JudikaturOLG Graz

10Bs206/25g – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag a . Haas und Mag. Wieland in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen nach öffentlicher Verhandlung am 8. Oktober 2025 in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Mag. Liensberger LL.M., des Angeklagten und seiner Verteidigerin Rechtsanwältin Mag. a Anderl sowie der Privatbeteiligtenvertreterin Rechtsanwaltsanwärterin Mag. a Platzer (für B*) über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 8. April 2025, GZ **-38, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben, das Urteil im Schuldspruch zu Punkt I. sowie das Adhäsionserkenntnis und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und insoweit in der Sache erkannt:

A* wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe im Juni 2008 B* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm auf den rechten Fuß stieg, wodurch dieser eine Prellung am rechten Vorfuß erlitt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen und der Privatbeteiligte B* mit seinen Ansprüchen gemäß § 366 Abs 1 StPO gänzlich auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Für die verbliebenen Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB wird der Angeklagte unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nach § 222 Abs 1 StGB zur Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wird.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

GRÜNDE:

Mit dem angefochtenen einzelrichterlichen Urteil, welches auch einen Freispruch enthält, wurde der am ** geborene A* – teilweise abweichend vom Anklagevorwurf (ON 13) des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB – des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (zu I.) und der Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB (zu II.) schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nach § 222 Abs 1 StGB in Anwendung von § 43 Abs 1 StGB zu einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten sowie zum Kostenersatz nach § 389 StPO verurteilt. Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde der Angeklagte schuldig erkannt dem Privatbeteiligten B* einen Schmerzengeldbetrag von EUR 100,00 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen. Mit seinen weiteren Ansprüchen von EUR 200,00 wurde der Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Dem Schuldspruch zufolge hat A* in **

Nicht festgestellt (US 3) werden konnte vom Erstgericht, dass der Angeklagte zudem im Zeitraum Anfang 2004 bis Juni 2008 in **, dem am ** geborenen B*, der als Stiefsohn seiner Fürsorge und Obhut unterstand und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, körperlich und seelische Qualen zufügte, indem er als Lebensgefährte der Kindesmutter ihn mehrfach als „Trottel“, „Dusche“, „Hirngeschockter“ und „Mirchn“ beschimpfte, ihn am Hals packte, ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Rücken und gegen den Hinterkopf versetzte, teils Schläge mit der flachen Hand androhte, ihn in den Arm und den Hals zwickte, ihn mit Wasser beschüttete, mit ihm schrie und für zumindest einige Minuten im Zimmer einsperrte (zum zutreffend unterbliebenen Freispruch von Teilakten im Rahmen einer hier angeklagten Handlungseinheit siehe Lendl , WK-StPO § 259 Rz 2 f; RIS-Justiz RS0117261; vgl allgemein zu Subsumtionsfreisprüchen: RIS-Justiz RS0120128). In Ansehung der (weiteren) Konstatierungen des Erstgerichts zu den entscheidenden Tatsachen und jener Gründe, deretwegen es diese als erwiesen angenommen hat samt der rechtlichen Beurteilung wird auf die Seiten 3 bis 10 des angefochtenen Urteils verwiesen (RIS-Justiz RS0124017 [T3]).

Die lediglich wegen Nichtigkeit, diesbezüglich jedoch nunmehr eingeschränkt (zur Behandlung des Berufungsvorbringens im Sinne seiner inhaltlichen und willentlichen Ausrichtung: RIS-Justiz RS0099973; Ratz in WK StPO § 467 Rz 2) auf das Urteilsfaktum I., mithin das Urteilsfaktum II. somit in Teilrechtskraft erwachsend, ausgeführte Berufung (ON 35.1, ON 41) strebt im Hinblick auf das Urteilsfaktum I. einen Freispruch und damit eine Strafneubemessung sowie einen Verweis auf den Zivilrechtsweg an.

Die Oberstaatsanwaltschaft trat in ihrer Äußerung vom 14. August 2025 dem Rechtsmittel bei.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist erfolgreich.

Die Strafbarkeit von Taten erlischt nach § 57 Abs 2 StGB – außer in den in Abs 1 leg.cit. genannten Fällen – durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört. Gemäß § 57 Abs 3 StGB beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre, wenn die Handlung mit mehr als sechsmonatiger, aber höchstens einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Es ist jede einzelne Tat (historisches Geschehen) anhand der im Urteil getroffener Feststellungen einer (oder mehreren) strafbaren Handlung(en) zu unterstellen und auf dieser Basis der Eintritt der Verjährung zu beurteilen ( Marek in WK² StGB § 57 Rz 12; RIS-Justiz RS0128998). Ob eine Tat verjährt ist, richtet sich grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht, nach früherem Recht nur dann, wenn Verjährung bereits unter dessen Geltung eingetreten war, der Täter also bereits nach früherem Recht straflos wurde ( Marek in WK² StGB § 57 Rz 23; RIS-Justiz RS0072368, RS0116876). Die Verjährung einer Tat bewirkt, dass der Täter nicht mehr verfolgt oder bestraft werden darf. Ob Verjährung eingetreten ist, muss in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrgenommen werden (RIS-Justiz RS0091794, Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 57 Rz 8).

Nach diesen Grundsätzen wäre die nach den unbedenklichen Feststellungen (zur Anwendung des Zweifelsgrundsatzes zur Eingrenzung des Tatzeitpunkts [§ 14 zweiter Halbsatz StPO; vgl Lendl , WK-StPO § 258 Rz 36) im Zweifel am 1. Juni 2008 begangene Körperverletzung iSd § 83 Abs 1 StGB (zur nicht ungünstigeren Anwendung des Urteilszeitrechts siehe RIS-Justiz RS0131471) mit Ablauf des 1. Juni 2011 verjährt gewesen. Nach dem § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der Fassung des 2. GeSchG (BGBl I 2009/40), das am 1. Juni 2009 in Kraft trat, ist jedoch die Zeit bis zur Erreichung des 28. Lebensjahres des Opfers (vorliegend B*) einer strafbaren Handlung gegen unter anderem Leib und Leben nicht in die Verjährungsfrist einzurechnen, wenn das Opfer – wie hier – zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war (RIS-Justiz RS0114745 [T3]). Die Frist bis zum Eintritt der Volljährigkeit des zur Tatzeit minderjährigen Opfers beginnt also nicht zu laufen (Anlaufhemmung; Marek in WK 2 StGB § 58 Rz 3; 12 Os 90/22k). § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der Fassung BGBl I 2009/40 ist auch auf vor seinem Inkrafttreten (1. Juni 2009) begangene Taten anzuwenden, sofern die Strafbarkeit zu diesem Zeitpunkt – wie hier – nicht bereits erloschen war (Art XIV Abs 2 2. GeSchG; vgl RIS-Justiz RS0114745 [T3]).

Sein 28. Lebensjahr hatte der am ** geborene B* mit Ablauf des 14. November 2019 beendet, sodass unter Zugrundelegung einer dreijährigen Verjährungsfrist (zum Beginn des Fristenlaufs mit Vollendung des 28. Lebensjahrs siehe auch Schallmoser in Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch § 58 StGB Rz 92) die Strafbarkeit der Tat (siehe RIS-Justiz RS0090571 [T4]) mit Ablauf des 14. November 2022 (siehe dazu auch Schallmoser in Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch: Vorbem §§ 57–60 StGB Rz 55) verjährt ist. Dass das Ermittlungsverfahren (ON 1.5 [zur Verjährungshemmung bewirkenden Anordnung der Vernehmung des Beschuldigten – hier am 5. August 2024 – siehe 15 Os 160/12m; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 58 Rz 7; OLG Graz, 10 Bs 45/24d]) und die Anklage (ON 13) ursprünglich auf das Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB gerichtet war, vermag keine Erweiterung der Verjährungsfrist (im konkreten Fall: auf fünf Jahre) zu bewirken, weil allein die rechtliche Beurteilung der Tat (im Sinne eines historischen Geschehens) durch das Gericht maßgebend ist (RIS-Justiz RS0091917; OLG Linz, 8 Bs 258/11i). Sohin kann auch die Anordnung der Vernehmung des Angeklagten am 5. August 2024 (ON 1.5) keine Hemmung der Verjährung iSd § 58 Abs 3 Z 2 StGB bewirken, weil zu diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist schon längst abgelaufen war. Auch § 58 Abs 2 StGB bewirkt keine Ablaufhemmung. Zwar beruhen die Delikte der Tierquälerei und der Körperverletzung auf dem gleichen Charaktermangel und damit auf der gleichen schädlichen Neigung (vgl RIS-Justiz RS0091968; OLG Graz 8 Bs 260/24g), jedoch setzt die Anwendung von § 58 Abs 2 StGB voraus, dass die nachfolgende Tat (hier: die Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB) innerhalb der Verjährungsfrist der ersten Tat gesetzt werden ( Marek, aaO § 58 Rz 6 mwN), was im gegenständlichen Fall nicht vorliegt.

Die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung des (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes der Verjährung macht das angefochtene Urteil unschlüssig. Es liegt ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (hier: § 281 Abs 1 9 lit b StPO) vor (RIS-Justiz RS0122332 [T1, T6 und T11]), der die Aufhebung des angefochtenen Urteils zu Punkt I. Erfordert.

Da die Feststellung verjährungshemmender Tatsachen angesichts der bisherigen unveränderten Unbescholtenheit des Angeklagten in einem zweiten Rechtsgang nach der Aktenlage nicht zu erwarten ist, war - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft - das Urteil in diesem Punkt aufzuheben und in der Sache selbst dahin zu erkennen, dass A* insoweit gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen ist (vgl RIS-Justiz RS0118545, RS0100239 [T11]). Folge des Freispruchs ist die Verweisung des Privatbeteiligten mit seinen gesamten Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg (§ 366 Abs 1 StPO).

Infolge der Teilaufhebung des Urteils war bezüglich des verbleibenden Schuldspruchs zu Punkt II. die Strafe neu zu bemessen.

Strafbestimmend ist der Strafsatz des § 222 Abs 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren.

Erschwerend wirkt, dass der Angeklagte mehrere strafbare Handlungen derselben Art (hier: Zusammentreffen von zahlreichen Vergehen [182 Hühner und 8 Kaninchen; US 4]) begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB). Unter dem Aspekt eines gesteigerten Handlungs- und Erfolgsunwerts (§ 32 Abs 2 und 3 StGB) ist auch die Massivität der Übertretungen nach dem TSchG (vgl ON 10.4,7) und die mehrwöchentliche Dauer der unnötigen Qualen der Tiere (US 4f) zu berücksichtigen (OLG Graz, 10 Bs 33/23p).

Mildernd hingegen ist, dass der im Tatzeitraum im 63. Lebensjahr stehende Angeklagte – was allerdings (nur) einen einzigen Milderungsgrund begründet (RIS-Justiz RS0091471 [insb T5]; Tipold in Leukauf/Steininger , StGB 4 § 34 Rz 7 mwN) – bisher einen ordentlichen Lebenswandel (ON 33) geführt hat und die Taten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stehen (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und er die Taten durch Unterlassen der Herstellung einer artgerechten Haltung und Schaffung von hygienischen Bedingungen begangen (§ 34 Abs 1 Z 5 StGB) hat.

Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich auf Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) und mit Blick auf die bei der Bemessung der Strafe zu beachtenden Zwecke der Spezial- und Generalprävention ( Tipold, aaO § 32 Rz 9ff) die (gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehene) Freiheitsstrafe von vier Monaten als tat- und schuldangemessen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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