8Bs126/25b – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag a . Berzkovics als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Petzner, Bakk. und Mag. Obmann, LL.M. in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. März 2025, GZ **-25, in nichtöffentlicher Beratung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld wird dahin Folge gegeben, dass das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch zu Punkt 1. erfassten Tat auch unter § 128 Abs 1 Z 5 StGB und im Schuldspruch zu Punkt 2., demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zurückgewiesen wird.
Mit seiner weiteren Berufung wird der Angeklagte auf die Kassation verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB (zu 1.) und (richtig:) der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (zu 2.) schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB in Anwendung des § 39 Abs 1 StGB nach § 128 Abs 1 StGB zur Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten verurteilt sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet.
Gemäß § 38 Abs 1 StGB wurde die vom Angeklagten erlittene Vorhaft (von 1. März 2025, 18.10 Uhr bis 13. März 2025, 14.45 Uhr) angerechnet.
Dem Schuldspruch zufolge hat A* am 1. März 2025 in **
1. fremde bewegliche Sachen in einem EUR 5.000,00, nicht jedoch EUR 300.000,00 übersteigenden Wert B* mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem er ihn im Zuge einer Probefahrt unter einem Vorwand zum Aussteigen bewog und sich sodann den Pkw ** (**) im Wert von EUR 6.500,00 sowie eine im Pkw befindliche optische Sonnenbrille im Wert von EUR 400,00 aneignete;
2. im Zuge der Tatausführung zu 1. Urkunden, über die er nicht verfügen darf, nämlich den Führerschein des B* und „die Autopapiere“ mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis des Rechts zum Lenken eines Kfz bzw. der Teilnahme des Kfz jeweils am Straßenverkehr oder des Rechtsverhältnisses der aufrechten Haftpflichtversicherung des Kfz gebraucht werden.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig angemeldete „volle“ Berufung des Angeklagten (ON 23), die wegen Nichtigkeit (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 5, Z 10 und Z 11 StPO) und wegen des Ausspruchs über die Strafe zur Ausführung gelangte (ON 26). Mit Eingabe vom 13. Mai 2025 zog der Angeklagte die unausgeführt gebliebene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu Punkt 1. in Ansehung des (Grundtatbestandes nach) § 127 StGB zurück.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel ist teilweise erfolgreich.
Der Schuldberufung zu Punkt 1., die sich nur noch gegen die Annahme der Wertqualifikation nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB richtet, kommt Berechtigung zu.
Das Rechtsmittelgericht hegt Bedenken gegen die Richtigkeit der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum Wert des gestohlenen Fahrzeugs. Aus den Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 5, dritter Absatz) in Zusammenschau mit dem Tenor ergibt sich, dass das Erstgericht den Wert mit EUR 6.500,00 annahm und diesen Wert erkennbar aus dem inserierten Verkaufspreis ableitete (US 4, erster Absatz). Nach der Aktenlage war das gegenständliche Kfz zu einem Verkaufspreis von EUR 6.500,00 inseriert (ON 2, 50). Der Angeklagte gab im Rahmen seiner polizeilichen Einvernahme jedoch an (ON 2, 18), dass ihm B* vor Beginn der Probefahrt mitgeteilt habe, dass er für das Fahrzeug tatsächlich nur EUR 4.000,00 haben wolle (ON 2, 18). Mit Blick auf das im Inserat ersichtliche Lichtbild des Kfz, bei dem es sich um ein längst nicht mehr aktuelles Modell handelt und das älteren Baujahres ist, ist der inserierte Verkaufspreis nicht ohne weiteres mit dem hier relevanten (effektiven) Zeitwert (RIS-Justiz RS0093721; Stricker in WK 2 StGB § 127 Rz 109) des Kfz gleichzusetzen, wobei es nach der Lebenserfahrung durchaus üblich ist, Fahrzeuge in Inseraten zunächst zu einem den Zeitwert übersteigenden Kaufpreis anzubieten. Diese Umstände erwecken beim Rechtsmittelgericht Bedenken gegen die Richtigkeit der erstgerichtlichen Annahmen zum Wert des Kfz sowie zur darauf bezogenen subjektiven Tatseite des Angeklagten.
In Stattgebung der Schuldberufung ist das erstinstanzliche Urteil daher in Ansehung der rechtlichen Unterstellung der Tat zu 1. des Schuldspruchs unter § 128 Abs 1 Z 5 StGB gemäß § 470 Z 3 iVm § 489 Abs 1 StPO aufzuheben, weil die Aufnahme zusätzlicher Beweise erforderlich ist. Nach dem Gebot zur umfassenden Erforschung der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) wird das Erstgericht unter Berücksichtigung des bereits rechtskräftigen Schuldspruchs nach § 127 StGB (zu 1.) im zweiten Rechtsgang Beweise zum konkreten Zeitwert des gegenständlichen Kfz aufzunehmen haben, wobei zweckmäßigerweise das Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet des Kraftfahrzeugwesens einzuholen sein wird.
Zu Punkt 2. des Schuldspruchs hat die Mängelrüge Erfolg. Zutreffend erblickt der Angeklagte eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) darin, dass das Erstgericht bei der Begründung der Annahmen zur subjektiven Tatseite auf seine Angaben, nicht gewusst zu haben, dass sich Urkunden im Auto befunden hätten (ON 24, 4), nicht eingegangen ist.
Eine Unvollständigkeit des Urteils liegt vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen hat (RIS-Justiz RS0118316; Ratz, WK StPO § 281 Rz 421). Das ist etwa dann der Fall, wenn Beweisergebnisse mit Stillschweigen übergangen, Widersprüche zwischen den Aussagen vernommener Personen oder zwischen Beweisergebnissen nicht gewürdigt, den Feststellungen widerstreitende Beweisergebnisse nicht erörtert oder die Gründe nicht angegeben werden, aus denen die Beweise nicht für stichhältig erachtet werden (RIS-Justiz RS0099647, RS0099578 und RS0098495; Ratz , aaO § 281 Rz 392, 421 und 428). Bezugspunkt sind stets Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS-Justiz RS0119422; Ratz , aaO § 281 Rz 432).
Zur subjektiven Tatseite traf das Erstgericht die Feststellung, dass der Angeklagte es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass sich im gestohlenen Fahrzeug diverse Urkunden des Opfers befinden und er diese im Zuge des Diebstahls unterdrückt (US 6, vorletzter Absatz). Diese Feststellung leitete das Erstgericht aus den objektiven Geschehnissen und der geständigen Verantwortung des Angeklagten ab (US 7, vorvorletzter und vorletzter Absatz). In der Hauptverhandlung gab der zu diesem Vorwurf tatsächlich nicht geständige Angeklagte an, dass er nicht gewusst habe, dass sich „Papiere“ (gemeint Urkunden) im Auto befinden würden (ON 24, 4). Diese Angaben des Angeklagten stellen, wie die Mängelrüge zutreffend aufzeigt, mit Blick auf die getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu 2. des Schuldspruchs ein erhebliches Beweisergebnis dar, welches die Erstrichterin unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit hätte erörtern müssen, weshalb auch der Schuldspruch zu 2. gemäß § 470 Z 3 iVm § 489 Abs 1 StPO aufzuheben ist.
Die teilweise Kassation des Schuldspruchs hat die Aufhebung auch des Ausspruchs über die Strafe einschließlich der Vorhaftanrechnung zur Folge.
Mit seiner weiteren Berufung ist der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO (RIS-Justiz RS0101342; Lendl in WK-StPO § 390a Rz 7).