8Bs69/24v – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag a . Berzkovics als Vorsitzende und die Richter Mag. Obmann, LL.M. (WU) und Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen DI A* und andere Personen wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 1 und 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerden von B* und Mag. Dr. C* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 3. Jänner 2024, AZ 22 HR 44/20x (ON 2862 der Akten 16 St 52/19t der Staatsanwaltschaft Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Den Beschwerden wird Folge gegeben und festgestellt, dass der angefochtene Beschluss das Gesetz in der Bestimmung des § 6 Abs 2 Z 2 PNR-Gesetz iVm § 5 Abs 1 StPO verletzt.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
BEGRÜNDUNG:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 2862, AS 141) bewilligte das Erstgericht im Ermittlungsverfahren AZ 16 St 52/19t der Staatsanwaltschaft Graz gestützt auf § 6 Abs 2 Z 2 PNR-Gesetz – der Sache nach unter identifizierender Übernahme der darin angegebenen Gründe (zur Zulässigkeit vgl RIS-Justiz RS0124017) – die Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Depersonalisierung der in der PNR-Datenbank gespeicherten Fluggastdaten des B* und Mag. Dr. C* „der letzten fünf Jahre“.
Die Anordnung wurde bereits vollzogen (vgl ON 2969, S 1 verso Punkt 1.).
Laut Vorlagebericht konnte nicht mehr nachvollzogen werden, ob oder wann die angefochtene Entscheidung an die Beschuldigten ausgehändigt wurde. Aus dem in der Verfahrensautomation Justiz (VJ) einsehbaren Zustellnachweis im Verfahren 16 St 52/19t ergibt sich jedoch, dass diese dem seinerzeitigen Verteidiger der beiden Beschuldigten am 8. Jänner 2024 zugestellt wurde.
Die jeweils am 18. Jänner 2024 eingebrachten Beschwerden von Mag. Dr. C* (ON 2891) und B* (ON 2892) sind demnach rechtzeitig und auch in dem im Spruch ersichtlichen Umfang erfolgreich.
In prozessualer Hinsicht ist zunächst festzuhalten, dass gerichtliche Beschlüsse, mit welchen Ermittlungsmaßnahmen der hier relevanten Art bewilligt wurden, mit Beschwerde bekämpfbar sind; dies auch dann, wenn die Maßnahme (wie hier) bereits vollzogen wurde. Das Beschwerdegericht prüft in einem solchen Fall, ob die Erteilung der Bewilligung aus dem Blickwinkel ex-ante rechtskonform war (RIS-Justiz RS0131252; Tipold , WK-StPO § 89 Rz 15; Kirchbacher , StPO 15 § 89 Rz 3/6).
Durch das in Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/681 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität (ABl 119 vom 15. Mai 2016, 132 ff) am 17. August 2018 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Vorbeugung, Verhinderung und Aufklärung von terroristischen und bestimmten anderen schweren Straftaten (PNR-Gesetz; kurz: PNR-G) wurde ein System zur Verarbeitung von Fluggastdaten geschaffen und beim Bundesminister für Inneres die österreichische Fluggastdatenzentralstelle (Passenger Information Unit – kurz: PIU) eingerichtet (§ 1 Abs 2 PNR-G). Diese erhebt, speichert und verarbeitet die von den Luftfahrtunternehmen übermittelten PNR-Daten, leitet diese oder die Ergebnisse der Datenverarbeitung an die zuständigen Behörden weiter und ist grundsätzlich für den Informationsaustausch mit den PIU anderer EU-Mitgliedstaaten sowie mit Europol zuständig (§§ 2, 4 und 7 PNR-G). Diese Funktion wird durch das Bundeskriminalamt als Organisationseinheit des Bundesministeriums für Inneres ausgeübt.
Die einzelnen von den Luftfahrtunternehmen zu übermittelnden PNR-Daten sind taxativ in § 3 PNR-G aufgelistet und entsprechen dem Anhang 1 der PNR-Richtlinie.
Das PNR-G und damit die verpflichtende Übermittlung von PNR-Daten durch die Luftfahrtunternehmen an die österreichische PIU findet nur auf Flüge mit Drittstaatsbezug Anwendung (§ 2 Abs 1 PNR-G). Erfasst ist jeder Linien- oder Gelegenheitsflug eines Luftfahrtunternehmens, der von einem Drittstaat aus startet und das Hoheitsgebiet Österreichs zum Ziel hat oder von Österreich aus startet und einen Drittstaat zum Ziel hat, einschließlich Flüge mit Zwischenlandung in einem Mitgliedstaat oder Drittstaat (vgl EBRV 186 BlgNR XXVI. GP 2.)
Nach Ablauf von fünf Jahren ab Übermittlung durch die Luftfahrtunternehmen sind die PNR-Daten in den PNR-Datenverarbeitungssystemen zu löschen (§ 4 Abs 4 PNR-G). Bereits sechs Monate nach Übermittlung durch die Luftfahrtunternehmen sind PNR-Daten zu „depersonalisieren“ (§ 6 PNR-G). Depersonalisierung ist der Vorgang der Unkenntlichmachung all jener Daten, mit denen eine Person eindeutig identifiziert werden kann. Die Aufhebung der Depersonalisierung ist aufgrund eines begründeten Ersuchens einer in § 7 (iVm § 4 Abs 2) PNR-G genannten Behörde unter anderem zur Aufklärung einer in § 1 Abs 1 PNR-G genannten mit gerichtlicher Strafe bedrohten strafbaren Handlung oder zur Verhinderung von im Rahmen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung oder einer kriminellen Organisation (§§ 278 bis 278b StGB) geplanten strafbaren Handlungen auf Anordnung der Staatsanwaltschaft aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung oder auf Anordnung des Gerichts nach den Bestimmungen der StPO zulässig (§ 6 Abs 2 Z 2 PNR-G).
Die hier in Rede stehende Ermittlungsmaßnahme hat – wie jeder andere Rechtseingriff im Strafverfahren (§ 1 Abs 1 StPO) – zur Voraussetzung, dass zum Zeitpunkt ihrer Bewilligung eine Straftat – das heißt menschliches Verhalten, das Gegenstand eines Ausspruchs gemäß § 260 Abs 1 Z 2 StPO sein könnte (vgl RIS-Justiz RS0119249; RS0132159) –, im Verdacht steht („Anlasstat“). Dabei muss es sich nach § 1 Abs 1 PNR-G um terroristische Straftaten (§ 165 Abs 3 zweiter Fall StGB oder §§ 278b bis 278f und 282a StGB) oder solche handeln, die einer der im Anhang des PNR-G angeführten Kategorie von gerichtlich strafbaren Handlungen zuzuordnen und mit einer Freiheitsstrafe, deren Obergrenze mindestens drei Jahre beträgt, bedroht sind (sog. „Listendelikte“).
Die Begründung der Verdachtsannahmen darf sich (gleich wie bei anderen Ermittlungsmaßnahmen mit Zwangscharakter) nicht in Mutmaßungen und Spekulationen erschöpfen, sondern muss sich aus bewertbaren Beweisergebnissen ergeben (RIS-Justiz RS0107304, RG0000077; zum Maßstab siehe § 89 Abs 2a Z 3 StPO, worin auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO verwiesen wird). Die Übernahme der Antragsbegründung oder des Inhalts anderer Entscheidungen, etwa in Form eines identifizierenden Verweises, genügt diesem Begründungserfordernis dann, wenn die übernommenen Textstellen ihrerseits den Anforderungen „Subsumtionstauglichkeit“ und „genügende Begründung“ entsprechen ( Ratz , Aktuelle Rechtsprobleme des Ermittlungsverfahrens, ÖJZ 2021, 772 [775]; Ratz , Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO² Rz 155, 230, 332 ff). Nachdem sich das Erstgericht beim angefochtenen Beschluss dieser Methode bediente und sich die Begründung der Anordnung zu eigen machte, ist diese insoweit mittelbarer Bezugspunkt der Verdachtsdarstellung und -begründung.
Zu Mag. Dr. C*:
Die Verdachtsannahmen hinsichtlich Mag. Dr. C* in Ansehung des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 (iVm § 278 Abs 3) StGB sowie die dafür ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse in der hier gegenständlichen Anordnung stimmen mit jenen in der gerichtlich bewilligten Hausdurchsuchungsanordnung ON 2807 überein.
Die Verdachtslage wurde vom Beschwerdegericht bereits geprüft, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung dieser Beschwerdeentscheidung verwiesen werden kann (Beschwerdebeschluss [BB] vom 18. April 2024, AZ 8 Bs 68/24x).
Zusammengefasst bestand gegen Mag. Dr. C* zum Zeitpunkt der hier maßgeblichen Entscheidung des Erstgerichts der Verdacht, er habe durch nachstehende bis zumindest 3. November 2022 abrufbare (ON 2806, S 15) Beiträge auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite die nach österreichischem Recht als terroristische Vereinigung beurteilbare Hamas (vgl [implizit] 13 Os 127/17a; Plöchl in WK 2 StGB § 278b Rz 1 [„der terroristische Flügel der Hamas“]) und ihre terroristischen Anschläge unterschiedlicher Art ([Selbst-]Mordanschläge mit Bomben und Schusswaffen, Raketenangriffe, etc) in der (Medien-)Öffentlichkeit gutgeheißen, ihre als terroristische Straftaten beurteilbaren Anschläge der bezeichneten Art (zB § 278c Abs 1 Z 1 [zB Mordanschläge in Israel] Z 7 [zB Angriffe mit Sprengmitteln wie Raketen oder Bomben auf Gebiete in Israel wie jüngst bei dem Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem mehr als 2000 Raketen aus dem Gazastreifen wahllos auf Zivilisten in Israel abgefeuert, grauenhafte Massaker an der Zivilbevölkerung verübt und mehr als 200 Menschen als Geiseln nach Gaza entführt wurden]) als begrüßenswert und eine Teilnahme an solchen Taten als von Gott gewollt und für gläubige Muslime erstrebenswert dargestellt haben könnte, und zwar:
Zu B*:
Die zu II.A.2. des angefochtenen Beschlusses inkriminierten und über diverse Internetdienste (**, **, **) veröffentlichten Beiträge und Predigten des B*, auf welche die Verdachtsannahmen in Ansehung des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB unter anderem gestützt werden, waren bereits Gegenstand der Beschwerdeentscheidung vom 13. April 2023, AZ 8 Bs 23/23b (BB ON 2551), sodass (weil die seither hinzugetretenen Verfahrensergebnisse den Verdacht nicht entkräften oder den Verdachtsgrad vermindern) zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung dieser Beschwerdeentscheidung verwiesen werden kann.
Hiervon ausgehend bestand zum Zeitpunkt der hier gegenständlichen Entscheidung des Erstgerichts der Verdacht, dass B* zumindest durch nachstehende (auch über **) verbreitete Predigt (möglicherweise vom 23. August 2014; ON 2145 S 27 f [FN 32, 38 und 39 zur Quelle 23.08.2014], S 30 f [FN 48 zur Quelle 23.08.2014]) die nach österreichischem Recht als terroristische Vereinigung beurteilbare Hamas (vgl [implizit] 13 Os 127/17a; Plöchl in WK 2 StGB § 278b Rz 1 [„der terroristische Flügel der Hamas“]) und ihre terroristischen Anschläge unterschiedlicher Art ([Selbst-]Mordanschläge mit Bomben und Schusswaffen, Raketenangriffe, etc) in der (Medien-)Öffentlichkeit gutgeheißen, ihre als terroristische Straftaten beurteilbaren Anschläge der bezeichneten Art (zB § 278c Abs 1 Z 1 [zB Mordanschläge in Israel] Z 7 [zB Angriffe mit Sprengmitteln wie Raketen oder Bomben auf Gebiete in Israel wie jüngst bei dem Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem mehr als 2000 Raketen aus dem Gazastreifen wahllos auf Zivilisten in Israel abgefeuert, grauenhafte Massaker an der Zivilbevölkerung verübt und mehr als 200 Menschen als Geiseln nach Gaza entführt wurden]) als begrüßenswert und eine Teilnahme an solchen Taten als von Gott gewollt und für gläubige Muslime erstrebenswert dargestellt haben könnte, und zwar:
„Gott, mach unsere Brüder in Palästina siegreich, lass unsere Brüder in Gaza siegen, o Herr der Welten, festige ihren Stand, lass sie ihre Ziele treffen, und stärke ihre Kraft, Gott zerstöre ihre Feinde, o Lebendiger, o Allwährender, Erschaffer der Himmel und der Erde, o Besitzer der Erhabenheit und Ehrerbietung, zerstöre die verfluchten Zionisten überall.
[..]
die „Brüder in Gaza" (Hamas) zeigen, wie die „Männlichkeit in uns (vorhanden) sein kann, wie wir Männer sein können"
[..]
Schlagt zu, und fragt nicht die Araber, und fragt nicht die Führer der Araber, und nehmt eure Sache entschlossen in die Hand." und fortgesetzt: „Wir werden nicht durch die Nummer oder Anzahl besiegt werden, sondern wir siegen durch unseren Willen. Und erstens durch den Beistand Gottes für uns, wenn wir über uns selber siegreich sind, wird uns Gott, erhaben ist Er, zum Sieg führen. Sie siegen über sich selbst, geben das Diesseits auf und gehen unter die Erde, sodass sie Überraschungen erzeugen über die die Welt erstaunt sein wird."
[...]
Und wir sehen unsere Brüder in Gaza vor unseren Augen fallen, und die Führung an ihrer Spitze ist die Führung der Hamas, die Führer des Dschihads, die Führer des Widerstands. Sie geben sich selbst für Gott her, und suchen Gottes Wohlgefallen. Und der Feind, die zionistische Entität (gemeint der Staat Israel) glaubt, ihre Entschlossenheit zerstören zu können. Niemals! Denn sie lieben das Martyrium auf dem Pfad Gottes, und dafür erheben sie sich und dafür handeln sie Gottes Wohlgefallen erstrebend, gepriesen und erhaben ist Er, für das Martyrium und um Gott gefällig zu sein, gepriesen und erhaben ist Er. Erstens sagen sie, dass sie auf dem Pfad Gottes kämpfen, dass sie diese Momente erwarten, in denen sie ins Paradies eilen, „dessen Breite der von Himmel und Erde entspricht der für die Gottesfürchtigen vorbereitet ist". Und ich war erstaunt über die Mutter eines der drei Kämpfer. Man tröstet sie, während sie (vor Freude) laut aufheult, jubelt und nicht weint und sagt: „Das ist, wofür wir sie vorbereitet haben. Diese Führung, wir haben sie fürs Martyrium auf dem Weg Gottes vorbereitet." Ja, Palästina und Gaza im Spezifischen, ist zur Gänze der Widerstand, ist zur Gänze die Hamas. Sie alle, bereiten sich aufs Martyrium auf dem Weg Gottes vor, um die Religion, das Land und die Ehre, und die Heiligtümer zu verteidigen. Ja, es ist das Martyrium, das sich jeder Muslim auf dieser Welt wünscht, aber Gott, gepriesen und erhaben ist Er, wählt von seinen Dienern aus, und sucht von ihnen Märtyrer aus, um von ihnen Märtyrer zu nehmen und er liebt die Ungerechten nicht. Denn die Liebe für die Ewigkeit im Jenseits stärkt unseren Glauben, und festigt unseren Schritt, und lässt uns so für unsere Religion handeln wie es notwendig ist".
Solcherart war auf Tatsachenebene des Bedeutungsinhalts (RIS-Justiz RS0092588; RS0124837) der beschriebenen Inhalte, die in ihrem Kern allesamt zur Feindschaft, zum Hass und zu Gewalt gegen Juden sowie zur Zerstörung des Staates Israel aufrufen, zum Zeitpunkt der Bewilligung der gegenständlichen Anordnung nicht auszuschließen, dass Mag. Dr. C* und B* sich auf diese Weise als Mitglieder an der Hamas in dem Wissen und Wollen beteiligten, diese terroristische Vereinigung dadurch zu unterstützen, dass sie ihre terroristischen Straftaten propagandistisch positiv – als Gott gewollt und heldenhaft – darstellen, Sympathien dafür hervorrufen und allenfalls sogar weitere Mitglieder anwerben, die dann ihrerseits die Hamas und ihre terroristischen Straftaten bewerben.
Dieser konkret in Verdacht stehende (Lebens-)Sachverhalt wurde vom Erstgericht zutreffend als das Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 (iVm § 278 Abs 3) StGB subsumiert.
Soweit die Verdachtsannahmen hinsichtlich beider Beschuldigten darüber hinaus auf ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit „der F*“ gestützt werden, ist darauf zu verweisen, dass das Beschwerdegericht – auch unter Einbeziehung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. G* (ON 2743) – bereits wiederholt ausgesprochen hat, dass zwar die Werte und langfristigen Ziele „der F*“ (Gründung eines islamischen Staates auf Grundlage des islamischen Rechts [der Scharia]) den in Österreich maßgebenden demokratischen Grundwerten widersprechen mögen [EBRV 377 BlgNR 26. GP 1 ff, 9), in den Akten aber unverändert keine Beweismittel auszumachen sind, die die Annahme im Tatsachenbereich tragen würden, dass „die F*“ anders als etwa der Islamische Staat (IS) oder Al Quaida ( Sadoghi in SbgK § 278b Rz 47) als ganzes und damit jedes (potentielle) Mitglied der „F*“ terroristisch ausgerichtet wäre. Dasselbe gilt für die weiterhin auf Basis von „Art 2 der Gründungscharta der Hamas‟ vorgetragene (ON 2656, S 87 ff mit Verweis auf ON 55, S 65 ff, insb 70 [Übersetzung von aus dem Internet stammenden Dokumenten, ua „Wikipedia Informationszentrum über Geheimdienste und Terrorismus‟ {ON 55, S 3-8}; „ Das Meir Amit Informationszentrum über Geheimdienste und Terrorismus beim Israelischen Zentrum für Nachrichtendienst, Kulturerbe und Gedenken 8. Mai 2017 Ziele und Bedeutung des neuen Politischen Dokuments der Hamas‟ {ON 55, S 9-31}; „Die englische Version des Politischen Dokuments (wie von der Hamas übersetzt)‟ {ON 55, S 32-50}; „Intelligence and Terrorism Information Center at the Center for Special Studies (C.S.S) Die Hamas Charta (1988)‟ {ON 55 S, 51-141}]), jedoch unverändert nicht durch aktenkundige Verfahrensergebnisse gedeckte Hypothese einer automatischen Gleichsetzung „der F*“ mit der Hamas dergestalt, dass allein ein Verdacht gegen eine bestimmte Person, Mitglied „der F*“ zu sein oder auch nur Sympathien für diese zu hegen, den Verdacht begründet, eine solche Person hätte sich automatisch mit entsprechendem Vorsatz der (nach österreichischem Recht als terroristische Vereinigung einzustufenden) Hamas oder einer anderen „der F*“ nahestehenden Vereinigung mit terroristischer, krimineller oder auf die Republik Österreich bezogener staatsfeindlicher Zweckausrichtung angeschlossen (vgl anstatt vieler zuletzt BB vom 12. Dezember 2023, AZ 8 Bs 250/23k).
Hiervon ausgehend vermögen daher weder eine – soweit bei einer Bewegung überhaupt möglich [ON 2743, Gutachtenseite 2, 4, 10 ff) – „Mitgliedschaft“ an „der F*“, noch Unterstützungshandlungen oder Sympathiebekundungen für diese, einen Verdacht für Beteiligung an oder gar Anführen einer terroristischen Vereinigung zu begründen.
Soweit das Erstgericht auch von der Annahme ausging, Mag. Dr. C* habe das Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB dadurch begangen, „ dass er als Bezieher der Notstandshilfe zumindest in den letzten fünf Jahren, mithin zumindest ab Herbst 2018, in ** gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 und Abs 2 StGB) mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, seine zahlreichen wiederholt mehrere Wochen dauernden Reisen nach Ägypten, in die Türkei und andere Länder entgegen der ihn als Notstandsbezieher treffenden Meldeverpflichtung gegenüber den verantwortlichen Beamten des Arbeitsmarktservice ** verschwieg, mithin durch Täuschung über Tatsachen, die verantwortlichen Beamten des Arbeitsmarktservice ** zu einer Handlung, nämlich zur Auszahlung von Notstandshilfe in einer insgesamt EUR 5.000,00 übersteigenden Höhe, verleitete, die das Arbeitsmarktservice ** in zumindest dieser Höhe am Vermögen schädigte.“ , ist auszuführen, dass ein Auslandsaufenthalt zwar – bis auf eine hier nicht in Rede stehende Ausnahme (§ 16 Abs 3 AlVG) – zum Ruhen des Anspruches auf (hier:) Notstandshilfe führt (§ 16 Abs 1 lit g iVm § 38 AlVG) und die Unterlassung der Meldung eines solchen zufolge der den Bezieher im Besonderen treffenden Rechtspflicht des § 50 Abs 1 AlVG Strafbarkeit nach § 146 StGB durch Unterlassen (§ 2 StGB) begründen kann ( Kirchbacher/Sadoghi in WK 2 StGB § 146 Rz 25; RIS-Justiz RS0094297; 13 Os 105/02; 11 Os 100/15p), die dafür ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse aus dem Anlassbericht des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Steiermark (LVT Steiermark) vom 15. November 2023 (ON 2832, S 9 dritter Absatz) die Annahme einer gewerbsmäßigen Begehung des Betrugs jedoch nicht zu tragen vermochten. Daraus ging nämlich nur hervor, dass Mag. Dr. C* seit 2005 – bis auf wenige kurze Unterbrechungen – „durchgängig“ Bezieher von Notstandshilfe war. Auf welches aktenkundige Verfahrensergebnis sich diese Annahme stützt (Sozialversicherungsauskunft odgl), blieb genauso ungeklärt, wie die Höhe der von Mag. Dr. C* in diesem Zeitraum bezogenen Notstandshilfe. Außerdem waren zu diesem Zeitpunkt lediglich zwei Auslandsaufenthalte objektiviert, die er nicht gemeldet haben soll. Solcherart blieb die Annahme für gewerbsmäßige Begehung des Betrugs sowohl in Ansehung der Vortaten (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) als auch der Höhe des intendierten Einkommens (vgl § 70 Abs 2 StGB sowie EBRV 689 BlgNR 25. GP 14ff) ohne Sachverhalts- und Beweismittelbezug ( Jerabek / Ropper in WK 2 StGB § 70 Rz 12ff, 13/5, 13/7 mwN; RIS-Justiz RS0130865, RS0131765, RS0119090 [T14]). Auch für einen nach § 147 Abs 2 StGB qualifizierten Betrug reichten die Verfahrensergebnisse nicht hin. Es lag zum Zeitpunkt der Bewilligung der Anordnung daher nur ein Verdacht für Betrug nach § 146 StGB vor, der mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht ist.
§ 6 Abs 2 Z 2 PNR-G erklärt eine Aufhebung der Depersonalisierung von Fluggastdaten neben terroristischen Straftaten aber nur zur Aufklärung einer im Anhang des Gesetzes angeführten Kategorie von mit Strafe bedrohter Handlungen für zulässig, sofern deren Höchststrafmaß mindestens drei Jahre beträgt. Bei Betrug handelt es sich zwar um ein Listendelikt im Sinne des Anhangs zum PNR-G (7. „Betrugsdelikte“; Katalogstraftat im Sinne des Art 3 Z 9 der PNR-Richtlinie), jedoch fehlte es im Anlassfall wie dargestellt schon am Verdacht eines nach § 147 oder § 148 StGB qualifizierten und damit mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Betrugs, sodass dieser Verdacht als Grundlage für die hier in Rede stehende Ermittlungsmaßnahme von vornherein ausschied.
In Ansehung der weiteren in Verdacht stehenden Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 (iVm § 278 Abs 3) StGB war die Ermittlungsmaßnahme zwar zulässig, aber nicht zu deren Aufklärung erforderlich.
Gemäß § 5 StPO ist bei der Ausübung von Befugnissen und der Aufnahme von Beweisen immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, der stets fallspezifischer Prüfung und Beurteilung bedarf. Eingriffe in Rechte von Betroffenen dürfen nur erfolgen, wenn sie gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Darüber hinaus muss jede Beeinträchtigung in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen. Aufgabe des Strafverfahrens ist gemäß § 1 Abs 1 StPO die Aufklärung von Straftaten, die Verfolgung verdächtiger Personen und die Fällung der damit zusammenhängenden Entscheidungen ( Wiederin , WK-StPO § 5 Rz 77).
Die Zuweisungen von Aufgaben an die Kriminalpolizei (§ 18 Abs 1, § 98 Abs 1, § 99), die Staatsanwaltschaft (§§ 20, 98 Abs 1, § 101) und das Gericht (§§ 29 ff) knüpfen hieran an. Jeder Rechtseingriff im Strafverfahren muss deshalb dem Ziel dienen, Informationen über eine Handlung zu gewinnen, die mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, oder einer Person habhaft zu werden, die als Täter in Betracht kommt, um über die Tat und Täter entscheiden zu können ( Wiederin, aaO § 5 Rz 78).
Die Erforderlichkeit zur Aufgabenerfüllung setzt implizit voraus, dass der Rechtseingriff tauglich ist, die Zwecke des Strafverfahrens zu fördern. Was zur Zielerreichung ungeeignet ist, scheidet als Maßnahme von vornherein aus. Zum anderen ist explizit verlangt, dass die Maßnahme notwendig ist, um zum Ziel zu gelangen. Bei der Aufgabenerfüllung dürfen Rechtseingriffe immer nur ultima ratio sein ( Wiederin , aaO § 5 Rz 79).
Ausgangspunkt der Prüfung ist stets der Effekt, der durch die in Aussicht genommene Ermittlung bezweckt wird. Dieser angestrebte Erfolg muss einerseits der Erfüllung einer strafprozessualen Aufgabe dienen, mithin zur Aufklärung einer Straftat bzw zur Verfolgung des Täters beizutragen vermögen. Andererseits muss er durch die in Aussicht genommene Ermittlung auch erzielbar sein. Lässt sich der angestrebte Effekt durch die erwogene Maßnahme gar nicht erreichen, so muss von ihr Abstand genommen werden. Diese Prüfung der Tauglichkeit besteht in der Beurteilung einer Mittel-Ziel-Relation, die nicht bloß bei der Entscheidung über den Beginn einer Ermittlung anzustellen ist, sondern während ihrer gesamten Dauer ständig hinterfragt werden muss. Wenn die Eignung einer Maßnahme bejaht werden kann, ist im nächsten Schritt ihre Erforderlichkeit zu prüfen. Sie besteht in einem Mittelvergleich: Sind mehrere Maßnahmen zur Zielerreichung geeignet, so haben die Strafverfolgungsbehörden jenes Mittel auszuwählen, das mit den am wenigsten negativen Auswirkungen für die Betroffenen verbunden ist. Die Beeinträchtigung soll so gering wie möglich gehalten werden, nur das gelindeste Mittel darf zum Einsatz gelangen ( Wiederin aaO § 5 Rz 88 f).
Ausgehend von der eingangs beschriebenen Verdachtslage gegen die beiden Beschuldigten erschließt sich dem Beschwerdegericht nicht, inwiefern die durch die Depersonalisierung der Fluggastdaten nachzuweisende „rege Reisetätigkeit“ der Beschuldigten (BS 70) etwas zur Aufklärung gerade dieser Verdachtslage beitragen sollte, lagen doch zum Zeitpunkt der Bewilligung der Anordnung überhaupt keine aktenkundigen Hinweise dafür vor, dass in einem bestimmen (Dritt-)Land ein Ereignis oder eine Zusammenkunft mit terroristischem Hintergrund stattgefunden hätte, an dem/der sich die Beschuldigten beteiligt haben könnten. Demzufolge konnten allein aus den Fluggastdaten der Beschuldigten überhaupt keine Rückschlüsse auf eine Verbindung zu oder gar Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (hier: die Hamas) gezogen werden.
Nach Maßgabe dessen lag, auch unter Berücksichtigung, dass im Ermittlungsverfahren Erkundungsbeweisaufnahmen – auch in Form von Zwangsmaßnahmen – zulässig sind (RIS-Justiz RS0097230), zum Zeitpunkt der Bewilligung die Tauglichkeit als eine Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit der angestrebten Ermittlungsmaßnahme nicht vor.
Deshalb ist auszusprechen, dass die im Spruch ersichtlichen Ermittlungsmaßnahmen gegen Mag. Dr. C* und B* unzulässig waren und die Bewilligung dieser Maßnahmen das Gesetz im Erfordernis der Tauglichkeit zur Sachverhaltsaufklärung verletzten ( Tipold , WK-StPO § 89 Rz 15).
Eine Vernichtung der durch die für unzulässig erklärten Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen Ergebnisse sieht weder das PNR-G noch die StPO, auf deren Bestimmungen § 6 Abs 2 Z 2 PNR-G verweist, vor (zur Frage der Vernichtung und „Herstellung des rechtmäßigen Zustands“ bei für unzulässig erklärten Ermittlungsmaßnahmen im Allgemeinen vgl 14 Os 46/09k; Tipold/Zerbes , WK-StPO § 120 Rz 17 ff).