6Bs483/95 – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Beschluß
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat am 14.11.1995 durch seinen 6. Senat in der Strafsache gegen Klaus A***** wegen § 114 Abs 1 und 2 ASVG über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 14.9.1995, GZl 36 Vr 1937/93-51, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und der Antrag des öffentlichen Anklägers auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens 24 Vr 1937/93, Hv 117/94 des Landesgerichtes Innsbruck abgewiesen .
Text
Begründung:
Mit Urteil des Landes- als Schöffengerichtes Innsbruck vom 17.3.1994 wurde Klaus Peter A***** des Vergehens nach § 114 Abs 1 und 2 ASVG schuldig gesprochen und nach § 114 Abs 1 ASVG zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Gemäß § 43 Abs 1 StGB wurde die ausgesprochene Freiheitsstrafe bei einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Der Berufung des Klaus A***** wurde vom Oberlandesgericht Innsbruck am 21.6.1994 Folge gegeben, das genannte Urteil wurde aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zurückverwiesen.
Mit rechtskräftigem Urteil eines Einzelrichters des Landesgerichtes Innsbruck vom 13.12.1994 wurde Klaus A***** von dem in der Anklage erhobenen Vorwurf des Vergehens nach § 114 Abs 1 und 2 ASVG gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, weil die Schuld nicht bewiesen sei. Klaus A***** hatte sich in der vorangegangenen Hauptverhandlung dahin verantwortet, daß er nicht gewußt habe, daß Dienstnehmerbeiträge zwar den Dienstnehmern abgezogen, nicht aber an die Tiroler Gebietskrankenkasse weitergeleitet worden seien. Hätte er dies gewußt, hätte er alles daran gesetzt, daß die Dienstnehmerbeiträge auch abgeführt worden wären. In seinem Betrieb seien ca. 130 bis 150 Dienstnehmer beschäftigt gewesen; mit der Buchhaltung habe sich nicht er selbst, sondern eine eigene Abteilung beschäftigt. Die Zahlungen an die Tiroler Gebietskrankenkasse seien jeweils mit Überweisungsaufträgen durchgeführt worden, die Überweisungsaufträge seien von den Buchhaltern, die Bankvollmacht gehabt hätten, unterfertigt worden. Anfang 1993 habe er erfahren, daß die Länderbank Überweisungsaufträge nicht mehr durchführe. Er sei aber nicht speziell darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Zahlungen an die Tiroler Gebietskrankenkasse von der Bank nicht mehr durchgeführt worden seien, sondern er habe nur allgemein erfahren, daß die Länderbank alle Zahlungen nicht mehr durchführe.
Nach dem rechtskräftigen Freispruch des Klaus A***** führte der öffentliche Ankläger vorerst Vorerhebungen gegen unbekannte Täter zum Nachteil der Tiroler Gebietskrankenkasse wegen § 12 StGB, § 114 ASVG und beantragte die Vernehmung des Klaus A***** als Zeugen über Namen und Anschrift des Leiters des Rechnungswesens der Firma Klaus A***** Ges.m.b.H. Co KG bzw. über die Identität jener Person, die für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich gewesen sei. Im weiteren wurden Vorerhebungen gegen Andreas H***** wegen § 12 StGB, § 114 Abs 1 und 2 ASVG durch dessen Abhörung gemäß § 38 Abs 3 StPO, nach dessen Abhörung auch gegen Johannes P***** geführt. Nach Vernehmung auch der Zeugin Angelika A***** erklärte der öffentliche Ankläger am 26.5.1995, zu einer weiteren Strafverfolgung des Andreas H***** und des Johannes P***** wegen § 12 StGB, § 114 ASVG keinen hinreichenden Grund zu finden (§ 90 StPO), woraufhin der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck am 29.5.1995 das Verfahren gemäß § 90 StPO einstellte.
Am 7.6.1995 beantragte der öffentliche Ankläger die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Klaus A***** wegen § 114 Abs 1 und 2 ASVG. Andreas H***** habe sich als Verdächtiger dahin verantwortet, daß für die Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge Johannes P***** zuständig gewesen sei, dieser habe angegeben, er habe die Überweisungsformulare vorbereitet und Angelika A***** vorgelegt, die gemeinsam mit Klaus A***** entschieden habe, welche Zahlungen vorgenommen werden sollten, wobei den Lieferantenzahlungen Priorität eingeräumt worden sei.
Mit den Angaben des Johannes P***** im Verfahren 33 Vr 111/95 LG Innsbruck liege ein neues Beweismittel vor, das die Eignung besitze, die Bestrafung des Klaus A***** zu begründen.
Nach Anhörung des Klaus A***** zum Wiederaufnahmeantrag und Vernehmung der Zeugen Andreas H*****, Johannes P***** und Angelika A***** durch den Untersuchungsrichter gab das Erstgericht dem Wiederaufnahmeantrag des öffentlichen Anklägers statt. Unter einem wurde das Klaus A***** freisprechende Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13.12.1994 aufgehoben.
Das Erstgericht begründete diese Entscheidung damit, daß aus der Aussage des Zeugen Johannes P***** abzuleiten sei, daß "ein Entscheidungsvorgang auf Seiten des Beschuldigten bzw. dessen Tochter stattgefunden haben könnte", und daß insbesondere im Hinblick auf den bereits ausgeschöpften Kreditrahmen dem Beschuldigten auch bekannt gewesen sein hätte können, daß allfällige Zahlungsaufträge von der Bank nicht mehr durchgeführt bzw. storniert worden seien. Die Aussage des Johannes P***** sei ein neues Beweismittel, das geeignet sei, die Bestrafung des Klaus A***** herbeizuführen.
Im neu durchzuführenden Verfahren werde es der Beweiswürdigung des Gerichtes obliegen, ob die angeführten Beweismittel für einen Schuldspruch ausreichten.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Klaus A***** mit dem Antrag, den Wiederaufnahmeantrag des öffentlichen Anklägers abzuweisen.
Die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck beantragte, der Beschwerde keine Folge zu geben.
Die Beschwerde ist berechtigt.
In der Beschwerde wird geltend gemacht, daß die Aussage des Zeugen Johannes P***** kein "novum repertum" im Sinne des § 355 Z 2 StPO sei, weil dessen zeugenschaftliche Vernehmung bereits in jenem Verfahren, dessen Wiederaufnahme beantragt wurde, möglich gewesen wäre. Das Erstgericht habe auch eine im Aufhebungsverfahren unzulässige Beweiswürdigung vorgenommen.
Letzteres trifft nicht zu. Sofern das Erstgericht mögliche Schlüsse aus der Aussage des Zeugen Johannes P***** darlegte, nahm es nämlich keine endgültige Würdigung dieser Aussage als Beweismittel vor, sondern brachte lediglich deren Eignung, die Bestrafung des Beschuldigten zu begründen, zum Ausdruck.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend macht der Beschuldigte aber geltend, daß die Ausforschung und Vernehmung der Zeugen Johannes P***** und Andreas H***** bereits im Strafverfahren, dessen Wiederaufnahme beantragt wurde, möglich gewesen wäre. Wie bereits dargestellt, hatte sich Klaus A***** im Strafverfahren damit verantwortet, er habe keine Kenntnis davon gehabt, daß einbehaltene Dienstnehmerbeiträge nicht an die Tiroler Gebietskrankenkasse abgeführt worden seien, und angegeben, die Weiterleitung von Dienstnehmerbeiträgen sei Sache der Buchhalter gewesen, die Bankvollmacht gehabt hätten. Es wäre dem Erstgericht möglich gewesen, vor der Urteilsfällung - allenfalls auch über einen vom öffentlichen Ankläger zu stellenden Beweisantrag - gleich wie im Verfahren 33 Vr 111/95 des Erstgerichtes die Buchhalter Andreas H***** und Johannes P***** auszuforschen und sie als Zeugen zu vernehmen.
Bei der Wiederaufnahme zum Nachteil des Angeklagten genügt es nicht, daß neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden (nova producta), sondern es müssen sich neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben (nova reperta), d.h. sie dürfen nicht nur im früheren Verfahren nicht vorgekommen sein, sondern müssen auch dem Beweisführer früher unbekannt gewesen sein (Mayerhofer/Rieder, StPO II, E 1 zu § 355). Neue Tatsachen sind nur dann "nova reperta", wenn sie vor dem Urteil des Gerichtes unbekannt oder doch unzugänglich waren, wenn also ihrer Verwertung tatsächliche Hindernisse entgegenstanden (SSt 31/55). "Neu ergeben" hat sich ein Beweismittel, wenn das erkennende Gericht nach dem Stand der Ermittlungen zur Zeit der Hauptverhandlung von der Möglichkeit dieser Beweisaufnahme nichts wußte oder keinen Grund hatte, sich davon einen Erfolg zu versprechen. Die Nachholung einer nach Lage des Falles nicht nur möglichen, sondern geradezu geboten gewesenen Beweisaufnahme kann das Erfordernis der nova reperta nicht erfüllen (LSK 1981/114).
Davon, daß das Erstgericht oder der öffentliche Ankläger im früheren Verfahren von der Möglichkeit, die Zeugen Andreas H***** oder Johannes P***** auszuforschen, keine Kenntnis gehabt hätten oder keinen Grund gehabt hätten, sich davon einen Erfolg zu versprechen, kann nicht die Rede sein.
Zwar wurde von der Rechtsprechung auch für zulässig gehalten, wenn der öffentliche Ankläger auch bei seinerzeitiger schuldhafter Unkenntnis der Existenz einer Tatsache diese als novum repertum benutzte (SSt 42/36; OLG Wien JBl 1953, 326). Die nunmehr vorliegenden Aussagen der Zeugen Andreas H***** und Johannes P***** sind aber keine neuen Tatsachen im Sinne des § 355 Z 2 StPO, sondern Beweismittel, deren Aufnahme im früheren Verfahren trotz gegebener Möglichkeit nicht versucht wurden und daher auch keine "nova reperta", welche die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Lasten des Angeklagten rechtfertigen.
In Stattgebung der Beschwerde des Klaus A***** war daher der angefochtene Beschluß aufzuheben und der Wiederaufnahmeantrag des öffentlichen Anklägers abzuweisen.