3R90/25t – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht durch den Richter Mag. Tanczos (Vorsitz) und die Richterinnen Dr. in Steindl-Neumayr und Mag. a Binder in der Rechtssache der klagenden Partei A*, geboren am **, Angestellte, **, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte GmbH Co KG in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei B* , geboren am **, Pädagogin, **, vertreten durch Dr. Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen EUR 3.800,-- s.A. und Feststellung (EUR 5.000,--), über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 8.500,--) gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. April 2025, **-30, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.458,67 (darin enthalten EUR 243,11 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 5.000,--, nicht aber EUR 30.000,--.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Text
Am 14. November 2023 ereignete sich in ** auf der ** Straße (Höhe **) ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin des PKW der Marke Ford Focus Diesel (DYB) Easy 1,6 TDCi, mit dem amtlichen Kennzeichen ** und die Beklagte als Lenkerin des PKW der Marke PKW Audi A1 Sportback mit dem amtlichen Kennzeichen ** beteiligt waren. Das Alleinverschulden am gegenständlichen Auffahrunfall trifft die Beklagte.
Nachdem die Klägerin ihren Pkw zum Stillstand gebracht hatte, fuhr das Beklagtenfahrzeug von hinten auf und stieß das Klagsfahrzeug in das vor diesem stehende Fahrzeug. Der Pkw der Klägerin wurde bei der Serienkollision an der Fahrzeugfront und am Heck beschädigt. Die Geschwindigkeitsänderung „Delta v“ des Klagsfahrzeugs betrug durch die Heckkollision des Audi 11,4 bis 13,7 km/h, wodurch das Klagsfahrzeug nach vorne beschleunigt und mit etwa 4 bis 6 km/h nach 1,2 bis 1,5 Metern gegen den VW Sharan gestoßen wurde.
Die Klägerin erlitt unfallbedingt eine Zerrung an der Halswirbelsäule. Bis zum Unfall hatte sie keine Probleme mit der Halswirbelsäule. Bei der Untersuchung nach dem Unfall bestanden keine Kopfschmerzen, keine Übelkeit und kein Erbrechen. Die Muskulatur rechtsseitig der Wirbelsäule war verspannt. Die gesamte Wirbelsäule war weder klopf- noch druckschmerzhaft. Es bestanden weder Gefühlsstörungen noch Lähmungszeichen.
Aufgrund der Zerrung der Halswirbelsäule nahm die Klägerin über 3 Wochen Schmerzmittel ein und sie absolvierte über mehrere Wochen eine Physiotherapie. Über einen Zeitraum von ca. 6 bis 8 Wochen litt die Klägerin unter anfangs mittelstarken und in weiterer Folge stundenweise leichten Schmerzen in abklingendem Ausmaß. Die darüber hinausgehenden Schmerzen sind aus unfallchirurgischer Sicht nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als unfallkausal anzusehen. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin unfallkausal eine psychische oder neurologische Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten hat.
Die Klägerin erlitt komprimiert auf den 24h-Tag 1 Tag mittelstarke Schmerzen und 7 Tage leichte Schmerzen. Aus unfallchirurgischer Sicht ist davon auszugehen, dass darüber hinausgehende Schmerzen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne das Unfallereignis aufgetreten wären.
Etwaige derzeit bei der Klägerin bestehende Beschwerden sind unspezifisch und aus unfallchirurgischer Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Eine Unfallkausalität der nunmehr immer wieder auftretenden Kopfschmerzen der Klägerin, die in erster Linie Migräneattacken entsprechen, ist aus unfallchirurgischer Sicht ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Relevante zukünftige unfallkausale Schmerzen sind aufgrund des erhobenen klinischen Befundes und der vorliegenden radiologischen Untersuchungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten. Derzeit bestehen keine unfallkausalen Funktionseinschränkungen.
Nach außergerichtlicher Zahlung von EUR 6.578,52 (für Reparaturkosten [EUR 5.053,32], Abschleppkosten [EUR 250,--], Generalunkosten [EUR 75,--] und Schmerzengeld [EUR 1.200,--] zuzüglich 4% Zinsen ab Klagseinbringung am 6. Februar 2024; vgl ON 23, AS 2 und ON 24, AS 2) begehrt die Klägerin von der Beklagten ein restliches Schmerzengeld von EUR 3.800,-- s.A. sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden und Nachteile aus dem Verkehrsunfall vom 14. November 2023. Die Klägerin bringt vor, dass sie durch den Unfall die in der Klage dargestellten Verletzungen erlitten habe, wobei ein Teil der unfallkausalen Beschwerden (Kopfschmerzen, Taubheitsgefühle in den Fingern, Schulter- und Ellbogenschmerzen) nach wie vor bestehe und angesichts der noch nicht bekannten Schäden und Dauerfolgen auch ein Feststellungsbegehren rechtfertige.
Die Beklagte bestreitet dies und wendet ein, dass sich weder aus den Behandlungsunterlagen noch aus den Sachverständigengutachten Hinweise ergeben würden, dass allfällige neurologische oder psychische Beschwerden auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Es bestehe kein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung für künftige Schäden.
Mit dem angefochtenen Urteil stellte das Erstgericht die Klagsforderung als mit restlich EUR 300,-- (1.) und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest (2.). Es erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin EUR 300,-- samt 4% Zinsen seit 6. Februar 2024 zu bezahlen (3.). Das Mehrbegehren auf Zahlung von EUR 3.500,-- s.A. sowie das Feststellungsbegehren wurden abgewiesen (4.).
Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus legte das Erstgericht seiner Entscheidung die auf den Seiten 3 bis 6 des Urteils ersichtlichen Tatsachenfeststellungen zugrunde, auf die das Berufungsgericht verweist (§ 500a Satz 1 ZPO).
In rechtlicher Hinsicht erwog das Erstgericht, dass für die von der Klägerin erlittenen unfallkausalen Verletzungen bei einer Globalbemessung ein Schmerzengeld von EUR 1.500,-- angemessen sei, sodass sich unter Berücksichtigung der außergerichtlichen Schmerzengeldteilzahlung von EUR 1.200,-- ein Zuspruch von EUR 300,-- ergebe, zumal die Gegenforderung aufgrund des Alleinverschuldens der Beklagten nicht zu Recht bestehe. Das Feststellungsbegehren sei mangels unfallkausaler Spät- und Dauerfolgen unberechtigt.
Gegen den klagsabweisenden Teil dieses Urteils richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, das Urteil im bekämpften Umfang aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung nach Einholung eines neurologischen und psychiatrischen Sachverständigengutachtens aufzutragen (ON 31).
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben (ON 33).
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden konnte, ist nicht berechtigt.
1. Die Berufungswerberin rügt die Nichteinholung der zum Beweis der Unfallkausalität der von der Klägerin beschriebenen, nach wie vor bestehenden Beschwerden (Kopfschmerzen, Fingertaubheitsgefühl, Schulter- und Ellbogenschmerzen) beantragten neurologischen und psychiatrischen Sachverständigengutachten als Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Hätte das Gericht die beantragten Sachverständigen bestellt, hätte sich nach ihrem Standpunkt ergeben, dass die genannten Beschwerden psychischer Natur unfallkausal seien und noch nicht abschließend beurteilt werden könnten.
2. Die Erstrichterin erwog in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin keinen besonders glaubhaften Eindruck hinterlassen habe, die von ihr beschriebenen Gefühlsstörungen in den Fingern in der Krankengeschichte direkt nach dem Unfall nicht ersichtlich seien und von der Klägerin im Übrigen nicht einheitlich geschildert worden seien, weshalb Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Angaben bestünden. Betreffend die Kopfschmerzen, die nur in den ersten 14 Tagen nach dem Unfall, nicht aber darüber hinaus gegenüber dem Hausarzt und dem Sachverständigen (im Strafverfahren) Dr. C* erwähnt worden seien, was zu erwarten gewesen wäre, hätten sie noch bestanden, ging das Erstgericht davon aus, dass sich diese Problematik erst nach April 2024 eingestellt habe und in keinem Zusammenhang mit dem Unfall stehe. Die von der Klägerin angegebenen derzeitigen Beschwerden könnten aufgrund fehlender Nachweise und mangels Erwähnung in ihrer Krankengeschichte nicht validiert und somit nicht auf den Unfall vom 14. November 2023 zurückgeführt werden. Die Erstrichterin stützte sich dabei insbesondere auch auf die auf einer eingehenden Befundaufnahme basierenden, als schlüssig und umfassend beurteilten (das Ergebnis des Gutachtens Dris. C* bestätigenden) gutachterlichen Ausführungen Dris. D*, wonach die Zerrung der Halswirbelsäule gänzlich ausgeheilt ist. Davon ausgehend lehnte die Erstrichterin die Einholung der beantragten psychiatrischen und neurologischen Sachverständigengutachten als „Erkundungsbeweis“ ab, wobei auch auf die Ergebnisse des kfz-technischen Sachverständigengutachtens hingewiesen wurde, wonach von einem nur leichten Anprall auszugehen ist, was ebenso nicht annehmen lasse, dass der Unfall geeignet war, andere Unfallfolgen als eine Zerrung der Halswirbelsäule herbeizuführen.
3. Die Berufungswerberin hält dem entgegen, dass die Beurteilung von psychischen Schäden nicht in das Fachgebiet des unfallchirurgischen Sachverständigen falle, der sich in bedenklicher Weise Fachkunde angemaßt habe. Die beantragte Einholung weiterer Gutachten aus den Fachgebieten der Neurologie und Psychiatrie stelle (nach dem im Rechtsmittel vertretenen Standpunkt) entgegen der vom Erstgericht in der Urteilsbegründung „überraschend“ vertretenen Ansicht keinen Erkundungsbeweis dar, weil „offenkundig“ psychische Beeinträchtigungen der Klägerin aufgrund des Unfalls vorhanden seien, für die keine körperliche Ursache gefunden worden sei und die vor dem Unfall nicht bestanden hätten. Es sei keine Frage der Glaubwürdigkeit, sondern eine Angabe über „Faktisches“, wenn diese Umstände nach den „zeitlich versetzten“ Angaben der Klägerin zum Teil nicht und zum Teil wieder vorliegen würden.
4. Die Berufungswerberin, die ihren Beweisantrag bzw den damit zu erbringenden Kausalitätsnachweis wiederum (nur) mit der zeitlichen Komponente des Auftretens der Beschwerden begründet, zeigt mit ihren Ausführungen keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens auf. Sie wendet sich ausschließlich gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung ihrer Angaben sowie des Sachverständigengutachtens Dris. D*. Dieser erläuterte im Rahmen der mündlichen Gutachtenserörterung, dass es in den Behandlungsunterlagen keine Hinweise auf (nicht in sein Fachgebiet fallende) psychische Schäden gibt und daher aus seiner Sicht – vorbehaltlich der richterlichen Beweiswürdigung – keine Notwendigkeit zur Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Psychiatrie besteht (ON 28.4, AS 2f).
Das Gericht kann sich bei Hinzuziehung eines Sachverständigen grundsätzlich darauf verlassen, dass keine notwendigen Untersuchungen unterblieben und keine weiteren Gutachten aus anderen Fachgebieten erforderlich sind, wenn sie vom Sachverständigen nicht angeregt werden (SVSlg 50.079, 65.846). Die Frage, ob ein Sachverständiger über die für die Gutachtenserstattung nötigen Fachkenntnisse verfügt und ob zur Kontrolle einer Sachverhaltsfeststellung aufgrund eines Sachverständigenbeweises ein weiteres Gutachten erforderlich ist (vgl RIS-Justiz RS0043163, RS0040586, RS0043320), begründet – wie allgemein die Unterlassung von Kontrollbeweisen - keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (RIS-Justiz RS0040246), sondern ist der (überprüfbaren) freien Beweiswürdigung zuzuordnen (RIS-Justiz RS0040586).
Die auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Neurologie und Psychiatrie abzielende Mängelrüge bleibt daher erfolglos.
5. Andere Berufungsgründe führt die Klägerin in ihrem Rechtsmittel nicht aus.
6. Die Berufung hat daher keinen Erfolg.
7. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die unterlegene Klägerin hat der Beklagten die richtig verzeichneten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.
8. Der Bewertungs- und Zulässigkeitsausspruch gründet auf § 500 Abs 2 ZPO. Der Berufungssenat sieht sich nach der Aktenlage nicht dazu veranlasst, von der in erster Instanz vorgenommenen Bewertung des Feststellungsbegehrens in der Klage (mit ungekürzt EUR 5.000,00) abzugehen. Es war demnach aufgrund der Höhe des Leistungsbegehrens auszusprechen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands im Berufungsverfahren insgesamt EUR 5.000,00, nicht jedoch EUR 30.000,00 übersteigt.
9. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten waren.