JudikaturOLG Graz

9Bs114/24v – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
29. Juli 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Kohlroser (Vorsitz), die Richterin Mag a . Schadenbauer-Pichler und den Richter Mag. Obmann, LL.M. in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 26. März 2024, AZ 21 HR 98/24m (GZ 215 St 12/24f-8 der Staatsanwaltschaft Graz) in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss insoweit aufgehoben, als er sich auf die Bewilligung der Anordnung der Sicherstellung bezieht.

Im Übrigen wird der Beschwerde dahin Folge gegeben, dass festgestellt wird, dass der angefochtene Beschluss das Gesetz in der Bestimmung des § 119 Abs 1 StPO verletzt.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

begründung:

Soweit für gegenständliche Entscheidung relevant führt die Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 215 St 12/24f ein Ermittlungsverfahren gegen den am ** geborenen österreichischen Staatsangehörigen A* wegen des Verdachts des Verbrechens der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG.

Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz (mit zulässigem Verweis auf die staatsanwaltschaftliche Begründung der Anordnung [RIS-Justiz RS0124017]) die von der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 117 Z 2 lit b, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO angeordnete Durchsuchung der von A* benutzten Räumlichkeiten samt der darin befindlichen Gegenstände sowie allfälliger Neben- und Kellerräumlichkeiten in **, und aller von A* genutzten Fahrzeuge und Verkehrsmittel nach Gegenständen, die im Zusammenhang mit Verbrechen nach dem Verbotsgesetz stehen könnten, sowie die Sicherstellung „bei A* aufgefundener Gegenstände, die im Zusammenhang mit Verbrechen nach dem Verbotsgesetz stehen könnten, insbesondere dessen elektronische Kommunikationsmittel und Speichermedien“, wobei die Wirksamkeit des Beschlusses mit 26. Mai 2024 befristet wurde (ON 8, S 4).

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass A* im Verdacht stehe, er habe sich ab 8. Dezember 2020 auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er CDs der Rechtsrock-Bands „**“ und „**“, die er im Zeitraum Dezember 2020 bis Februar 2021 über den Webshop „**“, auf dem rechtsextremistische und nationalsozialistische Gegenstände zum Kauf angeboten werden, bestellt, in seiner Wohnung in ** sowie an anderen Orten des Bundesgebietes für Dritte sichtbar zur Schau gestellt und hiedurch die Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG begangen. Dieser Tatverdacht gründe auf die Berichterstattung des Landesamts Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Steiermark zu AZ LVT ST/6148/2023 (ON 2), wonach der der rechtsextremen Szene nahestehende Beschuldigte zufolge den durch die „**“ gehackten internationalen Kundenlisten des neonazistischen Webshops „**“ je eine CD der Rechtsrockband „**“ und „**“ bestellt habe.

Die Durchsuchung der von der Anordnung umfassten Räumlichkeiten und Fahrzeuge fand am 23. April 2024 statt (ON 10), anlässlich derer dem Beschuldigten auch die Anordnung der Durchsuchung samt gerichtlicher Bewilligung ausgefolgt wurde (ON 10.3, S 3). Bei der Durchsuchung wurden die im bezughabenden Sicherstellungsprotokoll angeführten Gegenstände sichergestellt (ON 10.3).

Rechtliche Beurteilung

Die (rechtzeitige) Beschwerde des A* (ON 9.2) richtet sich gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 26. März 2024, soweit mit diesem die Anordnung der Durchsuchung der Staatsanwaltschaft Graz vom 26. März 2024 bewilligt wurde und beantragt er in diesem Umfang die Aufhebung des Beschlusses, den Ausspruch, dass die Bewilligung der Durchsuchung unzulässig gewesen sei, die Beauftragung der Ausfolgung der sichergestellten Gegenstände und die Vernichtung der durch die unzulässigen Ermittlungsmaßnahmen gewonnen Ergebnisse.

Zunächst ist anzumerken, dass mit dem angefochtenen Beschluss, der sich nicht auf die Bewilligung der Anordnung der Durchsuchung beschränkt, auch die Anordnung der Sicherstellung der Staatsanwaltschaft aus den in der Anordnung angeführten Gründen (mit-)bewilligt wurde (ON 8, S 4). Nach § 110 Abs 2 StPO ist die Sicherstellung von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen. Damit ist für eine derartige Anordnung im Gegensatz zur Anordnung der Durchsuchung von Orten und Gegenständen (§ 120 Abs 1 erster Satz erster Halbsatz StPO) eine gerichtliche Bewilligung nicht Voraussetzung, weswegen der Beschluss aus Anlass der Beschwerde in diesem Umfang aufzuheben ist (vgl RIS-Justiz RL0000084).

Aufgrund des bereits erfolgten Vollzugs der Durchsuchung hat das Beschwerdegericht die richtige Anwendung des Gesetzes zu prüfen ( Tipold in WK-StPO § 89 Rz 15). Die Prüfung der Rechtmäßigkeit hat sich auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Erstgericht zu beziehen („ex-ante“-Perspektive: RIS-Justiz RS0131252; Kirchbacher , StPO 15 § 89 Rz 3).

Gemäß § 119 Abs 1 StPO ist eine Durchsuchung von Orten unter anderem dann zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich dort Gegenstände befinden, die sicherzustellen sind. Geschützte Örtlichkeiten dürften demzufolge nur durchsucht werden, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, dass sich die gesuchten Gegenstände dort befinden. Somit setzt die Durchsuchung auch einen Anfangsverdacht, mithin das Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte dafür, dass eine Straftat begangen worden ist (§ 1 Abs 3 StPO), voraus. Dieser Verdacht muss bereits vor dem Eingriff bestimmt und hinreichend sowie rational nachvollziehbar sein. Durchsuchungen ohne einen solchen Verdacht, nur aus unbestimmten Mutmaßungen, aufs Geratewohl oder um überhaupt erst Verdachtsmomente zu erhalten, sind unzulässig ( Tipold/Zerbes in WK-StPO § 119 Rz 17). Hinzu kommt, dass die Durchsuchung geeignet sein muss, ihren Zweck zu erreichen. Sie ist außerdem nur verhältnismäßig, wenn keine weniger einschneidende Maßnahme mit derselben Erfolgsaussicht zur Verfügung steht ( Tipold/Zerbes , aaO Vor §§ 119 bis 122 Rz 3, 10 f).

Zum Zeitpunkt der Bewilligung der gegenständlichen Durchsuchungsanordnung lag dem Erstgericht an Ermittlungsergebnissen nur der Bericht des Landesamts Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Steiermark vom 8. Jänner 2024 vor (ON 2). Dem Bericht zufolge wurden laut beiliegender Liste von diversen Personen, die in der Steiermark ihren Wohnsitz haben, Musik-CDs mit Musik aus dem rechtsradikalen/-extremen Bereich (zB Stahlgewitter, Gigi Die Braunen Stadtmusikanten, Bound for Glory usw) oder Bücher mit nationalsozialistischem Inhalt bestellt. Eine Nachschau auf der noch immer bestehenden Homepage habe jedoch keine Hinweise auf offensichtliche Darstellungen von NS-Insignien (zB Hakenkreuze, schwarze Sonne, Lebensrune usw) auf den CD- bzw Buchhüllen ergeben (ON 2, S 2). Aus der bewilligten Anordnung ergibt sich nicht, worauf sich die Annahme stützt, dass der Beschuldigte die inkriminierten CDs in seiner Wohnung und anderen Orten des Bundesgebiets für Dritte sichtbar zur Schau gestellt habe.

„Betätigung im nationalsozialistischem Sinn“ meint jedes Verhalten, das auch nur abstrakt geeignet ist, irgendeine der spezifischen und vielfältigen Zielsetzungen der NSDAP zum neuen Leben zu erwecken und zu propagieren und solcherart zu aktualisieren. Darunter fällt vor allem jede unsachliche, einseitige sowie propagandistisch vorteilhafte Darstellung nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele (RIS-Justiz RS0079934, RS0080029); ausdrückliches Gutheißen ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0079980). Der objektive Tatbestand des Verbrechens nach § 3g VerbotsG erfasst deshalb jedes nach außen hin in Erscheinung tretende Verhalten, das eine auf Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn hinweisende Tendenz erkennen lässt. Jede für die Außenwelt wahrnehmbare tätergewollte Betätigung im NS-Sinn stellt das vollendete Delikt nach § 3g VerbotsG dar (RIS-Justiz RS0079829). Als objektiv geeignet, das Tatbildmerkmal der Betätigung im nationalsozialistischen Sinne zu verwirklichen, erachtet die Rechtsprechung (etwa) die propagandistische Verwendung typisch nationalsozialistischer Parolen, Schlagworte oder Symbole (vgl Lässig in WK 2 § 3g VerbotsG Rz 6 mwN). Das Ansammeln von einschlägigen Gegenständen, um diese als Anschauungs- und Propagandamaterial im Sinne der Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankens einzusetzen, ist ebenfalls tatbestandsmäßig. Die Betätigung im nationalsozialistischem Sinn ist ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters erstrecken muss. Indem § 3g VerbotsG als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert ist, sind der Eintritt des tätergewollten Erfolgs oder eine konkrete Gefährdung keine Tatbestandsvoraussetzung. Demgemäß wird etwa durch den bloßen (mit keiner weiteren Intention verbundenen) Besitz vom nationalsozialistischem Propagandamaterial – unabhängig von der Gesinnung des Besitzers (RIS-Justiz RS0110512) – der Tatbestand des § 3g nicht verwirklicht (RIS-Justiz RS0080014 [T3]).

Im vorliegenden Fall gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass A* im Zusammenhang mit den inkriminierten CDs, deren Inhalt im Übrigen außer durch den pauschalen Hinweis auf Musik aus dem rechtsradikalen/-extremen Bereich im Bericht des Landesamts Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Steiermark vom 8. Jänner 2024 unkonkretisiert blieb, ein für die Außenwelt wahrnehmbares, mit deliktsspezifischer Intention getragenes Verhalten im Sinne obiger Tatbestandsdefinition gesetzt hätte, woran auch der Verweis auf eine im engsten Sinn einschlägige Verurteilung des Beschuldigten nach § 3g VerbotsG und dessen unter anderem daraus ableitbare einschlägige Geisteshaltung nichts zu ändern vermag. Es mangelte daher an einem Tatverdacht und lagen somit auch die in § 119 Abs 1 StPO normierten Voraussetzungen für die Bewilligung der Durchsuchung nicht vor. Da die bekämpfte Ermittlungsmaßnahme bereits vollzogen wurde, hat es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden ( Tipold , aaO § 89 Rz 15).

Bleibt anzumerken, dass eine Vernichtungsanordnung in Ansehung der durch die Durchsuchung gewonnenen Beweisergebnisse gemäß § 89 Abs 4 StPO mangels Vorliegens einer Ermittlungsmaßnahme nach dem 5. und 6. Abschnitt des 8. Hauptstückes (§§ 134 bis 143 StPO) rechtlich nicht vorgesehen ist.

Zum Antrag auf Ausfolgung der sichergestellten Gegenstände ist festzuhalten, dass nach einer Sicherstellung von Gegenständen im Regelfall die Staatsanwaltschaft entscheidet, ob und wie lange eine solche aufrechterhalten wird. Wird – wie hier – von einer von der Sicherstellung betroffenen Person ein Antrag auf Ausfolgung der sichergestellten Gegenstände gestellt, hat das Gericht mit Beschluss die Beschlagnahme anzuordnen oder die Sicherstellung aufzuheben ( Tipold/Zerbes , aaO § 113 Rz 19; § 115 Rz 17 mwN), weshalb über den gegenständlichen Ausfolgungsantrag das Gericht zu entscheiden haben wird (§ 115 Abs 2 StPO; zu den Folgen einer unrechtmäßig bewilligten Durchsuchung im Übrigen Tipold/Zerbes , aaO § 120 Rz 16 ff; 14 Os 48/21x ua).

Der Rechtsmittelausschluss gründet auf § 89 Abs 6 StPO.

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