JudikaturOLG Graz

7R72/23x – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Erbrecht
13. Mai 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. in Kraschowetz-Kandolf als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Reautschnig und Mag. Russegger als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache der klagenden Partei A* , Beschäftigung nicht bekannt, **, vertreten durch Mag. Georg Schmeissner, Rechtsanwalt in St. Gilgen, gegen die beklagten Parteien 1.B* , Beschäftigung nicht bekannt, **, 2. C* , Beschäftigung nicht bekannt, **, und 3. D* , Beschäftigung nicht bekannt, **, wegen (insgesamt) EUR 30.363,88 sA, hier wegen sachlicher Unzuständigkeit , über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 15. November 2023, GZ 7 Cg 66/23v-2, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben .

Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

BEGRÜNDUNG:

Die klagende Partei begehrt von der Erstbeklagten EUR 14.805,35, vom Zweitbeklagten EUR 8.122,48 und von der Drittbeklagten EUR 7.436,05 je samt Zinsen aus dem Titel der „Pflichtteilsergänzung“. Die Erstbeklagte sei die Witwe, der Kläger, der Zweitbeklagte und die Drittbeklagte seien Kinder des am 3.4.2022 verstorbenen E*. Die Verlassenschaft nach diesem sei der Erstbeklagten aufgrund einer bedingten Erbantrittserklärung aus dem Titel des Testaments vom 14.11.2018 eingeantwortet worden. Abzüglich „Massekosten“ habe sich der reine Nachlass mit EUR 23.161,56 errechnet.

Die Beklagten hätten vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten umfangreiche – näher bezeichnete – Schenkungen (Liegenschaftsanteile und Geld) im Wert von insgesamt EUR 1,182.296,67 erhalten. Unter Berücksichtigung des reinen Nachlasses errechne sich ein Betrag von EUR 1,205.458,23 als Basis für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs des Klägers, der 1/15 davon, also EUR 80.363,88 betrage. Dafür hafte dem Kläger primär die Verlassenschaft bzw – aufgrund des bereits abgeschlossenen Verlassenschaftsverfahrens – die Erstbeklagte als eingeantwortete Erbin mit dem Wert des Nachlasses von EUR 23.161,56. Für die restlichen Pflichtteilsansprüche von EUR 57.202,32 hafteten die Beklagten als Geschenknehmer:innen im Ausmaß ihrer Anteile an den vom Erblasser zu Lebzeiten insgesamt gemachten Geschenke, dh die Erstbeklagte im Umfang von 25,6%, der Zweitbeklagte mit 37,8% und die Drittbeklagte im Umfang von 36,6%.

Dies bedeute, dass der Kläger aufgrund seiner den Wert der Verlassenschaft übersteigenden Pflichtteilsansprüche von EUR 57.202,32 gegenüber der Erstbeklagten einen (weiteren) Anspruch von EUR 14.643,79 habe. Vom Gesamtanspruch (inklusive der „reinen Verlassenschaft“) von EUR 37.805,35 habe die Erstbeklagte EUR 23.000,00 bezahlt, sodass ihr gegenüber noch eine restliche Forderung von EUR 14.805,35 bestehe.

Der Zweitbeklagte schulde dem Kläger an „Schenkungspflichtteil“ EUR 21.622,48, wovon er EUR 13.500,00 bezahlt habe. Daraus ergebe sich ein restlicher Anspruch des Klägers gegenüber dem Zweitbeklagten von EUR 8.122,48.

Gegenüber der Drittbeklagten habe der Kläger einen Schenkungspflichtteilsanspruch von EUR 20.936,05, wovon EUR 13.500,00 bezahlt worden seien, sodass ihm diese noch EUR 7.436,05 schulde.

Die Beklagten seien gegenüber dem Kläger aus demselben tatsächlichen Grund zur Befriedigung der Pflichtteilsansprüche verpflichtet und daher materielle Streitgenossen gemäß § 11 Z 1 ZPO. Die Streitwerte seien somit gemäß § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnen, woraus sich unter Berücksichtigung des Wohnorts der Beklagten die sachliche (und örtliche) Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe.

Mit dem angefochtenen Beschluss erklärt sich das Erstgericht für sachlich unzuständig und weist die Klage aus diesem Grund (a limine) zurück.

Diese Entscheidung begründet es rechtlich zusammengefasst wie folgt:

Der für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebliche Streitwert sei nach den §§ 54ff JN zu ermitteln. Gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN seien gegen mehrere Parteien in einer Klage geltend gemachte Ansprüche - wie hier - nur dann zusammenzurechnen, wenn die Beklagten materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO seien. Dies sei dann der Fall, wenn entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands bestehe oder die Beklagten aus demselben tatsächlichen Grund (allenfalls sogar solidarisch) verpflichtet seien. Derselbe „tatsächliche Grund“ bestehe in einem für alle Streitgenossen einheitlichen rechtserzeugenden Sachverhalt. Sobald für einen von ihnen noch weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs hinzuträten, sei keine materielle Streitgenossenschaft mehr gegeben. Im Fall einer bloß formellen Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO komme es selbst dann nicht zu einer Zusammenrechnung der Streitwerte, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stünden.

Mehrere Pflichtteilsberechtigte seien (nach ständiger Rechtsprechung) lediglich formelle Streitgenossen, und zwar auch dann, wenn sie die Erhöhung ihrer Pflichtteile durch die Anrechnung von Schenkungen begehrten. Dies werde damit begründet, dass bei jedem einzelnen von ihnen die Beurteilung, ob und in welchem Umfang eine Verkürzung im Pflichtteil bestehe, vom Erhalt von Vorempfängen – und damit von individuellen anspruchserheblichen Tatsachen – abhänge. Gleiches müsse im vorliegenden Fall der Klage eines Pflichtteilsberechtigten gegen mehrere Geschenknehmer gelten. Auch hier hänge die Frage, ob und in welchem Umfang die einzelnen Beklagten hafteten, davon ab, welche Zuwendungen sie jeweils empfangen hätten. Diese Frage müsse – schon im Hinblick auf den Erhalt jeweils unterschiedlicher Geschenke – für jede/n Beklagte/n gesondert beantwortet werden, sodass keine Verpflichtung aus demselben tatsächlichen Grund bestehe. Eine Solidarschuld der Beklagten werde von der klagenden Partei – zu Recht – gar nicht behauptet. Diese seien somit keine materiellen Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 1 ZPO, sodass eine Zusammenrechnung der jeweiligen Streitwerte nicht stattfinde. Da die geltend gemachte Forderung betreffend keine/n der Beklagten EUR 15.000,00 übersteige, sei das Erstgericht für die Entscheidung über alle Begehren sachlich unzuständig.

Dagegen richtet sich der aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens (unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund) aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt .

Der Rekurswerber bekämpft die Rechtsansicht, wonach die Beklagten keine materiellen Streitgenossen gemäß § 11 Z 1 ZPO seien - und dementsprechend die gegen sie geltend gemachten Ansprüche nicht zusammenzurechnen seien. Tatsächlich ergebe sich insbesondere aus § 783 Abs 1 ABGB, wonach auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten oder eines Erben Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen der Verlassenschaft hinzuzurechnen und auf einen allfälligen Geldpflichtteil der Geschenknehmer anzurechnen seien, eine Rechtsgemeinschaft im Sinn des § 11 Z 1 1. Fall ZPO von jenen (pflichtteilsberechtigten) Personen, die - zu Lebzeiten oder von Todes wegen - vom Verstorbenen beschenkt worden seien. Außerdem seien diese gegenüber dem Kläger aus demselben tatsächlichen Grund gemäß § 11 Z 1 2. Fall ZPO, nämlich aus den lebzeitig und von Todes wegen erhaltenen Schenkungen, verpflichtet. Dies gelte umso mehr, wenn man berücksichtige, dass der Kläger nach § 789 ABGB seine Pflichtteilsansprüche primär gegen die Erbin, also die Erstbeklagte, geltend machen müsse, und er die (weiteren) Geschenknehmer, somit den Zweitbeklagten und die Drittbeklagte, nur insoweit belangen könne, als die Verlassenschaft zur Deckung seines Pflichtteilsanspruchs nicht ausreiche. Zur Ermittlung desselben seien der reinen Verlassenschaft alle Schenkungen des Verstorbenen (an die Beklagten) hinzuzurechnen, weshalb der Anspruch des Klägers entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts nicht davon abhänge, welche Zuwendungen der/die jeweilige Beklagte erhalten habe. Müssten – der Rechtsansicht des Erstgerichts folgend – 3 Klagen eingebracht werden, könnte dies in jedem dieser Verfahren „ein anderes Ergebnis“ zur Folge haben. Überdies wäre die klagende Partei dann mit unbilligen Beweisschwierigkeiten konfrontiert, zumal Geschenknehmer, die am jeweiligen Verfahren nicht beteiligt seien, nicht gezwungen werden könnten, erhaltene Zuwendungen ehrlich offenzulegen.

Im Rekursverfahren ist somit lediglich die Frage zu klären, ob es sich bei den Beklagten um materielle Streitgenossen gemäß § 11 Z 1 ZPO handelt - und dementsprechend die Streitwerte der gegen sie gerichteten Forderungen nach § 55 Abs 1 Z 2 JN zusammenzurechnen sind. Die Zuständigkeitsprüfung hat gemäß § 41 Abs 2 JN grundsätzlich aufgrund der Angaben in der Klage zu erfolgen (RS0046236) .

Es trifft zu, dass nach ständiger Rechtsprechung mehrere Pflichtteilsberechtigte, auch wenn sie die Erhöhung ihrer Pflichtteile durch die Anrechnung von Schenkungen begehren, als (bloß) formelle Streitgenossen gemäß § 11 Z 2 ZPO zu qualifizieren sind (RS0012879 insbes [T1]). Dies wird vor allem damit begründet, dass die Frage, ob und in welchem Umfang eine Pflichtteilsverkürzung bestehe, bei jedem einzelnen Pflichtteilsberechtigten davon abhänge, welche Vorempfänge er erhalten habe, wobei es sich um eine individuelle anspruchserhebliche Tatsache handle (vgl 6 Ob 15/87) . Wie das Erstgericht richtig erkennt, folgt daraus aber nicht zwingend, dass mehrere Geschenknehmer, die auf anteilige Zahlung des Ausfalls am Pflichtteil in Anspruch genommen werden, ebenfalls keine materiellen Streitgenossen sind.

Eine materielle Streitgenossenschaft wäre – wie das Erstgericht ebenfalls zutreffend ausführt – gemäß § 11 Z 1 ZPO unter anderem dann anzunehmen, wenn die Beklagten aus demselben tatsächlichen Grund verpflichtet sind.

Eine solche Verpflichtung setzt einen einheitlichen rechtserzeugenden Tatbestand voraus, ohne dass bereits von vornherein unterschiedliche rechtserzeugende Tatsachen vorliegen oder noch weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs eines der Streitgenossen hinzutreten (müssen) (RS0035450; RS0035411; RS0035450) . Ein einheitlicher rechtserzeugender Tatbestand liegt etwa dann vor, wenn Miterben (infolge bedingter Erbserklärungen) als Quotenschuldner auf Zahlung des Nachlasspflichtteils oder von Todfallskosten in Anspruch genommen werden (7 Ob 220/08s Punkt 1.1.) . Auch im vorliegenden Fall nimmt der Kläger die Beklagten gemäß § 789 Abs 1 ABGB als Geschenknehmer auf anteilige Zahlung des Fehlbetrags für den Ausfall am Pflichtteil im Verhältnis des behaupteten Werts der Geschenke, also quotenmäßig im Sinn des § 789 Abs 2 ABGB, in Anspruch. Dies ist mit der Inanspruchnahme von bedingt erbantrittserklärten Miterben als Quotenschuldner vergleichbar: Ausgehend vom Klagsvorbringen richtet sich der Anspruch des Klägers gegen jede/n der 3 Beklagten nach dem Ausmaß des reinen Nachlasses und dem Verhältnis der Summe der insgesamt anrechenbaren Vorempfänge zu den jeweils erhaltenen; es müssen also in jedem Fall alle (anrechenbaren) Schenkungen ermittelt werden. Somit lassen sich die Ansprüche gegen alle Beklagten aus demselben Sachverhalt ableiten; es gibt keine weiteren rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Begründung des Anspruchs gegen die einzelnen Beklagten „hinzutreten“ müssten. Daher liegt auch für die Beklagten als anteilig haftende Geschenknehmer ein einheitlicher rechtserzeugender Tatbestand vor, der sie zu materiellen Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 1 ZPO macht.

Aus diesem Grund sind die gegen sie erhobenen Ansprüche nach § 55 Abs 1 Z 2 JN zusammenzurechnen, sodass das Erstgericht gemäß §§ 49 Abs 1, 50 JN sachlich zuständig ist.

Es war daher in Stattgebung des Rekurses der angefochtene Beschluss zu beheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund der sachlichen Unzuständigkeit aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO. Das Rechtsmittelverfahren gegen eine Klagszurückweisung a limine ist kein Zwischenstreit. Da die beklagten Parteien keine rechtliche Einflussmöglichkeit auf die mit dem Rekurs bekämpfte Entscheidung hatten, trifft sie gegenüber dem erfolgreichen Rekurswerber keine vom Ausgang des Verfahrens unabhängige Kostenersatzpflicht (Klauser/Kodek, JN – ZPO18 § 52 ZPO [Stand 1.9.2018, rdb.at] E3).

Da den beklagten Parteien die Beteiligung an der - vor der Klagszustellung erfolgten – ersten amtswegigen Zuständigkeitsprüfung gemäß § 41 JN verwehrt ist, ist auch ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Rekursgerichts, mit dem der ersten Instanz die Fortsetzung des Verfahrens nach a limine zurückgewiesener Klage aufgetragen wird, unzulässig (Klauser/Kodek, JN – ZPO18 § 41 JN [Stand 1.9.2018, rdb.at], E23; EFSlg 79.074; EFSlg 101.566) . Dementsprechend war ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses entbehrlich (3 Ob 1501/85, REDOK 2674). Den beklagten Parteien steht aber im fortgesetzten Verfahren grundsätzlich die Möglichkeit offen, das Fehlen von Prozessvoraussetzungen einredeweise geltend zu machen und etwa auch eine Unzuständigkeitseinrede zu erheben (RS0039200 [T42]; Mayr in Rechberger/Klicka (Hrsg), Kommentar zur ZPO 5 (2019) zu § 41 JN, Rz 4).

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