6Rs4/25t – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Fabsits als Vorsitzende, die Richterin Dr in . Meier und den Richter Mag. Schweiger sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI A* , **, vertreten durch die Rohregger Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , pA Landesstelle **, **, vertreten durch ihre Angestellte MMag a . B*, wegen Korridorpension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Oktober 2024, **-10, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen (I.) und zu Recht erkannt (II.):
Spruch
I. Das Berufungsverfahren wird fortgesetzt .
II. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung und der Gesetzesbeschwerde gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG (VfGH G 205/2024-6) selbst zu tragen.
Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig .
Entscheidungsgründe:
Text
Der am ** geborene Kläger beantragte am 18. April 2024 die Gewährung der Korridorpension. Der Kläger beendete sein Dienstverhältnis zu seinem vormaligen Dienstgeber einvernehmlich mit 30. April 2024. Zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Korridorpension (1. Mai 2024) weist der Versicherungsverlauf des Klägers keine vorangehende Arbeitslosigkeit auf. Der Kläger weist zum Stichtag 1. Mai 2024 480 Versicherungsmonate auf. Diese erreichte er erst zum Stichtag und nicht zu einem früheren Zeitpunkt. Tatsächlich wies er erst am 1. Mai 2024 480 Versicherungsmonate auf.
Mit Bescheid vom 25. Juni 2024 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Korridorpension ab 1. Mai 2024 in der Höhe von monatlich EUR 3.609,32 zuzüglich eines Frühstarterbonus von EUR 14,98, somit EUR 3.624,30.
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage mit dem (mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2024, ON 6 modifizierten) Begehren auf Gewährung der Korridorpension ab 1. Mai 2024 inklusive des Erhöhungsbetrags nach § 34 APG im verfassungskonformen Ausmaß.
Zusammengefasst bringt der Kläger vor, die Beklagte habe den Erhöhungsbetrag nach § 34 APG zu Unrecht nicht berücksichtigt. § 34 Abs 1 APG verstoße gegen das Legalitätsgebot nach Art 18 B-VG, den Gleichheitssatz sowie das Allgemeine Sachlichkeitsgebot nach Art 7 B-VG und verletze das Grundrecht auf Eigentum nach Art 5 StGG und Art 1 1. ZP EMRK. Für fast alle Pensionszugänge des Jahres 2024 werde der Erhöhungsbetrag nach § 34 APG (Schutzklausel) gewährt. Nur bei einem Teil der Korridorpensionen gebühre diese Erhöhung - abhängig vor allem von der Art der Beendigung des letzten Dienstverhältnisses bzw des Vorliegens eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe - nicht. Die Formulierung des Gesetzeswortlauts von § 34 Abs 1 Z 3 APG sei derart unbestimmt, dass die Norm zwei gegensätzliche Interpretationsmöglichkeiten zulasse und sei schon allein deshalb verfassungswidrig. Die Regelung verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz, an den der Gesetzgeber gebunden sei und auch gegen das Allgemeine Sachlichkeitsgebot. § 34 Abs 1 APG enthalte sachlich nicht begründbare Differenzen zwischen Korridorpensionen und allen anderen Pensionsarten und auch Ungleichbehandlungen innerhalb der Gruppe der Korridorpensionen selbst. Die im angefochtenen Bescheid ermittelte Pensionshöhe beruhe somit auf einem verfassungswidrigen Gesetz. Bei Berücksichtigung des Erhöhungsbetrags von 6,2 % würde sich eine monatliche Differenz von EUR 223,78 14mal jährlich ergeben.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und wendet zusammengefasst ein, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 Z 2 und 3 APG nicht erfülle. Er habe erst im Jahr 2024 das erforderliche Anfallsalter erreicht und sei vor Inanspruchnahme der Korridorpension nicht arbeitslos gewesen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken würden nicht geteilt. Insbesondere bei der Beurteilung sozialer Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen knüpfenden sozialen Maßnahmen komme dem Gesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Grund für die Beschränkung des § 34 Abs 1 Z 3 APG auf die dort genannten Fälle sei das Bestreben, den inflationsbedingten Nachteil eines Stichtags im Jahr 2024 auszugleichen, wenn der Zeitpunkt des Pensionsantritts in der Disposition der versicherten Person liege.
Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht das Klagebegehren - unter Wiederholung des Spruchs des angefochtenen Bescheids - ab. Ausgehend vom eingangs dargestellten und unstrittigen Sachverhalt vertritt es in rechtlicher Hinsicht den Standpunkt, dass der Kläger erst im Jahr 2024 das erforderliche Anfallsalter erreicht habe, sodass die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 Z 2 APG nicht erfüllt seien.
Schon aus dem Gesetzestext des § 34 Abs 1 Z 3 APG ergebe sich eindeutig, dass bezüglich der Korridorpension des Zugangsjahres 2024 eine Periode der Arbeitslosigkeit voranzugehen habe, um den Erhöhungsbetrag zu erhalten. Der Kläger sei vor Inanspruchnahme der Korridorpension nicht arbeitslos gewesen, sodass er schon aus diesem Grund nicht in den Anwendungsbereich des § 34 Abs 1 Z 3 APG falle. Nach den Erläuterungen des Gesetzgebers sollten von dieser Bestimmung jene nicht erfasst werden, bei denen der Zeitpunkt des Pensionsantritts in ihrer Disposition liege. Der Kläger habe den Zeitpunkt des Pensionsantritts aus freien Stücken gewählt. Die Höhe der Korridorpension des Klägers sei daher ohne Berücksichtigung des Erhöhungsbetrags nach § 34 APG zu berechnen.
Die Tatsache unterschiedlicher Auslegungsmöglichkeiten einer Bestimmung allein begründe für sich noch keine verfassungswidrige Unbestimmtheit. Auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht zu erkennen. Eine unsachgemäße Ungleichbehandlung liege nicht vor. Die Regelung sei weder sachwidrig, noch unverhältnismäßig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, ohne eine Berufungsbeantwortung zu erstatten, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Zu I.:
Da der Kläger gleichzeitig mit der Berufung beim Verfassungsgerichtshof einen Parteienantrag auf Normenkontrolle gestellt hat, sprach das Berufungsgericht mit Beschluss vom 16. Jänner 2025 aus, dass gemäß § 62a VfGG mit der Fortführung des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu G 205/2024-2 innegehalten wird.
Am 14. März 2025 langte der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Februar 2025, G 205/2024-6 ein, mit dem der Verfassungsgerichtshof die Behandlung des Antrags des Klägers in § 34 Abs 1 Z 3 APG, BGBl I 142/2004, idF BGBl I 133/2023 die Wortfolge „infolge der Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG“, in eventu die Wortfolge, „die infolge der Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG im Kalenderjahr 2024 angetreten werden“, als verfassungswidrig aufzuheben, ablehnte, weil dieser keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
Nach Vorliegen der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist das Verfahren gemäß § 528b Abs 3 ZPO fortzusetzen.
Zu II.:
In seiner Rechtsrüge führt der Kläger zusammengefasst aus, einfachgesetzliche Normen seien stets so auszulegen, dass ihnen kein verfassungswidriger Inhalt beigelegt werde. Gegen dieses Verbot habe das Erstgericht verstoßen, indem es eine Auslegung vorgenommen habe, die gegen den Gleichheitssatz, das Sachlichkeitsgebot, das Grundrecht auf Eigentum sowie das Bestimmtheitsgebot verstoße. Faktisch seien fast alle Pensionsleistungen durch die sogenannte Schutzklausel erfasst. Nicht darunter fielen aber Korridorpensionen, deren Stichtag im Jahr 2024 liege und deren Anspruchsvoraussetzungen erstmals im Jahr 2024 erfüllt seien und jene, die nicht infolge eines gemäß §§ 22 und 38 AlVG beendeten Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfeanspruchs angetreten würden. Nach aktueller Rechtslage seien vom Schutzbereich des Erhöhungsbetrags jedenfalls jene Personen ausgeschlossen, die - wie der Kläger - direkt aus dem Dienstverhältnis die Korridorpension antreten würden, sofern die Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension im Jahr 2023 noch nicht vorgelegen seien. Unklar sei jedoch, welche Korridorpensionen durch die Schutzklausel erfasst seien. Die Bestimmung des § 34 Abs 1 Z 3 APG lasse zwei gegensätzliche Auslegungsvarianten zu. Bei der Variante 1 umfasse die Schutzkausel jene Personen, die nicht in den begünstigten Bereich des § 22 AlVG fielen, also etwa Arbeitslose, deren letztes Beschäftigungsverhältnis durch eine Arbeitnehmerkündigung oder durch einvernehmliche Auflösung beendet worden sei. Bei der zweiten Variante seien von der Schutzklausel jene Korridorpensionisten erfasst, die freiwillig auf ihren verlängerten Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 22 AlVG verzichteten, obwohl sie diesen noch ein weiteres Jahr in Anspruch nehmen könnten und die bereits im Jahr 2024 die Voraussetzungen für die Korridorpension erfüllten.
§ 34 Abs 1 Z 3 APG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Sachlichkeitsgebot. Zum einen unterscheide die Bestimmung innerhalb der Personen mit Pensionsantritt im Jahr 2024 zwischen Korridorpensionen und anderen Pensionsarten. Zum andern werde innerhalb der Korridorpensionisten selbst zwischen jenen unsachlich differenziert, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gemäß §§ 22 und 38 AlVG ende und jenen, die noch ein Jahr länger Anspruch auf die AlVG-Leistung hätten sowie jenen, die direkt aus dem Dienstverhältnis die Korridorpension antreten würden.
§ 34 Abs 1 Z 3 APG verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot (§ 18 B-VG). Die Regelung greife auch in das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht des Klägers ein, weil ihm aufgrund der Nichtgewährung des Erhöhungsbetrags massive finanzielle Nachteile entstünden. Im Rahmen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 34 APG hätte das Erstgericht die Klage nicht abweisen dürfen.
Die Kritik ist unberechtigt.
Der Verfassungsgerichtshof führte in seinem Beschluss vom 25. Februar 2025, G 205/2024-6, aus, dass vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, wonach Regelungen über eine Pensionserhöhung im Allgemeinen nicht in das Eigentumsrecht eingreifen würden, das Antragsvorbringen die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen ließe, dass der Antrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Der Antragsteller übersehe, dass der in § 34 Abs 1 Z 3 APG erwähnte Anspruch auf Arbeitslosengeld unter anderem voraussetze, dass der Betroffene der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe (vgl § 7 Abs 1 Z 1 AlVG), was wiederum unter anderem dessen Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 AlVG bedinge (vgl § 7 Abs 2 leg cit). Im Falle von Personen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben würden, um den Erhöhungsbetrag zu erwirken, werde dieses Kriterium in der Regel nicht erfüllt sein, sodass diesfalls kein Arbeitslosengeldanspruch bestünde und - als Folge dessen - kein Erhöhungsbetrag gemäß § 34 Abs 1 Z 3 APG zustünde. Es bestünden daher auch keine Bedenken, ob des Gleichheitsgrundsatzes gegen den Ausschluss von der Gewährung einer Erhöhung von Pensionen mit Stichtag im Jahr 2024 für Fälle, in denen der Versicherte anders disponieren hätte können. § 34 Abs 1 Z 3 APG sei (schon nach dem Wortlaut, umso mehr unter Heranziehung der Materialien) einer eindeutigen Auslegung zugänglich, sodass die erhobenen Bedenken wegen des Verstoßes gegen Art 18 B-VG nicht zutreffen würden.
Die Berufung macht nur eine verfassungswidrige Auslegung des § 34 Abs 1 Z 3 APG geltend, die - wie gezeigt - nicht vorliegt. Davon ausgehend fällt der Kläger nicht unter die Schutzklausel des § 34 APG. Da sich die Rechtsrüge auf die - durch den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs ausgeräumten - verfassungsrechtlichen Bedenken beschränkt, erübrigen sich weitere Ausführungen.
Der Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit (für die Berufung und den Antrag auf Normenkontrolle) wurden weder behauptet, noch ergeben sich solche aus der Aktenlage.
Die ordentliche Revision ist nicht zuzulassen, weil eine erhebliche Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu lösen war.