7Rs13/25y – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Kraschowetz-Kandolf (Vorsitz), die Richter Mag. Russegger und Mag. Reautschnig sowie die fachkundigen Laienrichter:innen Färber (aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen) und Allmannsdorfer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch die Semlitsch-Klobassa-Theissl Rechtsanwälte GmbH in Voitsberg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, vertreten durch ihren Angestellten Dr. B*, ebendort, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. November 2024, GZ: **-14, in nicht-öffentlicher Sitzung 1. beschlossen und 2. zu Recht erkannt:
Spruch
1. Die vom Berufungswerber mit der Berufung vorgelegte Urkunde, nämlich der Befundbericht des Dr. C* vom 20. Jänner 2025, wird zurückgewiesen.
2. Der Berufung, deren Kosten der Berufungwerber selbst zu tragen hat, wird nicht Folge gegeben.
Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig .
Text
Entscheidungsgründe:
Der am ** geborene Kläger hat den Beruf eines Maurers erlernt und innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag 175 Monate an Versicherungszeiten als Staplerfahrer erworben. Das Dienstverhältnis war zum Stichtag noch aufrecht. Er besitzt einen Führerschein der Klassen A und B.
Aufgrund der bei ihm auf Urteil Seite 2 bis 3 aus internistischer, unfallchirurgisch-orthopädischer und neurologisch-psychiatrischer Sicht festgestellten Leidenszustände (Diagnosen) ist der Kläger noch in der Lage, leichte Arbeiten ganztägig im Gehen, Stehen und Sitzen auszuüben. Ausgenommen davon sind wirbelsäulenbelastende Arbeiten in dynamischer und/oder statischer vorgebeugter und gebückter Körperhaltung, die bei gerechter Verteilung auf die Hälfte eines Arbeitstages beschränkt werden müssen. Von orthopädischer Seite ist das Heben und Tragen leichter Lasten im vollen Umfang möglich. Mittelschwere Lasten können bis zur Hälfte eines Arbeitstages bewältigt werden. Überkopfarbeiten sowie kniende und hockende Tätigkeiten sind auf die Hälfte eines Arbeitstages einzuschränken. Steighilfen können verwendet werden. Auf einen Fußanmarschweg zur Arbeitsstätte oder auf Witterungseinflüsse ist nicht Bedacht zu nehmen. Feinmotorische Arbeiten sind zumutbar. Arbeiten in höhenexponierten Lagen sind aus Sicherheitsgründen auszuschließen. Ein forciertes Arbeitstempo ist bis zu einem Drittel des Arbeitstages zumutbar; ein normales Arbeitstempo ist ganztägig möglich. Akkord- und Fließbandarbeiten sind nicht zumutbar. Eine Nachtarbeit ist nicht zumutbar, wenn es sich um Wechselschichten handelt.
Der Kläger ist in der Lage, ein mäßig schwieriges geistiges Anforderungsprofil zu erfüllen. Kundenkontakt(fähigkeit), Durchsetzungsfähigkeit und Führungsfähigkeit sind im unteren Durchschnitt ausgebildet. Arbeiten in ständiger Kälte und Nässe scheiden aus. Eine Toilette muss immer erreichbar sein.
Darüber hinaus ist der Kläger unterweisbar und anlernbar. Schulbarkeit und Umschulbarkeit sind gegeben.
Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Wochenpendeln und ein Ortswechsel sind zumutbar.
Insgesamt werden Krankenstände im Ausmaß von vier Wochen pro Jahr erwartet. Von der Prognose her ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem konstanten Zustand auszugehen, welcher in absehbarer Zeit (zumindest für sechs Monate) bestehen bleiben wird; dies bezogen auf die objektivierbare Symptomatik.
Der Kläger kann die im Beobachtungszeitraum ausgeübte Tätigkeit eines Staplerfahrers, dessen Berufsbild und Anforderungsprofil das Erstgericht auf Urteil Seite 5 bis 6 feststellt, aufgrund des Leistungskalküls nicht mehr ausüben, weil er nicht mehr in der Lage ist, allen Anforderungen gerecht zu werden. Trotz der eingeschränkten Leistungsfähigkeit ist er jedoch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die Tätigkeit eines Verpackers, Werbemittelverlagsarbeiters, Aufsehers, Bestückers, Telefonisten, Portiers im Ein- und Zweischichtbetrieb und andere mehr auszuüben. Für die genannten Verweisungstätigkeiten existiert in Österreich ein Arbeitsmarkt von je mehr als einhundert dem freien Wettbewerb zugänglichen Stellen und Berufe.
Mit Bescheid vom 2. August 2024 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 13. Juni 2024 auf Gewährung einer Invaliditätspension mangels Vorliegens dauerhafter Invalidität ab. Weiters sprach sie aus, dass auch vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten nicht vorliege und kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung sowie auf medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Rehabilitationsgeldes im gesetzlichen Ausmaß und führt zur Begründung im wesentlichen aus, es liege bei ihm vorübergehende Invalidität vor, da es ihm aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht möglich sei, einer Tätigkeit nachzugehen.
Die Beklagte bestreitet unter Aufrechterhaltung ihres im Bescheid eingenommenen Standpunkts.
Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht auf der Grundlage des eingangs dargestellten unstrittigen Sachverhalts das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht folgert es, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Pension nach § 255 Abs 3a Z 2 ASVG nicht erfülle, zumal er nicht mindestens zwölf Monate unmittelbar vor dem Stichtag als arbeitslos im Sinne des § 12 AlVG gemeldet gewesen sei. Die Anwendung des § 255 Abs 1 ASVG sei ausgeschlossen, da die Tätigkeit eines Staplerfahrers nicht als qualifizierte Berufsausbildung im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG anzusehen sei. Im Anlassfall sei in Anwendung des § 255 Abs 3 ASVG der Kläger auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Da für ihn ohne Überschreitung seines eingeschränkten Leistungskalküls noch zahlreiche Beschäftigungen infrage kämen, für die auch ein ausreichender Arbeitsmarkt existiere, sei das Klagebegehren abzuweisen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte erstattet keine Berufungsbeantwortung, beantragt jedoch, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in Verbindung mit § 2 Abs 1 ASGG in nicht-öffentlicher Sitzung entschieden werden konnte, ist nicht berechtigt.
1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Kläger mit seiner Berufung eine neue Urkunde, nämlich den Befundbericht des Dr. C* vom 20. Jänner 2025 vorgelegt hat. Damit verstößt der jedoch gegen das auch in Sozialrechtssachen geltende Neuerungsverbot, weshalb die Urkunde zurückzuweisen war (RS0042049).
2. In seiner ausschließlich erhobenen Rechtsrüge vertritt der Kläger die Auffassung, das Erstgericht gehe unrichtig davon aus, dass er arbeitsfähig sei. Es habe diesbezüglich weitere notwendige Feststellungen unterlassen; der Kläger habe aus Anlass der Tagsatzung vom 27. November 2024 noch eine Urkundenvorlage erstattet und einen ergänzenden Befundbericht vorgelegt. Daraus folge aber, dass bei ihm keine Arbeitsfähigkeit gegeben sei. Das Erstgericht habe sich mit diesen Urkunden nicht auseinandergesetzt. Insbesondere würden Feststellungen zum Gesundheitszustand des Klägers fehlen und ob sich bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung eine Verschlechterung ergeben habe.
Um den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gesetzmäßig auszuführen bedarf es der Darlegung, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache – ausgehend vom festgestellten Sachverhalt – unrichtig erscheint. Die bloße, im verschiedenen Formulierungen ausgedrückte, aber begründungslose bleibende Behauptung, es sei eine unrichtige Beurteilung vorgelegen, genügt nicht ( Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 471 Rz 16 mwN; RS0041719; RS0043605).
Des Weiteren wäre mit einer Rechtsrüge das Vorliegen eines rechtlichen (sekundären) Feststellungsmangels im Sinne des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO geltend zu machen. Ein solcher liegt dann vor, wenn das Erstgericht infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht getroffen und dazu notwendige Beweise nicht aufgenommen hat ( Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 496 Rz 10).
Ein solcher ist jedoch nicht gegeben. Soweit der Berufungswerber meint, das Erstgericht hätte weitere notwendige Feststellungen (zum Gesundheitszustand) nicht getroffen, führt er nicht aus, um welche Feststellungen es sich handeln sollte. Vielmehr bemängelt er, das Erstgericht hätte sich mit den von ihm – in erster Instanz – vorgelegten Urkunden nicht auseinandergesetzt. Es würden Feststellungen fehlen, ob sich seit dem Zeitraum der Befundung durch den Gerichtssachverständigen bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine Verschlechterung ergeben habe.
Damit macht er in Wahrheit einen vermeintlichen Begründungsmangel im Urteil oder aber einen Erörterungsmangel (im Sinne eines Stoffsammlungsmangels) geltend; derartige Mängel, die dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zu unterstellen wären, liegen aber ebenfalls nicht vor. Der ergänzende Befundbericht Beilage./C wurde mit dem Sachverständigen Dr. D* in der Tagsatzung vom 27. November 2024 erörtert, der zur Auffassung gelangte, dass die (bekannten) Diagnosen im Gutachten entsprechend berücksichtigt wurden. Auf die Urkunde ging das Erstgericht im Rahmen der Beweiswürdigung auch ein. Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes während des Verfahrens sind nicht gegeben.
Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass zur Beurteilung der Frage des Vorliegens von Invalidität zunächst ein medizinisches Leistungskalkül im Sinne des Restleistungsvermögens des Pensionswerbers zu erheben ist. Diesem sind sodann die psychischen und physischen Anforderungen der bisher ausgeübten maßgeblichen Tätigkeit und in weiterer Folge der in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten gegenüberzustellen (RS0043194). Diesem Grundsatz ist das Erstgericht nachgekommen und zur Auffassung gelangt, dass der Kläger die Tätigkeit eines Staplerfahrers zwar nicht mehr ausüben kann, jedoch für ihn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zahlreiche Verweisungstätigkeiten infrage kommen. Es kann daher nicht erkannt werden, welche Feststellungen noch fehlen sollten.
Zusammenfassend war der Berufung daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 ASGG. Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG wurden weder dargetan, noch liegen sie vor.
Da Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen waren, war die Revision nicht zuzulassen.