JudikaturOLG Graz

10Bs212/25i – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag a . Tröster und Mag. Wieland in der Strafsache gegen A* B* wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung nach öffentlicher Verhandlung am 8. Oktober 2025 in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Mag. Liensberger LL.M. sowie des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwaltsanwärter Mag. Marchel über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Graz gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 20. Mai 2025, GZ **-11, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, dass das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt 1. und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wird.

Mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft darauf verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

GRÜNDE:

Mit dem angefochtenen einzelrichterlichen Urteil wurde der am ** geborene A* B* des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (zu 1.) und – nach Anklageausdehnung (ON 10.1,8) – des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (zu 2.) schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 107 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à EUR 12,00, im Uneinbringlichkeitsfall 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet.

Dem Schuldspruch zufolge hat (gestrafft [zum Referat der entscheidenden Tatsachen siehe jüngst OGH 12 Os 99/24m; RIS-Justiz RS0134501]) A* B* die C*

Auf die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen, dessen Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Urteilsseiten 1 bis 6 verwiesen (RIS-Justiz RS0124017 [T3]).

Gegen dieses Urteil richtet sich die unmittelbar nach der Verkündung angemeldete (ON 10.1,9) und nachfolgend ausgeführte (ON 14) Berufung des Angeklagten wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe, die auch nach Berichtigung des Protokolls (ON 19) aufrecht erhalten wurde (ON 21). Sie strebt den Freispruch, in eventu die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht, allenfalls auch mit dem Auftrag nach dem 11. Hauptstück vorzugehen, zumindest jedoch eine Reduktion der Strafe in Form einer Herabsetzung sowohl der Anzahl als auch der Höhe der verhängten Tagessätze, an.

Die Staatsanwaltschaft strebt mit ihrer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 9 und ON 12) eine höhere unbedingte Geldstrafe, allenfalls in Kombination (§ 43a Abs 2 StGB) mit einer bedingen Freiheitsstrafe, an.

Die Oberstaatsanwaltschaft Graz vertat in ihrer Stellungnahme vom 19. August 2025 die Ansicht, dass der Berufung des Angeklagten keine, der Berufung der Staatsanwaltschaft hingegen Berechtigung zuerkannt werden kann.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe ist nicht im Recht.

Nach dem vollen Beweis über die Vorgänge in der Hauptverhandlung machenden Protokoll (RIS-Justiz RS0099631), gegen das keine Bedenken bestehen, wurde die Zeugin C* über ihr Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO (ein Verstoß gegen § 157 Abs 1 Z 1 StPO steht ohnedies nicht unter Nichtigkeitssanktion [ Ratz , WK-StPO § 281 Rz 226]) belehrt und gab sie danach an, sie wolle aussagen (siehe auch RIS-Justiz RS0097873 [T5]), wobei sie sich dabei auch auf ihre Angaben vor der Kriminalpolizei bezog (ON 2.6), sodass diese – entgegen der Berufung – gar wohl zur Urteilsbegründung verwendet werden konnten (vgl RIS-Justiz RS0107793 [insb T1], RS0110150; Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 31; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 230). Im Übrigen konnte die Aussage der Zeugin schon im Hinblick auf die einverständliche Verlesung des gesamten Akteninhalts (ON 10.1,9) zulässigerweise verwertet werden (vgl auch RIS-Justiz RS0112987, RS0127712). Warum es trotz der einmal erteilten (rechtsrichtigen und vollständigen) Belehrung über das Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO nach der Ausdehnung zu Punkt 1. einer erneuten Belehrung bedarf, erklärt die Berufung nicht schlüssig (siehe auch RIS-Justiz RS0098017; Nimmervoll , Das Strafverfahren 2 Rz 398). Die behauptete Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO liegt daher nicht vor.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO setzt voraus, dass über einen in der Hauptverhandlung vom Beschwerdeführer gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinne dieses Antrages mit Zwischenerkenntnis entschieden worden ist (RIS-Justiz RS0099250), was hier nicht der Fall war. Der tatsächlich in der Sache geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO mit dem behaupteten Verstoß gegen § 263 StPO liegt ebenso wenig vor. Vor dem Hintergrund der Darstellung der Lichtbilder durch die Einzelrichterin (ON 10.1,6), der nach getätigter Ausdehnung erteilten Möglichkeit sich mit seinem Verteidiger zu besprechen und der anschließend erfolgten Vernehmung zur Sache selbst, erklärt die Berufung erneut nicht schlüssig, warum der Angeklagte an einer entsprechenden Antragstellung (hier: zur Beischaffung der Lichtbilder aus einem Vorverfahren) gehindert gewesen wäre (RIS-Justiz RS0098367). Im Übrigen wurde dem Angeklagten eine – grundsätzlich gar nicht zwingende (RIS-Justiz RS0098865) – Äußerungsmöglichkeit eingeräumt und sieht das Gesetz – anders als nach dem Anklagevortrag (§ 244 Abs 3 StPO) – auch keine Replik des Verteidigers zur Anklageausdehnung vor (siehe auch RIS-Justiz RS0098053).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich nicht am festgestellten (US 2 und US 3 sowie disloziert US 6) Urteilssachverhalt und erschöpft sich daher in einer unter diesem Aspekt unzulässigen Beweiswürdigungskritik (RIS-Justiz RS0099810 [T33]). Lediglich der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass die in der Berufung zitierte Aussagepassage der Zeugin (ON 2.6 [„, Das interessiert mich nicht mehr, und ich soll gleich die Kiwara rufen, denn die werde ich brauchen!‘ ‘]) und der daraus – urteilsfremd (siehe US 3) – abgeleiteten Feststellung, wonach der Angeklagte damit die polizeiliche Hilfe zur Aufklärung der Verletzungen seines Sohns angekündigt habe, der Protokollierung der indirekten Rede geschuldet war. Ungeachtet dessen würde selbst beim begehrten Wegfall dieser Drohung, angesichts der weiterhin verbleibenden Drohung („ Ich werde kommen, dir die Türe eintreten und dir den Kopf einschlagen! “), dies ohne Einfluss auf den Ausspruch über die Schuld bleiben (siehe etwa 14 Os 27/25i).

Amtswegig aufzugreifende Nichtigkeiten haften dem Urteil nicht an.

Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld hat teilweise Erfolg.

Dem Antrag auf Beweiswiederholung, insbesondere auf Vernehmung der Zeugin D* B*, zum Beweis dafür, dass sich die Zeugin C* durch die Aussage des Angeklagten, wonach er ihr den Schädel runterreißen könnte, nicht bedroht erachtete, sondern vielmehr eine Anzeige des Angeklagten wegen der beim minderjährigen E* festgestellten Verletzungen befürchtete, war nicht nachzukommen. Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zielt an sich (vgl aber § 470 StPO) auf einen eigenständigen Ausspruch des Berufungsgerichts in der Sache ab. Das Berufungsgericht ist (im Rahmen der Anfechtungsrichtung) gesetzlicher Richter mit voller Kognitionsbefugnis und in der zur Sachentscheidung führenden Beweiswürdigung aufgrund einer Schuldberufung völlig frei (15 Os 156/17f; Ratz , WK-StPO § 473 Rz 8/1). Nur im Fall von Bedenken gegen die erstinstanzliche Feststellung entscheidender Tatsachen ist es – Zeugen und Sachverständige betreffend (vgl Ratz , WK-StPO § 473 Rz 8) – nach § 473 Abs 2 erster Satz StPO vor eigener meritorischer Entscheidung zur Beweiserhebung verpflichtet.

Auch die im Berufungsverfahren gestellten Beweisanträge (zum Beweisantragsrecht im Rechtsmittelverfahren vgl Hinterhofer/Oshidari, , Strafverfahren Rz 6.43 ff) müssen gemäß § 473 Abs 1 erster Satz iVm § 222 Abs 1 StPO die Erfordernisse des § 55 Abs 1 StPO erfüllen, um im Fall ihrer Ablehnung eine aus Art 6 MRK ableitbare Begründungspflicht des Berufungsgerichts im Berufungsurteil auszulösen (vgl RIS-Justiz RS0122373). Ein Antrag ist nur ein deutlich und bestimmt formuliertes Begehren ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 311). Ohne ein solches Begehren entsteht keine Pflicht zur Berücksichtigung durch das (hier) Berufungsgericht (RIS-Justiz RS0118060 [T1]).

Im gegenständlichen Fall liegt nur im Hinblick auf die Zeugeneinvernahme der D* B* ein solcher Antrag vor, der allerdings für die Beurteilung des Tatverdachts ohne Bedeutung ist (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO), weil die behauptete Äußerung, wonach der Angeklagte dem Tatopfer den Schädel runterreißen könnte, gar nicht anklagegegenständlich war. Im Übrigen kann die Zeugin über die inneren Vorgänge des Tatopfers auch keine Aussage machen (RIS-Justiz RS0097540).

Gegen die auf einer lebensnahen Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite zu Punkt 2. bestehen vielmehr keine Bedenken (vgl. §§ 489 Abs 1 iVm 473 Abs 2 StPO; vgl zum Prüfungsumfang des Berufungsgerichtes RIS-Justiz RS0132299). Das Erstgericht hat alle relevanten und greifbaren Beweismittel vollständig ausgeschöpft und eine an allgemeinen Erfahrungssätzen und den Denkgesetzen der Logik orientierte mehr als ausführliche Beweiswürdigung (US 3 bis 5) vorgenommen. Dem Gebot gedrängter Darstellung (RIS-Justiz RS0106642) folgend, hat es schlüssig und gut nachvollziehbar, gemessen an den – einverständlich gemäß § 252 Abs 2a StPO vorgetragenen (ON 10.1,9) – Aktenstücken, dargelegt, aus welchen Gründen es die Tatsachenfeststellungen getroffen hat. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen und damit verbunden die Ablehnung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten als Schutzbehauptung (ON 2.5 sowie ON 10.1,2ff), der (zusammengefasst soweit hier relevant) die inkriminierten Äußerungen negiert, sind gestützt auf die im Kern gleichlautende und keine offensichtliche Fremdbezichtigungstendenzen aufweisende Zeugenaussage der C* (ON 2.6 und ON 10.1,4ff) unbedenklich.

Lebensnah ist fallbezogen auch die erstgerichtliche Ableitung (US 2 und US 3) der subjektiven Tatseite aus der allgemeinen Lebenserfahrung (US 5) und dem objektiven Geschehensablauf, aus welchem ohne Weiteres Rückschlüsse auf das Wissen und Wollen des Angeklagten gezogen werden können (RIS-Justiz RS0098671; RS0116882). Die Feststellungen zu Ernstlichkeit, Sinn und Bedeutungsgehalt der drohenden Äußerungen des Angeklagten konnten sowohl auf den Wortlaut und das belastete Vorleben (vgl ON 10.1,6) - was eine Realisierung der Drohung geradezu wahrscheinlich machte - sowie die konstatierte Impulsivität (US 5) gestützt werden.

Daran Bedenken zu wecken gelingt dem Berufungswerber, der im Wesentlichen gegen die vom Erstgericht konstatierte (zur Relevanz siehe RIS-Justiz RS0098413), umfangreich begründete (US 3ff), Glaubwürdigkeit der Zeugin C* argumentiert, nicht. Dem ist vorauszuschicken, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (RIS-Justiz RS0098390). Die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussagen ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darlegung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS-Justiz RS0104976). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Selbst der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336).

Unter diesen Prämissen hat das Erstgericht überzeugend dargelegt, warum es - gemessen an den übrigen Verfahrensergebnissen – und dem persönlichen Eindruck (zur Relevanz RIS-Justiz RS0098413]) von der Richtigkeit der zeitnah erfolgten Anzeige (ON 2.2,2 [zur Relevanz siehe etwa OLG Graz, 9 Bs 154/19v) der Zeugin C*, die auf die Rechtsfolgen einer falschen Beweisaussage auch hingewiesen (ON 2.6,2) wurde, ausging und warum es den die Tathandlungen leugnenden Angaben des Angeklagten keinen Glauben schenkte.

Dem kann die Berufung nichts Substanzielles entgegensetzen. Mit den gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin vorgetragenen Argumenten in der Berufung (Häufigkeit der Anrufe und vermeintliche Beobachtungen durch das Tatopfer bei ihrer Wohnstätte) hat sich bereits das Erstgericht ausführlich und lebensnahe auseinandergesetzt. Abgesehen davon, dass das Tatopfer nie bestritten hat auf den Angeklagten mehrmals beruhigend eingeredet zu haben (ON 2.2,2), bestehen vom Berufungsgericht an der nachvollziehbaren Einschätzung des Erstgerichts zu Punkt 2. keine Bedenken. Ob das Tatopfer den Angeklagten tatsächlich im Nahebereich wahrgenommenen hat oder dies angesichts der Drohung nur befürchtete, betrifft keine entscheidende Tatsache. Vielmehr indiziert diese zur Involvierung der Kriminalpolizei führende Befürchtung, dass C* angesichts der Vorgeschichte mit dem Angeklagten (siehe auch ON 10.1,8) und der erfolgten Drohungen nachhaltig in Furcht und Unruhe versetzt wurde. Ein anderer Grund für eine Anzeigenerstattung ist nicht ersichtlich.

In diesem Zusammenhang ist auch die Betonung der Zeugin (ON 10.1,4 und 5), ihr sei es wichtig, dass die Kinder einen Vater hätten, zu beachten, ergeben sich doch auf Grund der geregelten Obsorge (ON 8,17) keine Anhaltspunkte für eine Falschbezichtigung. Das Vorbringen, die Anzeige sei im „Lichte des – (damals) noch gar nicht eingeleiteten - Obsorgeverfahrens“ zu betrachten, ist eine reine Spekulation und noch dazu janusköpfig, würde doch eine Verleumdung bzw. falsche Beweisaussage den Prozessstandpunkt der Zeugin im dortigen Verfahren massiv schwächen (siehe etwa auch RIS-Justiz RS0056902), sodass daraus nichts zu gewinnen ist. Die bloße Ankündigung der Einschaltung des Kinder- und Jugendwohlfahrtträgers (ON 2.5,4) durch den Angeklagten auf Grund eines unspezifischen Hämatoms am Kopf (ON 8,15) des fünfjährigen Sohns vermag, angesichts des Umstands, dass kleinere Kinder gerichtsnotorisch immer wieder über blaue Flecken verfügen, in Kombination mit dem Fehlen weiterer belastender Tatsachen die auf eine allfällige Kindesmisshandlung hinweisen würden, die mitten in der Nacht erfolgte Anzeigenerstattung durch das Tatopfer nicht als Falschbezichtigung zu entlarven. Die Tatsache, dass es auf Grund der nunmehr im Rahmen der Berufungsschrift vorgelegten Urkunden zu einer teilweisen Kassation des Urteils kommen musste (siehe dazu gleich), bedingt nicht die Kassation auch dieses Faktums. Zum einen handelt es sich um getrennte Sachverhaltskomplexe, welche in keinen Ursachenzusammenhang stehen. Zum anderen darf auch nicht übersehen werden, dass die Zeugin – unbestrittenermaßen (ON 10.1,8) – in der Vergangenheit durch den Angeklagten verletzt wurde, was zum Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden und zu einer - vom Angeklagten selbst angeführten - Verurteilung führte (siehe auch das in der Berufungsschrift genannte Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz, AZ **), sodass der Zeugin nicht die Glaubwürdigkeit versagt werden kann, zumal es auch im zeitlichen Nahebereich zum behaupteten Tatgeschehen zu Punkt 1. zur Trennung kam. Die mangelende Anzeige in diesem Zusammenhang (siehe ON 10.1,6) spricht zudem dafür, dass das Opfer den Angeklagten nicht durch ungerechtfertigte Anzeigen schaden will. Ebenso bedurfte es keiner Kassation zur Eröffnung der Möglichkeit eines diversionellen Vorgehens im fortgesetzten Verfahren zu Faktum II. (RIS-Justiz RS0119278), weil dazu keine Verantwortungsübernahme (zur Notwendigkeit siehe RIS-Justiz RS0126734 [insb T3] und RS0116299) erfolgte.

Mit seinen weiteren Rechtsmittelausführungen weckt der Berufungswerber allerdings Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldspruch 1. tragenden Feststellungen. Über Befragen des Staatsanwalts (ON 10.1,6) führte die Zeugin an, dass die Tathandlung zu Punkt 1. am 29. Juni 2023 gesetzt wurde. Zwar nennt die Zeugin keine exakte Uhrzeit, jedoch geht aus den in der Berufungsschrift vorgelegten Beilagen (ON 14,8ff) hervor, dass der Angeklagte – entgegen der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft – an diesem Tag von 05.00 bis 15.00 Uhr (Transporte nach ** und **) und von 16.00 bis 24.00 Uhr (Transport von ** nach **) Aufträge durchführte, was eine Tatbegehung (zumindest tagsüber) genau an diesem Tag hinterfragenswert erscheinen lässt. Da ein Irrtum über die Tatzeit (bzw. eine Tatbegehung während den Nachtstunden) nicht auszuschließen ist, zumal objektive Beweismittel (ON 10.2 und ON 10.3) vorliegen, wird im fortgesetzten Verfahren der genaue Tatzeitpunkt und der Aufnahmezeitpunkt der Lichtbilder der Verletzungen zu erheben sein. Ins Kalkül wird dabei zu ziehen sein, dass das Hämatom an der Hüfte (ON 10.2,2) schon eine gewisse „Verfärbung“ aufweist, was auf eine Differenz zwischen Aufnahme- und Tatzeitpunkt hindeuten könnte. In diesem Zusammenhang wird gleichzeitig auch dem Berufungsvorbringen (ON 14,4), wonach die Zeugin Lichtbilder aus dem Jahr 2014, resultierend aus dem Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz, AZ **, vorgelegt hat, Rechnung getragen, wobei ein Vergleich der dort vorgelegten Lichtbilder mit den Gegenständlichen dienlich sein könnte. Weiters wird beim Gewaltschutzzentrum (ON 2.6,3 und ON 10.1,6) – unter Beachtung der Grundsätze des § 157 Abs 1 Z 3 StPO – anzufragen sein, ob der genaue Zeitpunkt der Kontaktaufnahme durch das Tatopfer und womöglich die entsprechenden Gründe bekanntgegeben werden können. Zuletzt könnte indiziert sein, den Vater des Tatopfers zu seinen Wahrnehmungen aus dem Jahr 2023 zu befragen, zumal das Tatopfer nach dem behaupteten Vorfall zu diesem nach ** zog (ON 2.6,3).

Folge der Beseitigung des Schuldspruchs zu Punkt 1. ist die Aufhebung auch des Strafausspruchs. Da § 471 (iVm § 489 Abs 1) StPO eine Verweisung auf § 288 Abs 2 Z 3 letzter Satz StPO nicht vorsieht und kein Fall des § 475 Abs 1 StPO vorliegt, kam eine Verweisung an das (an sich sachlich und) örtlich zuständige Bezirksgericht vorliegend nicht in Betracht (OLG Wien, 32 Bs 108/22z).

Mangels überwiegenden Interesses am sofortigen Ausspruch einer wegen des solcherart bereits rechtskräftigen Schuldspruchs 2. zu verhängenden Strafe war vom Berufungsgericht nicht sogleich im Weg einer Strafneubemessung in der Sache selbst zu erkennen, sondern in uneingeschränkter Verwirklichung des Absorptionsprinzips (§ 28 Abs 1 StGB, § 37 StPO) die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu Punkt 1. zurückzuverweisen (RIS-Justiz RS0100261).

Mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe waren sowohl der Angeklagte, als auch die Staatsanwaltschaft darauf zu verweisen.

Der Kostenausspruch ist eine Folge der Sachentscheidung und gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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