8Bs167/25g – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Mag. Koller (Vorsitz), Mag. Obmann, LL.M. und Mag. Ohrnhofer in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 5. Juni 2025, AZ ** (GZ B*-26 der Staatsanwaltschaft Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
In Stattgebung der Beschwerde wird die Untersuchungshaft des A* aufgehoben und die sofortige Enthaftung angeordnet.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.
Begründung:
Text
In dem von der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ B* gegen den am ** geborenen gerichtlich unbescholtenen italienischen Staatsangehörigen A* geführten Ermittlungsverfahren wurde über deren Antrag mit dem angefochtenen Beschluss über den Genannten wegen des dringenden Verdachts des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO verhängt. Die Verhältnismäßigkeit der Verhängung der Untersuchungshaft wurde bejaht, eine Anwendung gelinderer Mittel wurde aufgrund des Haftgrundes nicht in Betracht gezogen.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Beschuldigten, in der sowohl der dringende Tatverdacht als auch das Vorliegen des Haftgrundes in Abrede gestellt bzw. in eventu eine Anwendung gelinderer Mittel bzw die Fortsetzung der Untersuchungshaft als elektronisch überwachter Hausarrest angestrebt wird (ON 31.2).
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist berechtigt.
Der Beschuldigte A* ist konkret verdächtig, er habe am 13. Jänner 2025 in C* D* jeweils vorsätzlich mit Gewalt zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen genötigt und zur Vornahme von dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen zu nötigen versucht, indem er sie unter dem Vorwand, die Küche stünde unter Wasser, in die im Untergeschoß des Lokals „E*“ gelegene Küche lockte, sie dort mit einer Hand am Hals erfasste und gegen die Wand drückte, gleichzeitig mit der anderen Hand in ihre Hose und Unterhose fasste und dort mit zumindest einem Finger in ihre Vagina eindrang, als sich D* - während er versuchte, seine Hose zu öffnen - losreißen konnte, ihr folgte und sie in der Folge an der Oberbekleidung in einen Kühlraum zog, wo er sie gegen dort stehende Fässer drängte und erklärte, er werde sie in Ruhe lassen, wenn sie ihm jetzt einen blase, und dabei seinen Penis aus der Hose nahm, als D* ihn wegdrängte und sie den Kühlraum verließen, sie neuerlich unter der Beteuerung in die Küche zurückrief, er wolle jetzt nur reden, sie schließlich in der Küche neuerlich am Hals erfasste, über der Kleidung ihre Brust intensiv betastete, neuerlich mit seiner Hand unter ihre Hose und Unterhose griff und einen Finger in ihre Vagina einführte, als sich D* - während er versuchte, seine Hose neuerlich zu öffnen - losreißen konnte, sie an den Haaren erfasste und zurückzog, sie neuerlich, nun mit dem Gesicht zur Wand, gegen die Wand drückte, ihre Hose öffnete und versuchte, diese herunterzuziehen, als es D* gelang, sich umzudrehen, während er sie weiterhin an der Wand fixierte, seinen Penis herausholte, masturbierte und auf den Boden ejakulierte und erst von D* abließ, als ihre Arbeitskollegin F* den Raum betrat.
Der konkrete (derzeit allerdings nicht dringende iSd § 173 Abs 1 StPO) Verdacht in Richtung § 201 Abs 1 StGB gründet sich auf eine vernetzte Betrachtung der Ermittlungsergebnisse des Stadtpolizeikommando C* zu GZ **. Zu den belastenden Angaben von D*, die erst mehrere Wochen nach dem Vorfall die Anzeige erstattete, und den Wahrnehmungen der vernommenen Zeugen wird vorweg zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Darstellung in der Begründung im angefochtenen Beschluss (S. 2 ff) verwiesen. Der sowohl in Österreich als auch nach den eingeholten ECRIS-Auskünften im Ausland gerichtlich unbescholtene Beschuldigte leugnet den Tatvorwurf und spricht von einvernehmlich erfolgten sexuellen Handlungen mit D* („extrem leidenschaftliche Interaktion“), sodass Aussage gegen Aussage steht. Zu berücksichtigen ist, dass sich die beiden aus der gemeinsamen Arbeitszeit im selben Lokal kennen, nach den Angaben der Geschäftsführerin des Lokals zwischen den beiden immer ein „Flirt-Spiel“ gewesen sei, was sie dahingehend konkretisierte, dass aus ihrer Sicht D* schon immer ein Auge auf den nunmehr Beschuldigten geworfen habe und sie mit ihm Kaffee trinken gehen gewollt habe usw. und er mit ihr auch immer geflirtet habe, wobei sexuell zwischen den beiden nichts gewesen sei (ON 12.6, 7). Die Zeugin G* H* berichtete unter anderem, D* habe immer gesagt, dass der Beschuldigte ein fescher Mann sei, sie habe auch Flirtspiele mit ihm gemacht, er habe dann immer gelacht und es nur ein bisschen erwidert. Sexuell hätten die beiden nichts gehabt (ON 12.5, 6). Auch der Beschuldigte spricht von dem „Flirt“ mit D* am Arbeitsplatz, es habe auch wechselseitig Streicheleinheiten, Küsse und Berührungen gegeben, es sei aber nie zum Geschlechtsverkehr gekommen (ON 22.3, 8). Sie hätten auch scherzhafte Codes gehabt, die nur sie verstanden hätten, etwa zum Hinunterrufen in die Küche, dass Wasser am Boden in der Küche sei (ON 22.3, 7). Am 13. Jänner 2025 habe im Zuge sexueller Handlungen schließlich die Arbeitskollegin der D* die Küche betreten, worauf sie voneinander abgelassen hätten und er den Kühlschrank aufgemacht habe, um einen Vorwand zu finden, wieso er in der Küche war (ON 22.3, 7). Zu den – wie auch in der Beschwerde moniert wird – nur auszugsweise und nicht vollständig vorgelegten Videoaufzeichnungen (ON 10), die im Wesentlichen nur einen angrenzenden Durchgangsbereich und nicht die Orte der geschlechtlichen Handlungen zeigen, ist festzuhalten, dass sich aus diesen Bildern der Beteiligten Anhaltspunkte für (davor erfolgte) Gewaltanwendungen durch den Beschuldigten (in der Küche oder im Kühlraum) in keiner Weise ergeben. Vielmehr hält D* in einem Fall dem Beschuldigten sogar die Tür auf (!). Auch die hinzugekommene Arbeitskollegin F* nahm beim Betreten der Küche keine Gewalthandlungen wahr (ON 12.10, S 5). In Bezug auf den „letzten Teil“ der sexuellen Handlungen in der Küche widersprechen sich die Angaben auch insofern, als es nach jenen des Beschuldigten davor eine mehrminütige Rauchpause von ihm oben gegeben haben soll, und nach jenen von D*, als sie beide aus dem Kühlhaus gegangen seien, sei sie sofort wieder zur Stiege, welche nach oben führe, ein paar Treppen hinaufgegangen, während der Beschuldigte bei der Küchenzugangstüre verblieben sei und weiter zu ihr gesprochen und gemeint habe, dass er nur mit ihr sprechen wolle. Daraufhin sei sie, weil sie gewollt habe, dass der Beschuldigte endlich gehen solle, nach ihren Angaben wieder die Stiege hinunter zu ihm gegangen sei (ON 2.5, S 7 f). Dazu ist festzuhalten, dass ein nochmaliges freiwilliges Hinuntergehen in die Küche nach davor erfolgten massiven Gewaltanwendungen zur Erreichung sexueller Handlungen wenig plausibel erscheint (mit Bezug auf ihre Aussage auch vor dem Hintergrund, dass „oben“ ein Arbeitskollege und eine Arbeitskollegin bereits im Lokal waren und sie hier vor einem weiteren – nach ihrer Darstellung in der Folge erfolgten – Übergriff geschützt gewesen wäre). Zu von Zeugen geschilderten Rötungen bzw. später „blaue Flecken“ (Hämatomen) am Hals der D* (siehe dazu S. 3 des angefochtenen Beschlusses) ist anzumerken, dass diese weder durch Lichtbilder noch durch eine ärztliche Untersuchung dokumentiert sind. Die Erklärung des Beschuldigten dazu, wonach er sie leidenschaftlich geküsst habe und ihr viele Küsse auf den Hals gegeben habe und es sein könne, dass sie dort einen „Knutschfleck“ bekommen habe (wobei er keine Verletzung und auch keinen „Knutschfleck“ gesehen habe; ON 22.3, 13), ist mangels Objektivierung nicht auszuschließen. In Ansehung der Darstellung der Zeugin I* H*, wonach ihr D* erzählt habe, dass sie den Beschuldigten auch „abgebusselt“ hätte, damit der Beschuldigte sie in Ruhe lässt, was über Nachfrage dahingehend konkretisiert wurde, dass sie ihn umarmt und geküsst habe, damit er sie raus lässt, ist anzumerken, das dies zur Abwehr einer Vergewaltigung zumindest eine nicht übliche Vorgehensweise darstellt. Bemerkenswert ist auch, dass die Entscheidung, sich an eine Opfereinrichtung zu wenden, nicht von D* ausging, sondern von ihrem Freund J* (siehe die insoweit übereinstimmenden Angaben der beiden). Zur Darstellung im angefochtenen Beschluss, wonach I* H*, die Schwester der D*, berichtet habe, dass der Beschuldigte in einem mit ihr geführten Gespräch über Vorhalt der Schilderungen ihrer Schwester unter Tränen deren Richtigkeit zugestanden habe, ist zum einen zu ergänzen, dass selbst nach den Schilderungen der Zeugin der Beschuldigte selbst vom Vorfall nichts erzählt habe (ON 12.6, 8 f), und zum anderen der Beschuldigte in Ansehung dieses Treffens (vor dem er seine damalige Arbeitsstelle verloren hat) Kommunikationsmissverständnisse in den Raum stellte, zumal er die beim Gespräch verwendete Sprache insgesamt nur drei Monate gelernt habe, und anführte, er glaube, die Zeugin habe ihn dazu bringen wollen, Dinge zu sagen, die nicht stattgefunden haben. Entschuldigt habe er sich, falls er der Familie Leid zugefügt habe (ON 22.3, 9). Nicht außer Acht zu lassen ist in diesem Zusammenhang, dass nach der Darstellung des Beschuldigten D* mit ihm von einer Arbeitskollegin bei sexuellen Handlungen an ihrem am Arbeitsplatz „erwischt“ wurde, was auch vor dem Hintergrund, dass das Lokal von ihrer Schwester geführt und auch ihre Kinder dort beschäftigt sind, und sie in einer Beziehung war, zu sehen ist.
Zusammengefasst ist bei einer vernetzten Gesamtbetrachtung der bisherigen Ermittlungsergebnisse von einem konkreten, allerdings nicht von einem dringenden Tatverdacht auszugehen.
Zufolge Fehlens des nach § 173 Abs 1 StPO erforderlichen dringenden Tatverdachts ist die Untersuchungshaft aufzuheben und die sofortige Enthaftung des Beschuldigten anzuordnen.
Der Ausschluss eines weiteren Rechtszugs ergibt sich aus § 89 Abs 6 StPO.