9Bs113/24x – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag a . Berzkovics (Vorsitz) und die Richterinnen Mag a . Schadenbauer-Pichler und Mag a . Kohlroser in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG über die Beschwerde des A* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 29. Jänner 2024, AZ 20 HR 32/24y (GZ 117 St 12/24k-5 der Staatsanwaltschaft Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Soweit sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Sicherstellung richtet, wird sie als unzulässig zurückgewiesen .
Im Übrigen wird der Beschwerde dahin Folge gegeben, dass festgestellt wird, dass der angefochtene Beschluss das Gesetz in der Bestimmung des § 119 Abs 1 StPO verletzt.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
begründung:
Die Staatsanwaltschaft Graz führt zu AZ 117 St 12/24k ein Ermittlungsverfahren gegen den am ** geborenen A* wegen des Verdachts der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG.
Mit Beschluss vom 29. Jänner 2024 bewilligte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz (mit zulässigem Verweis auf die staatsanwaltschaftliche Begründung der Anordnung [RIS-Justiz RS0124017]) die unter Punkt I. von der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 117 Z 2 lit b, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO angeordnete Durchsuchung der von A* benutzten Räumlichkeiten samt der darin befindlichen Gegenstände samt allfälliger Neben- und Kellerräumlichkeiten in **, sowie aller von A* genutzten Fahrzeuge und Verkehrsmittel nach Gegenständen, die im Zusammenhang mit Verbrechen nach dem Verbotsgesetz stehen könnten.
Laut Begründung der Anordnung stehe A* im Verdacht, er habe sich seit Dezember 2019 auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er zumindest eine CD der neonazistischen Rechtsrock-Band „**“, drei CDs der neonazistischen Rechtsrock-Band „**“ und die CD „**“ mit nationalsozialistischem Bezug, die er über den Webshop „**“, auf dem rechtsextremistische und nationalsozialistische Gegenstände zum Kauf angeboten werden, bestellte, in seiner Wohnung in ** sowie an anderen Orten des Bundesgebietes für Dritte sichtbar zur Schau stellte und habe hiedurch das Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG begangen.
Der Tatverdacht wurde auf die Berichterstattung zu LVT St/6148/2023 des Landesamtes Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Steiermark gestützt, wonach die Information eingelangt sei, dass der neonazistische Webshop „**“ durch die „B*“ gehackt worden wäre, wobei gleichzeitig eine internationale Kundenliste der Jahre 2017 bis 2022, bestehend aus Namen, Adressen, Telefonnummer sowie Warenbestellung auf der Website ** hochgeladen worden sei, auf der auch die Bestellungen des A* vermerkt wären. Auf der nach wie vor bestehenden Homepage „**“ würden sich diverse Darstellungen von NS-Insignien, wie etwa der Lebensrune befinden. Der Beschuldigte A* weise – um Zusatzstrafenverhältnisse bereinigt – Vorstrafen wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen, die körperliche Integrität, aber auch nach dem Verbotsgesetz auf, zumal er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 5. Dezember 2012, 6 Hv 15/11x wegen des Verbrechens nach § 3g VerbotsG verurteilt worden sei.
Die gerichtlich bewilligte Anordnung der Staatsanwaltschaft wurde am 26. April 2024 vollzogen. Laut Zwischenbericht der Landespolizeidirektion Steiermark, Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung vom 29. April 2024 (ON 6) konnten die inkriminierten Datenträger (CDs) nicht aufgefunden werden, wobei A* auch bestritt, diese bestellt zu haben.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 29. Jänner 2024, mit dem die Anordnung der Durchsuchung der Staatsanwaltschaft Graz vom 26. Jänner 2024 bewilligt wurde, richtet sich die (rechtzeitige) Beschwerde des A* (ON 8), mit der er die ersatzlose Aufhebung des Beschlusses, mit dem die Anordnung der Durchsuchung der Staatsanwaltschaft Graz vom 26. Jänner 2024 „und die Sicherstellung der darin genannten beweglichen Sachen“ bewilligt wurde, die Zurückweisung des Antrags auf Bewilligung der Anordnung und die Beauftragung der Staatsanwaltschaft Graz mit der Ausfolgung der sichergestellten Gegenstände sowie nach § 89 Abs 4 StPO die Vernichtung der durch die unzulässigen Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen Ergebnisse beantragt (ON 8).
Soweit sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Sicherstellung (Punkt II. der Anordnung) bzw deren (behauptete) gerichtliche Bewilligung richtet, ist sie gemäß § 89 Abs 2 StPO als unzulässig zurückzuweisen, weil die Anordnung der Sicherstellung nach § 110 Abs 2 StPO keiner gerichtlichen Bewilligung bedarf und eine solche im vorliegenden Fall auch nicht erteilt wurde. Der mittels Beschwerde bekämpfbare Bewilligungsbeschluss bezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf Punkt I. der staatsanwaltschaftlichen Anordnung, sohin auf die Anordnung der Durchsuchung.
Festzuhalten ist ferner, dass im Falle des bereits erfolgten Vollzugs einer Ermittlungsmaßnahme das Beschwerdegericht die richtige Anwendung des Gesetzes zu prüfen hat ( Tipold , WK-StPO § 89 Rz 15). Diese Prüfung hat sich auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Erstgericht zu beziehen (RIS-Justiz RS0131252).
Gemäß § 119 Abs 1 StPO ist eine Durchsuchung von Orten unter anderem dann zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich dort Gegenstände befinden, die sicherzustellen sind. Geschützte Örtlichkeiten dürften demzufolge nur durchsucht werden, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, dass sich die gesuchten Gegenstände dort befinden. Somit setzt die Durchsuchung auch einen Anfangsverdacht, mithin das Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte dafür, dass eine Straftat begangen worden ist (§ 1 Abs 3 StPO), voraus. Dieser Verdacht muss bereits vor dem Eingriff bestimmt und hinreichend sowie rational nachvollziehbar sein. Durchsuchungen ohne einen solchen Verdacht, nur aus unbestimmten Mutmaßungen, aufs Geratewohl oder um überhaupt erst Verdachtsmomente zu erhalten, sind unzulässig ( Tipold/Zerbes , WK-StPO § 119 Rz 17). Hinzu kommt, dass die Durchsuchung geeignet sein muss, ihren Zweck zu erreichen. Sie ist außerdem nur verhältnismäßig, wenn keine weniger einschneidende Maßnahme mit derselben Erfolgsaussicht zur Verfügung steht ( Tipold/Zerbes , aaO Vor §§ 119 bis 122 Rz 3, 10f).
Zum Zeitpunkt der Bewilligung der gegenständlichen Durchsuchungsanordnung lag dem Erstgericht an Ermittlungsergebnissen nur der Bericht des Landesamtes Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Steiermark vom 8. Jänner 2024 vor (ON 2). Dem Bericht zufolge wurden laut beiliegender Liste von diversen Personen, die in der Steiermark ihren Wohnsitz haben, Musik-CDs mit Musik aus dem rechtsradikalen/-extremen Bereich (zB Stahlgewitter, Gigi Die Braunen Stadtmusikanten, Bound for Glory usw) oder Bücher mit nationalsozialistischem Inhalt bestellt. Eine Nachschau auf der noch immer bestehenden Homepage habe jedoch keine Hinweise auf offensichtliche Darstellungen von NS-Insignien (zB Hackenkreuze, schwarze Sonne, Lebensrune usw) auf den CD- bzw Buchhüllen ergeben (ON 2). Aus der bewilligten Anordnung ergibt sich nicht, worauf sich die Annahme stützt, dass sich auf der Homepage diverse Darstellungen von NS-Insignien, wie etwa der Lebensrune finden (vgl Begründung der bewilligten Durchsuchungsanordnung, Seite 2).
„Betätigung im nationalsozialistischem Sinn“ meint jedes Verhalten, das auch nur abstrakt geeignet ist, irgendeine der spezifischen und vielfältigen Zielsetzungen der NSDAP zum neuen Leben zu erwecken und zu propagieren und solcherart zu aktualisieren. Darunter fällt vor allem jede unsachliche, einseitige sowie propagandistisch vorteilhafte Darstellung nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele (RIS-Justiz RS0079934, RS0080029); ausdrückliches Gutheißen ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0079980). Der objektive Tatbestand des Verbrechens nach § 3g VerbotsG erfasst deshalb jedes nach außen hin in Erscheinung tretende Verhalten, das eine auf Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn hinweisende Tendenz erkennen lässt. Jede für die Außenwelt wahrnehmbare tätergewollte Betätigung im NS-Sinn stellt das vollendete Delikt nach § 3g VerbotsG dar (RIS-Justiz RS0079829). Als objektiv geeignet, das Tatbildmerkmal der Betätigung im nationalsozialistischen Sinne zu verwirklichen, erachtet die Rechtsprechung (etwa) die propagandistische Verwendung typisch nationalsozialistischer Parolen, Schlagworte oder Symbole (vgl Lässig in WK 2 § 3 VerbotsG Rz 6 mwN). Das Ansammeln von einschlägigen Gegenständen, um diese als Anschauungs- und Propagandamaterial im Sinne der Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankens einzusetzen, ist ebenfalls tatbestandsmäßig. Die Betätigung im nationalsozialistischem Sinn ist ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters erstrecken muss. Indem § 3g VerbotsG als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert ist, sind der Eintritt des tätergewollten Erfolgs oder eine konkrete Gefährdung keine Tatbestandsvoraussetzung. Demgemäß wird etwa durch den bloßen (mit keiner weiteren Intention verbundenen) Besitz vom nationalsozialistischen Propagandamaterial – unabhängig von der Gesinnung des Besitzers (RIS-Justiz RS0110512) – der Tatbestand des § 3g nicht verwirklicht (RIS-Justiz RS0080014).
Im vorliegenden Fall gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass A* im Zusammenhang mit den inkriminierten CDs, deren Inhalt im Übrigen außer durch den pauschalen Hinweis auf Musik aus dem rechtsradikalen/-extremen Bereich im Bericht des Landesamtes Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Steiermark vom 8. Jänner 2024 (ON 2) unkonkretisiert blieb, ein für die Außenwelt wahrnehmbares, mit deliktsspezifischer Intention getragenes Verhalten im Sinne obiger Tatbestandsdefinition setzte, weshalb schon der Tatverdacht fehlte und somit auch die in § 119 Abs 1 StPO normierten Voraussetzungen für die Bewilligung der Durchsuchung nicht vorlagen.
Da die bekämpfte Ermittlungsmaßnahme bereits vollzogen wurde, hat es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden ( Tipold , aaO § 89 Rz 15). Bleibt anzumerken, dass, obwohl der gegenständlichen Beschwerde Folge zu geben ist, eine Vernichtungsanordnung in Ansehung der durch die Durchsuchung gewonnenen Beweisergebnisse gemäß § 89 Abs 4 StPO mangels Vorliegens einer Ermittlungsmaßnahme nach dem 5. und 6. Abschnitt des 8. Hauptstückes (§§ 134 bis 143 StPO) rechtlich nicht vorgesehen ist
Zum Antrag auf Ausfolgung der sichergestellten Gegenstände ist festzuhalten, dass nach einer Sicherstellung von Gegenständen im Regelfall die Staatsanwaltschaft entscheidet, ob und wie lange eine solche aufrechterhalten wird. Wird – wie hier - von einer von der Sicherstellung betroffenen Person ein Antrag auf Ausfolgung der sichergestellten Gegenstände gestellt, hat das Gericht mit Beschluss die Beschlagnahme anzuordnen oder die Sicherstellung aufzuheben ( Tipold/Zerbes, aaO § 113 Rz 19; § 115 Rz 17 mwN), weshalb über den gegenständlichen Ausfolgungsantrag das Gericht zu entscheiden haben wird (§ 115 Abs 2 StPO; OLG Wien, AZ 23 Bs 9/23a; zu den Folgen einer unrechtmäßig bewilligten Durchsuchung im übrigen Tipold/Zerbes, aaO § 120 Rz 16ff; 14 Os 48/21x ua).