1Nc3/96a – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Beschluß
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Knapp als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Prokop und Dr. Voigt als weitere Mitglieder des Senates in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hansjörg W*****, Kaufmann *****, 2. Friedrich R*****, Steuerberater *****, beide vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger, Rechtsanwalt in 4600 Wels, wider die beklagte Partei Dr. Peter G*****, Notar, ***** wegen S 123.472,-- s.A. (5 C 1026/95z BG Kitzbühel = 8 Cg 233/95f LG Innsbruck) infolge Anzeige eines negativen Kompetenzkonfliktes durch das Bezirksgericht Kitzbühel vom 16.1.1996 gemäß § 47 Abs 1 JN in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Zur Verhandlung und Entscheidung in dieser Rechtssache ist das Landesgericht Innsbruck zuständig.
Der Unzuständigkeits- und Zurückweisungsbeschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 16.10.1995, 8 Cg 233/95f-4, wird a u f g e h o b e n .
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 47 Abs 3 JN ein Rechtsmittel jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Mit der am 20.9.1995 beim Bezirksgericht Kitzbühel eingebrachten Klage begehrten die Kläger vom Beklagten die Zahlung des Betrages von S 123.472,-- s.A., wobei sie sich hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichtes auf dessen Eigenzuständigkeit für Streitigkeiten aus Bestandverträgen gemäß § 49 Abs 2 Z 5 JN stützten und die Zusammenrechnung der Ansprüche von S 71.778,-- und S 51.694,-- mit deren tatsächlichem und rechtlichem Zusammenhang gemäß § 55 Abs 1 JN begründeten. Die örtliche Zuständigkeit wurde im Hinblick auf die Lage der Bestandsache im Sprengel des Bezirksgerichtes Kitzbühel auf die Bestimmung des § 83 JN gestützt.
Das Bezirksgericht Kitzbühel erklärte sich anläßlich der amtswegigen Zuständigkeitsprüfung im Sinne des § 41 Abs 1 JN mit Beschluß vom 21.9.1995 für sachlich unzuständig und wies die Klage zurück. Dieser Beschluß ist, soweit damit die sachliche Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes Kitzbühel ausgesprochen wurde, in Rechtskraft erwachsen, da die klagenden Parteien ihren dagegen erhobenen Rekurs zurückgezogen haben. Hingegen wurde aufgrund des von den klagenden Parteien rechtzeitig gestellten, auf § 230a ZPO gestützten Überweisungsantrages die Zurückweisung der Klage mit Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 2.10.1995 aufgehoben und die Rechtssache gemäß § 230a ZPO an das nicht offenbar zuständige Landesgericht Innsbruck überwiesen.
Das Landesgericht Innsbruck sprach mit Beschluß vom 16.10.1995 (ON 4) ebenfalls seine sachliche Unzuständigkeit aus und wies die Klage mit der Begründung zurück, daß es sich um eine in die sachliche Zuständigkeit der Bezirksgerichtes fallende Bestandsache im Sinne des § 49 Abs 2 Z 5 JN handle. Auch dieser Beschluß ist mangels Anfechtung durch die klagenden Parteien in Rechtskraft erwachsen. Das Bezirksgericht Kitzbühel hat hierauf den Akt gemäß § 47 JN dem Oberlandesgericht Innsbruck zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit vorgelegt.
Rechtliche Beurteilung
Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 47 JN ist zunächst, daß beide Untergerichte rechtskräftig über ihre Zuständigkeit oder Unzuständigkeit abgesprochen haben (E 3 zu § 47 JN-MGA 14. Aufl). Ein entscheidungsfähiger negativer Zuständigkeitsstreit liegt demnach dann vor, wenn zwei oder mehrere Gerichte hintereinander ihre (sachliche oder örtliche) Zuständigkeit rechtskräftig in der Art verneinen, daß die Zuständigkeit eines weiteren Gerichtes nicht in Betracht kommt (Mayr in Rechberger, ZPO, Rz 1 zu § 47 JN mwN). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, da einander widersprechende und rechtskräftige, die Zuständigkeit verneinende Beschlüsse zweier Gerichte vorliegen und die Zuständigkeit eines weiteren Gerichtes nicht in Betracht kommt. Das Oberlandesgericht Innsbruck als das den beiden ihre Zuständigkeit ablehnenden Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht hat daher gemäß § 47 JN über den Zuständigkeitsstreit zu entscheiden.
Nach ständiger Rechtsprechung ist bei einer Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt auf die allfällige Bindungswirkung des ersten Beschlusses Bedacht zu nehmen, selbst wenn dieser möglicherweise unrichtig war. Die Vorschriften über die Bindung an rechtskräftige Entscheidungen über die Zuständigkeit und an Überweisungsbeschlüsse haben nämlich den Zweck, Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen, wobei der Gesetzgeber in Kauf nimmt, daß allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird (RiZ 1986/4; EvBl 1980/123; EFSlg 49.247 u.a.). Eine solche Bindungswirkung ist auch für die Überweisung nach § 230a ZPO vorgesehen. Das Gericht, an das die Klage überwiesen worden ist, kann gemäß § 230a letzter Satz ZPO den Mangel seiner Zuständigkeit nur noch wahrnehmen, wenn der Beklagte rechtzeitig die Einrede der Unzuständigkeit erhebt. Das Gesetz verfügt hier also eine eingeschränkte Bindung in dem Sinne, daß das Zweitgericht seine Unzuständigkeit auf keinen Fall von Amts wegen, sondern nur über rechtzeitige Einwendung aufgreifen darf. Die diesbezügliche Absicht des Gesetzgebers ergibt sich eindeutig aus den Gesetzesmaterialien (AB 1337 BlgNR 15. GP 12).
Entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut räumen allerdings Rechberger-Simotta (Zivilprozeßrecht 4. Aufl Rz 147f) sowie ausführlich Simotta (in JBl 1988, 359 ff, insbesonders 367f) dem Adressatgericht das Recht zur amtswegigen Wahrnehmung seiner unprorogablen Unzuständigkeit ein. Sie begründen dies mit einem Widerspruch zu § 43 Abs 1 JN und § 240 Abs 2 ZPO, wonach die unprorogable Unzuständigkeit solange von Amts wegen wahrgenommen werden könne, als noch nicht eine Heilung im Sinne des § 104 Abs 3 JN erfolgt sei. Der letzte Satz des § 230a ZPO sei daher restriktiv so auszulegen, daß dem Adressatgericht nur die amtswegige Wahrnehmung der prorogablen, nicht aber auch jene der unprorogablen Unzuständigkeit verwehrt sei. Abweichend davon vertritt Ballon (Zivilprozeßrecht 2. Aufl 63; ders in Festschrift Fasching 61) die Auffassung, daß dem Adressatgericht im Falle einer Überweisung nach § 230a ZPO eine amtswegige Wahrnehmung seiner Unzuständigkeit unabhängig davon, ob es sich um eine verzichtbare oder um eine unverzichtbare Unzuständigkeit handelt, nicht zustehe.
Das Oberlandesgericht Innsbruck schließt sich in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Wien (EvBl 1992/162; 3 R 206/89) der letzteren Auffassung an. Für diese spricht nicht nur der eindeutige Gesetzeswortlaut im Zusammenhang mit der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Absicht des Gesetzgebers. Eine gegenteilige Ansicht würde auch den Intentionen der Zivilverfahrensnovelle 1983, Zuständigkeitsstreitigkeiten nach Möglichkeit zurückzudrängen, widersprechen. An dieser Absicht des Gesetzgebers in Bezug auf die neu geschaffene Überweisungsmöglichkeit nach § 230a ZPO könnte auch ein allfälliger aus den Gesetzesmaterialien erschließbarer Irrtum des Gesetzgebers über den Umfang der Bindungswirkung bei einer Überweisung nach § 261 Abs 6 ZPO (wie er von Simotta in JBl 1988, 368 aufgezeigt wird) nichts ändern. Schließlich ist auch zu bedenken, daß der nach § 43 Abs 1 JN über die Klageprüfung a limine hinausgehenden Möglichkeit der amtswegigen Wahrnehmung der unprorogablen Unzuständigkeit noch keine gerichtliche Entscheidung über die Zuständigkeit vorangegangen ist, während bei einer Zurückweisung nach § 230a ZPO das Überweisungsgericht bereits eine Entscheidung über seine Unzuständigkeit gefällt hat. Dem Erfordernis der Heilung einer unprorogablen Unzuständigkeit des Adressatgerichtes trägt ohnehin die nach wie vor bestehende Möglichkeit der Unzuständigkeitseinrede des Beklagten Rechnung. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Regelung des § 230a letzter Satz ZPO eine lex specialis zu § 43 JN und § 240 ZPO darstellt, sodaß die Bindungswirkung einer Überweisung nach § 230a ZPO dem Adressatgericht eine amtswegige Wahrnehmung seiner Unzuständigkeit auch dann verwehrt, wenn es sich um eine unprorogable Unzuständigkeit handelt (so Ballon in FS Fasching, 61).
Damit war aber im vorliegenden Fall das Landesgericht Innsbruck bis zu einer allfälligen rechtzeitigen Unzuständigkeitseinwendung des Beklagten an den gemäß § 230a ZPO gefaßten Überweisungsbeschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel gebunden, sodaß seine im Spruch genannten Entscheidungen aufzuheben waren und seine Zuständigkeit für die Behandlung dieser Rechtssache zu bestimmen war (2 Nd 501/95 OGH).