JudikaturOLG Graz

10Bs175/24x – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
05. September 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Dr in . Steindl-Neumayr und Mag a . Haas in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 23. Mai 2024, GZ 10 Hv 69/16t-281, in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

BEGRÜNDUNG:

Mit Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 15. Mai 2018, GZ 10 Hv 69/16t-133, in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 4. Dezember 2018, AZ 10 Bs 345/18p (ON 148), wurde der am ** geborene österreichische Staatsangehörige A* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB zur Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt.

Die Aufforderung zum Strafantritt wurde dem Verurteilten am 24. Dezember 2018 durch Hinterlegung zugestellt (Zustellnachweis bei ON 149).

Nachdem dem Verurteilten mehrfach Aufschübe des Strafvollzugs wegen Vollzugsuntauglichkeit (zuletzt bis 31. Jänner 2023, s. ON 241) gewährt worden waren, wurden zuletzt seine Anträge auf weitere derartige Strafaufschübe abgelehnt (zuletzt mit Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 15. Dezember 2023 iVm dem Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. April 2024 [ON 275 und ON 278)].

Am 10. Mai 2024 beantragte der Verurteilte, den Vollzug der Strafe bis zur Erledigung seines Gnadengesuchs vom 9. Jänner 2024 oder zumindest bis zur Entscheidung des Bundespräsidenten über die unter einem beantragte Hemmung des Vollzugs der Strafe nach § 510 Abs 2 StPO aufzuschieben (ON 280).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesgericht Leoben diesen Antrag (mit der wesentlichen Begründung, dass Gnadengesuche nach § 510 Abs 1 StPO keine aufschiebende Wirkung haben, über eine Hemmung infolge eines solchen Gesuchs nach Abs 2 leg. cit. der Bundespräsident zu entscheiden habe und darüber hinaus keine Aufschubsgründe nach §§ 5 f StVG vorlägen) ab (Pkt. 1.), hemmte (da es den Antrag des Verurteilten nicht als „offenbar aussichtslos“ beurteilte) gemäß § 7 Abs 3 StVG vorläufig die Anordnung des Strafvollzugs bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses (Pkt. 2.) und sprach aus, dass die Freiheitsstrafe im Sinne der bereits zugestellten Aufforderung zum Strafantritt vom 17. Dezember 2018 nach Rechtskraft dieses Beschlusses unverzüglich bei sonstiger zwangsweiser Vorführung anzutreten sei (Pkt. 3.).

Gegen dessen Pkt. 1. und (insoweit ohne Begründung) Pkt. 3. wendet sich die Beschwerde des Verurteilten, der im Wesentlichen argumentiert, dass durch den erstgerichtlichen Beschluss das Gnadenrecht „völlig konterkariert“ werde. Zwar sei ein Nebeneinander unterschiedlicher Zuständigkeiten unter verschiedenen Regelungsgesichtspunkten mit Auswirkungen auf denselben Lebenssachverhalt der österreichischen Verfassung nicht fremd. Es sei jedoch zweifelsfrei so, dass die dem Bundespräsidenten nach § 510 Abs 2 StPO zukommende Hemmungsbefugnis den Zweck habe, das Gnadenverfahren durchzuführen, ohne dass dessen Ziel durch den Vollzug vereitelt werde. Wenngleich sich eine Verpflichtung zum Strafaufschub bis zur Erledigung des Gnadengesuchs bzw. bis zur Entscheidung über eine Hemmung nach § 510 Abs 2 StPO aus dem Wortlaut der Bestimmungen des 26. Hauptstücks der StPO nicht ergäbe, lasse sich doch die Notwendigkeit eines solches Vorgehens aus dem Normzweck des § 510 Abs 2 StPO ableiten. Der Beschwerdeführer beantragt daher die Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses im bekämpften Umfang und den Aufschub des Vollzugs bis zur Erledigung des Gnadengesuchs oder zumindest bis zur Erledigung des Antrags auf Hemmung nach § 510 Abs 2 StPO oder die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und „Neuerfindung“ einer Entscheidung (ON 282).

Die Oberstaatsanwaltschaft Graz äußerte sich dazu inhaltlich nicht.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Zu Pkt. 1. des angefochtenen Beschlusses:

Zweck des Gnadenwesens ist es, auf dem Rechtsweg nicht behebbare Härten eines Urteils im Einzelfall zu beseitigen ( Kirchbacher , StPO 15 § 507 Rz 1). Solcherart kommt ihm sowohl Ausnahme- als auch Subsidiaritätscharakter gegenüber allen strafprozessualen Möglichkeiten zu. Seit seiner Neuregelung im Jahr 1993 handelt es sich beim Gnadenverfahren um ein in die ausschließliche Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden fallendes Verfahren, in dem der Bundesminister für Justiz und der Bundespräsident aus freiem Ermessen (Art 130 Abs 2 B-VG) entscheiden. Ein subjektives Recht auf Begnadigung besteht nicht (zu allem Stiebellehner in LiK StPO § 507 Rz 1, 2 iVm 20 sowie 9 f; Jerabek/Ropper in WK StPO § 507 Rz 2 und 6).

Gnadengesuche haben keine aufschiebende Wirkung (§ 510 Abs 1 StPO). Über eine Hemmung des Vollzugs im Gnadenverfahren nach §§ 507 ff StPO kommt dem Strafgericht keine Entscheidungskompetenz zu. Nur der Bundespräsident kann gemäß § 510 Abs 2 StPO auf Vorschlag der Bundesregierung oder des von ihr ermächtigten Bundesministers für Justiz eine Hemmung des Vollzugs der Strafe anordnen.

Einen gerichtlichen Aufschub des Strafvollzugs aus Anlass eines Gnadengesuchs, sei damit auch ein Antrag auf Hemmung nach § 510 Abs 2 StPO verbunden, sieht das Gesetz – wie der Beschwerdeführer ohnedies konzediert – nicht vor. Dafür besteht entgegen dem im Rechtsmittel vertretenen Standpunkt freilich auch gar kein Bedarf. Denn nach § 397 StPO gilt, dass jedes Strafurteil (nach dem ersten Halbsatz dieser Bestimmung mangels dort genannter Hinderungsgründe sogar „ungesäumt“) in Vollzug zu setzen ist. Ein rascher Beginn des Vollzugs nach rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wird zudem auch aus general- und spezialpräventiven Gründen für erforderlich erachtet, weshalb – abgesehen von den Fällen der Vollzugsuntauglichkeit – ein Aufschub des Vollzugs nur in engen, restriktiven Grenzen möglich ist ( Drexler/Wagner , StVG 5 § 6 Rz 1 und 5; Pieber in WK 2 StVG § 6 Rz 21). Solange daher nicht der ausschließlich dafür zuständige Bundespräsident selbst eine Hemmung für erforderlich erachtet, um nicht das Ziel eines (durch seinen Ausnahmecharakter und seine Subsidiarität gekennzeichneten) Gnadenverfahrens durch den Vollzug zu vereiteln, prävaliert der Grundsatz, dass rechtskräftige Strafurteile zu vollstrecken sind. Ein Nachteil für den Verurteilten, dem kein subjektives Recht auf Begnadigung zukommt, ist darin nicht zu erblicken. Im Übrigen ist nach hM auch nach Antritt einer Freiheitsstrafe deren Hemmung möglich; der Vollzug wäre in diesem Fall zu unterbrechen (vgl. § 410 Abs 3 StPO; Jerabek/Ropper in WK StPO § 510 Rz 4).

Zu Pkt. 3. des angefochtenen Beschlusses:

Dem Ausspruch, wonach die Freiheitsstrafe im Sinne der bereits zugestellten Aufforderung zum Strafantritt vom 17. Dezember 2018 nach Rechtskraft dieses Beschlusses unverzüglich bei sonstiger zwangsweiser Vorführung anzutreten sei, ist als bloß deklarativer Hinweis zu verstehen und solcherart nicht bekämpfbar.

Der Rechtsmittelausschluss gründet auf § 7 Abs 2 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO.

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