JudikaturOLG Innsbruck

4R155/95 – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
08. August 1995

Kopf

Beschluß

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat durch den Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Brock als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Moser und Dr. Salzmann als weitere Mitglieder des Senates in der Rechtssache der klagenden Partei Rasid K*****, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Schloßgraben 16, gegen die beklagte Partei Gabriele S*****, vertreten durch Dr. Ekkehard Beer und Dr. Kurt Bayr, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 4, wegen Herausgabe (Leistungsinteresse S 100.000,--) und Zahlung von S 50.000,-- s.A. infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23.3.1995, 41 Cg 31/95t-3, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Berufung wird F o l g e gegeben und das angefochtene Versäumungsurteil und das diesem vorausgegangene Verfahren ab und einschließlich der Klagszustellung vom 14.2.1995 als nichtig aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die vom Kläger gegen die Beklagte erhobene Klage (in der die Beklagte irrtümlich mit "Sch*****" statt S***** bezeichnet wird) wurde am 14.2.1995 postamtlich hinterlegt, nachdem am 13.2.1995 ein erster Zustellversuch unter der in der Klage angegebenen Adresse Noldinstraße 12, 6020 Innsbruck, erfolgt und eine Ankündigung des zweiten Zustellversuches für den 14.2.1995 an der dortigen Eingangstür angebracht worden war (dies ergibt sich aus dem Zustellnachweis bei ON 1). Die Sendung wurde nicht behoben und daher schließlich an das Gericht zurückgesandt.

In der Folge hat der Kläger ein Versäumungsurteil beantragt. Das Erstgericht hat dieses am 23.3.1995 erlassen. Die RSb-Sendung, mit welcher das Versäumungsurteil der Beklagten zugestellt werden sollte, wurde mit dem Vermerk "Cafe geschlossen! Daher nicht zustellbar!" an das Erstgericht zurückgesandt (siehe ON 4).

Am 5.5.1995 brachte die Beklagte eine Berufung gegen dieses Urteil ein, mit welcher sie die Nichtigkeit der Zustellung und damit den Nichtigkeitsgrund gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO geltend machte. Sie hat darin vorgebracht, sie habe weder Klage noch Versäumungsurteil erhalten, habe aber am 21.4., als sie zufällig die Gattin des Klägers auf der Straße getroffen habe, von dieser erfahren, daß eine Klage gegen sie eingebracht worden sei und sie mit Exekutionsschritten zu rechnen hätte. In der Folge habe sie sich selbst beim Landesgericht Innsbruck erkundigt, worauf ihr der zuständige Richter die Erlassung des Versäumungsurteils bestätigt habe. Hierauf habe sie sich sofort zum Beklagtenvertreter begeben, der Akteneinsicht genommen und sämtliche Schriftstücke behoben bzw. kopiert habe (aus dem Vorbringen zum gleichzeitig und hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag kann entnommen werden, daß dies am 24.4.1994 der Fall war). Die Zustellung sei an die falsche Adresse erfolgt; es handle sich weder um die Wohnadresse der Beklagten, noch um die Geschäftsadresse der das Cafe M***** in der Noldinstraße 12 betreibenden Firma H***** S***** GmbH (deren Gesellschafterin und Geschäftsführerin die Beklagte sei). Das Cafe M***** sei vom 23.12.1994 bis 1.5.1995 geschlossen gewesen, die Beklagte habe sich auch nicht unter dieser Adresse aufgehalten.

Die Beklagte beantragt mit dieser Begründung, das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Zustellung der Klage unter der richtigen Adresse Ing.-Etzel-Straße 69a, 6020 Innsbruck, aufzutragen.

In der rechtzeitigen Berufungsbeantwortung beantragt der Kläger, der Berufung keine Folge zu geben.

Die Berufung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Zu dem in der Berufungsbeantwortung erhobenen Verspätungseinwand ist darauf hinzuweisen, daß nach § 7 ZustG dann, wenn bei der Zustellung Mängel unterlaufen sind, sie als in dem Zeitpunkt vollzogen anzusehen ist, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger) tatsächlich zugekommen ist. Ein Zustellmangel wird durch die bloße Kenntnisnahme vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstückes nicht geheilt; die bloße Akteneinsicht ersetzt die Zustellung nicht; daß der Empfänger allenfalls Kenntnis von einer den Bestimmungen des Zustellgesetzes zuwider erfolgten Hinterlegung erhalten hätte, wäre ohne Bedeutung, da ihn keine Erkundigungspflicht trifft (E 2, 3 und 5 zu § 7 ZustG in Stohanzl, JN/ZPO, 14. Auflage). Die Heilung eines Zustellmangels in diesem Sinne setzt die einwandfreie Feststellung voraus, daß das Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (E 7 aaO; in diesem Sinne auch 4 R 166/95 des OLG Innsbruck zur Beweislast für Umstände, die zur Sanierung von Zustellmängeln führen).

Da im gegenständlichen Fall nach der Aktenlage lediglich die Zustellung der Klage durch Hinterlegung am 14.2.1995 bescheinigt ist und weder eine weitere (spätere) Zustellung der Klage noch eine Zustellung des Versäumungsurteils vor Einbringung der Nichtigkeitsberufung noch ein sonstiges "tatsächliches" Zukommen nachgewiesen ist, kann die Berufung, wenn der geltend gemachte Zustellmangel vorliegt, niemals verspätet sein.

2. Aufgrund der vom Erstgericht über Auftrag des Berufungsgerichts gemäß §§ 469 Abs 1, 473 Abs 2 ZPO durchgeführten Erhebungen war das Cafe "M*****", welches von der Firma H***** S***** GmbH (Sitz dieser Firma: Leopoldstraße 21, 6020 Innsbruck) betrieben wird, deren Gesellschafterin und Geschäftsführerin die beklagte Partei ist, in der Zeit vom 23.12.1994 bis 1.5.1995 geschlossen. Während dieser Zeit wurden einige Tage lang Lüftungsarbeiten durchgeführt. Die Beklagte hat aber immer wieder nachgesehen, ob Post vorhanden ist (durchschnittlich ist dies einmal in der Woche erfolgt). Wann um den 12./14.2.1995 die Beklagte sich allenfalls im Cafe M***** aufgehalten hat, kann nicht festgestellt werden. Jedenfalls hat die Beklagte von dem Zustellversuch am 13.2.1995 ebensowenig wie von der Hinterlegung der Klage Kenntnis erhalten. Der damals als "Springer" eingesetzte Postzusteller Richard Ho***** hat das Cafe geschlossen vorgefunden, als er am 13.2.1995 die Verständigung vom zweiten Zustellversuch anbrachte. Für ihn war allerdings nicht erkennbar, daß das Cafe ständig geschlossen war, darauf war kein Hinweis vorhanden. Mit dem an sich für diesen Bereich zuständigen Postzusteller Gschließer hat Ho***** vor dieser Zustellung nicht gesprochen. Er wußte nicht, von wem das Cafe geführt wurde, er hat dort nie jemanden gesehen, wußte also auch nicht, ob das Cafe allenfalls verpachtet war. Zur damaligen Zeit kam sehr wenig Post für das Cafe M*****. Der Hinweis auf den zweiten Zustellversuch war entfernt, als Ho***** am nächsten Tage wieder zum Cafe M***** gekommen ist.

Die Wohnadresse der Beklagten ist Innsbruck, Ing.-Etzel-Straße 69a.

3. Aufgrund dieser Erhebungen ist davon auszugehen, daß das Cafe M***** im Feber 1995 keine Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG war. Unter den in dieser Gesetzesstelle angeführten Abgabestellen könnte es nur "Arbeitsplatz des Empfängers" sein. Ein solcher "Arbeitsplatz" kann ja auch in einer Betriebsstätte liegen (Walter-Mayer, Zustellrecht, Anm 12 zu § 4). Das Cafe M***** wäre, wenn es von der Firma H***** S***** GmbH zum damaligen Zeitpunkt als Cafe betrieben worden wäre, eine solche Betriebsstätte; da die Beklagte dort auch gearbeitet hat, könnte es dann grundsätzlich auch als ihr Arbeitsplatz angesehen werden, an welchem gemäß § 4 ZustG zugestellt werden hätte können.

Das Cafe M***** konnte aber, weil es damals geschlossen war, nicht als Betriebsstätte der erwähnten Firma angesehen werden. Eine "Betriebsstätte" im Sinne von § 4 ZustG liegt nämlich nur dann vor, wenn dort regelmäßig und andauernd eine betriebliche Tätigkeit entfaltet wird, nicht aber wenn der Betrieb für längere Zeit gesperrt ist (Walter-Mayer aaO Anm 8 zu § 4; WR 286; E 7 zu § 4 ZustG bei Stohanzl aaO). Daß die Beklagte dort durchschnittlich in der Woche einmal sich kurzfristig aufhielt und auch nach der Post schaute, vermag daran nichts zu ändern; dadurch wurde das gesperrte Cafe weder zu einer Betriebsstätte (der Firma H***** S***** GmbH) noch zu einem Arbeitsplatz der Beklagten.

4. Jedenfalls aber muß die Zustellung durch Hinterlegung im Sinne von § 17 Abs 1 ZustG als unzulässig gelten. Daß der Zusteller Ho***** subjektiv der Meinung sein konnte, das Cafe M***** sei in Betrieb und nicht für längere Zeit geschlossen, mag sein. Wenn § 17 Abs 1 ZustG die Hinterlegung für den Fall erlaubt, daß die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger ..... regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, stellt er nicht auf den subjektiven Eindruck des Zustellers ab (E 2 zu § 17 ZustG bei Stohanzl aaO; 4 R 99/94 des OLG Innsbruck u.a.). Objektiv aber steht fest, daß die Voraussetzungen für die Hinterlegung nicht bestanden haben, weil sich der Empfänger (die Beklagte) keineswegs regelmäßig an der Abgabestelle aufhielt; und daß der Zusteller auch keinerlei Auskünfte etwa bei Nachbarn oder auch beim sonst zuständigen Zusteller darüber einholte, aufgrund welcher er hätte entscheiden können, ob ein ausreichender Grund für die Annahme besteht, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (zu dieser gesetzlichen Voraussetzung siehe WR 580 mwN).

Die Zustellung der Klage ist daher ungesetzlich erfolgt, was zu einer Nichtigkeit des später ergangenen Versäumungsurteils im Sinne von § 477 Abs 1 Z 4 ZPO führt (E 60 zu § 477 ZPO aaO). Der Berufung ist daher Folge zu geben und das angefochtene Versäumungsurteil und das erstgerichtliche Verfahren ab und einschließlich der Klagszustellung als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf § 52 ZPO. Zwar bestimmt § 51 Abs 2 ZPO für den Fall, daß ein Verfahren infolge eines Rechtsmittels (oder von Amts wegen) aufgehoben oder dessen Nichtigkeit ausgesprochen wird, ohne daß eine der Parteien daran ein Verschulden trifft, daß die Kosten gegenseitig aufzuheben sind. Im gegenständlichen Fall kann nicht gesagt werden, daß eine der Parteien ein Verschulden am Nichtigkeitsgrund trifft. Die Bestimmung des § 51 Abs 2 ZPO ist einschränkend auszulegen; sie ist dann nicht anzuwenden, wenn nach Aufhebung des Verfahrens (eines Teiles desselben) oder auch nur der Entscheidung das Verfahren nicht beendet ist, sondern es zu seiner Fortsetzung kommt. In einem solchen Falle ist die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorzubehalten (Fasching, LB 2. Auflage Rz 467; Pollak, System, 64; M. Bydlinski, Kostenersatz im Zivilprozeß, 375 und 1 R 138/93 des OLG Innsbruck; für den Fall der bloßen Aufhebung einer Entscheidung, also nicht auch eines Teiles des Verfahrens: 9 Ob A 9/92 = NRsp 1992/146 = Arb 11.006).

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