupt ein Sachverständigengutachten einholen zu können. Ohne schlüssiges Vorbringen/ Einwendungen wäre die Einholung eines Gutachtens unstatthaft und würde auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinauslaufen. Bei der Höhe der aufgetragenen Kostenvorschüsse habe sie sich an den in ähnlich gelagerten Fällen verzeichneten Gebühren von Sachverständigen orientiert, wobei diesbezüglich insbesondere auf das Verfahren ***** Cg ***** des Landesgerichts W***** verwiesen werde.

Bei der Verkündung des Anerkenntnisurteils ohne Erklärung eines prozessualen Anerkenntnisses durch den Beklagtenvertreter sei ihr ein Fehler unterlaufen, der ihr in ihrer langjährigen Praxis bislang nicht passiert sei. Dies sei darauf zurückzuführen, dass sich die Verhandlungsführung als schwierig gestaltet habe, weil - zumindest nach ihrem Empfinden - der Beklagtenvertreter ihre fortgesetzten Bemühungen um Schlüssigstellung seiner Einwendungen als ungerechtfertigt empfunden habe. Das Verhandlungsklima sei unangenehm gewesen, wobei sie sich stets um ein sachliches und ausgeglichenes Klima bemüht habe, um ein für den weiteren Verhandlungsverlauf verwertbares Protokoll zustandezubringen. Im Laufe der Verhandlung sei das Verhandlungsklima allerdings besser geworden und habe auch die Einvernahme der Beklagten sachlich durchgeführt werden können. Nachdem die Beklagte im Rahmen ihrer Einvernahme bestätigt habe, einen Teilbetrag zu schulden, habe der Klagevertreter - ohne Erklärung eines prozessualen Anerkenntnisses durch den anwesenden Beklagtenvertreter - die Erlassung eines Anerkenntnisurteils beantragt. Der Beklagtenvertreter habe sich dazu nicht geäußert. Sie habe in der Prozesssituation völlig vergessen, darauf zu achten, dass ein prozessuales Anerkenntnis des Beklagtenvertreters protokolliert werde, wobei nach ihrer Erinnerung vom Beklagtenvertreter tatsächlich kein Anerkenntnis erklärt worden sei. Diesen Fehler führe sie auf einen Konzentrationsmangel zurück, der sich auch darin manifestiere, dass sie auf die Beschränkung des Begehrens auf die Sachhaftung nicht Bezug genommen habe. Dies sei unter Berücksichtigung der schwierigen Prozesssituation wohl als einmalige entschuldbare Fehlleistung anzusehen. Keinesfalls habe sie den Vorsatz gehabt, die ohnehin anwaltlich vertretene Beklagte zu schädigen, zumal einem potentiellen Schadenseintritt ohnehin die Möglichkeit der Erhebung eines Rechtsmittels entgegenstehe. Mit dem der Entscheidung 17 Os 7/13b zugrundeliegenden Sachverhalt sei der gegenständliche Sachverhalt in keinster Weise zu vergleichen.

Der Disziplinaranzeige liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit der am 10.2.2014 beim Landesgericht W***** eingebrachten Klage begehrt die klagende Partei R***** W***** von der beklagten Partei F***** W***** die Zahlung von EUR 195.076,89 samt 3,5 % Zinsen und 6 % Verzugszinsen jeweils seit 1.2.2012 bei sonstiger Exekution in die Liegenschaft der Beklagten in EZ ***** GB *****. Die Klägerin brachte vor, sie habe der W***** W***** insgesamt vier Kontokorrentkredite, die über eine Kontonummer abgewickelt worden seien, sowie insgesamt sieben Abstattungskredite über jeweils eigene Kontonummern gewährt, wobei mit Ausnahme von zwei Kontokorrentkrediten sämtliche Kreditverträge vom 12.11.2003 datierten. Über die W***** W***** sei mit Beschluss des Landesgerichts W***** vom 1.2.2012 das Konkursverfahren eröffnet worden, wobei die Klägerin im Konkurs Forderungen über insgesamt EUR 953.513,50 angemeldet habe. Nach Verwertung einer Liegenschaft der Schuldnerin, nach Ausbezahlung der aus der Konkursabwicklung erhaltenen Quote sowie weiterer erhaltener Beträge sei zum 1.2.2012 ein offener Kreditsaldo in Höhe des Klagsbetrags verblieben, für den die Beklagte mit ihrer Liegenschaft aufgrund des Pfandbestellungsvertrags vom 12.11.2003 hafte.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren zur Gänze, beantragte Klagsabweisung und erhob zahlreiche Einwendungen, wie unter anderem, dass der Pfandbestellungsvertrag sittenwidrig sei, für die beiden nach dem 12.11.2003 eingeräumten Kontokorrentkredite die Pfandhaftung gemäß § 864a ABGB und § 6 Abs 3 KSchG unwirksam sei, sodass durch die Verwertung im Konkurs die Kontokorrentkreditverträge, für die die Sachhaftung bestehe, vollständig getilgt seien, weiters sei sie von der Konvertierung der in Schweizer Franken abgeschlossenen Kreditverträge nicht verständigt worden, sodass es damit zu einer wesentlichen Erhöhung ihres Risikos gekommen sei, die Klägerin im Konkurs der W***** W***** es schuldhaft unterlassen habe, ihr Pfandrecht am beweglichen Vermögen der Schuldnerin geltend zu machen, wodurch eine um EUR 90.300,-- höhere Abdeckung der Kredite erfolgt wäre und darüber hinaus auch W***** W***** persönlich bis zum Höchstbetrag von EUR 160.000,-- als Bürge und Zahler hafte, sodass die in seinem Privatkonkurs festgelegte Zahlungsplanquote von 10 % bei der Forderung gegenüber der Beklagten in Abzug zu bringen sei. Darüber hinaus bestritt die Beklagte auch die Höhe der Klagsforderung und wendete ein, die Klägerin habe zu hohe Zinssätze verrechnet, Zinserhöhungen nicht sofort und Zinssenkungen erst verspätet und nicht in der vereinbarten Höhe durchgeführt. Zum letzten Einwand bot sie unter anderem Sachverständigengutachten an.

Am 13.3.2014 beraumte die Disziplinarbeschuldigte die vorbereitende Tagsatzung für 10.4.2014 an und versah die Ladung mit folgenden Zusätzen:

„Das Gericht zieht die Trennung des Verfahrens in acht Einzelverfahren (je Konto) in Erwägung.

....

Aufträge an die klagende Partei:

a) Unschlüssigkeit der Klage: Die Klagsforderung ist nicht einmal ansatzweise schlüssig. Die klagende Partei ist daher aufzufordern, die Klagsforderung iSd § 226 ZPO durch nachvollziehbares Vorbringen schlüssig zu stellen. Die klagende Partei beschränkt sich darauf, aus den dargestellten Krediten aushaftende Beträge anzuführen, ohne darzustellen, wie sich diese errechnen bzw wie sie im Laufe der Zeit zustandegekommen sind. Die klagende Partei macht sich nicht einmal die Mühe, exemplarisch den Verlauf einzelner Konten darzulegen.

Der klagenden Partei wird aufgetragen, im o.a. Schriftsatz das Zustandekommen des Saldos jedes einzelnen Kreditvertrags konkret, schlüssig und lückenlos nachvollziehbar darzustellen. Zur Schlüssigstellung bedarf es einer lückenlosen chronologischen Aufstellung der einzelnen Kreditverhältnisse, aus der hervorgeht,

- wann Kredite zu welchen Konditionen eingeräumt (allenfalls verlängert) wurden (und ob sich im Verlauf des Kreditverhältnisses die Konditionen gegebenenfalls in welcher Form geändert haben);

- in welchen Kreditvereinbarungen welche Klauseln enthalten waren, die die Klägerin zur Verrechnung/Änderung konkret vereinbarter Zinsen, Mahnspesen, Kontoführungsspesen etc allenfalls ermächtigen (unter genauer Anführung des Vertrags mit Angabe der Beilagenbezeichnung und jeweils wörtlicher Wiedergabe allenfalls bezogener Klauseln);

- in welcher Höhe daher die klagende Partei in bestimmten Zeiträumen welche Zinssätze, Spesen etc verrechnet bzw den Konten angelastet hat.

b) Das Gericht geht davon aus, dass entsprechend der Beweislastverteilung auch die klagende Partei die Einholung eines Gutachtens aus dem Bankfach beantragen wird, um die gegebenenfalls schlüssig gestellten Salden aus den Kreditverträgen beweisen zu können. Dies möge ebenfalls im o.a. Schriftsatz gegebenenfalls nachgeholt werden.

c) Im Schriftsatz ist weiters zu klären, ob die ersten beiden Absätze des Punktes 3. der Klagebeantwortung (abgesehen von der rechtlichen Bewertung als „schuldhaft“) außer Streit gestellt werden (mit Zustimmung der kl. Partei in der Masse verbliebener Erlös aus dem Verkauf der Fahrnisse iHv EUR 90.300,--), und ob Punkt 4. der Klagebeantwortung (Schuldenregulierungsverfahren des W***** W*****, Haftung als Bürge und Zahler, 10 % Quote, Abschluss eines Zahlungsplans und gerichtliche Bestätigung am 2.5.2013) außer Streit gestellt werden kann.

d) Für den Fall der Nachholung des Antrags auf Einholung eines SV-Gutachtens wird der klagenden Partei der Erlag eines Kostenvorschusses von EUR 30.000,-- binnen zwei Wochen Datum der Tagsatzung aufgetragen.

Aufträge an beklagte Partei:

Die unsubstantiierte Behauptung der beklagten Partei, wonach „zu hohe Zinssätze verrechnet, Zinserhöhungen (nicht???) sofort durchgeführt, Zinssenkungen jedoch erst verspätet und nicht in der vereinbarten Höhe“ ist ebenfalls zu unkonkret, um sie von einem Sachverständigen überprüfen lassen zu können. Die beantragte PV ist schon grundsätzlich kein probates Beweismittel. Der beklagten Partei wird daher aufgetragen, im o.a. Schriftsatz entweder den Punkt 5. der Klagebeantwortung zurückzuziehen oder die allgemein gehaltenen Einwendungen durch konkretes Vorbringen dahin zu ersetzen, welche Zinssätze für welchen Kredit in welchem Zeitraum zu verrechnen gewesen wären, welche tatsächlich verrechnet wurden, welche Zinssenkungen wann bezogen auf die einzelnen Kreditverträge durchzuführen gewesen wären und in welcher Höhe und wann tatsächlich die Zinssenkungen durchgeführt wurden.

Der beklagten Partei wird weiters aufgetragen, im o.a. Schriftsatz anzugeben, ob nachstehendes Vorbringen der Klage außer Streit gestellt werden kann:

..... Forderungsanmeldung und Zusammensetzung des angemeldeten Gesamtbetrages, auf Seite 9 der Klage dargestellte, saldomindernde Zahlungen und Beträge.

Auf Entscheidungen, wonach eine Klausel, die die Anpassung an die üblichen Zinssätze erlaubt, nicht sittenwidrig (SZ 58/78) bzw jedenfalls dann zulässig ist, wenn eine Bindung an Parameter, auf die die Bank keinen messbaren Einfluss hat, erfolgte (***** Ob *****), wird gemäß § 182a ZPO hingewiesen.

Zum Sachverständigen wird Univ.Lekt. Mag. L***** H*****, ...., bestellt.

Der beklagten Partei wird der Erlag eines Kostenvorschusses von EUR 15.000,-- binnen 14 Tagen aufgetragen. .....“

Gegen die Höhe des auferlegten Kostenvorschusses erhob die Beklagte daraufhin Rekurs, ebenso wie gegen die Abweisung ihres Verfahrenshilfeantrags, wobei dem Rekurs gegen die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags keine Folge gegeben, jener gegen die Auferlegung des Kostenvorschusses mangels Beschwer zurückgewiesen wurde, nachdem das Erstgericht zwischenzeitlich den Auftrag zum Erlag eines Kostenvorschusses widerrufen hatte (siehe ***** R ***** und ***** R ***** je des Oberlandesgerichts L*****).

Mit dem am 3.4.2014 eingebrachten vorbereitenden Schriftsatz erstattete die Klägerin umfangreiches Vorbringen, insbesondere zu den Konditionen der einzelnen Kredite sowie in Erwiderung der Einwendungen der Beklagten, wobei die Klägerin zum Beweis jeweils Urkunden und teilweise Zeugen anbot, nicht jedoch Sachverständigengutachten.

Auch die Beklagte brachte am selben Tag einen vorbereitenden Schriftsatz ein, in dem sie mitteilte, es sei ihr unmöglich, entsprechend detaillierte Einwendungen zu erheben bzw allfällige Tatsachen außer Streit zu stellen, da die Klägerin bislang kein schlüssiges Klagsvorbringen erstattet habe; sie ersuche daher die vorbereitende Tagsatzung abzuberaumen und auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

In der vorbereitenden Tagsatzung vom 10.4.2014 erstatteten beide Parteien umfangreiches Vorbringen, wobei die Klägerin auch zu den einzelnen Kreditkonten die jeweils verrechneten Zinssätze sowie die Zinsänderungen darstellte. In der Folge vernahm die Disziplinarbeschuldigte die Beklagte als Partei, die auf die Frage, ob sie wenigstens den im Anwaltschreiben in Beilage NN ausgewiesenen Betrag von EUR 89.996,36 der Klägerin schuldig sei, antwortete: „Ja“ . Daraufhin beantragte der Klagsvertreter die Fällung eines Teilanerkenntnisurteils über EUR 59.996,36 und brachte dazu vor, dass er den von der Beklagten eingewendeten Schaden aus der angeblich nicht berechtigten Konvertierung der Fremdwährungskredite von ca EUR 30.000,-- aus prozessualen Gründen in Abzug gebracht habe.

Seitens des Beklagtenvertreters ist keine Erklärung protokolliert, vielmehr verkündete die Disziplinarbeschuldigte in der Folge das Anerkenntnisurteil:

„IM NAMEN DER REPUBLIK!

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen bei Exekution den Betrag von EUR 59.996,36 zu bezahlen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Dieses Urteil gründet auf dem ausdrücklich erklärten Anerkenntnis der beklagten Partei in der Tagsatzung.“

Sodann vernahm die Disziplinarbeschuldigte noch mehrere Zeugen und erstreckte daraufhin die Tagsatzung auf unbestimmte Zeit.

In der Folge fertigte sie das (Teil-)Anerkenntnisurteil aus und stellte es den Parteienvertretern zu. Gegen dieses erhob die Beklagte fristgerecht Berufung, welcher das Oberlandesgericht L***** als „Rekursgericht“ insoweit Folge gab, dass es das angefochtene Urteil aufhob und den Antrag der Klägerin auf Erlassung eines Teilanerkenntnisurteils über EUR 59.996,36 abwies. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass ein prozessuales Anerkenntnis nicht vorliege, weil dieses in einem Anwaltsprozess wirksam nur durch einen Rechtsanwalt abgegeben werden könne, nicht jedoch durch eine Erklärung der Partei selbst. Darüber hinaus leide das angefochtene Urteil auch an dem Mangel, dass die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des begehrten Betrags ohne Beschränkung auf die Sachhaftung erfolgte, was seitens der Klägerin gar nicht begehrt worden sei (siehe ***** R ***** des Oberlandesgerichts L*****).

Zur Ablehnung der beantragten Einleitung der Disziplinaruntersuchung gegen die Richterin des Landesgerichts W***** Dr. M***** S***** hat der Disziplinarsenat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 57 Abs 1 RStDG sind Richter und Staatsanwälte der Republik Österreich zur Treue verpflichtet und haben die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten. Sie haben sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, sich fortzubilden, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen und die ihnen übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen.

Aus der Bestimmung des § 101 Abs 1 RStDG ist abzuleiten, dass nicht jede Verletzung einer Amts- (oder Standes-)pflicht durch einen Richter ein Dienstvergehen darstellt, vielmehr die Pflichtverletzung nach Art und Schwere doch einigermaßen gravierend oder bereits wiederholt gesetzt worden sein muss oder sonstige erschwerende Umstände diesbezüglich vorliegen.

Die der Disziplinarbeschuldigten vorgeworfene Amtspflichtverletzung erfüllt diese Kriterien nicht, vielmehr lässt sich aufgrund des aktenkundigen und unstrittigen Sachverhalts auch ohne Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens beurteilen, dass keine qualifizierte Pflichtverletzung, die als Dienstvergehen zu beurteilen wäre, vorliegt.

Zutreffend ist, dass in einem der Anwaltspflicht unterliegenden Zivilrechtsstreit ein prozessuales Anerkenntnis, das über Antrag der klagenden Partei zur Fällung eines (Teil-)Anerkenntnisurteils führen kann, nur von dem die beklagte Partei vertretenden Rechtsanwalt abgegeben werden kann. Insoweit lagen die Voraussetzungen zur Fällung eines (Teil-)Anerkenntnisurteils durch die Disziplinarbeschuldigte im Verfahren ***** Cg ***** des Landesgerichts W***** nicht vor. Auch ist sie bei Fällung dieses Teilanerkenntnisurteils über den Antrag der klagenden Partei, die gegenüber der Beklagten eine reine Sachhaftung geltend machte, hinausgegangen, weil sie die Beschränkung der Vollstreckung auf die von der Beklagten verpfändete Liegenschaft nicht in den Spruch des Teilanerkenntnisurteils aufnahm. Dies mag durchaus unvertretbar im Sinne des AHG gewesen sein, allerdings lässt sich aus der Vorgangsweise der Disziplinarbeschuldigten keineswegs ableiten, dass sie auch nur einen bedingten Schädigungsvorsatz gegenüber der Beklagten gehabt oder in irgendeiner Weise nicht unparteilich gehandelt hätte, sondern hat sie offenbar in der „Hitze des Gefechts“ übersehen, dass eine prozessuale Erklärung eines Anerkenntnisses durch den Beklagtenvertreter nicht vorliegt und dass ja „nur“ eine Sachhaftung geltend gemacht wird. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte in der Tagsatzung, in der es zur Verkündung des Teilanerkenntnisurteils kam, sehr wohl durch einen Rechtsanwalt vertreten war, der sich offenbar zum Antrag der klagenden Partei auf Erlassung eines Teilanerkenntnisurteils gar nicht äußerte. Dazu kommt weiters, dass weder behauptet wird noch sich aus dem Protokoll ergibt, dass die Disziplinarbeschuldigte die Beklagte in irgendeiner Weise ihrer Rechte beschneiden wollte, sei es durch die Hinwirkung auf einen Rechtsmittelverzicht oder dergleichen. Weiters ist zu berücksichtigen, dass vermutlich die Voraussetzungen zur Fällung eines Teilurteils iSd § 391 ZPO über den Betrag von EUR 59.996,36 durchaus vorgelegen wären, weil sich der diesbezügliche Zuspruch an die Klägerin unter Berücksichtigung der der Beklagten vorgehaltenen (dem Disziplinargericht nicht vorliegenden) Urkunden in Beilage NN, insbesondere auf das Geständnis der Beklagten im Sinne des § 266 ZPO stützen hätte können, sodass wohl letztlich der Disziplinarbeschuldigten lediglich vorgeworfen werden kann, dass sie sich in der Entscheidungsform (Teilanerkenntnisurteil statt Teilurteil) vergriffen und die Entscheidung nicht auf die Sachhaftung beschränkt hat; denn für die Erlassung eines Teilurteils hätte es keiner prozessualen Erklärung seitens des rechtsanwaltlichen Vertreters der Beklagten bedurft.

Auch der Vorwurf einer unsachlichen oder parteilichen Verhandlungsführung durch die Disziplinarbeschuldigte ist nicht gerechtfertigt: Dass die Disziplinarbeschuldigte in Vorbereitung der vorbereitenden Tagsatzung die Parteien auffordert, ihr jeweiliges Vorbringen schlüssig zu stellen und diese auf die einzelnen Punkte hinweist, hinsichtlich derer - nach ihrer Ansicht - Unschlüssigkeit vorliegt, stellt kein pflichtwidriges Verhalten dar, sondern ist in § 257 ZPO, insbesondere in dessen Abs 2 ausdrücklich vorgesehen. Auch die abgesonderte Verhandlung über einzelne von mehreren in derselben Klage erhobenen Ansprüche ist in § 188 ZPO ausdrücklich vorgesehen. Die Auferlegung hoher Kostenvorschüsse bzw Ankündigung der Auferlegung hoher Kostenvorschüsse durch die Verhandlungsrichterin kann auch nicht als Pflichtverletzung angesehen werden, zumal einerseits derartige Gutachten, insbesondere wenn diese acht Konten über jeweils einen Zeitraum von fast zehn Jahren betreffen, äußerst kostspielig sind, wie sich insbesondere auch aus dem Akt ***** Cg ***** des Landesgerichts W***** ergibt, wo der Sachverständige zwei in den 80-er Jahren eingeräumte Kredite nachvollziehen sollte und hiefür Gebühren von insgesamt EUR 43.730,-- ansprach. Im Übrigen hat die Disziplinarbeschuldigte nicht nur die beklagte Partei mit der Auferlegung eines Kostenvorschusses von EUR 15.000,-- belastet, sondern auch angeregt, dass die klagende Partei zur Schlüssigstellung ihres Begehrens Sachbefund anbietet und für diesen Fall die Auferlegung eines Kostenvorschusses von insgesamt EUR 30.000,-- angekündigt, sodass auch daraus kein unsachliches oder parteiliches Verhalten zum Nachteil der Beklagten zu erkennen ist, abgesehen davon, dass die Disziplinarbeschuldigte letztlich den Auftrag zum Erlag eines Kostenvorschusses durch die Beklagte über EUR 15.000,-- zur Gänze widerrief. Dazu kommt weiters, dass auch die Auferlegung von Kostenvorschüssen in dieser Höhe mittels Rekurs angefochten werden kann, sodass auch diesbezüglich die Beklagte keinerlei Rechte beschnitten wurde.

Dass die Disziplinarbeschuldigte bereits öfter derartige Verstöße gegen prozessuale Vorschriften begangen habe, wird nicht einmal behauptet und gibt es hiefür auch keinerlei Anhaltspunkte. Der angezeigte Sachverhalt erscheint jedenfalls keine Pflichtverletzung in nur annähernd der Art oder Schwere zu enthalten, dass diese als Dienstvergehen im Sinne des § 101 Abs 1 RStDG qualifiziert werden könnte. Es war daher mangels begründeten Verdachts des Vorliegens eines Dienstvergehens die Einleitung eines Disziplinarverfahrens abzulehnen.

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