6Ra18/25a – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Fabsits als Vorsitzende, die Richterin Dr in . Meier, den Richter Mag. Schweiger sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch die Klein, Wuntschek Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei B* GmbH, **, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen EUR 10.265,48 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. November 2024, **-16, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätig t, dass es neu gefasst lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 7.265,48 brutto und den Betrag von EUR 3.000,00 netto, jeweils samt 13,08 % Zinsen seit 23. März 2024, zu bezahlen und die mit EUR 5.152,10 (darin enthalten EUR 726,40 an USt und EUR 792,00 an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.433,82 (darin enthalten EUR 238,97 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom 8. Februar 2023 bis zum 22. März 2024 als Lehrling für Kraftfahrzeugtechnik im Unternehmen der Beklagten beschäftigt. Das Lehrverhältnis wurde vom Kläger am 22. März 2024 vorzeitig aufgelöst.
Etwa drei Monate nach Beginn des Lehrverhältnisses begann der Vorgesetzte des Klägers, C*, den Kläger gegen seinen Willen wiederholt und regelmäßig als „Türke“, „Türkensau“ und „Scheiß-Türke“ anzusprechen. Er fragte den Kläger unter Anspielung auf dessen türkische Herkunft auch, ob er bzw seine Familie einen Döner- oder Handyladen betreiben würden. Andere Mitarbeiter der Beklagten, darunter Werkstättenleiter D*, sprachen den Kläger regelmäßig „zumindest“ mit „Türke“ an. Durch diese Äußerungen wurde für den Kläger im Betrieb der Beklagten ein beleidigendes Umfeld geschaffen. Sein Verhältnis zu C* und D* verschlechterte sich zunehmend. „ Etwa zwei Monate nachdem die diskriminierenden Vorfälle begannen, sprach der Kläger diese erstmals beim Geschäftsführer der Beklagten und Lehrbeauftragten im mechanischen Bereich, E*, an.“ Am Ende jedes Arbeitstags mussten sich die Lehrlinge bei E* verabschieden, „ wobei sich der Kläger im Rahmen dieser Verabschiedungen etwa ein bis zwei Mal pro Monat (während der Dauer des Lehrverhältnisses somit insgesamt rund 20 Mal) über die Aussagen bzw. Diskriminierungen, insbesondere durch C*, aber auch über das schwierige Verhältnis mit D*, beschwerte. Trotz Kenntnis über die diskriminierenden Äußerungen gegenüber dem Kläger unternahm E* nichts, um diesbezüglich Abhilfe zu schaffen.“ S echs bis sieben Monate nach Beginn des Lehrverhältnisses warf C* dem Kläger einen schmutzigen Lappen ins Gesicht und forderte ihn auf, nach Hause zu gehen. Er hatte sich vom Kläger provoziert gefühlt, weil der Kläger bei der Arbeit gelacht und scherzhaft einen unkonstruktiven Vorschlag gemacht hatte. Anlässlich dieses Vorfalls suchte der Kläger „ erneut“ Geschäftsführer E* auf; er gab an, dass er von C* andauernd diskriminiert und schlecht behandelt werde und dass er sich weigere, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten. Geschäftsführer E* verwarnte C* und wies dem Kläger einen neuen Vorgesetzten zu, mit dem der Kläger in der Folge keine Probleme hatte. Dennoch verbesserte sich die Situation des Klägers im Betrieb der Beklagten nicht, zumal er aufgrund der räumlichen Verhältnisse weiterhin in unmittelbarer Nähe von C*, der an der Nebenbühne beschäftigt war, arbeiten musste. Die diskriminierenden Äußerungen dauerten bis zum Austritt des Klägers aus dem Lehrverhältnis an.
Werkstättenleiter D* war mit der Arbeitsleistung und der Einstellung des Klägers nicht zufrieden. Als sich das Verhältnis zwischen ihm und dem Kläger weiter verschlechterte, teilte er Geschäftsführer E* mit, dass er mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten könne; er solle etwas „dagegen unternehmen“. Am 22. März 2024 war es bereits zu „kleineren Spannungen“ zwischen Werkstättenleiter D* und dem Kläger gekommen. Als der Kläger in das Büro des Geschäftsführers „zitiert“ wurde, rief ihn Werkstättenleiter D* mit „Herkommen!“ zu sich. Der herablassende Tonfall des Zurufs löste beim Kläger eine Trotzreaktion aus. Er leistete der Aufforderung keine Folge, weil er das Gefühl hatte, „wie ein Hund“ behandelt zu werden. Nach einem weiteren Zuruf und der Mitteilung, dass er zu Geschäftsführer E* ins Büro kommen solle, suchte der Kläger das Büro des Geschäftsführers auf. Dort legte ihm Geschäftsführer E* ein Formular über die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses vor. Er sagte dem Kläger, dass kein Entlassungsgrund vorliege, dass er aber selbst den Austritt aus dem Lehrverhältnis erklären und „nach Hause gehen“ könne. Das bereits teilweise ausgefüllte Formular war händisch datiert, das Kästchen „Auflösung durch den Lehrling“ war angekreuzt. Der Kläger fühlte sich zum Austritt aufgefordert und war aus diesem Grund und wegen seiner Situation im Betrieb der Beklagten, insbesondere der anhaltenden Diskriminierungen und des schwierigen Verhältnisses zu Werkstättenleiter D*, überfordert und wütend. Er unterfertigte das Formular und schrieb in die Rubrik „Begründung“: „Behandlung in der Werkstatt von Werkstattleiter und weitere Mitarbeiter“.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger zu C* oder anderen Mitarbeitern sagte, dass er nicht „so“ genannt werden wolle; es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger während des Lehrverhältnisses ein Gespräch mit einem Lehrlingscoach führte.
Mit Klage vom 23. Mai 2024 begehrte der Kläger , die Beklagte zur Zahlung von EUR 10.265,48 samt 13,08 % Zinsen ab 23. März 2024 zu verpflichten. Zur Begründung führte er darin und im Folgenden aus, dass er das Lehrverhältnis durch berechtigten vorzeitigen Austritt beendet habe, weil er von mehreren Mitarbeitern erheblich diskriminiert worden sei. Der Geschäftsführer der Beklagten habe die Diskriminierungen trotz Hinweis auf das Verhalten dieser Mitarbeiter und mehrfacher Bitten um Hilfe nicht unterbunden und dadurch massiv gegen die besonders gegenüber Lehrlingen geltende Fürsorgepflicht verstoßen. Die Diskriminierungen hätten bereits drei Monate nach Beginn des Lehrverhältnisses begonnen. Er sei von seinem unmittelbaren Vorgesetzten C* und dem Werkstättenleiter D* ständig beleidigt und nicht beim Namen, sondern nur mit „Türke“ oder auch „Scheiß-Türke“ angesprochen worden. Einmal habe ihm C* einen öligen Fetzen ins Gesicht geworfen und zu ihm gesagt, dass er nach Hause gehen solle. Als er dem Geschäftsführer E* davon Mitteilung gemacht habe, habe er einen anderen Vorgesetzten „bekommen“, der ihn nicht diskriminiert und ausländerfeindlich behandelt habe. Dennoch habe die Ausländerfeindlichkeit immer mehr zugenommen. C* und D* hätten ihn nur mehr als „Türkensau“, „Türkenschädel“, „Scheiß-Ausländer“ oder „Kanake“ angesprochen und zu ihm gesagt, dass seine Familie sicher eine „Dönerbude“ habe, wobei dies nicht als Spaß gemeint gewesen sei. Wenn ein ausländischer Kunde gekommen sei, hätten sie zu ihm gesagt: „Schau, hier ist dein Vater, Onkel … gerade gekommen.“ Während „die anderen“ in der Werkstätte gearbeitet hätten, habe er die Außenreinigung des Gebäudes durchführen müssen. Ein anderer Lehrling im Betrieb, ein Österreicher, sei vollkommen anders behandelt worden. Obwohl Geschäftsführer E* die Diskriminierungen auch selbst wahrgenommen habe, habe er sich für seine Anliegen und seine Behandlung durch die Vorgesetzten nicht interessiert. Da er nicht länger derart behandelt werden wollte, sei er am 22. März 2024 berechtigt vorzeitig aus dem Lehrverhältnis ausgetreten. Aufgrund dessen habe er Anspruch auf Schadenersatz. Gemäß § 1162b ABGB sei er so zu stellen, wie es bis zum geplanten Ende des Lehrverhältnisses der Fall gewesen wäre. Für die ersten drei Monate ab der berechtigten vorzeitigen Auflösung, somit für den Zeitraum 23. März bis 22. Juni 2024, stehe ihm daher ein Betrag von EUR 7.265,48 brutto (Lehrlingseinkommen, aliquote Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung) zu. Weil es die Beklagten unterlassen habe, ihn vor den verbalen Angriffen zu schützen und das Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter abzustellen, habe er zudem gemäß § 26 Abs 11 GlBG einen Anspruch auf Schadenersatz wegen Belästigung nach § 21 GlBG in Höhe von EUR 3.000,00 netto.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Der Kläger sei von ihren Mitarbeitern nicht diskriminiert worden und habe ihren Geschäftsführer niemals um Abhilfe gegen Diskriminierungen ersucht; sie habe erst durch dieses Verfahren von den angeblichen diskriminierenden Äußerungen Kenntnis erlangt. In ihrem Betrieb herrsche jedoch - wie auch in vielen anderen Handwerksbetrieben oder Werkstätten - ein rauer Umgangston. Ihr Geschäftsführer habe auf Vorfälle, welche allenfalls einen vorzeitigen Austritt gerechtfertigt hätten, sofort reagiert und etwa den Vorgesetzten des Klägers ausgewechselt. Zu anderen Vorfällen sei es nicht gekommen. Der Kläger habe offenbar beabsichtigt, das Dienstverhältnis zu beenden und dazu „Schutzbehauptungen bzw. mutmaßliche Konstruierungen“ aufgestellt. Er habe alles erhalten, was ihm zustehe und keinen Anspruch auf Schadenersatz nach § 1162b ABGB oder dem GlBG. Der geltend gemacht Schadenersatz nach GlBG sei völlig überhöht. Im Übrigen habe der Kläger offensichtlich die „Grundsätze eines Lehrverhältnisses“ missverstanden; Lehrjahre seien keine Herrenjahre. Er sei immer wieder „angeeckt“ und habe wegen seines unleidlichen Verhaltens mehrfach verwarnt werden müssen.
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtet das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 10.265,48 samt Zinsen sowie zum Ersatz der Prozesskosten. Vom festgestellten Sachverhalt ausgehend führt es unter Bezugnahme auf die §§ 17, 21 GlBG aus, dass der Kläger über mehrere Monate hinweg regelmäßig von Mitarbeitern der Beklagten, also durch Dritte, wegen seiner türkischen Herkunft herabsetzend und beleidigend als „Türke“, „Scheiß- Türke“ usw bezeichnet worden sei. Dies sei ein mit seiner „türkischen Zugehörigkeit“ in Zusammenhang stehendes unerwünschtes und unangebrachtes Verhalten, das die persönliche Würde des Klägers objektiv verletzt habe. Obwohl sich der Kläger rund 20 mal an den Geschäftsführer der Beklagten gewandt habe, habe es dieser zumindest fahrlässig unterlassen, ihn zu unterstützen und angemessene Abhilfe zu schaffen. Die erst nach geraumer Zeit anlässlich des Vorfalls mit dem Lappen erfolgte Auswechslung des Vorgesetzten sei nicht ausreichend gewesen. Der Kläger habe aufgrund der räumlichen Verhältnisse weiterhin in unmittelbarer Nähe seines vormaligen Vorgesetzten arbeiten müssen und sei auch weiterhin bis zum Austritt aus dem Lehrverhältnis diskriminierenden Äußerungen ausgesetzt gewesen. Im konkreten Fall wären andere Abhilfemaßnahmen wie Gruppengespräche, Verwarnungen, eine räumliche Trennung usw erforderlich und auch möglich gewesen. Wegen der über mehrere Monate hinweg fortgesetzten Mehrfachdiskriminierung und aufgrund des Umstands, dass die Erheblichkeitsschwelle für die Beurteilung des Verhaltens der Mitarbeiter des Beklagten als Belästigung im Sinn des § 21 GlBG deutlich und wiederholt überschritten worden sei, sei dem Kläger ein höherer als der in § 26 Abs 11 GlBG normierte Mindestbetrag, nämlich der begehrte Schadenersatzbetrag von EUR 3.000,00 zuzusprechen gewesen. Es stelle eine gröbliche Verletzung der bei jugendlichen Lehrlingen erhöhten Fürsorgepflicht und somit einen Austrittsgrund im Sinne des § 15 Abs 4 lit b BAG dar, dass es die Beklagte unterlassen habe, die fortgesetzte Diskriminierung des Klägers im Betrieb durch andere Arbeitnehmer zu unterbinden. Der Kläger sei jedenfalls berechtigt gewesen, vorzeitig aus dem Lehrverhältnis auszutreten. Nach der auch hier heranzuziehenden Bestimmung des § 1162b ABGB könne er die vertragsgemäßen Ansprüche auf das Entgelt sowohl für die restliche Lehrzeit als auch für die daran anschließende Behaltezeit einfordern. Übersteige aber der „Kündigungsentschädigungszeitraum“ drei Monate, komme die gesetzliche Anrechnungsverpflichtung nach § 1162b letzter Satz ABGB zum Tragen. Der Lauf der anrechnungsfreien Dreimonatsfrist habe mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses begonnen. Aufgrund des wegen der schuldhaften gröblichen Fürsorgepflichtverletzung der Beklagten berechtigten vorzeitigen Austritts aus dem Lehrverhältnis bestehe auch der geltend gemachte Schadenersatzanspruch gemäß § 1162b ABGB (Kündigungsentschädigung) in der außer Streit gestellten Höhe zu Recht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Gründen der „unrichtigen bzw mangelhaften Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger bzw mangelhafter Beweiswürdigung“ und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem die Klagsabweisung anstrebenden Abänderungsantrag; hilfsweise begehrt sie die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Arbeitsrechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO ohne vorhergehende Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden war, ist berechtigt .
A) Zur Beweisrüge:
1.1 Die Beklagte bekämpft die im eingangs wiedergegebenen Sachverhalt kursiv gesetzten Feststellungen und begehrt deren Streichung bzw Entfall; ergänzend wäre festzustellen, dass der Kläger „lediglich einmal iZm dem "Ölfetzen" vorstellig wurde“, „nach diesem Vorfall keine wie immer gearteten Beschwerden der beklagten Partei zugekommen sind“ und „der Kläger das Lehrverhältnis aus eigenem zur Auflösung brachte“ . Der Aussage des Klägers, aus der sich etwa 20 Beschwerden „hochrechnen“ ließen, stehe die Aussage ihres Geschäftsführers entgegen, der angegeben habe, dass sich der Kläger bei ihm nie über Diskriminierungen beklagt habe und nur einmal, wegen des „Ölfetzens“, zu ihm gekommen sei. Dass es sich bei der Aussage des Klägers um eine „Schutzbehauptung“ handle, ergebe sich daraus, dass er an anderer Stelle trotz Wahrheitserinnerung nachweislich falsch ausgesagt habe, um „seine Position ins rechte Licht zu rücken“. So habe er angegeben, dass niemand etwas von seinem Konflikt mit dem Zeugen F* mitbekommen habe und dass er diesbezüglich nicht verwarnt worden sei. Tatsächlich habe Geschäftsführer E* ausgesagt, dass ihm davon berichtet worden sei und dass er den Kläger deswegen mündlich verwarnt habe. Der Zeuge F* habe dies bestätigt. Dennoch habe das Erstgericht ausgeführt, dass es den Angaben des Klägers folge, weil er einen glaubwürdigen Eindruck erweckt habe. Die Beweiswürdigung des Erstgerichts sei auch deswegen bedenklich, weil sich aus dem Vorfall mit dem Zeugen F* ableiten lasse, dass Geschäftsführer E* „im Zusammenhang mit gewissen Vorfällen“ sofort reagiere. Auch bei der „Geschichte mit dem Ölfetzen“ habe er sofort Abhilfe geschaffen. Es sei daher „merkwürdig“, dass das Erstgericht dem Kläger geglaubt habe, dass er sich 20 mal beim Geschäftsführer E* beschwert habe. Die Aussage des Klägers sei vielmehr - mit Ausnahme der Angaben zu den Diskriminierungen - als unglaubwürdig zu bewerten, sodass den glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben ihres Geschäftsführers zu folgen gewesen wäre. Eine „vernetzte Betrachtung der Umstände“ ergebe, dass der Kläger das Lehrverhältnis „aus eigenem“ aufgelöst habe. Der Entfall der bekämpften Feststellungen und die begehrten Ersatzfeststellungen hätten eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhalts zur Folge: Das Klagebegehren wäre abzuweisen, weil sie alles Zumutbare unternommen habe, um allfällige Diskriminierungen/Benachteiligungen des Klägers hintanzuhalten und die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht nicht verletzt worden sei.
1.2 Der Kläger entgegnete, dass die Beklagte nur die für den eigenen Rechtsstandpunkt wichtigen Beweisergebnisse anführe und unzulässigerweise den bloßen Entfall von Feststellungen begehre.
2.1 Nach ständiger Rechtsprechung muss der Berufungswerber, um die Beweisrüge gesetzmäßig auszuführen, angeben, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (RS0041835; 6 Ob 177/21d; Pimmer in Fasching/Konecny 3 § 467 ZPO Rz 40 mwN; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 471 Rz 15). Dabei reicht der Verweis auf einzelne für den Berufungswerber günstige Beweisergebnisse nicht aus; erforderlich ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit sämtlichen Beweisergebnissen. Dabei ist darzustellen, warum das Erstgericht bei richtiger Beweiswürdigung gerade die begehrte Feststellung (und nicht etwa aufgrund anderer vorliegender Beweismittel andere Feststellungen) hätte treffen müssen ( Kodek , Praxistipps zum Berufungsverfahren, Zak 2016, 384). Die gesetzmäßige Ausführung der Beweisrüge verlangt zudem, dass die angestrebte Ersatzfeststellung im Widerspruch zur bekämpften Feststellung steht (RS0041835, RS0043150 [T 9]). Es genügt auch nicht die "ersatzlose" Streichung einer Feststellung anzustreben (RS0041835 [T3]). Bei der Beurteilung, ob die Beweisrüge gesetzmäßig ausgeführt ist, ist kein allzu kleinlicher Maßstab anzulegen (RS0041835 [T 9]).
2.2 Zu Recht weist der Kläger also darauf hin, dass es nicht genügt, bloß die „ersatzlose“ Streichung einer Feststellung anzustreben. Da aber das Erstgericht durch die bekämpften Feststellungen im Wesentlichen konstatiert, dass sich der Kläger während des Lehrverhältnisses rund 20 mal beim Geschäftsführer E* über die diskriminierenden Äußerungen C* und anderer Mitarbeiter sowie über das schwierige Verhältnis zu D* beschwerte und die Beklagte stattdessen festgestellt haben will, dass der Kläger nur ein einziges Mal, und zwar wegen des Vorfalls mit dem ölgetränkten Lappen, bei ihrem Geschäftsführer vorstellig wurde und sich beschwerte, wird nicht nur der bloße Entfall von Feststellungen begehrt, sondern es sollen tatsächlich Ersatzfeststellungen getroffen werden; die (teilweise) unrichtige Bezeichnung als ergänzende Feststellungen ist unschädlich.
Somit ist die Beweiswürdigung des Erstgerichts einer Prüfung zu unterziehen.
2.3 Es gehört zum Wesen der freien Beweiswürdigung, dass der Richter sich begründet für eine von mehreren widersprechenden Darstellungen aufgrund seiner Überzeugung entscheidet, dass dieser mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen kann (RS0043175; Rechberger in Fasching/Konecny³ III/1 § 272 ZPO Rz 11). Dementsprechend hat das Berufungsgericht die Beweiswürdigung daraufhin zu untersuchen, ob die Grenzen der freien Beweiswürdigung eingehalten und die Beweisergebnisse schlüssig gewürdigt wurden ( A. Kodek aaO § 482 Rz 6). Die Beweisrüge kann daher nur erfolgreich sein, wenn sie gegen die Richtigkeit der vom Erstgericht vorgenommenen Beweiswürdigung stichhaltige Bedenken ins Treffen führen kann, die erhebliche Zweifel an dieser Beweiswürdigung rechtfertigen. Maßgeblich ist, ob für die richterliche Einschätzung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ausreichende Gründe vorhanden sind ( Klauser/Kodek , JN-ZPO 18 § 467 ZPO E 39/1).6 Ra 12/25v
2.4 Die Beklagte erkennt selbst, dass der Hinweis auf die Aussage ihres Geschäftsführers allein nicht genügt, um die von ihr begehrten Feststellungen zu treffen. Zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Klägers verweist sie darauf, dass dieser über den Vorfall mit dem Zeugen F* unrichtige Angaben gemacht und Geschäftsführer E* sowohl auf diesen Vorfall als auch auf die „Geschichte mit dem Ölfetzen“ sofort reagiert habe.
2.5 Das Erstgericht hat sich in seiner ausführlichen Beweiswürdigung aber nicht nur auf den persönlichen Eindruck gestützt, den es vom Kläger bei der Einvernahme gewonnen hat, und der sich als solcher einer Überprüfung durch das Berufungsgericht entzieht; es hat die Angaben des Klägers über die diskriminierenden Äußerungen durch die Aussagen der Zeugen F*, G*, C*, H* und I* bestätigt gefunden und daraus den Schluss gezogen, dass „sich die Geschehnisse so zugetragen haben, wie sie der Kläger schildert“ (Urteil Seiten 6 f). Zu Geschäftsführer E* hat es festgehalten, dass dieser den Eindruck vermittelt habe, fortwährend versucht zu haben, „die Geschehnisse - zur Wahrung des Friedens im Betrieb und um seine langjährigen Mitarbeiter nicht zu vergraulen - zu marginalisieren, dies in der Hoffnung, dass sich die Probleme von alleine lösen würden“ (Urteil Seite 8), und weiters angemerkt, dass es „äußerst lebensfremd“ wäre, der Behauptung von Geschäftsführer E*, dessen Büro nur durch einen Zwischenraum von der Werkstätte getrennt sei, zu folgen, dass jener während eines Jahres niemals derartige Äußerungen wahrgenommen habe, obwohl er nach eigenen Angaben den rauen Umgangston mitbekomme, wenn er „durchgehe oder […] irgendwo stehe“. Erkennbar sieht es die Glaubwürdigkeit des Geschäftsführers auch dadurch beeinträchtigt, dass niemand außer ihm ein Gespräch des Klägers mit einem Lehrlingscoach bestätigen konnte.
Die Annahme des Erstgerichts, dass Geschäftsführer E* die für seinen Betrieb wichtigen Mitarbeiter C* und D* nicht wegen eines Lehrlings durch Disziplinarmaßnahmen verärgern wollte, ist nachvollziehbar. Es ist daher als sehr wahrscheinlich anzusehen, dass Eingriffe durch den Geschäftsführer nur dann erfolgten, wenn sie eine Intensität erreichten, die über einen „rauen Umgangston“ hinausging, wie etwa bei dem tätlichen Angriff des Klägers auf den Zeugen F* (Protokoll der Tagsatzung vom 21. November 2024, ON 13, Seite 30) und dem Übergriff von C* gegenüber dem Kläger (Wurf mit dem schmutzigen Lappen); im ersteren Fall kommt hinzu, dass es sich um eine Auseinandersetzung zweier Lehrlinge handelte, sodass Geschäftsführer E* keine Rücksicht auf die Interessen „systemrelevanter“ Dienstnehmer nehmen musste. Somit ist aus den unverzüglichen Reaktionen des Geschäftsführers auf diese beide Vorfälle keinesfalls zwingend abzuleiten, dass er bei Mitteilungen von verbalen Angriffen auf den Kläger durch den Werkstättenleiter und andere Dienstnehmer ebenfalls sogleich eingegriffen hätte. Dass er auf solche Mitteilungen des Klägers nicht reagierte, ist auch deswegen als sehr wahrscheinlich anzusehen, weil ihm diese Äußerungen („Türke“, „Türkensau“ usw) wohl schon aufgrund seiner Einbindung in den Betrieb zu Ohren gekommen, aber folgenlos geblieben waren.
Im Übrigen hat der Geschäftsführer der Beklagten angegeben, dass der „für sein Alter schon sehr weit fortgeschrittene“ Kläger „selbstbewusster war als die anderen Lehrlinge“, weil er zu ihm gekommen sei und angegeben habe, „dass er mit Herrn D* nicht kann“ (ON 13, Seiten 14 f). Es liegt daher nahe, dass der selbstbewusste und reife Kläger, der den Mut hatte, sich als Lehrling beim Geschäftsführer über den Werkstättenleiter zu beklagen, den Kontakt zu Geschäftsführer E* bei der täglichen Verabschiedung dazu nutzte, gelegentlich (nach den Feststellungen etwa ab dem sechsten Monat des 13 Monate andauernden Lehrverhältnisses ein- bis zweimal monatlich, also insgesamt acht bis 16 mal) seine Beschwerden über die ihm gegenüber getätigten ehrverletzenden Äußerungen anzubringen.
2.6 Somit vermag die Beweisrüge der Beklagten keine erheblichen Zweifel an der schlüssigen Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erwecken.
2.7 Ob es der „echten“ ergänzenden Feststellung bedarf, dass der Kläger das Arbeitsverhältnis „aus eigenem“ - gemeint wohl: aus freien Stücken, ohne Veranlassung durch die Beklagte – aufgelöst hat, ist hier nicht zu prüfen, da rechtliche Feststellungsmängel im Sinne des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO mit der Rechtsrüge geltend zu machen sind ( A. Kodek aaO § 496 Rz 10 mN).
3. Das Berufungsgericht übernimmt daher die angefochtenen Feststellungen und legt den vom Erstgericht erarbeiteten Sachverhalt insgesamt seiner Entscheidung zugrunde (§ 498 Abs 1 ZPO).
B) Zur Rechtsrüge:
1.1 Hier führt die Beklagte ins Treffen, dass der Kläger die Auflösung des Lehrverhältnisses im Formular Beilage ./1 mit „Behandlung in der Werkstatt von Werkstattleiter und weitere Mitarbeiter“, jedoch nicht damit begründet habe, dass sie keine Abhilfe gegen Diskriminierungen geschaffen habe. Daraus und aus der Aussage des Klägers, dass er das Dienstverhältnis eigentlich nicht hätte auflösen wollen, ergebe sich, dass die „diesbezüglichen Feststellungen/Ausführungen“ nicht mit seinem Vorbringen in Einklang stünden. Der Kläger habe auch nicht vorgebracht, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, die unterlassene Abhilfe durch die Beklagte als Begründung anzuführen. Somit habe er das Lehrverhältnis „aus eigenem“ zur Auflösung gebracht und keinen Anspruch auf „endigungsabhängige“ Ansprüche und Schadenersatz nach dem GlBG. Unter Berücksichtigung der Beilage ./1 treffe sie kein Verschulden an der vorzeitigen Auflösung, sodass die Klage abzuweisen gewesen wäre.
1.2 Der Kläger erwiderte, dass der Zuspruch nach dem GlBG der Höhe und dem Grunde nach berechtigt sei, da Vorgesetzte und andere Mitarbeiter der Beklagten über mehrere Monate hinweg ihm gegenüber auf seine türkische Herkunft Bezug nehmende herabsetzende und beleidigende Äußerung getätigt hätten. Zumal er berechtigt vorzeitig aus dem Lehr- verhältnis ausgetreten sei, könne auch an seinem Schadenersatzanspruch nach §1162b ABGB kein Zweifel bestehen.
2.1 Bei der Rechtsrüge ist vom festgestellten Sachverhalt auszugehen, weshalb der Rechtsmittelwerber bestimmt begründen muss, warum der festgestellte Sachverhalt unrichtig rechtlich beurteilt wurde oder dass infolge eines Rechtsirrtums eine entscheidungswesentliche Tatsache nicht festgestellt wurde, also ein sekundärer Feststellungsmangel vorliegt, der gegeben ist, wenn das Erstgericht infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht getroffen und notwendige Beweise nicht aufgenommen hat ( Klauser/Kodek , ZPO 18 § 497 E 47; RS0053317). Der Rechtsmittelwerber muss ausgehend vom festgestellten Sachverhalt aufzeigen, dass dem Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist (EFSlg 64.142; SSV.NF 7/15; ARD 4790/15). Wird die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, was insbesondere auch dann zutrifft, wenn der Rechtsmittelwerber nicht von den getroffenen Feststellungen ausgeht, dann liegt in Wahrheit keine Rechtsrüge vor, sodass die rechtliche Beurteilung des Ersturteils nicht überprüft werden darf ( A. Kodek aaO Rz 16 mN).
2.2 Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichts wurde der Kläger über die Dauer von etwa zehn Monaten von Vorgesetzten und anderen Mitarbeitern der Beklagten unter Anspielung auf seine türkische Herkunft wiederholt und gegen seinen Willen als „Türke“, teils auch als „Türkensau“, „Scheiß-Türke“ und „Kanake“ bezeichnet; obwohl er dem Geschäftsführer der Beklagten etwa 20 mal davon berichtete, hat dieser nichts unternommen, um dagegen Abhilfe zu schaffen, sodass die diskriminierenden Äußerungen bis zum Austritt des Klägers aus dem Lehrverhältnis andauerten. Auf Grundlage dieses Sachverhalts hat das Erstgericht die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses durch den Kläger gemäß § 15 Abs 4 lit b BAG wegen gröblicher Vernachlässigung der in der Rechtsprechung anerkannten besondere Schutzbedürftigkeit jugendlicher Lehrlinge durch die Beklagte als Lehrberechtigte (RS0113529) als berechtigten vorzeitigen Austritt beurteilt und eine Belästigung des Klägers im Sinne des § 21 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 GlBG bejaht, weil es die Beklagte schuldhaft unterlassen habe, gegen dessen Belästigung durch Dritte (ihre Dienstnehmer) angemessene Abhilfe zu schaffen; davon ausgehend hat es die Beklagte zu Schadenersatzzahlungen an den Kläger nach § 1162b ABGB (Kündigungsentschädigung für drei Monate) und nach § 26 Abs 11 GlBG (Ausgleich der persönlichen Beeinträchtigung) verpflichtet.
2.3 Da die Beklagte ihren Ausführungen nicht den festgestellten Sachverhalt zugrundelegt, sondern diesen in Frage stellt - zwischen dem Vorbringen des Klägers und den Beweisergebnissen bestünden Diskrepanzen; das Erstgericht habe auf der Tatsachenebene geirrt, weil der Kläger das Lehrverhältnis „aus eigenem“ aufgelöst habe - darf die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts nicht überprüft werden.
2.4 Damit versagt die - nicht gesetzmäßig ausgeführte – Rechtsrüge.
2.5 Das angefochtene Urteil ist daher mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die dem Kläger zuerkannten Brutto- und Nettobeträge im Spruch gesondert angeführt werden, zumal die Beklagte als Arbeitgeberin für die Steuern und Sozialversicherungsabgaben eine gesetzliche Abzugspflicht trifft (§ 82 EStG; § 58 Abs 2 ASVG), die sich bei Zahlung oder exekutiver Hereinbringung der Nettoentgelte aktualisiert (RS0000636 [T22]).
C) Kosten/Zulässigkeit der Revision:
1. Die auch im Rechtsmittelverfahren zur Gänze unterlegene Beklagte hat dem Kläger die Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen (§§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG). Der Kläger hat entgegen § 23 Abs 9 RATG (rechnerisch) einen Einheitssatz von 180 % geltend gemacht, sodass das Kostenverzeichnis in diesem Punkt zu kürzen und ihm insgesamt (nur) ein Betrag von EUR 1.433,82 (darin EUR 238,97 USt) zuzusprechen war.
2. Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig, da keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzestelle zu lösen waren.