JudikaturOLG Graz

4R72/25b – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
14. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht durch die Richterinnen Dr. in Angerer (Vorsitz), Mag. a Zeiler-Wlasich und Dr. in Jost-Draxl in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Pensionist, **, vertreten durch Mag. a Claudia Egarter, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei B*, FN **, **, vertreten durch MMag. a Dr. in Elisa Florina Ozekovic, Dr. Ernst Maiditsch M.B.L.-HSG, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen EUR 54.548,64 samt Anhang und Feststellung (Interesse EUR 5.000,00), über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 59.548,64) gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 30. Jänner 2025, **-26, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.749,52 (darin EUR 624,92 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .

Entscheidungsgründe:

Text

Der Kläger erlitt am 31. Oktober 2020 bei einem Sturz einen Bruch des linken Oberarms. Daher war er vom 1. bis 18. November 2020 im Klinikum C*, deren Rechtsträgerin die Beklagte ist, in Behandlung. Am 6. November 2020 wurde er aufgrund seiner erlittenen Fraktur operiert.

Im Prozess begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von EUR 54.584,64 samt Zinsen (EUR 25.000,00 Schmerzengeld, EUR 895,44 Fahrtkosten, EUR 28.553,20 Haushaltshilfen, EUR 100,00 pauschale Unkosten), sowie die mit EUR 5.000,00 bewertete Feststellung von deren Haftung für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem Behandlungsfehler anlässlich seines stationären Aufenthalts im Jahr 2020 in der Krankenanstalt der Beklagten. Er wirft den behandelnden Ärzten der Beklagten vor, die Operation des linken Arms sei nicht lege artis erfolgt. Zudem sei seine Lagerung während der Operation fehlerhaft gewesen. Die fehlerhafte Lagerung habe zu einer Plexusschädigung am rechten Arm geführt, die wiederum postoperativ nicht lege artis behandelt worden sei. Auch drei Jahre nach der Operation sei noch immer keine Besserung der Beweglichkeit des rechten Arms eingetreten. Weiters liege ein Aufklärungsfehler vor, weil der Kläger vor der Operation nicht über die Risiken des operativen Eingriffs aufgeklärt worden sei. Insbesondere sei er nicht darüber aufgeklärt worden, dass sich eine Plexusschädigung am gesunden rechten Arm verwirklichen könne. Wäre er dahingehend aufgeklärt worden, hätte er sich seine Zustimmung zum operativen Eingriff überlegt und andere Behandlungsmöglichkeiten in Erwägung gezogen.

Die Beklagte bestreitet einen Aufklärungsfehler und eine nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgte Behandlung. Der Kläger sei über die in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten, die Operation und die damit verbundenen möglichen Risiken und Komplikationen, insbesondere auch über mögliche Nervenverletzungen und Lagerungsschäden aufgeklärt worden. Selbst wenn er nicht über mögliche Lagerungsschäden und Nervenverletzungen aufgeklärt worden wäre, hätte er sich jedenfalls für den operativen Eingriff entschieden. Die Schmerzen und Beschwerden am linken Arm seien auf die Vorschädigung und vorherige Operationen, jedoch nicht auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen.

Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht das Klagebegehren ab und verpflichtet den Kläger zum Kostenersatz an die Beklagte. Über den eingangs dargestellten unstrittigen Sachverhalt hinaus trifft es die auf den Urteilsseiten 3 bis 7 ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird und von denen die nachfolgenden hervorgehoben werden:

Der Kläger wurde am 1. November 2020 über die Operation aufgeklärt. Im Aufklärungsbogen waren allgemeine und spezielle Risiken und Gefahren, insbesondere Nervenschädigungen angeführt. Der aufklärende Arzt klärte den Kläger explizit über das – konkret beim Kläger eingetretene – Risiko möglicher Nervenverletzung mit bleibenden neurologischen Defiziten auf und erläuterte, dass diese aufgrund der operationsbedingten Lagerung auftreten könnten. Der Kläger wurde nicht über die alternative Behandlung einer geschlossenen Repositon mit Bohrdrahtfixierung aufgeklärt. Bei einer Aufklärung über sämtliche möglichen Operationsrisiken (samt Plexusschaden am gesunden rechten Arm) und über die alternative Behandlung einer geschlossenen Reposition mit Bohrdrahtfixierung samt deren Vor- und Nachteilen hätte sich der Kläger für die konkret durchgeführte Operation entschieden.

Das gewählte Operationsverfahren entsprach dem Stand der medizinischen Wissenschaft. Die am 6. November 2020 durchgeführte Operation inklusive der damit einhergehenden Lagerung des Klägers erfolgte nach dem Stand sowie den geltenden Kriterien der medizinischen Wissenschaft. Nach der Operation wurde eine Parese an der rechten oberen Extremität des Klägers festgestellt. Der Plexusschaden rechts ist als lagerungsbedingte Komplikation der Operation vom 6. November 2020 zu qualifizieren. Dieser wurde zeitgerecht erkannt und es wurden dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende nötige diagnostische Schritte eingeleitet.

Rechtlich erörtert das Erstgericht zutreffend die Grundsätze der Judikatur zum Arzthaftungsrecht und zur Aufklärungspflicht. Es legt dar, dass im Fall einer Verletzung der Aufklärungspflicht den Krankenhausträger die Beweislast dafür treffe, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Behandlung erteilt hätte (rechtmäßiges Alternativverhalten). Dieser Beweis sei der Beklagten gelungen, weil sich der Kläger auch bei einer Aufklärung über die alternative Behandlungsmethode einer geschlossenen Reposition mit Bohrdrahtfixierung und darüber, dass eine Nervenschädigung auch am gesunden rechten Arm auftreten könnte, für die konkret durchgeführte Operation entschieden und in diese eingewilligt hätte. Da sowohl die Operation als auch die Nachbehandlung des Klägers nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und somit lege artis erfolgt sei, sei der Beklagten kein Behandlungsfehler anzulasten. Die lagerungsbedingt eingetretene Komplikation (Plexusschaden rechts) stelle keinen Behandlungsfehler dar, vielmehr habe sich ein allgemeines Operationsrisiko verwirklicht. Da der beigezogene Sachverständige aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie und Orthopädie sämtliche Fragen der Parteien und des Gerichts habe beantworten können, sei die Beiziehung des beantragten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie entbehrlich gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Er beantragt das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen und diesem den Auftrag zu erteilen, im fortgesetzten Verfahren einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie beizuziehen. Die Beklagte erstattet eine Berufungsbeantwortung .

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden war, ist nicht berechtigt .

1. Der Kläger rügt als Verfahrensmangel, dass das Erstgericht dem Antrag auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie zur Überprüfung der Ursache und des Ausmaßes der Plexusschädigung am rechten Arm nicht nachgekommen sei. Die genaue Ursache von Nervenschädigungen könne nur durch einen Neurologen beurteilt werden. Dieser könne den Zusammenhang zwischen der Nervenschädigung und der Lagerung des Arms während der Operation analysieren. Zur abschließenden Beurteilung, ob die Lagerung sorgfaltswidrig erfolgt und die Dokumentation der Lagerung mangelhaft oder fehlerhaft sei, sei die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie unabdingbar. Es falle auch nicht in das Fachgebiet des beigezogenen Sachverständigen zu beurteilen, ob der lagerungsbedingte Plexusschaden zeitgerecht erkannt und nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft behandelt worden sei.

2. Die Voraussetzungen für die Begutachtung durch einen weiteren Sachverständigen sind in § 362 Abs 2 ZPO normiert (RIS-Justiz RS0040639, RS0040588). Danach kommt die Einholung eines weiteren Gutachtens nur dann in Betracht, wenn dies zur Behebung von Mängeln, also bei Unklarheit, Unschlüssigkeit, Widersprüchen oder Unvollständigkeit des Gutachtens notwendig ist ( Rechberger/Klicka, ZPO 5 §§ 360-362 Rz 4; Schneider in Fasching/Konecny 3 III/1 § 362 ZPO Rz 3; RS0040604). Die Stellung des Sachverständigen im Zivilprozess ist eine doppelte. Er ist einerseits eines der fünf klassischen Beweismittel der ZPO – sein Gutachten unterliegt der freien Beweiswürdigung des Richters – und andererseits „Gehilfe“ oder Mitarbeiter des Gerichts, der dessen fehlende Fachkenntnis ersetzt ( Schneider aaO Vor §§ 351ff ZPO Rz 8ff). Ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist daher eine Frage der Beweiswürdigung (RS0043320). Ist das Sachverständigengutachten unschlüssig, widersprüchlich oder unvollständig, ohne dass dies im Sinne des § 362 Abs 2 ZPO saniert würde, wirkt sich dies in aller Regel in der Beweiswürdigung des Richters (negativ) aus und ist daher mit dieser anzufechten ( Schneider aaO § 362 ZPO Rz 6). Folgt der Richter dem Gutachten eines Sachverständigen und begeht er dabei keinen Verstoß gegen Denkgesetze und muss ihm auch nicht erkennbar sein, dass der Sachverständige erheblichen Verhandlungsstoff außer Acht gelassen hat, so liegt die Beurteilung, zu der er aufgrund des Gutachtens gelangt, auf dem Gebiet der Beweiswürdigung und kann nur als solche angefochten werden ( Klauser/Kodek , JN-ZPO 18 § 362 E9). Das Gericht ist nicht verpflichtet, einen weiteren Sachverständigen zuzuziehen, wenn es von der Richtigkeit des bereits vorliegenden Sachverständigenbeweises – wie hier – überzeugt ist. Insbesondere kann aus der eingangs zitierten Bestimmung nicht abgeleitet werden, dass einer Partei solange das Recht auf neuerliche Begutachtung durch Sachverständige zusteht, bis endlich ein Sachverständiger zu dem von der Partei gewünschten Ergebnis kommt (SVSlg 34.005). Nur dann, wenn eine Unvollständigkeit des Gutachtens auf Verfahrensfehlern beruht, wäre dies mit einer Mängelrüge (erfolgreich) zu bekämpfen ( Schneider aaO). Die Beurteilung, ob ein gerichtlich bestelltes Gutachten zur Feststellung eines Sachverhalts ausreicht oder ob zusätzliche Erhebungen (etwa durch einen zweiten Gutachter oder einen Obergutachter) erforderlich sind, ist ein Akt der Beweiswürdigung, weshalb auch die Abweisung eines Antrags auf Bestellung eines weiteren Sachverständigen bzw. eines Obergutachters ein Akt der freien Beweiswürdigung ist und daher keinen Verfahrensmangel begründen kann (3 Ob 68/14t; RS0097380, RS0040586, RS0097433, RS0043163).

3. Das vom Gerichtssachverständigen im vorliegenden Verfahren abgegebene Gutachten ist klar, schlüssig und frei von Widersprüchen. Dieser konnte alle an ihn gerichteten Fragen – auch jene den neurologischen Bereich betreffend – nachvollziehbar beantworten. Insbesondere aufgrund der umfangreichen Befundlage und der zeitgerechten Befundung war es dem Gerichtssachverständigen möglich, zu den Fragen zu neurologischen Themenbereichen Stellung zu nehmen. Abgesehen davon geht das vom Erstgericht eingeholte Gutachten mit dem von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten konform. Beide Sachverständigen gehen bei der bedauerlicherweise eingetretenen Plexusschädigung am rechten Arm von einer sich verwirklichten Komplikation und keinem Behandlungsfehler im Sinne einer fehlerhaften Lagerung aus. Die Art der Lagerung ist in der Krankengeschichte (Beilage ./1,41) dokumentiert. Insgesamt war das Erstgericht daher nicht bei sonstiger Mangelhaftigkeit des Verfahrens verpflichtet, ein weiteres Gutachten aus dem Fachgebiet der Neurologie einzuholen. Ausgehend von den oben zu Punkt 2. dargestellten Grundsätzen kann der Berufung wegen Mangelhaftigkeit somit kein Erfolg beschieden sein. Eine Beweisrüge führt der Kläger nicht aus.

4. Der Kläger erhebt auch keine Rechtsrüge, weshalb die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts nicht überprüft werden darf ( Kodek in Rechberger/Klicka 5 § 471 Rz 16; RS0041585).

5. Die Kostenentscheidung ist eine Folge der Sachentscheidung und gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat der Beklagten die richtig verzeichneten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

6. Eines Bewertungsausspruchs nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO bedarf es nicht, weil bei dem vorliegenden gemischten Begehren schon der in einem Geldbetrag bestehende Teil des Entscheidungsgegenstandes EUR 30.000,00 übersteigt (vgl Kodek in Rechberger/Klicka 5 § 500 ZPO Rz 5).

7. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil eine unterlassene Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden kann (vgl RS0043573). Ein verneinter angeblicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens kann nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371). Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten den Feststellungen zugrundegelegt werden kann oder wegen seiner Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit ein weiteres Gutachten eingeholt werden muss, ist eine solche der Beweiswürdigung und als Tatfrage nicht revisibel (RS0043163; RS0043320 [T 21]; RS0113643 [T 7]). Das gilt auch für die Frage, ob für die getroffenen Feststellungen zusätzlich ein Gutachten aus dem Fachbereich für Neurologie erforderlich gewesen wäre, oder ob diese schon aufgrund des eingeholten unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens getroffen werden konnten (RS0043320; RS0113643 [T 4]; 7 Ob 90/23w).

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