4R166/13p – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Huber und die Richterin Dr. Prantl als weitere Mitglieder des Senates in der Rechtssache der klagenden Partei mj. N *****, vertreten durch ihre Mutter I*****, beide wohnhaft in *****, vertreten durch MMag.Dr. Eduard Wallnöfer, Rechtsanwalt in Innsbruck, als bestellter Verfahrenshelfer, wider die beklagten Parteien 1. G *****, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei Dr. Wendling GmbH in Kitzbühel, 2. L *****, vertreten durch Gratl Anker Rechtsanwaltspartnerschaft in Innsbruck, wegen EUR 294.807,89 s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert: EUR 298.807,89), über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 9.7.2013, 66 Cg 148/11h-23, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss a u f g e - h o b e n und die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und allfälligen neuerlichen Entscheidung z u r ü c k v e r w i e s e n .
Die Kosten des Rekurses hat die Klägerin selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist die uneheliche Tochter des am ***** verstorbenen A*****, der zum Todeszeitpunkt Eigentümer zweier Liegenschaften in Jochberg war, wobei sich beide Liegenschaften damals im Freiland befanden. Die Verlassenschaftspassiva betrugen insgesamt EUR 92.750,07. Mit letztwilliger Verfügung vom 6.4.1992 vermachte der Erblasser die beiden Liegenschaften, die die einzigen Verlassen schaftsaktiva in Österreich darstellten, dem Legatar G*****.
Im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens wurde der Wert der beiden Liegen schaften des Erblassers durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermittelt. Unter Heranziehung des „Freilandpreises“ ermittelte dieser einen Wert der beiden Liegenschaften von nur rund EUR 41.000,-, woraus sich eine Überschuldung des Nachlasses von ca. EUR 50.000,- errechnete. Die Klägerin trat daher die Erbschaft nicht an. Der Legatar übernahm die beiden Liegenschaften an Zahlungs statt und leistete der Klägerin eine Abschlagszahlung von EUR 18.500,-.
Mit ihrer am 7.9.2011 beim Erstgericht eingebrachten, pflegschaftsgerichtlich genehmigten, Klage begehrt die Klägerin von den beiden beklagten Parteien zur ungeteilten Hand die Zahlung von insgesamt EUR 294.807,89 s.A. aus dem Titel der Amtshaftung und stellte darüber hinaus auch noch ein mit EUR 4.000,- bewertetes Begehren auf Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. Sie warf den beklagten Parteien die Erteilung unrichtiger Auskünfte über die Widmung einer der beiden in den Nachlass gefallenen Liegenschaften vor, weil sich diese Liegenschaft tatsächlich im Bauerwartungsland befunden habe und einen Wert von EUR 350,- bis EUR 540,- pro m² gehabt habe. Hätte die Klägerin dies gewusst, hätte sie die Erb schaft nicht ausgeschlagen und hätte sie gegenüber dem Legatar einen 50 %igen Pflichtteilsanspruch in Höhe von EUR 313.307,89 gehabt.
Für diese Klagsführung wurde der Klägerin mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 25.3.2010 zu 17 Nc 2/10t Verfahrenshilfe im vollen Umfang bewilligt.
Die beiden beklagten Parteien bestritten das Klagebegehren.
In der Tagsatzung vom 4.6.2012 schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich die Erstbeklagte verpflichtete, der Klägerin EUR 70.000,- an Hauptsache sowie einen Kostenbeitrag von EUR 11.143,76 in zwei Raten, zu bezahlen. Zwischen der Klägerin und der Zweitbeklagten wurde Kostenaufhebung vereinbart.
Mit Beschluss vom 3.9.2012 trug das Erstgericht der Klägerin im Hinblick auf § 71 ZPO auf, ein vollständig ausgefüllten Vermögensbekenntnis samt Belegen vorzu legen. Die Klägerin kam – nach Fristverlängerung – diesem Auftrag nach, beantragte allerdings, von einer Nachzahlungsverpflichtung Abstand zu nehmen, weil sie die erhaltene und noch zu erhaltende Zahlung für ihren Unterhalt und für ihre Ausbildung benötige. Eventualiter beantragte sie eine Vorschreibung von Kostenersatzbeträgen an die Erstbeklagte.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus,
„die klagende Partei wird gemäß § 71 ZPO zur Nachzahlung der Gebühren verpflichtet, von deren Berichtigung sie aufgrund der Verfahrenshilfe einstweilen befreit war.“
Es begründete seine Entscheidung damit, sie habe im Rahmen des Vergleichs EUR 70.000,- sowie zusätzlich einen Kostenbeitrag von EUR 11.143,76 von der erst beklagten Partei bekommen und sei daher in der Lage, die Gebühren, welche ihr im Vorhinein gewährt wurden (gemeint wohl: von deren Entrichtung sie einstweilen befreit wurde), nachzuzahlen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der fristgerechte Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, in Stattgebung des Rekurses den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass ausgesprochen werde, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, die Gerichtsgebühren, von deren Berichtigung sie aufgrund der Verfahrenshilfe einst weilen befreit war, nachzahlen zu müssen; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Eine Rekursbeantwortung wurde weder vom Revisor noch von einer der beklagten Parteien erstattet.
Der Rekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 71 Abs 1 ZPO ist die die Verfahrenshilfe genießende Partei mit Beschluss zur gänzlichen oder teilweisen Nachzahlung der Beträge zu verpflichten, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen ist oder die ihr zur Bestreitung ihrer Reisekosten einstweilen aus Amtsgelder ersetzt worden sind, und die noch nicht berichtigt sind, wie ebenso zur tarifmäßigen Entlohnung des ihr beigegebenen Rechts anwalts, soweit und sobald sie ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts dazu im Stande ist. Gemäß Abs 2 leg. cit. ist in dem Beschluss über die Nachzahlung der Partei zunächst der Ersatz der in § 64 Abs 1 Z 1 lit b bis f und Z 5 genannten Beträge aufzuerlegen, dann die Leistung der Entlohnung des Rechtsanwalts unter gleichzeitiger Bestimmung ihrer Höhe und endlich die Entrichtung der in § 64 Abs 1 Z 1 lit. a genannten Beträge.
Aus dem Wortlaus dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Beschluss nicht eine Nachzahlungsverpflichtung im Allgemeinen festzustellen hat, sondern einen voll streckbaren Leistungsbefehl zu enthalten hat. Die Trennung von Justiz (§§ 70 f ZPO) und Verwaltung (Einbringung der Gerichtsgebühren nach GEG) führt aber bei den in § 64 Abs 1 Z 1 lit. a ZPO genannten Gebühren zur Beschränkung auf den Ausspruch der Ersatzpflicht dem Grunde nach, wobei allerdings nach der jüngeren Recht sprechung hier eine Pflicht des Kostenbeamten besteht, die Kosten aus Anlass eines solchen Beschlusses zu berechnen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht entgegen der Bestimmung des § 71 Abs 2 ZPO nur dem Grunde nach und vollkommen undifferenziert eine Rück zahlungsverpflichtung der Klägerin hinsichtlich der Beträge, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit war, ausgesprochen. Im Falle, dass eine Partei zur (gänzlichen oder teilweisen) Nachzahlung der Beträge verpflichtet wird, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen ist, ist jedoch eine mehrgliedrige Entscheidung in der Form zu fassen, dass zuerst über den Ersatz der in § 64 Abs 1 Z 1 lit. b bis f und Z 5 ZPO genannten Beträge abgesprochen wird, dann über die Leistung der Entlohnung der vorerst unentgeltlich beigegebenen Rechtsanwälte unter gleichzeitiger Bestimmung ihrer Höhe und letztlich über die Entrichtung der in § 64 Abs 1 Z 1 lit. a ZPO genannten Beträge abgesprochen wird, wobei hinsichtlich jener Gebühren, die nach dem GEG im Verwaltungswege einzubringen sind, nur dem Grunde nach abzu sprechen ist, deren Höhe aber zweckmäßigerweise im Beschluss darzustellen ist.
Allein schon aus diesen Gründen musste daher der angefochtene Beschluss aufge hoben werden.
Weiters blieb vom Erstgericht die Bestimmung des § 70 ZPO vollkommen unbeachtet. Nach dieser Bestimmung sind die in § 64 Abs 1 Z 1 genannten Beträge, von deren Bestreitung die Partei einstweilen befreit ist, sowie die der Partei gemäß § 64 Abs 1 Z 5 einstweilen ersetzten Reisekosten unmittelbar beim Gegner einzuheben, soweit diesem die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind oder er sie in einem Vergleich übernommen hat .
Im vorliegenden Fall hat die Erstbeklagte im abgeschlossenen Vergleich eine Kosten ersatzverpflichtung gegenüber der Klägerin übernommen, wobei dies als „Kosten beitrag“ bezeichnet wurde. Ob die Erstbeklagte der Klägerin damit die vollen Vertretungskosten oder zu einem bestimmten Anteil ersetzte, lässt sich, mangels Erliegens eines Kostenverzeichnisses im Akt, nicht beurteilen. Dies wird allerdings das Erstgericht zu erheben haben. Im Umfang, in dem die Erstbeklagte eine Kosten ersatzverpflichtung gegenüber der Klägerin im Vergleich übernahm, werden die in § 64 Abs 1 Z 1 und Z 5 ZPO genannten Beträge, von deren Bestreitung die Klägerin einstweilen befreit war, bei der Erstbeklagten direkt und keinesfalls bei der Klägerin einzuheben sein.
Nur soweit diese in § 64 Abs 1 Z 1 und Z 5 ZPO genannten Beträge den Kosten ersatzver pflichtungsanteil der Erstbeklagten übersteigen, kommt eine Rück zahlungsver pflichtung der Klägerin überhaupt in Frage. Darüber hinaus wird das Erst gericht den Verfahrenshelfer aufzufordern haben, mitzuteilen, ob mit dem von der Erstbeklagten geleisteten Kostenbeitrag sämtliche seiner Vertretungskosten abge golten sind, oder ihm noch weitere Vertretungskosten entstanden sind und ob und inwieweit er diese allenfalls von der Klägerin ersetzt begehrt. Sollten noch Beträge, die nicht von der Erstbeklagten zu ersetzen sind, offen sein, so wird das Erstgericht auch die inhaltlichen Einwände, insbesondere ob und inwieweit sie die vergleichsweise erlangten Zahlungen für die Bestreitung ihres Unterhalts und für ihre Ausbildung benötigt, zu prüfen haben, wobei auch die Frage zu prüfen sein wird, ob und inwieweit die Klägerin von dritter Seite (etwa eine Halbwaisenrente einer Pensionsver sicherungsanstalt) Leistungen für ihren Unterhalt erhält.
Im Falle, dass das Erstgericht bei seiner Prüfung nunmehr zum Ergebnis gelangen sollte, dass eine Verpflichtung der Klägerin zur Nachzahlung nicht in Frage kommt, wird das Verfahren formlos zu beenden sein, für eine Beschlussfassung besteht keine Rechtsgrundlage und können gegen das Unterbleiben einer Nachzahlungsan ordnung weder die Parteien noch der Revisor Rekurs erheben (siehe Fucik in Rechberger ZPO 3 , § 71 Rz 5 mwN). Im gegenteiligen Fall wird das Erstgericht einen neuerlichen Nachzahlungsbeschluss in der dargestellten abgestuften und konkretisierten, einen Leistungsbefehl enthaltenden, Form zu fassen haben, aus dem sich auch die zugrunde zu legenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin und ihre sonstigen Lebensumstände ergeben.
Der Kostenspruch stützt sich auf § 72 Abs 3 letzter Satz ZPO.