JudikaturOLG Innsbruck

Ds16/12 – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
16. April 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Purtscheller und die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Brandstätter als weitere Mitglieder des Senates in der Disziplinarsache gegen den Richter des Bezirksgerichtes ***** Dr. ***** nach der in Anwesenheit der Schriftführerin RiAA Mag. Eller, des Ersten Oberstaatsanwaltes Mag. Freyschlag und des Disziplinarbeschuldigten Dr. ***** durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16.4.2013 zu Recht erkannt:

Spruch

Dr. ***** ist

s c h u l d i g ,

er hat als der zur Verhandlung und Entscheidung zuständige Richter des Bezirksgerichtes ***** die ihm nach § 57 Abs 1 zweiter Satz RStDG auferlegten Pflichten, sein Amt gewissenhaft zu erfüllen, sich mit voller Kraft und vollem Einsatz dem Dienst zu widmen und die bei Gericht anhängigen Angelegenheiten so rasch wie möglich zu erledigen, dadurch schuldhaft verletzt, dass er in den nachfolgenden Verfahren die Endentscheidung unter Verstoß gegen § 415 ZPO bzw § 13 Abs 1 AußStrG jeweils erst mit monatelanger Verspätung der Geschäftsstelle zur Ausfertigung übergeben hat, und zwar

Nummer Aktenzeichen Schluss der Verhandlung Entscheidungsaus- Verzögerung

fertigung/Übergabe (gerundet)

Urschrift an Geschäfts-

abteilung

Dr. ***** hat hiedurch ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen.

Gemäß §§ 101 Abs 1, 104 Abs 1 lit. b RStDG wird über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 4.000,-- v e r h ä n g t .

Gemäß § 137 Abs 2 RStDG hat Dr. ***** die mit EUR 500,-- bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Dr. ***** ist am 25.4.1957 geboren, ledig und hat keine Sorgepflichten. Sein Bruttomonatsbezug beträgt derzeit EUR 6.551,70, netto werden ihm nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge, der Lohnsteuer, der Miete für einen Garagenplatz von EUR 51,90, dem Gewerkschaftsbeitrag von EUR 23,42 und der Prämie für eine Zukunftssicherung von EUR 25,-- insgesamt EUR 3.601,41 ausbezahlt (ON 23). Er ist seit ***** Richter und seit ***** beim Bezirksgericht ***** tätig, wo er seit seiner Ernennung hauptsächlich als Zivilrichter eingesetzt ist. Er ist Leiter der Gerichtsabteilung *****, der ihm zugewiesene Geschäftskreis umfasst seit Anfang 2010 neben allgemeinen C-Sachen einschließlich streitiger Bestandsachen (65 % VZK) Msch-Sachen (10 % VZK), Exekutionssachen (20 % VZK) und Insolvenzsachen (5 % VZK).

Er wurde bereits zweimal vom Oberlandesgericht Innsbruck als Disziplinargericht wegen des Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 erster Satz RStDG (vormals RDG) schuldig erkannt, wobei ihm beide Male ein Verstoß gegen die in § 57 Abs 1 zweiter Satz RStDG auferlegte Pflicht, sein Amt gewissenhaft zu erfüllen, sich mit voller Kraft und vollem Eifer dem Dienst zu widmen und die bei Gericht anhängigen Angelegenheiten so rasch wie möglich zu erledigen, zur Last gelegt wurde, nachdem es in einer Vielzahl von Verfahren zu erheblichen Verzögerungen (5 bis 17 Monate) bei der Ausfertigung der Endentscheidungen gekommen war oder auch zu langen Verfahrensstillständen, insbesondere durch überlange Fristen zwischen einzelnen Tagsatzungen. Im Verfahren Ds ***** wurde vom Ausspruch über die Verhängung einer Disziplinarstrafe gemäß § 101 Abs 3 erster Satz RDG abgesehen, im Verfahren Ds ***** wurde über Dr. ***** die Disziplinarstrafe der Ausschließung der Vorrückung für die Dauer eines halben Jahres verhängt.

Am 6.8.2012 erstattete der Präsident des Oberlandesgerichtes ***** aufgrund der Rohfassung des Berichts über die Revision beim Bezirksgericht ***** neuerlich Disziplinaranzeige gegen Dr. *****, weil teilweise in C-Verfahren, vor allem aber in drei Msch-Verfahren weiter Überschreitungen der Entscheidungsfristen festgestellt worden seien, insbesondere in den im Spruch dieses Erkenntnisses angeführten Verfahren.

Die Auslastung nach PAR der vier beim Bezirksgericht ***** tätigen Richter ist ausgewogen, Rückstände, insbesondere bei der Entscheidungsausfertigung konnten bei der im Jahr 2011 durchgeführten Revision nur in der von Dr. ***** geleiteten Gerichtsabteilung ***** festgestellt werden. Die in den Jahren 2008 bis 2011 gestellten acht Fristsetzungsanträge in Verfahren des BG ***** waren sämtliche nicht erfolgreich, sondern wurden ab- oder zurückgewiesen. Wegen Verzögerungen in der Abteilung *****, insbesondere bei der Entscheidungsausfertigung, kam es allerdings zu vier Säumnisbeschwerden, die allesamt begründet waren und zu Dienstaufsichtsmaßnahmen führten.

Die in der von Dr. ***** geleiteten Abteilung in früheren Jahren aufgelaufenen umfangreichen Rückstände, die auch zu den beiden disziplinarrechtlichen Verurteilungen Dr. ***** führten, konnten im Wesentlichen durch Zuteilung einer Sprengelrichterin mit 0,5 VZK (vom 1.2.2006 bis 31.5.2006 und vom 1.8.2006 bis 30.6.2007) sowie durch Zuteilung einer geprüften Richteramtsanwärterin (ab Dezember 2007) aufgearbeitet werden, sodass sich insgesamt der Anhängigkeitsstand und die Rückstände bei den Entscheidungsausfertigungen doch erheblich reduzierten.

Allerdings kam es in dem im Spruch angeführten Verfahren in den Jahren 2010 bis 2012 wiederum zu erheblichen Verzögerungen bei den Entscheidungsausfertigungen:

Im Verfahren ***** Msch ***** erfolgte der Schluss der Verhandlung am 8.11.2010, der von Dr. ***** verfasste Sachbeschluss, der sechseinhalb Seiten umfasst, datiert erst vom 24.8.2011 und wurde am 30.8.2011 der Geschäftsabteilung zur Ausfertigung übergeben.

Im Verfahren ***** Msch ***** fand die letzte, drei halbe Stunden dauernde Verhandlung am 19.8.2010 statt, der 18 Seiten umfassende Sachbeschluss datiert vom 24.8.2011 und wurde der Geschäftsabteilung am 29.8.2011 zur Ausfertigung übergeben.

Im Verfahren ***** Msch ***** fand die letzte, knapp zwei Stunden dauernde, Verhandlung am 19.1.2011 statt, der 23 Seiten umfassende Sachbeschluss datiert vom 24.1.2012 und wurde am 27.1.2012 der Geschäftsabteilung zur Ausfertigung übergeben.

In der Hauptsache blieben alle drei Sachbeschlüsse unangefochten, der Sachbeschluss zu ***** Msch ***** wurde nur im Kostenpunkt angefochten.

Im Jahre 2007 fielen beim Bezirksgericht ***** neun Msch-Sachen an, wovon zwei mit Sachbeschluss geendet haben, im Jahr 2008 fielen fünf Msch-Sachen an, von denen zwei mit Sachbeschluss erledigt wurden, im Jahr 2009 fielen sieben Msch-Sachen an, von denen fünf mit Sachbeschluss erledigt wurden und im Jahr 2010 fielen elf Msch-Sachen an, von denen sieben mit Sachbeschluss beendet wurden.

In den drei geführten Msch-Sachen, in denen es zu überlangen Ausfertigungsfristen kam, fanden jeweils drei bzw vier Verhandlungen jeweils in der Dauer von ein bis zwei Stunden, einmal in der Dauer von drei Stunden statt.

In dem im Spruch dieses Erkenntnisses angeführten C-Verfahren wurde die einmonatige Entscheidungsfrist des § 415 ZPO jeweils wesentlich überschritten, durchschnittlich vergingen vom Tag des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung bis zur Ausfertigung des Urteils sechs Monate, zum Teil einige Tage weniger, zum Teil aber auch einige Tage mehr, wobei bei der jeweils im Spruch angeführten Verzögerung die 14-tägige Einwendungsfrist hinsichtlich der Kostennote und die regelmäßig nur einige wenige Tage in Anspruch nehmenden Übertragungen der Tonbandprotokolle und der Entscheidungsdiktate in Abzug gebracht wurden.

Die vom Schuldspruch umfassten verspäteten Entscheidungsausfertigungen gehen nicht auf eine Überbelastung des Disziplinarbeschuldigten zurück, sondern auf die mangelnde Organisation seiner Arbeit und die fehlende Bereitschaft, regelmäßig zeitnah nach Schluss der mündlichen Verhandlung auch die Entscheidungen auszufertigen. Vielmehr ist vor allem in C-Verfahren zu erkennen, dass der Disziplinarbeschuldigte immer wieder auf die in den Prüflisten angeführte 6-Monats-Frist hinarbeitet und es ihm dann nur teilweise gelingt, unmittelbar vor Ablauf der 6-Monats-Frist die Urteile auch auszufertigen.

Seit November 2010 befindet sich die demenzkranke Mutter des Disziplinarbeschuldigten in einem gegenüber dem Gerichtsgebäude gelegenen Altersheim in ***** und besucht sie der Disziplinarbeschuldigte jeden zweiten Tag, was ihn psychisch belastet. Er hat auch immer wieder Beziehungsprobleme. Seit Dezember 2012 befindet er sich in psychologischer Behandlung wegen seiner beruflichen und privaten Probleme.

Diese Feststellungen stützen sich auf die Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ***** samt der darin angeschlossenen Kopien aus den Akten ***** Msch ***** und ***** Msch *****, weiters aus dem Akt ***** Msch *****, den eingeholten Registerauszügen sowie insbesondere der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, der die ihm vorgehaltenen objektiven Verzögerungen mit den Entscheidungsausfertigungen unumwunden zugesteht. Aus seiner Verantwortung in der Disziplinarverhandlung ergibt sich auch, dass der Anfall in Msch-Sachen in den Jahren 2007 bis 2010 nicht hoch war, sodass sich seine Rechtfertigung, dass diese Verfahren mit einem sehr großen Aufwand verbunden seien, nicht stichhaltig ist. Nachdem 10 % seiner Arbeitskraft auf Msch-Verfahren entfällt, in den Verfahren, in denen es zu Entscheidungsrückständen kam, keine wirklich umfangreiche Verhandlungstätigkeit notwendig war und auch zumindest einer der drei Sachbeschlüsse nur einen durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Umfang aufwies, wohingegen die beiden anderen Sachbeschlüsse 18 bzw 23 Seiten umfassen, kann von einer Überlastung in Msch-Sachen objektiv nicht gesprochen werden, subjektiv mag der Disziplinarbeschuldigte möglicherweise gewisse Ressentiments bei der Bearbeitung dieser Akten haben.

Der Disziplinarbeschuldigte gesteht auch zu, dass die Auslastung nach PAR beim Bezirksgericht ***** hinsichtlich aller dort eingesetzter Richter gleichmäßig ist, betrachtet sich aber subjektiv wegen der ihm zugewiesenen Materien doch überbelastet, was allerdings nicht objektivierbar ist. Vielmehr erscheinen die doch im nunmehr inkriminierten Zeitraum erheblich geringeren Rückstände bei den Entscheidungsausfertigungen ihre Ursache in der Arbeitsweise des Disziplinarbeschuldigten zu liegen, die manchmal nicht entsprechend zielgerichtet und effizient zu sein scheint, mag sie auch von durchaus hoher juristischer Qualität sein. Dass die C-Verfahren, in denen es zu Ausfertigungsverzögerungen bei den Urteilen kam, besonders schwierig gewesen seien, hat der Disziplinarbeschuldigte nicht einmal selbst behauptet.

In rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes ist dem Disziplinarbeschuldigten ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG vorzuwerfen. Für die vom Schuldspruch umfassten verzögerten Entscheidungsausfertigungen in 14 Fällen gibt es keine sachliche Begründung. Die jeweiligen Überschreitungen der Frist des § 415 ZPO sind beträchtlich und betragen viereinhalb bis sechs Monate, dies auch dann, wenn man die 14-tägige Einwendungsfrist gegen die Kostenverzeichnisse sowie die Übertragungsfristen von Protokoll und Urteil durch die Schreibabteilung in Abzug nimmt. Hinsichtlich der Sachbeschlüsse in den Msch-Verfahren betrugen die Ausfertigungsfristen noch erheblich länger, nämlich in zwei Fällen sogar ein Jahr, was einen erheblichen Verstoß gegen § 13 Abs 1 AußStrG darstellt. Dass diese Sachbeschlüsse einen Umfang von 18 oder 23 Seiten haben, also es sich dabei um durchaus aufwändigere Entscheidungen handelt, vermag die dabei aufgetretenen Verzögerungen von rund elf Monaten keinesfalls zu rechtfertigen.

Diese Verzögerungen bei den Entscheidungsausfertigungen sind dem Disziplinarbeschuldigten auch subjektiv vorwerfbar, mag er sich auch aufgrund seines privaten Umfelds (Betreuung seiner demenzkranken Mutter, teilweise/zeitweise Beziehungsprobleme) in einer schwierigen Situation befinden, die allerdings nicht seine Schuldfähigkeit aufhebt. Vielmehr läge es am Disziplinarbeschuldigten, durch eine entsprechend konsequente und zielgerichtete Arbeitsweise zu verhindern, dass Entscheidungen erst nach knapp sechs Monaten oder noch später ausgefertigt werden und er diese Arbeit so lange vor sich herschiebt, bis er in den Prüflisten auffällig wird oder auffällig werden könnte.

Bei der Strafzumessung erschwerend waren die beiden Disziplinarvorstrafen und die Wiederholung der Ausfertigungsrückstände (insgesamt 14 Fälle). Mildernd hingegen waren das Geständnis und die schwierigen persönlichen Verhältnisse des Disziplinarbeschuldigten.

Nach den nunmehr in § 104 Abs 1 RStDG angeführten Disziplinarstrafen kommt nur die Verhängung einer Geldstrafe in Frage, die mildeste Disziplinarstrafe, nämlich ein Verweis, kommt schon wegen der beiden einschlägigen disziplinarrechtlichen Vorstrafen nicht in Frage. Andererseits sind die dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegten Pflichtverletzungen keinesfalls so schwerwiegend, dass eine Dienstentlassung in Frage käme. In Anbetracht der Strafzumessungsgründe erscheint die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von etwa einem Monatsbezug schuldangemessen.

Die Entscheidung über die Kosten des Disziplinarverfahrens ist in § 137 Abs 2 RStDG begründet.

Oberlandesgericht Innsbruck

als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte

am 16. April 2013

Der Vorsitzende:

Dr. Georg Hoffmann, Senatspräsident

Elektronische Ausfertigung gemäß § 79 GOG

Text

Rechtliche Beurteilung

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