10Bs45/25f – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag a . Tröster und Mag a . Haas im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 17. Februar 2025, AZ ** (ON 30 der Akten AZ B* der Staatsanwaltschaft Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die vorläufige Unterbringung des A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 431 Abs 1 StPO wird aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt.
Dieser Beschluss ist bis längstens 28. April 2025 wirksam.
Vor einer allfälligen Fortsetzung der vorläufigen Unterbringung wird eine Verhandlung darüber stattfinden, sofern nicht einer der in § 175 Abs 3, 4 oder 5 StPO erwähnten Fälle eintritt (§ 431 Abs 1 letzter Satz StPO).
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.
BEGRÜNDUNG:
Text
In dem von der Staatsanwaltschaft Graz zum AZ B* gegen den am ** geborenen A* wegen des dringenden Verdachts der Verbrechen der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB geführten Ermittlungsverfahren wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 17. Februar 2025 die deswegen am 16. Jänner 2025 über den Genannten verhängte Untersuchungshaft (ON 9 iVm ON 10) in eine vorläufige Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 431 Abs 1 StPO umgewandelt und diese aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt (ON 30).
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Betroffenen, mit der er das psychiatrische Sachverständigengutachten des Univ.-Prof. Dr. C* als unschlüssig kritisiert und die Aufhebung der vorläufigen Unterbringung (allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel) beantragt (ON 32.2).
Die Oberstaatsanwaltschaft Graz äußerte sich dazu inhaltlich nicht.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Gegen A* besteht nach der Aktenlage – teils abweichend von den erstgerichtlichen Sachverhaltsannahmen – der dringende Verdacht, er habe am 13. Jänner 2025 in D* unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer akuten Psychose (F23.0), deretwegen er zu den Tatzeitpunkten zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, an fremden Sachen ohne Einwilligung des Eigentümers Feuersbrünste zu verursachen versucht, und zwar
In subjektiver Hinsicht hielt es der Betroffene hoch wahrscheinlich jeweils ernstlich für möglich und fand sich damit ab, an fremden Sachen ohne Einwilligung des Eigentümers einen räumlich ausgedehnten Brand zu verursachen, der mit gewöhnlichen Mitteln nicht bekämpfbar ist.
Da die Flammen, noch bevor sie sich auf weitere Objekte ungehindert ausbreiten konnten und den Umfang und die Intensität nicht mehr beherrschbarer Feuer erreichten, rechtzeitig und erfolgreich bekämpft wurden (1.) bzw. infolge glücklicher Umstände von selbst erloschen (2.), liegt fallbezogen jeweils das Stadium des (beendeten) Versuchs vor (RIS-Justiz RS0090314, RS0094987).
A* ist demnach dringend verdächtig, Taten begangen zu haben, die ihm außer seinem vorbeschriebenen Zustand als jeweils ein mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedrohtes Verbrechen der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB zuzurechnen wären (§ 21 Abs 1 und 3 StGB).
Der auch bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die vorläufige Unterbringung maßgebliche dringende Tatverdacht nach § 173 Abs 1 StPO ( Murschetz in WK StPO § 429 Rz 19; Nimmervoll , Haftrecht 3 357 [jeweils noch zur Rechtslage vor dem MVAG 2022, BGBl I 223/2022]) gründet in Ansehung der Verursachung der Brände durch den Betroffenen auf den Wahrnehmungen der Mitarbeiterinnen der E*- und H*-Filiale, insbesondere den Aussagen der Zeuginnen I*, die den Betroffenen auf einem Lichtbild eindeutig identifizierte (ON 2.5 iVm ON 2.2, 2 [zu 1.]), und J* (ON 25.5 [zu 2.]), den Lichtbildern der Brandstellen (ON 25.8, 1 ff) sowie zu 2. insbesondere auf der unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Nähe der Tat zu 1. und der Brandlegung nach dem selben modus operandi. Beim Betroffenen wurden zudem anlässlich seiner polizeilichen Anhaltung rund 20 Minuten nach dem Brand zu 2. zwei Feuerzeuge sichergestellt (ON 2.7 iVm ON 2.2, 2 und ON 25.8, 5). Nach all dem ist – obwohl der Betroffene leugnet, die Brände gelegt zu haben (ON 9, 3) – seine Täterschaft hoch wahrscheinlich. Die Verdachtsannahmen zur Möglichkeit, durch diese Taten jeweils räumlich ausgedehnte Brände zu verursachen, die mit gewöhnlichen Mitteln nicht bekämpfbar sind, ergeben sich aus dem Umstand, dass sich in Supermärkten eine große Menge brennbaren Materials (diverse Waren, Karton- und Plastikverpackungen etc.) auf engem Raum befindet, was die rasche Ausbreitung von Feuer tendenziell begünstigt (wobei fallkonkret zu 1. tatsächlich schon nach wenigen Minuten bereits mehrere Packungen Kaffee brannten), sowie aus den Modalitäten der Tathandlung (Brandlegung zu 1. im hinteren, somit nicht unmittelbar einsehbaren Teil eines mit leicht brennbaren Waren und Verpackungsmaterial bestückten Regals [ON 2.5, 3; ON 2.2.,2] und zu 2. an gleich zwei, ebenfalls in einem Regal befindlichen Verpackungskartons, die in Kunststoffflaschen abgefülltes Sonnenblumenöl enthielten [ON 2.2, 2]).
In subjektiver Hinsicht indizieren die objektiven Tatumstände den zumindest bedingten Vorsatz des Betroffenen, jeweils ohne Einwilligung des Eigentümers an einer fremden Sache eine Feuersbrunst im Sinne eines infolge seiner räumlichen Ausdehnung mit gewöhnlichen Mitteln unlöschbaren Feuers (RIS-Justiz RS0094944, RS0094805, RS0094899 [insbesondere T4, T5]) herbeizuführen.
Nicht zur Dringlichkeit verdichtet ist der Tatverdacht hingegen nach den aktuellen Erkenntnissen in Ansehung des Brandes des Fahrzeugs PKW Ford Galaxy des K* (Faktum 3. des angefochtenen Beschlusses). Zwar bestand (auch) hier ein Gelegenheitsverhältnis, weil der Betroffene (durch Videoaufnahmen belegt) am 13. Jänner 2025 um 01.02 Uhr seine 500 Meter (d.s. rund sechs bis sieben Gehminuten) vom Brandort entfernte Asylunterkunft verließ und um 01.28 Uhr dorthin zurückkehrte, und der Fahrzeugbrand um 01.40 Uhr entdeckt wurde (ON 25.2, 5). Bereits der Bezirksbrandermittler BI L* schloss allerdings wegen der zentral im Motorraum gelegenen Brandausbruchsstelle Fremdverschulden mit großer Wahrscheinlichkeit aus und nahm als vermutliche Brandursache einen technischen Defekt an (Tatortbericht ON 25.10, 3). Nach dem Gutachten des Sachverständigen für Brandermittlung Mst. Ing. M* wiederum konnte weder ein technischer Defekt (hier: mutmaßlich der hydraulisch gesteuerten Lenkungspumpe: ON 26, 10 f) noch Fremdverschulden als Brandursache gänzlich ausgeschlossen werden. Allerdings hätte eine vorsätzliche Inbrandsetzung wegen der im Fahrzeugbau verwendeten flammhemmenden, schwer entflammbaren Kunststoffe des mehrminütigen Einsatzes brennbarer Fremdstoffe wie Anzünder, Brandbeschleuniger oder Ähnlichem bedurft. Die Untersuchung der Brandreste ergab aber (gerade auch im wegen des vorne rechts gelegenen Hauptbrandortes hier besonders relevanten Bereich des rechten Radhauses) keinen Hinweis auf einen möglichen Brandbeschleuniger (ON 26, 12 f).
Die Annahme zur Tatbegehung unter dem maßgeblichen Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung stützt sich auf die Wahrnehmungen der Polizeibeamten, auf die der Betroffene bei seiner Anhaltung am 13. Jänner 2025 um 17.45 Uhr einen verwirrten und geistig abwesenden Eindruck machte (ON 2.2, 2), die Bescheinigung nach § 8 UbG des Distriktsarzts Dr. N* vom 13. Jänner 2025 (mit der vorläufigen Diagnose „unklare Psychose, Depression“; ON 2.6, 1), die Krankenunterlagen der Abteilung O* – Standort ** des LKH P* für den Zeitraum 14. bis 16. Jänner 2025 (mit den Diagnosen „Psychot. ZB DD. Depressive ZB DD Intelligenzminderung, F23.8“; ON 15, 3 ff]) sowie auf das damit korrespondierende schlüssige Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. C* mit der (Verdachts-)Diagnose „Akute Psychose (F.23)“ (ON 22.2).
Nach der Person, dem Zustand und der Art der Taten ist zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Betroffene ohne Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum innerhalb von Wochen oder allenfalls Monaten unter dem maßgeblichen Einfluss seiner schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung abermals mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen wie insbesondere weitere Verbrechen der Brandstiftung wie die hier in Rede stehenden (somit in im Regelfall von einer höheren Anzahl von Personen [KundInnen, MitarbeiterInnen] frequentierten, leicht zugänglichen und mit leicht entflammbaren [insbesondere auch Verpackungs-]Materialien ausgestatteten Geschäftslokalen) begehen werde.
Diese Befürchtung basiert auf den vom Betroffenen hoch wahrscheinlich nach demselben modus operandi bereits wiederholt (dem Anschein nach zur Psychoseentlastung [ON 15, 3]) gesetzten Tathandlungen iVm den gutachterlichen Äußerungen des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. C* (ON 22.2, 11), wonach beim Betroffenen, der die Einnahme der verordneten notwendigen Medikation nachhaltig verweigert, nach wie vor ein schwerwiegendes psychotisches Zustandsbild besteht.
Die Beschwerdekritik, wonach der Sachverständige (aufgrund der Weigerungen des Betroffenen zur Mitwirkung) lediglich ein Aktengutachten ohne persönliche Untersuchung erstellt habe, übersieht, dass in dieses Gutachten sehr wohl auch weitere Beurteilungskriterien, insbesondere die Angaben des Betroffenen im Pflichtverhör am 16. Jänner 2025 (ON 9) und die aktuelle Einschätzung des Anstaltspsychiaters Dr. Q* lt. Krankenkartei der Justizanstalt Graz-Jakomini vom 22. Jänner 2025 (mit der von der Beschwerde übergangenen Diagnose „Verdacht auf psychotisches Zustandsbild, differentialdiagnostisch psychogene Psychose“), eingeflossen sind. Der Vorwurf, der Sachverständige gehe aufgrund der Weigerung des Betroffenen, sich explorieren zu lassen, von einer schwerwiegenden und nachhaltigen Störung aus, ist durch nichts begründet. Die im Gutachten gebrauchte Formulierung, „bei fehlender Möglichkeit einer Exploration ist wohl davon auszugehen, dass es sich bei diesem Zustandsbild um eine schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung handelt, …“ (ON 22.2, 3), bringt bloß zum Ausdruck, dass mangels persönlicher Befundaufnahme vorerst lediglich eine Verdachtsdiagnose (so ausdrücklich im Einleitungssatz zu Pkt. 2 in ON 22.2, 3) erstellt werden konnte. Eine Mangelhaftigkeit oder Widersprüchlichkeit des Gutachtens zeigt der Rechtsmittelwerber damit nicht auf.
Damit liegen nach der Verdachtslage hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass fallbezogen sämtliche Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB gegeben sind (vgl. dazu ErläutRV 1789 BlgNR 27. GP 16).
Weiterhin bestehen auch die Haftgründe der Flucht- und Tatbegehungsgefahr.
Dem als Asylwerber aufenthaltsberechtigten Betroffenen mangelt es in Österreich an jeglicher sozialer Integration (vgl. ON 2.3 und ON 5). Er hat wiederholt und nachdrücklich den Wunsch geäußert, umgehend nach Afghanistan zurückzukehren (ON 2.2, 3; ON 9, 4; ON 15, 9 und 15; ON 18, 1; ON 25.2, 6; ON 29, 2 und 3). In Deutschland wurde er unter einer Aliasidentität fremdenpolizeilich vorgemerkt (ON 2.2, 3). Aktuell droht ihm die (auf unbestimmte Zeit anzuordnende) Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB. Diese Umstände begründen die konkrete Gefahr, dass er auf freiem Fuß flüchten oder sich verborgen halten werde (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO).
Ausgehend von der dargestellten dringenden Verdachtslage liegt fallkonkret trotz der Unbescholtenheit des Betroffenen (ON 2.2, 3; ON 25.4) unverändert auch der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO vor. Nach der gutachterlichen Stellungnahme (ON 22.2, 11) besteht aufgrund des bislang (infolge Verweigerung der verordneten Medikation) nicht behandelten Krankheitsbildes weiterhin die konkrete Gefahr der abermaligen zustandsbedingten Ausführung einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die dem Betroffenen nunmehr angelasteten, wiederholt begangenen Taten mit schweren Folgen, nämlich weiterer solcher Brandstiftungen (§ 169 Abs 1 StGB), wie sie der Betroffene aktuell hoch wahrscheinlich verübt hat.
Der durch die vorläufige Unterbringung bewirkte Freiheitsentzug (Festnahme am 13. Jänner 2025 [ON 2.2, 2]) steht weiterhin in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Anlasstaten.
Die vorläufige Unterbringung kann fallbezogen weder durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) effektiv substituiert noch kann deren Zweck dadurch erreicht werden, dass der Betroffene ohne eine solche behandelt und betreut wird. Dies ergibt sich bereits aus den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, wonach der Betroffene, der die ihm im LKH P* – Standort ** verordnete (ON 15, 5) Medikation strikt ablehnt, dringend ärztlicher Observanz bedarf (ON 22.2, 11), iVm dem Umstand, dass ein tragfähiges und zur Stabilisierung des Betroffenen beitragendes soziales Netzwerk fehlt.
Die zeitliche Begrenzung der Wirksamkeit des Beschlusses ergibt sich aus §§ 174 Abs 4 zweiter Satz, 175 Abs 2 Z 3, 176 Abs 5 zweiter Halbsatz iVm 431 Abs 1 StPO.
Der Rechtsmittelausschluss gründet auf § 89 Abs 6 StPO.