JudikaturOLG Innsbruck

8Ns1249/94 – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
15. November 1994

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch seinen 8. Senat in der Strafsache gegen K wegen §§ 128, 133, 134, 166 StGB im Zuständigkeitsstreit zwischen dem Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck und dem Bezirksgericht Innsbruck in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Landesgericht Innsbruck und dem Bezirksgericht Innsbruck ist das Oberlandesgericht Innsbruck nicht zuständig.

Der Akt X wird vorerst dem Bezirksgericht Innsbruck mit dem Auftrag übermittelt, seinen Beschluß auf Rückabtretung an das Landesgericht Innsbruck auszufertigen und den Parteien zuzustellen.

Text

Begründung:

Mit am 1.10.1994 überreichtem und an den "Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck" adressierten Schriftsatz begehrt der Anzeiger und Privatbeteiligte J die Einleitung der Voruntersuchung zur strafgerichtlichen Verfolgung seiner Ehegattin K wegen des Verdachtes der Vergehen nach "§§ 128, 133, 134, 166 StGB" im Zusammenhang mit insgesamt acht als widerrechtlich behaupteten Abhebungen derselben mittels einer vom Anzeiger seiner Frau zum Zwecke der Vernichtung übergegebenen, von dieser tatsächlich jedoch nicht der Sparkasse Innsbruck, Zweigstelle Kematen, überbrachten Bankomatkarte mit einem behaupteten Gesamtschaden von S 50.600,--. Mit "Vfg." (= Verfügung) vom 12.10.1994 wurde diese Eingabe dem BG Innsbruck "gemäß § 9 Abs 1 Zl. 1 StPO iVm § 166 (1) StGB" abgetreten, welches den Antrag mit "B." (= Beschluß) vom 28.10.1994 "zu weiterem Vorgehen nach § 46 StPO" rückabtrat.

Der Untersuchungsrichter des LG Innsbruck hat den Akt daraufhin dem OLG Innsbruck zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt mit der (zusammengefaßten) Begründung vorgelegt, daß die Ratskammer gegenüber dem Untersuchungsrichter seit dem StPÄG 1993 keine "höher organisierte Instanz" mehr sei, sodaß auch eine noch in Mayerhofer/Rieder abgedruckte frühere Entscheidung des OLG aus dem Jahre 1980 als überholt gelten müsse.

Hiezu wurde folgendes erwogen:

Nach § 64 StPO, welche Bestimmung mit "Streitigkeiten über die Zuständigkeit von Gerichten" übertitelt und durch das StPÄG 1993 BGBl 526 nicht geändert worden ist, obliegt die Entscheidung über Kompetenzkonflikte dem OLG nur dann, wenn sich zwei Gerichtshöfe erster Instanz über ihre Zuständigkeit oder über die zweier ihnen unterstehender Gerichte, also zweier Bezirksgerichte, nicht einigen können. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um eine Meinungsverschiedenheit über die sachliche Zuständigkeit zwischen einem Landesgericht und einem in dessen Sprengel gelegenen Bezirksgericht. Dieser Fall ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. In der vom Vorlagegericht zitierten Entscheidung 4 Ns 900/80 vom 22.1.1980 (zitiert auch in Mayerhofer/Rieder, StPO 2/13 E 2a zu § 64), wurde eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes zur Entscheidung über einen derartigen Kompetenzstreit seinerzeit mit der Begründung verneint, daß § 64 StPO für einen solchen Fall deshalb keine Regelung vorsehe, "da (ja) hieraus (nämlich aus dem Zuständigkeitsstreit zwischen BG und übergeordnetem LG) bei Betrachtung des § 450 Abs 2 StPO ein Kompetenzkonflikt gar nicht entstehen könnte."

Rechtliche Beurteilung

Hiebei unterlief allerdings dem damals erkennenden Gerichtshof II. Instanz ein Zitierfehler insoweit, als die Bestimmung des § 450 StPO schon vor ihrer Wiederverlautbarung durch das BGBl 1975/631 (und damit auch zum Entscheidungszeitpunkt am 22.1.1980) nur einen einzigen Absatz aufwies, welcher zuletzt durch Art I Z 128 des StPÄG BGBl 1974/423 geändert worden war und auch durch das StPÄG 1993 nicht berührt worden ist (zur Entstehungsgeschichte des § 450 StPO siehe ausführlich Rehm in ÖJZ 1961, 281 ff). Tatsächlich hätte das Zitat daher richtigerweise auf "§ 450 Satz 2 StPO" lauten müssen, wonach bei Zurückverweisung einer Strafsache von einem Gerichtshof I. Instanz oder einem höheren Gericht "dieses (nämlich das BG) sie (nämlich die zurückverwiesene Strafsache) nicht weiter wegen Nichtzuständigkeit von sich abweisen kann", die zurückverweisende Kompetenzentscheidung an das Bezirksgericht also bindende Wirkung entfaltet. Zwar regelt diese Bestimmung, wie sich aus dem Zusammenhalt mit ihrem ersten Satz ergibt, vordergründig nur den Fall einer Zurückverweisung nach vorangegangener, wenngleich außerhalb einer Hauptverhandlung erfolgter (Foregger/Kodek, StPO6 Anm I zu § 450) sachlicher Unzuständigkeitserklärung des BG (arg.:

"Verweist der Gerichtshof ... wieder an das Bezirksgericht zurück ..."), nicht hingegen den auch hier relevanten Fall der Abtretung an das BG - gleichsam a limine - bereits vor Rückabtretung durch das untergeordnete Bezirksgericht, welcher Fall jedoch mangels ausdrücklicher Regelung dieser Frage in der StPO durchaus analogiefähig ist (Foregger/Kodek, StPO6 Anm VI zu § 1). Insoweit ist daher die damalige Entscheidung des OLG Innsbruck entgegen der Auffassung des Untersuchungsrichters durchaus auch weiterhin von Aktualität. Allerdings ist das Bezirksgericht in einem Fall des § 450 Satz 1 StPO von Gesetzes wegen ausdrücklich gehalten, dies (nämlich seine Rückabtretung) dem Staatsanwalt - bzw. wie hier dem Privatankläger nach den §§ 46, 449 StPO - "bekanntzugeben", ohne daß näher zu untersuchen ist, ob dies (nur) durch einen Beschluß im technischen Sinn zu geschehen hätte (so Walter, Zur Auslegung und Entstehungsgeschichte des § 450 StPO, ÖJZ 1961, 365 ff) oder nicht (so Rehm, aaO 286).

Derartiges ist jedenfalls seitens des rückabtretenden BG Innsbruck nach der Aktenlage bisher unterblieben und wird daher ehestens nachzuholen sein. Hernach wird, sollte gegen den Beschluß seitens einer der Parteien eine Beschwerde erhoben werden, hierüber das Landesgericht Innsbruck als Beschwerdegericht gemäß § 10 Z 3 StPO, andernfalls (also bei Nichtergreifung eines Rechtsmittels) aber durch seine Ratskammer nach § 12 StPO zu entscheiden haben (idS auch Kodek, Einige Probleme funktioneller Zuständigkeit im Strafverfahren der Gerichtshöfe erster Instanz, ÖJZ 1977, 374 (377)). Der Argumentation des Untersuchungsrichters, daß die Ratskammer seit Novellierung des § 12 StPO durch Art I Z 1 c StPÄG 1993 BGBl 526 ihrer Funktion als "höher organisierte Instanz" entkleidet sei, vermag sich das Oberlandesgericht dabei deshalb nicht anzuschließen, da durch die Neufassung im Rahmen der zitierten Novelle diesem Spruchkörper ja lediglich die Delegierungsmöglichkeit für Voruntersuchungen und Vorerhebungen (bisheriger Abs 2) und (durch die Neufassung des Haftrechtes) alle Überprüfungskompetenzen im Rahmen der früheren Haftverhandlungen abgenommen worden sind (JAB 1157 BlgNR 18. GP, 4). In diesem Sinne ist auch die vom Untersuchungsrichter zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13.4.1994, 13 Os 63/94, zu verstehen, in welcher keineswegs verallgemeinernd, sondern ausdrücklich und ausschließlich be schränkt auf die neue Rechtslage in Haftsachen ausgesprochen wurde, daß die Ratskammer gegenüber dem Untersuchungsrichter keine "höher organisierte Instanz" sei. Eine auch für den gegenständlichen negativen Kompetenzkonflikt relevante Aussage über die Zuständigkeit des hierüber zu befinden habenden Gerichtshofes (I. oder II. Instanz) ist hierin indes nicht enthalten.

Da jedoch mangels Zustellung des Rückabtretungsbeschlusses durch das Bezirksgericht noch nicht feststeht, welcher Spruchkörper des Landesgerichtes hierüber endgültig und damit auch über den vorliegenden Kompetenzkonflikt zu befinden haben wird, war ohne endgültige Entscheidung hierüber bloß die Nichtzuständigkeit des angerufenen Oberlandesgerichtes auszusprechen und dem Bezirksgericht die Ausfertigung und Zustellung zur weiteren, wie vor dargestellten Vorgangsweise aufzutragen.

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