JudikaturOLG Innsbruck

4R221/13a – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
10. Dezember 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Huber und Dr. Gosch als weitere Mitglieder des Senates in der Rechtssache der klagenden Partei P***** M *****, vertreten durch Dr. Georg Huber, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagten Parteien 1. L *****, 2. L *****, beide vertreten durch Mag. Michael Tinzl, Mag. Albert Frank, Rechtsanwälte in Innsbruck, 3. K***** H *****, 4. E***** H *****, beide vertreten durch Mag. Martin Singer, Rechtsanwalt in Schwaz, wegen Leistung und Feststellung, über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 26.9.2013, 11 Cg 180/06b-75, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben und der angefochtene Beschluss ersatzlos a u f g e h o b e n .

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 4 ZPO jedenfalls u n z u l ä s s i g .

Text

Begründung:

Die Klägerin brachte beim Erstgericht am 9.10.2006 wider die beklagten Parteien eine Schadenersatzklage wegen eines von ihr am 20.5.2004 erlittenen Unfalls auf der von der Erstbeklagten betriebenen Sommerrodelbahn ein; dabei wurde sie vom Klagsvertreter als frei gewähltem Anwalt vertreten. Gleichzeitig mit der Klage beantragte sie die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1a - e ZPO, wobei ihr die Verfahrenshilfe vom Erstgericht im beantragten Umfang mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 11.10.2006 bewilligt wurde (AS 13).

Nachdem bereits mit Teil- und Teilzwischenurteil die Haftung der Erst- und Zweitbeklagten dem Grunde nach festgestellt und das Klagebegehren gegenüber der Dritt- und dem Viertbeklagten zur Gänze abgewiesen worden war, die Erst- und Zweitbeklagte in der Folge eine Teilzahlung an die Klägerin über EUR 17.946,30 leistete und ein Teilanerkenntnisurteil über das Feststellungsbegehren gegenüber der Erst- und Zweitbeklagten erging, wies das Erstgericht das restliche Klagebegehren von EUR 5.854,97 samt 4 % Zinsen seit 1.1.2005 mit (End-)Urteil vom 11.8.2010 ab, wobei es der Klägerin gleichzeitig Kostenersatz im Umfang von EUR 9.515,80 zuerkannte. Hinsichtlich seiner Kostenentscheidung unterteilte das Erstgericht das Verfahren in insgesamt vier Verfahrensabschnitte, wobei es von einem Obsiegen der Klägerin im ersten Verfahrensabschnitt im Umfang von 69 %, im zweiten Verfahrensabschnitt im Umfang von 90 %, im dritten Verfahrensabschnitt im Umfang von 64 % und im letzten Verfahrensabschnitt, der nur noch die letzte Stunde der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung umfasste, von 0 % ausging (ON 70). Dieses Urteil wurde den Parteien (Vertretern) jeweils am 26.8.2010 zugestellt, ein Rechtsmittel wurde gegen diese Entscheidung nicht erhoben, sodass es mit Ablauf des 23.9.2010 in Rechtskraft erwuchs.

Über Antrag der Klägerin fällte das Erstgericht am 22.9.2010 ein Ergänzungsurteil, mit welchem es die Erst- und Zweitbeklagte zur ungeteilten Hand verpflichtete, der Klägerin 4 % Zinsen aus EUR 17.946,30 vom 1.1.2005 bis 4.5.2009 zu zahlen (ON 72), wobei diese Entscheidung unangefochten blieb, sodass sie mit Ablauf des 28.10.2010 in Rechtskraft erwuchs.

Am 6.8.2013 forderte das Erstgericht die Klägerin auf, binnen vier Wochen ein vollständig ausgefülltes Vermögensbekenntnis samt allen erforderlichen Belegen vorzulegen. Es begründete diese Entscheidung damit, dass es gemäß § 71 ZPO verpflichtet sei zu überprüfen, ob eine Partei zur Nachzahlung der Beträge (Rückersatz der einstweilig gestundeten Gebühren, tarifmäßige Entlohnung des beigegebenen Rechtsanwalts) in der Lage ist, von deren Entrichtung sie einstweiligen befreit war. Weiters wies das Erstgericht darauf hin, dass im Falle, dass ein Vermögensbekenntnis nicht vorgelegt wird, davon ausgegangen werde, dass die Voraussetzungen zur Bewilligung der Verfahrenshilfe weggefallen sind, was zur Folge hätte, dass der Klägerin der Rückersatz der gestundeten Gerichtsgebühren und die tarifmäßige Entlohnung des beigegebenen Rechtsanwalts ohne weiteres Verfahren auferlegt würde (Mitwirkungspflicht unter Anwendung des § 381 ZPO). Diese Aufforderung wurde der Klägerin persönlich am 19.8.2013 zugestellt (ON 73).

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus, dass die Klägerin dem Grunde nach zur Nachzahlung jener Beträge verpflichtet sei, von deren Berichtigung sie mit Beschluss vom 11.10.2006 einstweilen befreit wurde. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die Klägerin der Aufforderung zur Beibringung eines ausgefüllten Vermögensbekenntnisses innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen sei, sodass zu unterstellen sei, dass nunmehr die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht mehr vorlägen. Diese Entscheidung wurde der Klägerin am 1.10.2013 persönlich zugestellt (ON 75).

Dagegen erhob die Klägerin, vertreten durch den Klagsvertreter Rekurs, der beim Erstgericht am 6.11.2013 elektronisch eingebracht wurde. Sie beantragt, in Stattgebung des Rekurses den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben.

Eine Rekursbeantwortung wurde vom Revisor nicht erstattet.

Der Rekurs ist fristgerecht und berechtigt.

In ihrem Rechtsmittel führt die Klägerin aus, dass die Zahlungsaufforderung vom 21.10.2013 ihrem Rechtsvertreter am 29.10.2013 zugestellt worden sei. Erst im Zuge der nachfolgenden Erhebungen habe sich herausgestellt, dass der Klägerin persönlich im August 2013 ein Vermögensbekenntnisformular mit der Aufforderung, dieses vollständig ausgefüllt binnen vier Wochen an das Erstgericht zu übermitteln, sowie weiters der nunmehr angefochtene Beschluss am 26.9.2013 zugestellt worden sei. Diese Zustellungen seien gesetzwidrig gewesen, da die dem Klagsvertreter erteilte Prozessvollmacht bislang nicht aufgehoben worden sei und somit wirksame Zustellungen nur an ihn erfolgen hätten können. Somit sei der Rekurs rechtzeitig. Da mangels gesetzmäßiger Zustellung der seinerzeitigen Aufforderung aber somit auch keine Säumnis der Klägerin eintreten habe können, sei die vom Erstgericht ausgesprochene Nachzahlungsverpflichtung wegen nicht rechtzeitig erfolgter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses verfehlt.

Hiezu hat das Rekursgericht erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 93 Abs 1 ZPO haben, wenn eine Partei für einen Rechtsstreit Prozessvollmacht erteilt hat, bis zur Aufhebung der Prozessvollmacht alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen. Diese Bestimmung gilt in allen Verfahren, insbesondere auch in jenen, in denen kein Anwaltszwang besteht, also auch in Verfahrenshilfeangelegenheiten.

Die Klägerin war während des gesamten Erkenntnisverfahrens von RA Dr. G***** H***** als frei gewählten Prozessbevollmächtigten vertreten, dieser brachte auch für sie mit der Klage den Verfahrenshilfeantrag ein, der die unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts nicht umfasste. Das Gericht hat (auch) nach Abschluss eines Rechtsstreites gemäß § 71 ZPO zu überprüfen, ob eine Verfahrenshilfe genießende Partei allenfalls ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts ganz oder teilweise dazu im Stande ist, die Beträge von deren Bestreitung sie seinerzeit einstweilen befreit worden ist, nachzuzahlen. Eine derartige Nachzahlungsverpflichtung kann bis zum Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Verfahrens auferlegt werden. Es kann nun nicht zweifelhaft sein, dass dieses Verfahren zur Überprüfung einer allfälligen Nachzahlungsverpflichtung einer Partei gemäß § 71 ZPO zum Rechtsstreit gehört, in dem der Partei die Verfahrenshilfe bewilligt wurde. Es kann auch nicht zweifelhaft sein, dass solange keine Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt gegeben wurde, Zustellungen nur an den von der Partei namhaft gemachten Prozessbevollmächtigten wirksam erfolgen können. Gegenteiliges mag gelten, wenn der Partei im Rahmen der Verfahrenshilfe auch vorläufig unentgeltlich ein Rechtsanwalt beigegeben wurde, weil es im Zuge des Verfahrens nach § 71 ZPO regelmäßig zu einer Interessenkollision zwischen der Partei und dem Verfahrenshelfer kommt, wenn die Partei dazu verpflichtet werden soll, dem Verfahrenshelfer die tarifmäßigen Kosten (ganz oder teilweise) zu ersetzen. Dieser Fall liegt allerdings hier nicht vor.

Soweit das OLG Wien in seiner Entscheidung vom 10.12.1999 (WR 893) sowie Fucik in Rechberger ³, ZPO, § 71 Rz 2 unter Berufung auf diese Entscheidung und eine in EFSlg 108.894 veröffentlichte Entscheidung des LGZ Wien zu 35 R 419/04g die gegenteilige Ansicht vertreten, wonach die Aufforderung zur Beibringung eine neuen Vermögensbekenntnisses trotz eines aktenkundig nicht widerrufenen Vertretungsverhältnisses der Partei selbst zuzustellen sei, ist diese Rechtsansicht nicht begründet und im Hinblick auf die Bestimmung des § 93 ZPO auch nicht nachvollziehbar. Auch Bydlinksi in Fasching/Konecny² II/1 § 72 Rz 5 folgt der WR 893 vertretenen Ansicht des OLG Wien und begründet dies damit, dass der höchstpersönliche Charakter derartige Handlungen sowie der Umstand, dass bei einer Zustellung an den Prozessvertreter die Zurechnung von Säumnis oder Unvollständigkeit iSd § 381 ZPO zu Lasten der Partei problematisch sein könne, insbesondere, wenn ein ursprünglich Bevollmächtigter nach Ablauf der Frist des § 36 Abs 2 ZPO keine Tätigkeitspflicht mehr trifft. Er beruft sich insbesondere auch darauf, dass auch Ladungen zur Parteienvernehmung an die Partei selbst erfolgen. Diese Begründung ist allerdings mittlerweile nicht mehr stichhältig, weil Abs 1 von § 93 ZPO durch BBG 2009, BGBl I Nr 52/2009, dahingehend ergänzt wurde, dass auch die Ladungen der Partei zu ihrer Einvernahme an den ausgewiesenen Prozessbevollmächtigten zu erfolgen haben. Auch die von Bydlinksi vorgetragenen Bedenken, wonach der ursprünglich Bevollmächtigte nach Ablauf der Frist des § 36 Abs 2 ZPO keine Tätigkeitspflicht mehr trifft, ist jedenfalls dann nicht stichhältig, wenn eine Auflösung des Vollmachtsverhältnisses - wie hier - gar nicht erfolgte, jedenfalls nicht bekannt gegeben wurde.

Das Rekursgericht schließt sich daher der Rechtsansicht des LGZ Wien in EFSlg 82.191 an, wonach in einem Verfahren nach § 71 ZPO einer Partei, die von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten wurde (wird) und eine Auflösung dieses Vollmachtsverhältnisses bislang nicht bekannt gegeben wurde, wirksam nur Zustellungen an diesen Prozessbevollmächtigten erfolgen können. Es wäre auch widersinnig, wenn - wie hier - die Aufforderung zur Beibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses sowie der Beschluss, mit der die Partei zur Nachzahlung jener Gebühren, von denen sie einstweiligen befreit war, verpflichtet wird, an die Partei persönlich wirksam zugestellt werden könnte, dem gegenüber allerdings dann die Zahlungsaufforderung des Kostenbeamten (Revisors) hinsichtlich der zu ersetzenden Gebühren an den Prozessbevollmächtigten der Partei wirksam erfolgt.

Da der angefochtene Beschluss dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht wirksam zugestellt wurde und dieser erst durch die ihm zugestellte Zahlungsaufforderung davon Kenntnis erlangte, ist der am 6.11.2013 beim Erstgericht elektronisch eingebrachte Rekurs jedenfalls rechtzeitig.

Zutreffend wir im Rekurs geltend gemacht, dass die Aufforderung zur Beibringung eines Vermögensbekenntnisses mit den darin angedrohten Säumnisfolgen auch nicht wirksam an die Klägerin persönlich zugestellt werden konnte, sodass die angedrohten Säumnisfolgen, unabhängig von der teilweise falschen Belehrung hinsichtlich einer "tarifmäßigen Entlohnung des beigegebenen Rechtsanwalts" nicht eintreten konnten, sodass die darauf allein gestützte Verpflichtung zur Rückzahlung jener Beträge, von deren Entrichtung die Klägerin einstweilen befreit war, sich als unzutreffend erweist, was grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung führen müsste.

Allerdings ist im gegenständlichen Fall von Amts wegen zu berücksichtigen, dass die in § 71 Abs 1 ZPO normierte dreijährige Frist, innerhalb der längstens die Partei zur Nachzahlung verpflichtet werden kann, schon abgelaufen ist. Das Verfahren, für das der Klägerin Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis e ZPO bewilligt wurde, wurde mit dem Ergänzungsurteil vom 22.9.2010, welches mit Ablauf des 28.10.2010 in Rechtskraft erwuchs, endgültig abgeschlossen, sodass die dreijährige Frist jedenfalls mit 28.10.2013 endete. Einhellig wird die Ansicht vertreten, dass innerhalb dieser dreijährigen Frist die Zahlungsverpflichtung der Partei vom Gericht ausgesprochen werden muss. Widersprüchlich sind die Ansichten, ob dieser Beschluss innerhalb der 3-Jahres-Frist auch der Partei zugestellt worden sein muss, oder ob die 3-Jahres-Frist gewahrt ist, wenn innerhalb dieser Frist der Beschluss über die Nachzahlung von Beträgen der (Gerichts-)Kanzlei zur Ausfertigung übergeben wird. Letztere Ansicht wurde vom Rekursgericht bereits in seiner umfangreich begründeten Entscheidung vom 28.1.2008 zu 4 R 8/08w (RIS-Justiz RI0000172) vertreten und besteht kein Grund, davon abzugehen. Allerdings ist zur Fristwahrung nicht nur die Fassung des Beschlusses und die Übergabe der Ausfertigung an die Kanzlei innerhalb der Frist erforderlich, sondern dass auch eine korrekte Zustellverfügung an jene Person, an die (ausschließlich) wirksam zugestellt werden kann, erfolgt, also diesbezüglich kein Fehler des Gerichts vorliegt. Das Gericht hat nur dann keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der (wirksamen) Zustellung, wenn eine korrekte Zustellverfügung erfolgt ist; ist die Zustellverfügung mangelhaft, dann liegt es sehrwohl im Einflussbereich des Gerichts, wenn die 3-Jahres-Frist des § 71 Abs 1 ZPO nicht eingehalten werden kann.

Nachdem innerhalb der 3-Jahres-Frist infolge einer fehlerhaften Zustellverfügung des Gerichts keine (wirksame) Nachzahlungsverpflichtung an die Klägerin erging, und dies wegen des mittlerweile erfolgten Fristablaufs nicht mehr nachgeholt werden kann, war in Stattgebung des Rekurses der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben. Eine Nachzahlungsverpflichtung der Klägerin kommt somit schon wegen Fristablaufs nicht mehr in Frage.

Im Hinblick auf die Bestimmung des § 72 Abs 3 letzter Satz ZPO hat die Klägerin zutreffend keine Rekurskosten verzeichnet, sodass ein Kostenspruch entfallen konnte.

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