JudikaturOLG Graz

4R252/23w – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Straßenverkehrsrecht
20. März 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht durch die Richterinnen Dr. in Angerer (Vorsitz), Mag a . Zeiler-Wlasich und Dr in . Jost-Draxl in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Pensionistin, **, vertreten durch die Imre Schaffer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagten Parteien 1. B* , geboren am **, Kraftfahrer, **, 2. C* GmbH , FN **, **, und 3. D* AG , FN **, **, sämtliche vertreten durch Choč Axmann Rechtsanwaltspartnerschaft in Graz, wegen EUR 26.089,82 samt Anhang und Feststellung (Interesse: EUR 20.000,00), über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 9.406,56) und die Berufung der beklagten Parteien (Berufungsinteresse EUR 5.515,10 und Feststellung [Interesse EUR 8.333,33]) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 5. Oktober 2023, 63 Cg 11/22a-56, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.

Der Berufung der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird zum Teil bestätigt , zum Teil (hinsichtlich der Entscheidung über das Leistungsbegehren ) abgeändert , sodass es unter Einbeziehung der in Rechtskraft erwachsenen Teile neu gefasst lautet:

„1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 13.172,99 samt jeweils 4 % Zinsen aus EUR 4.707,99 vom 16. November 2021 bis 2. Februar 2022, aus EUR 6.707,99 vom 3. Februar 2022 bis 20. September 2022, aus EUR 7.018,22 vom 21. September 2022 bis 13. August 2023 und aus EUR 13.172,99 seit 14. August 2023 zu bezahlen .

2. Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden, die diese aufgrund des Verkehrsunfalls vom 23. September 2021 erleiden wird, zu 75% ersatzpflichtig sind, die drittbeklagte Partei jedoch nur bis zur Höhe der für den Lkw der Marke ** mit dem amtlichen Kennzeichen ** vereinbarten Haftpflichtversicherungssumme.

3. Das Mehrbegehren auf Zahlung von EUR 12.916,83 samt Zinsenbegehren, das Zinsenmehrbegehren und das Feststellungsmehrbegehren (25%) werden abgewiesen .

4. Die Kostenentscheidung bleibt der Rechtskraft dieser Entscheidung vorbehalten.“

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt nicht EUR 30.000,00.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Am 23. September 2021 gegen 11.45 Uhr wurde die Klägerin beim Überqueren der B67 im Ortsgebiet von ** als Fußgängerin vom Lkw der Zweitbeklagten, gelenkt vom Erstbeklagten, versichert bei der Drittbeklagten, erfasst und schwer verletzt. Die Bundesstraße verläuft im Unfallbereich gerade von Süden in Richtung Norden und ist mit 70 km/h geschwindigkeitsbeschränkt. Von Süden kommend beträgt die freie Sichtstrecke über 500 m. Die Klägerin ging zunächst auf dem Gehweg östlich neben der B67 in Richtung Norden. Bei der Kreuzung zum **weg wollte sie die B67 überqueren, um zu ihrem Wohnhaus zu gelangen. Sie hatte einen weißen Blindenstock dabei, mit dem sie die (zu ihrer Orientierung errichtete) Erhöhung auf dem Gehweg ertastete, die ihr die Querungsstelle zu ihrem Wohnhaus am **weg anzeigte. Sie drehte sich dort nach Westen und streckte ihren Arm mit dem weißen Blindenstock waagrecht nach vorne, wobei dieser dabei senkrecht auf den Boden zeigte. Sie trug keine Armbinde mit drei schwarzen Punkten. Sie hörte ein großes Fahrzeug, das aus Süden kam, jedoch langsam fuhr und schließlich hupte. Sie glaubte, dessen Lenker wolle ihr dadurch das gefahrlose Überqueren der B67 anzeigen. Sie betrat daraufhin die Fahrbahn und wurde sogleich vom Lkw niedergestoßen.

Der Erstbeklagte fuhr mit seinem Lkw auf der B67 Richtung Norden. Ungefähr 80 m südlich der Bezugslinie (auf Höhe des Scheitelpunkts der Anböschung am Gehweg) bemerkte er eine am rechten Fahrbahnrand stehende Person, die einen Stock in den Händen hielt. Die Farbe des Stocks sah er nicht. Vor ihm bog im Bereich einer Tankstelle ein Pkw nach links ab. Er konzentrierte sich auf diesen Pkw, verringerte die Geschwindigkeit und beschleunigte den Lkw wieder, als der Pkw abgebogen war. Er bemerkte, dass die Klägerin am rechten Gehsteig der B67 gefährlich nahekam, weshalb er hupte und nach links auswich. Er blickte dann in den rechten Außenspiegel und sah dort, dass die Klägerin am Boden lag.

Da die Klägerin quer zur Fahrbahnlängsachse verdreht mit Blick in Richtung Westen stand, ergab sich eine so auffällige Position, aus welcher der Erstbeklagte hätte ableiten können, dass es sich um eine Person handelt, die auf die Querung der B67 wartet. Diese Auffälligkeit konnte der Erstbeklagte bereits aus einer Distanz von 80 bis 100 m selbst unter Berücksichtigung des vor ihm fahrenden (einbiegenden) Pkw erkennen, weil das Beklagtenfahrzeug höher war. Wenn der Erstbeklagte die Klägerin aufmerksam beobachtet hätte, hätte er erkennen können, dass es sich um eine ungewöhnliche Situation handelt. Aus der vom Beklagtenfahrzeug eingehaltenen Geschwindigkeit von 30 km/h ergibt sich bei einer normalen Bremsung eine Anhaltestrecke von rund 15 m. Da der weiße Stock als solcher aus einer Distanz von 20 bis 30 m leicht zu erkennen gewesen wäre, hätte der Erstbeklagte auf das Erkennen, dass es sich um einen weißen Stock handelt, noch leicht die Möglichkeit gehabt, vor der Querungsstelle der Klägerin anzuhalten, um dieser das Überqueren der B67 zu ermöglichen. Das Beschleunigen des Beklagtenfahrzeugs nach dem Ende des Abbiegemanövers des vor ihm fahrenden Pkw wurde erst mit der Kollision wirksam. Vor der Querung war das Motorengeräusch des beschleunigenden Motors des Beklagtenfahrzeugs für die Klägerin nicht als solches erkennbar. Sie benötigte bis zur Kollision mindestens drei bis vier Sekunden. Bei einer Anhaltestrecke von 15 m wäre sogar noch auf das Erkennen des Losgehens der Klägerin mit einer Auffälligkeitszeit von 1 Sekunde das Anhalten des Lkws bis zur Querungsstelle der Klägerin möglich gewesen.

Die Klägerin erlitt durch den Unfall eine Schädelprellung und eine Rissquetschwunde im Bereich der linken Schläfe, einen offenen Bruch des Ellbogenhakens rechts, einen offenen Bruch des 2.-4. Mittelfußknochens links und weitere Abschürfungen und Prellungen. Sie hatte dadurch körperlich zwei Tage starke Schmerzen, einen Tag mittelstarke Schmerzen und 26 Tage leichte Schmerzen zu erleiden ( F 1 ) . Als Dauerfolgen aus dem Unfall bestehen sauber verheilte Operationsnarben, ein Streckdefizit von 10° im Bereich des rechten Ellenbogens und eine geringfügige Versteifung im Bereich der Zehen vier und fünf am linken Fuß. Spätschäden können bei der Klägerin nicht mit der in der Medizin möglichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Sie war nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bei ihrer eigenen Pflege und derer ihres an Demenz erkrankten Mannes behindert. In den ersten beiden Wochen nach ihrer Entlassung waren schwere und leichte Arbeiten im Haushalt kaum möglich, ab der dritten Woche waren einfache Hilfstätigkeiten möglich, soweit diese ohne längeres Stehen absolviert werden konnten, ab der sechsten bis achten Woche nach dem Unfall waren dann nur mehr die schweren Hausarbeiten eingeschränkt möglich. Die Klägerin musste (unter Berücksichtigung der Rückerstattung durch die Österreichische Gesundheitskasse) EUR 546,27 an Physiotherapiekosten aufwenden.

Die Klägerin begehrt EUR 26.089,82 Schadenersatz (darin EUR 20.000,00 Schmerzengeld) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall, die Drittbeklagte begrenzt bis zur Höhe der vereinbarten Haftpflichtversicherungssumme. Das Alleinverschulden am Unfall treffe den Erstbeklagten. Die Gemeinde habe zu ihrer Orientierung, an welcher Stelle sie die B67 zu ihrem Wohnhaus überqueren müsse, eine Erhöhung auf dem Gehweg bei der Kreuzung der B67 mit dem **weg errichtet. Für sie stelle ein Hupzeichen in Verbindung mit verminderter Geschwindigkeit ein Signal dar, dass sie die Fahrbahn ungefährdet überqueren könne. Ohne Hupgeräusch hätte sie die Fahrbahn nicht betreten. Der Erstbeklagte habe trotz unklarer Verkehrssituation nicht einmal im Ansatz reagiert; ihm sei ein Beobachtungsfehler vorzuwerfen, weil er den deutlich sichtbaren Blindenstock nicht als solchen erkannt habe. Bei einer unklaren Verkehrssituation reiche ein warnendes Hupen nicht aus, sondern sei ein sofortiges Anhalten erforderlich. Der Erstbeklagte hätte bei adäquater Reaktion auf die unklare Verkehrssituation bei Einleitung eines Bremsmanövers den Unfall verhindern können. Ihr sei es nicht zumutbar, bei Überqueren der Straße jedes mal eine Unterstützung anzufordern. Sie nehme seit 2003 die Überquerung mehrmals täglich in Anspruch. Sie sei vom Vertrauensgrundsatz ausgeschlossen gewesen; sie sei nicht verpflichtet, zusätzlich zum sichtbaren weißen Stock eine sogenannte Blindenarmbinde zu tragen.

Die Beklagten wenden ein, die Klägerin treffe das Alleinverschulden am Unfall. Für die Zweit- und Drittbeklagten liege ein unabwendbares Ereignis gemäß § 9 EKHG vor. Für den Erstkläger habe zu keiner Zeit eine unklare Verkehrssituation vorgelegen. Er habe nicht damit rechnen können, dass die Klägerin tatsächlich unmittelbar vor ihm die B67 überqueren würde. Die Klägerin sei für ihn nicht als sehbehindert erkennbar gewesen, weil sie keine gelbe Blindenarmbinde getragen habe; der Stock sei für ihn nicht als Blindenstock zu identifizieren gewesen. Er habe auch gehupt, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Trotz dieser Warnung habe die Klägerin die B67 betreten und sei dadurch mit dem Lkw kollidiert. Die B67 sei eine stark befahrene Straße. Selbst für nicht sehbehinderte Menschen sei eine Überquerung derselben nur mit äußerster Vorsicht und Sorgfalt zu bewerkstelligen. Die Klägerin hätte aufgrund ihrer starken Sehbehinderung von einer Überquerung ohne fremde Hilfe Abstand nehmen müssen und habe sich im Nachrang befunden. Sie hätte sich sorgfältig vergewissern müssen, dass sie die Straße tatsächlich sicher überqueren könne. Gemäß § 22 StVO sei ein Hupen ein Warnzeichen und dürfe nicht als Aufforderung zu einem Tun verstanden werden. Ihre Behauptung, sie würde am Geräusch ankommender Fahrzeuge erkennen, ob diese anhalten würden, sei absurd angesichts der zunehmenden Zahl von Elektrofahrzeugen und von Fahrrädern.

Mit der angefochtenen Entscheidung verpflichtet das Erstgericht ausgehend von einer Verschuldensteilung von 3:1 zu Lasten des Erstbeklagten die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von EUR 10.036,43 samt Zinsen und stellt fest, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aufgrund des Verkehrsunfalls zu 75 % ersatzpflichtig seien, die Drittbeklagte bis zur Höhe der vereinbarten Haftpflichtversicherungssumme. Die Mehrbegehren weist es ab und behält die Kostenentscheidung bis zur Rechtskraft vor. Es trifft die auf den Urteilsseiten 4 bis 8 ersichtlichen Feststellungen.

Rechtlich führt es aus, dass unter anderem Menschen mit Sehbehinderung mit weißem Stock oder gelber Armbinde und somit auch die Klägerin nach § 3 Abs 2 StVO vom Vertrauensgrundsatz ausgenommen seien. Ihr weißer Blindenstock sei als solcher für den Erstbeklagten aus 20 bis 30 m Entfernung erkennbar gewesen, weshalb er darauf unfallvermeidend hätte reagieren können. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen werde. Ihm sei ein Verstoß gegen § 3 Abs 2 StVO sowie eine falsche Reaktion (Beschleunigung statt Anhalten) vorzuwerfen. Er hätte selbst auf das Erkennen des Losgehens der Klägerin noch unfallverhütend reagieren können. Ihn treffe daher ein Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls (§ 1295 Abs 1 ABGB) und hafte neben der Zweitbeklagten (§§ 1, 5 EKHG) und der Drittbeklagten (§ 26 KHVG) für dessen Folgen. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden, weil sie auf das Hupen des Erstbeklagten falsch reagiert und dieses nicht als Warnzeichen entsprechend § 22 Abs 1 StVO interpretiert habe. Ein Verstoß gegen § 76 Abs 1 und 4 lit b StVO sei ihr hingegen nicht anzulasten, weil sie sich nach den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vergewissert habe, dass ein gefahrloses Überqueren der B67 möglich sei. Sie habe ihren Arm mit dem weißen Blindenstock zur Fahrbahn hin ausgestreckt, um andere Verkehrsteilnehmer auf ihre Sehbehinderung aufmerksam zu machen. Da sie langsamer werdende Fahrzeuggeräusche habe wahrnehmen können und die Beschleunigung erst mit der Kollision wirksam geworden sei, habe die Klägerin die Beschleunigung vor der Kollision nicht erkennen können (Anmerkung: Mit diesen Ausführungen hat das Erstgericht auch die Sehbehinderung der Klägerin, die ihr das Erkennen der ankommenden Fahrzeuge mit ihren Augen nicht ermöglicht, disloziert festgestellt.). Das Erstgericht gewichtet das Verschulden mit 3:1 zu Lasten des Erstbeklagten. Es setzt das global bemessene Schmerzengeld nach § 273 Abs 1 ZPO mit EUR 6.000,00 fest und spricht somit unter anderem EUR 4.500,00 Schmerzengeld und EUR 273,14 (Anmerkung: das ist offensichtlich irrtümlich nur die Hälfte der festgestellten Kosten) an Physiotherapiekosten zu.

Gegen die Entscheidung über das Leistungsbegehren richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, weitere EUR 9.406,56 und somit insgesamt EUR 19.442,99 samt Zinsen zuzusprechen, in eventu die Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung, insbesondere durch Beiziehung eines neuen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie, zurückzuverweisen. Gleichzeitig erhebt sie Rekurs gegen die Abweisung ihres Antrags auf Abberufung des gerichtlich bestellten Sachverständigen und Bestellung eines neuen Sachverständigen.

Die Berufung der Beklagten richtet sich aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gegen die Annahme einer Verschuldensteilung von 3:1 zu Lasten des Erstbeklagten. Sie begehren auf Basis einer Verschuldensteilung von 2:1 zu Lasten der Klägerin die Abänderung des Ersturteils dahin, dass dem Klagebegehren nur im Ausmaß von EUR 4.521,33 sowie dem Feststellungsbegehren nur zu einem Drittel stattgegeben und die Mehrbegehren abgewiesen werden; in eventu stellen sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Die Klägerin und die Beklagten erstatten jeweils eine Berufungsbeantwortung, die Beklagten auch eine Rekursbeantwortung .

Über die Berufungen konnte gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung der Klägerin ist teilweise berechtigt , die Berufung der Beklagten ist nicht berechtigt .

I. Zur Mängelrüge/zum Rekurs der Klägerin:

Die Klägerin rügt sowohl durch Erhebung eines Rekurses als auch im Rahmen der Mängelrüge die Abweisung ihres Antrags auf „Abberufung“ des gerichtlich beigezogenen Gutachters Dr. E* und Bestellung eines neuen Sachverständigen durch das Erstgericht.

1. Das Berufungsgericht hat vorab zum Verhältnis der beiden von den Klägerin erhobenen Rechtsmittel Folgendes erwogen:

1.1. Gegen einen Beschluss, mit dem der Antrag auf Bestellung eines anderen Sachverständigen abgewiesen wird (verfahrensleitender Beschluss), ist nach § 366 Abs 1 ZPO und § 291 Abs 1 ZPO ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. Die Parteien können in diesen Fällen ihre Beschwerden gegen diesen Beschluss mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel zur Geltung bringen (§ 515 ZPO).

1.2. Der Berufungssenat folgt der Rechtsauffassung, dass in teleologischer Reduktion der §§ 291 Abs 1 und 515 ZPO solche Beschlüsse aber nicht mit einem eigenen Rekurs, sondern nur im Rahmen der Anfechtung der Sachentscheidung mit Mängelrüge bekämpfbar sind (RIS-Justiz RW0000865; OLG Linz 2 R 63/03b EFSlg 105.996; G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 515 ZPO Rz 11 [Stand 9.10.2023, rdb.at]; Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 462 ZPO Rz 5). Der Oberste Gerichtshof hält dazu fest, dass die Zuordnung zur Mängelrüge dann gute Gründe für sich habe, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - in untrennbarem Zusammenhang mit der Entscheidung in der Hauptsache stehe und gleichzeitig mit dieser angefochten werde (4 Ob 50/06s; 4 Ob 196/18d mwN; vgl auch 4 Ob 196/18d; 9 Ob1/20t [Unterschied irrelevant]). Es ist daher zulässig und ausreichend, dass ein die Beweisaufnahme betreffender, nicht abgesondert anfechtbarer Beschluss im Wege der Mängelrüge in der Berufung gegen die Sachentscheidung angefochten wird.

1.3. Wird, wie im vorliegenden Fall, sowohl der Rekurs erhoben als auch eine weitgehend inhaltlich idente Mängelrüge in der Berufung ausgeführt, ist aufgrund des identen Rechtsschutzziels von einem einheitlichen Rechtsmittel auszugehen, über das vom Berufungsgericht zu entscheiden ist. Gemäß dem Verständnis eines einheitlichen Rechtsmittels sind im Übrigen die Rechtsmittelbeantwortungen der Beklagten ebenfalls als Einheit aufzufassen. Einer separaten Verzeichnung von Rekurs- und Rekursbeantwortungskosten ist damit der Boden entzogen (vgl § 22 RATG).

2. Auch inhaltlich kommt der Mängelrüge keine Berechtigung zu:

2.1. Im Hinblick auf die Ausführungen in der „Rekursbeantwortung“ der Beklagten sei darauf hingewiesen, dass die Klägerin keinen „Ablehnungsantrag“ im Sinne der §§ 355f ZPO gestellt hat. Der Vorwurf eines unrichtigen Gutachtens könnte auch - ebenso wie eine unrichtige richterliche Rechtsmeinung - nicht zur Begründung einer Befangenheit (hier:) des Sachverständigen herangezogen werden (7 Ob 81/10b; vgl RS0111290; RS0045916). Durch die Regelungen über das Ablehnungsrecht soll nicht ermöglicht werden, sich nicht genehmer Sachverständiger (speziell nachdem ihre Fachmeinung durch die Erstattung eines schriftlichen Gutachtens bereits bekannt geworden war) zu entledigen (vgl RIS-Justiz RS0109379; RS0046087; OLG Wien 2 R 139/19d Sachverständige 2021, 37).

2.2. Die Auswahl eines Sachverständigen liegt im Ermessen des Gerichts, das hierüber weder an die Vorschläge der Parteien noch an konkrete gesetzliche Vorgaben gebunden ist (RS0040607; RS0040566; 2 Ob 8/06z). Die Voraussetzungen für die Begutachtung durch einen weiteren Sachverständigen sind in § 362 Abs 2 ZPO normiert (RS0040639; RS0040588). Danach kommt die Einholung eines weiteren Gutachtens nur in Betracht, wenn dies zur Behebung von Mängeln, also bei Unklarheit, Unschlüssigkeit, Widersprüchen oder Unvollständigkeit des Gutachtens notwendig ist (3 Ob 77/10k; RS0040604; RS0040588). Die Bestimmung des § 362 Abs 2 ZPO bedeutet nicht, dass einer Partei so lange das Recht auf neuerliche Begutachtung durch Sachverständige eingeräumt werden müsste, bis endlich ein Sachverständiger zu dem von der Partei gewünschten, ihrem Prozessstandpunkt entsprechenden Ergebnis kommt (OLG Wien 26.2.2019, 9 Ra 80/18b, Sachverständige 2020, 42; SVSlg 54.947; 64.752; 56.954 uva). Liegt nämlich zu den behaupteten Tatsachen ein vollständiges und widerspruchsfreies Gutachten vor, so ist es Sache der Beweiswürdigung des Gerichts, daraus abzuleiten, ob der Beweis hergestellt ist. Indem das Gericht von einer weiteren Begutachtung Abstand nimmt, setzt es damit letztlich einen Akt der freien richterlichen Beweiswürdigung (SVSlg 62.257; Schneider in Fasching/Konecny³ 3/1 § 362 ZPO [Stand 1.8.2017, rdb.at] Rz 6). Gleiches gilt für die Beurteilung, ob das Gutachten erschöpfend ist, ob an den Sachverständigen weitere Fragen zu richten gewesen wären, oder ob festgestellte Tatsachen mit der allgemeinen Lebenserfahrung im Einklang stehen ( Lovrek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 503 ZPO Rz 52f).

2.3. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. E* ist weder unklar noch unschlüssig noch widersprüchlich noch unvollständig. Ein allfälliger Widerspruch zu einem vorgelegten Privatgutachten verpflichtet das Gericht nicht, einen weiteren Sachverständigen beizuziehen. Es kann sich vielmehr ohne weitere Erhebungen dem ihm als verlässlich erscheinenden Gutachten anschließen (RS0040592).

3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.

II. Zur Tatsachenrüge der Klägerin:

1. Die Klägerin bekämpft die Feststellung ( F 1 ) und begehrt ersatzweise auf Basis der von ihr geschilderten Schmerzen und Einschränkungen sowie des eingeholten Privatgutachtens Dris. F* die Ersatzfeststellung: „ Die Klägerin hatte dadurch körperlich vier Tage starke Schmerzen, acht Tage mittelstarke Schmerzen und 75 Tage leichte Schmerzen zu erleiden“ . Der vom gerichtlichen Sachverständigen ermittelte Schmerzkatalog werde schon deshalb ad absurdum geführt, weil er selbst ausführe, dass die leichten Schmerzen erst bis zum Ende des 11. Monats nach dem Unfall auf gelegentliche Schmerzen abgeklungen seien und noch weitere leichte Schmerzen veranschlagt werden könnten. Der Schmerzkatalog entspreche auch nicht diversen (näher aufgelisteten) Schmerzengeldzusprüchen in der Rechtsprechung.

2. Das Gericht hat das Schmerzengeld nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles (physische wie psychische) Ungemach, das die Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch erdulden wird, grundsätzlich global mit einem Kapitalbetrag im Sinne einer pauschal bemessenen Schadenersatzsumme festzusetzen (RS0031300; RS0031307 uva). Die Bemessung der Höhe des Schmerzengeldes (in Vergleichsentscheidungen) ist somit rechtliche Beurteilung und eignet sich nicht dafür, die Feststellungen zum Schmerzkatalog auf Tatsachenebene zu überprüfen.

3. Die Feststellung von Schmerzen nach Tagen, gegliedert nach den Schweregraden stark, mittelstark und leicht, ist ein in der Praxis anerkanntes Hilfsmittel bei der Bemessung der Anspruchshöhe und eine durch einen medizinischen Sachverständigen zu ermittelnde Tatfrage ( Danzl , HB Schmerzengeld [Stand 1.3.2019, rdb.at] Rz 3.3ff). Die Schmerzperioden werden bemessen, indem die Gesamtzeiträume, die die Verletzte an Schmerzen gelitten hat, auf einen 24-Stunden-Tag komprimiert und diese sodann summiert werden. Dies ist notwendig, da die Verletzte unter Bedachtnahme auf jene Zeiträume, in denen sie schläft oder in denen schmerzstillende Medikamente zur Wirksamkeit kommen, nicht täglich 24 Stunden ununterbrochen an Schmerzen leidet. Die Beurteilung, ob eine derartige Komprimierung nach der Dauer, der Intensität und der Natur der körperlichen Beeinträchtigung durch die Verletzung sachgerecht ist, obliegt der Beurteilung des medizinischen Sachverständigen und stellt keine Rechtsfrage dar ( Danzl aaO Rz 3.4 mwN). Es handelt sich dabei immer nur um Schätzwerte, die auf der Fachkunde und Erfahrung des medizinischen Sachverständigen beruhen ( Danzl aaO Rz 3.8).

4. Es ist daher nicht völlig absurd, wenn der Sachverständige nur 29 Tage Schmerzen (davon 26 Tage leichte) annimmt, entsprechen doch zB 15 Tage leichte Schmerzen komprimiert auf den 24-Stunden-Tag einem Jahr tägliche Schmerzen im Ausmaß von einer Stunde. Dabei ist ein leichter Schmerzzustand dadurch definiert, dass die Patientin über ihren Leidenszustand dominieren, sich daher auch zerstreuen und ablenken kann, ( Danzl aaO Rz 3.3 [Definition nach „Holczabek“]), weshalb zwangsläufig davon auszugehen ist, dass diese Schmerzen nicht dauerhaft empfunden werden, sondern nur zB bei gewissen Bewegungen oder bei mangelnder Ablenkung.

5. Es ist Aufgabe eines Sachverständigen, subjektive Angaben der Patienten nach seiner Facheinschätzung im konkreten Einzelfall zu plausibilisieren und objektivieren. Der Sachverständige Dr. E* hat sich insbesondere in der Gutachtensergänzung durchaus mit dem Schmerzgeschehen und der Anamnese der Klägerin befasst und die jeweils angenommene Stundenanzahl an Schmerzen pro Tag in einer detaillierten Liste dargelegt (Beilage ./I). Nachvollziehbar findet sich darin ein degressiver Verlauf der Schmerzperioden über ein ganzes Jahr - entsprechend der im Gutachten festgehaltenen Auskünfte der Klägerin zu den von ihr verspürten Schmerzen - und weitere angenommene künftige leichte Schmerzen. In der Gutachtenserörterung hat sich der Sachverständige auch mit dem Privatgutachten Dris. F* auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb er diesem nicht folgen kann (ON 50.4,7). Wenn das Erstgericht diesen Ausführungen des Gerichtsgutachters folgt, ist das nicht zu beanstanden.

6. Das Berufungsgericht übernimmt daher die erstgerichtlichen Feststellungen und legt sie gemäß § 498 Abs 1 ZPO seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde.

III. Zu den Rechtsrügen:

Die Beklagten begehren die Abänderung der Verschuldensteilung auf 2:1 zu Lasten der Klägerin, weil das Überqueren der B67 durch blinde Menschen ohne fremde Hilfe ein lebensgefährliches Risiko sei und die von der Klägerin geschilderte Vorgangsweise, dass sie auf das Motorengeräusch der ankommenden Fahrzeuge höre, in Zeiten von Elektromobilität und mit vermehrtem Fahrradverkehr nicht zweckmäßig erscheine. Der (richtig) Erstbeklagte habe die Klägerin sogar durch Abgabe eines Hupsignals gewarnt und habe davon ausgehen können, dass eine Fußgängerin dieser Warnung Folge leiste und nicht unmittelbar vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn betrete. Ihm sei auch nicht vorzuwerfen, dass er sich nach Abgabe des Hupsignals nicht weiter auf die am rechten Fahrbahnrand stehende Fußgängerin konzentriert habe, sondern auf das Verkehrsgeschehen vor sich. In Zeiten von „Nordic Walking Sport“ sei das Mitführen von Stöcken nicht von vornherein ein Indikator für die Blindheit der stocktragenden Person, noch dazu, wenn diese mangels gelber Armbinde nicht als blind zu erkennen sei. Die Klägerin hätte gemäß § 76 StVO die B67 nicht ohne fremde Hilfe überqueren dürfen.

1. Maßgeblich ist bei der Verschuldensabwägung vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs (RS0027389) sowie der Grad der Fahrlässigkeit (RS0027466).

2.1. Zum Verschulden des Erstbeklagten: Nach ständiger Rechtsprechung kommt der Vertrauensgrundsatz demjenigen nicht zugute, der das unrichtige oder zumindest bedenkliche Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers rechtzeitig erkannte oder bei entsprechender Aufmerksamkeit rechtzeitig hätte erkennen können (RS0073173; RS0073429). Der Vertrauensgrundsatz gilt zunächst nicht bei unklarer Verkehrslage ( Pürstl aaO E 57ff). Eine rechtzeitig erkennbare unklare Verkehrslage erfordert nicht nur besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit im Straßenverkehr, sondern verlangt auch Bremsbereitschaft und Einhaltung einer entsprechenden Geschwindigkeit und schließt überdies die Zubilligung einer Schrecksekunde oder verlängerten Reaktionszeit aus (RS0073128). Jede unklare Verkehrssituation ist im bedenklichen Sinne auszulegen (RS0073513). Die Klägerin war zudem als Mensch mit Sehbehinderung mit weißem Stock gemäß § 3 Abs 1 StVO vom Vertrauensgrundsatz ausgenommen. Nach dieser Bestimmung ist es nicht erforderlich, einen weißen Stock und eine gelbe Armbinde zu tragen. Ob der Erstbeklagte die Sehbehinderung und den weißen Stock der Klägerin als Blindenstock tatsächlich erkannte, ist nicht maßgeblich. Nach den Feststellungen hätte er diese Umstände bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen können. Zum Argument der Üblichkeit von „Nordic Walking Stöcken“ sei nur ausgeführt, dass sich deren Benützer wohl kaum in der festgestellten Art und Weise mit einem (!) Stock am Straßenrand aufstellen.

2.2. In den Kreis der geschützten Personen wurden vom Gesetzgeber sowohl solche aufgenommen, bei denen die Gefährdung im Straßenverkehr aus einem körperlichen Gebrechen resultiert, also auch solche, bei denen sie auf die mangelnde Einsicht in die Gefahren des Straßenverkehrs zurückzuführen ist. Zahlreiche schutzwürdige Personen werden beiden Gruppen angehören. Zumindest auf Menschen mit (bloß) körperlicher Beeinträchtigung trifft dies allerdings nicht uneingeschränkt zu. Ihre Schutzbedürftigkeit resultiert vielmehr daraus, dass sie sich wegen ihrer körperlichen Beeinträchtigung in bestimmten Verkehrssituationen nicht immer gemäß dieser - grundsätzlich vorhandenen - Einsicht in die Gefahren des Straßenverkehrs verhalten können, weshalb dort nach den jeweiligen Möglichkeiten zu differenzieren ist (vgl 2 Ob 56/15x).

2.3. Wie das Erstgericht bereits zutreffend ausführt, hat sich der Lenker eines Fahrzeugs gegenüber Personen, gegenüber denen der Vertrauensgrundsatz nach § 3 Abs 1 StVO nicht gilt, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass eine Gefährdung dieser Person ausgeschlossen ist (§ 3 Abs 2 StVO). Handelt es sich um Angehörige der vom Vertrauensgrundsatz ausgenommenen Personengruppen, dürfen Straßenbenützer nicht nur in bedenklichen Verkehrssituationen, sondern in jeder Verkehrssituation nicht darauf vertrauen, dass diese Personen die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen werden. In der Begegnung mit solchen Personen muss stets mit einem regelwidrigen Verhalten gerechnet und das Fahrverhalten darauf eingestellt werden (2 Ob 56/15x). Personen, denen gegenüber der Vertrauensgrundsatz nicht gilt, darf selbst dann nicht vertraut werden, wenn sie sich vorschriftsgemäß verhalten (2 Ob 56/15x; RS0073109). Diese Grundsätze werden bei einer Begegnung mit (bloß) körperlich beeinträchtigten Personen, bei denen eben nicht in jeder Verkehrssituation mit verkehrswidrigem Verhalten gerechnet werden muss, eingeschränkt. Den Anforderungen an die gesteigerte Sorgfaltspflicht der Fahrzeuglenker gegenüber hilfsbedürftigen Personen sind vielmehr Grenzen gesetzt, wenn nach der gewöhnlichen Lebenserfahrung unter den konkreten Umständen keine Auffälligkeiten erkennbar sind, die zu einer Gefährdung führen könnten (2 Ob 56/15x - dort für eine Person in einem Elektromobil).

2.4. Davon kann in Bezug auf die Klägerin in der konkreten Situation jedoch keine Rede sein, wollte sie doch als erkennbar sehbehinderte Person - ebenso erkennbar - die Straße überqueren. Bei diesem Manöver galt der sehbehinderten Klägerin gegenüber der Vertrauensgrundsatz nicht, wie das Erstgericht zutreffend hervorhebt. Maßgeblich ist im übrigen der durch den weißen Stock begründete äußere Anschein, es kommt nicht darauf an, ob die Person tatsächlich sehbehindert ist (2 Ob 56/15x), was hier jedoch durchaus der Fall ist.

2.5. Der Umstand, dass er ein Hupsignal abgab, kann den Erstbeklagten nicht exkulpieren: Wer eine gegebene Verkehrslage als gefährlich erkannt hat, darf sich nicht damit begnügen, die akustische Warnanlage zu betätigen, sondern hat dieser Situation durch sofortige Verringerung der Geschwindigkeit Rechnung zu tragen ( Pürstl , StVO-ON 16 § 22 E4 [Stand 15.9.2023, rdb.at]). Hupsignale sind nach der Rechtsprechung auch nicht zwingend als Aufforderung zum Stehenbleiben an Fußgänger zu werten. So hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass jeder Kraftfahrer damit rechnen muss, dass „ein Fußgänger auf Hupsignale in der Form reagiert, dass er im beschleunigten Tempo weitereilt“ (RS0073567). Ein Kraftfahrer darf sich einer als gebrechlich erkennbaren Person gegenüber, die, ohne auf den Verkehrs zu achten, mit ungewöhnlicher Langsamkeit die Straße zu überqueren beginnt, nicht mit der Abgabe von Hupzeichen begnügen (2 Ob 437/65 ZVR 1966/267). Er darf die Fahrt erst dann fortsetzen, wenn eine Kontaktaufnahme mit der Fußgängerin erfolgte und diese unmissverständlich erkennen lässt, dass nunmehr von ihrer Seite mit verkehrsgerechtem Verhalten gerechnet werden könne ( Pürstl aaO E 3). Zwar braucht ein Fahrzeuglenker, der eine am Fahrbahnrand stehende Fußgängerin erblickt, nicht von vornherein damit rechnen, dass diese plötzlich und ohne auf den Verkehr zu achten, die Fahrbahn betreten wird, selbst wenn es sich dabei um eine alte oder behinderte Person handelt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn ein auffälliges Gehabe (hier: besondere Stockhaltung aufgrund der Sehbehinderung) Zweifel an einem weiteren verkehrsgerechten Verhalten der Fußgängerin erweckt (2 Ob 72/76 ZVR 1977/34).

2.6. Der Lenker eines Fahrzeugs hat sich gegenüber Personen, gegenüber denen der Vertrauensgrundsatz nicht gilt, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass eine Gefährdung dieser Personen ausgeschlossen ist (§ 3 Abs 2 StVO). Im konkreten Fall hätte der Erstbeklagte die Gefährdung der Klägerin verhindern müssen, indem er seinen Lkw zum Stillstand bringt und ihre Querung abwartet. Sein Hupen war in dieser Situation geeignet, eine Fehlreaktion der Klägerin hervorzurufen, zumal es kaum Möglichkeiten gibt, einer sehbehinderten Person aus dem Fahrzeuginneren heraus anzuzeigen, dass man ihr die Querung ermöglicht und in der Praxis Hupen für manche Fahrzeuglenker dafür geeignet erscheinen mag. Gegenüber Kindern als Fußgänger hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass Fahrzeuglenker sich ihnen gegenüber, wenn sie eine Fahrbahn überqueren wollen, so zu verhalten haben, als ob sie einen Schutzweg benützen (RS0124320). Nichts anderes kann gegenüber der Klägerin als blinde Person gelten.

3.1. Zum Mitverschulden der Klägerin : Das Verhalten einer Fußgängerin, die entgegen § 76 Abs 6 StVO die Fahrbahn außerhalb eines Schutzwegs oder einer Kreuzung überqueren will, ist in § 76 Abs 4 lit b und Abs 5 StVO geregelt. Danach hat sie, bevor sie auf die Fahrbahn tritt, sorgfältig zu prüfen, ob sie die Straße noch vor Eintreffen von Fahrzeugen mit Sicherheit überqueren kann (RS0075656). Sie hat sie sodann in angemessener Eile zu überqueren (RS0075672) und darauf zu achten, dass der Fahrzeugverkehr nicht behindert wird (2 Ob 160/22a mwN). Diese Vorschrift gilt grundsätzlich auch für (seh)behinderte Personen, jedoch nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten (2 Ob 74/89).

3.2. Wie der Oberste Gerichtshof erst jüngst hervorgehoben hat (1 Ob 110/23t), treffen nach Art 20 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl III 2008/155 idF BGBl III 2016/105 (kurz: UN-Behindertenkonvention), die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Selbstbestimmung sicherzustellen. Nach Art 3 lit a UN- Behindertenkonvention sind Grundsätze dieses Übereinkommens unter anderem die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich seiner Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Selbstbestimmung; nach Art 3 lit c leg cit zählen auch die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Inklusion in die Gesellschaft zu diesen Grundsätzen. Nach Art 19 UN-Behindertenkonvention („Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemeinschaft“) anerkennen die Vertragsstaaten das gleiche Recht der Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Inklusion in der Gemeinschaft zu erleichtern.

3.3. Diese Erwägungen sind bei der Auslegung der Bestimmung des § 76 Abs 4 lit b und Abs 5 StVO zu berücksichtigen. Eine Auslegung dahingehend, dass eine sehbehinderte Person, die von ankommenden Fahrzeugen nur die Motorengeräusche (Bremsen, Beschleunigen) wahrnehmen kann, nicht alleine eine Straße wie die vorliegende (Bundesstraße im Ortsgebiet mit Beschränkung der Geschwindigkeit auf 70 km/h) überqueren darf, verbietet sich daher. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch § 3 Abs 2 StVO dafür gesorgt, dass für sehbehinderte Personen ein gefahrloses Queren durch die Abbremsverpflichtung der Lenker von Kraftfahrzeugen auch unbegleitet möglich ist. Eine schuldhafte Verletzung der Bestimmung des § 76 Abs 4 lit b und Abs 5 StVO wäre der Klägerin nur dann vorzuwerfen, wenn ihr die Wiederbeschleunigung des Lkw erkennbar gewesen wäre, was nicht der Fall war. Als geringfügige Verletzung der Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten ist ihr jedoch die Missdeutung des Hupens anzulasten, das grundsätzlich ein Warnsignal darstellt, im Zweifel im bedenklichen Sinn auszulegen ist und - ungeachtet ihrer Erfahrungen in der Praxis - nicht als unmissverständliche Aufforderung zum Gehen verstanden werden kann.

4.1. Dieses Missverständnis und ihre Annahme, dass der Lenker eines Fahrzeugs, das bremst und hupt, ihr die Querung ermöglichen will, ist im Verhältnis zum Verschulden des Erstbeklagten, der auf mehrfache Reaktionsanlässe (Erkennbarkeit der unklaren Verkehrssituation 80 bis 100 Meter zuvor, Erkennbarkeit des Blindenstocks und damit einer Verkehrslage nach § 3 Abs 2 StVO, Losgehen der Klägerin) nicht durch die gebotene Abbremsung reagierte, nur als gering ins Gewicht fallendes Mitverschulden zu gewichten. Die vom Erstgericht herangezogene Verschuldensteilung von 3:1 zu Lasten des Erstbeklagten ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

4.2. Aus Gründen der Vollständigkeit sei angemerkt, dass die Beklagten die Sehbehinderung der Klägerin in der Berufung nicht (mehr) bestreiten, sondern selbst damit argumentieren, sodass - ungeachtet der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung erfolgten dislozierten Feststellung dazu - auch deshalb ein sekundärer Feststellungsmangel nicht vorliegt.

5. Die Klägerin wendet sich gegen die Ausmittlung des Schmerzengeldes und begehrt dessen Bemessung mit EUR 18.360,00 statt mit EUR 6.000,00. Zudem weist sie (zutreffend) auf einen Rechenfehler im Ersturteil hin, wonach sich drei Viertel der festgestellten Physiotherapiekosten (EUR 546,27) mit EUR 409,70 und nicht mit EUR 273,14 errechnen.

5.1. Das Schmerzengeld ist unter Bedachtnahme auf Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der psychischen und physischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands zu bemessen (RS0031040). Es soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für alles Ungemach sein, das die Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat, und den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen und sonstigen Beeinträchtigungen, auch soweit dies für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RS0031307). Unter diesem Gesichtspunkt sind etwa auch Sorgen der Verletzten um spätere Komplikationen oder das Bewusstsein eines Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung zu berücksichtigen (2 Ob 143/18w, 1 Ob 131/20w ua). Wenngleich bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen ist, ist zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen; der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen bei der Bemessung darf nicht „gesprengt“ werden (RS0031075). Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (RS0031075 [T 4, T 10], RS0031040 [T 5]), wobei allein aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung die Zuerkennung von im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen höheren Beträgen gerechtfertigt ist (RS0031075 [T 10]; 1 Ob 31/20w; 2 Ob 32/21a).

5.2. Vorliegend ist zu beachten, dass die Klägerin neben einer Schädelprellung und einer Rissquetschwunde im Bereich der linken Schläfe mehrere offene Brüche an unterschiedlichen Körperteilen (Ellbogenhaken rechts und 2.-4. Mittelfußknochen links) erlitten hat, sowie als Dauerfolgen ein Streckdefizit von 10° im Bereich des rechten Ellenbogens und eine geringfügige Versteifung im Bereich der Zehen vier und fünf am linken Fuß. Die Rechtsprechung gewährt bereits nur bei Vorliegen eines Bruchgeschehens im Arm/Fußbereich (valorisiert) durchwegs höhere Beträge als EUR 6.000,00 (vgl etwa OLG Wien 13 R 139/15d, EUR 8.685,00 [Trümmerbruch linker Elllenhaken, Schädelprellung mit Rissquetschwunde]; OLG Innsbruck 4 R 41/22v, EUR 7.854,00 [Bruch des linken Außenknöchels]; 1 R 78/10w EUR 7.612.00 [Köpfchenbruch des 4. Mittelhandknochens rechts, diverse Prellungen]; 1 R 13/03a, EUR 11.235,00 [Bruch 4. Mittelhandknochen rechts und Nasenbeinbruch; leichter Einriss Knieseitenband rechts]; 1 R 157/22f, EUR 10.000,00 [beidseitiger Handkahnbeinbruch, Spät- und Dauerfolgen ausgeschlossen]; OLG Graz 3 R 44/20w, EUR 7.969,00 [Mehrfragmentbruch des körperfernen Speichenendes mit Gelenksbeteiligung]; 4 R 22/07y, EUR 9.414,00 [Speichenbruch nahe dem Handgelenk mit Abriss des Griffelfortsatzes an der Elle] 4 R 225/15p, EUR 6.550,00 [Bruch der Speiche samt Riss der Strecksehne zum Daumen]; OLG Wien 15 R 18/22k, EUR 9.225,00 [Bruch des großen Rollhügels am linken Oberarm ohne Verschiebung]; zum Vergleich: unter EUR 6.000,00 etwa OLG Linz 1 R 14/21s, EUR 4.856,00 [unverschobener Bruch der 5. Rippe, Bauchprellung]; OLG Wien 16 R 159/19y, EUR 4.716,25 [Bruch des Kahnbeins linke Hand] sämtliche Entscheidungen abrufbar unter Danzl , Das Schmerzengeld, rdb.at).

5.3. Ausgehend von den festgestellten Schmerzperioden (als Orientierungshilfe), den Verletzungen der Klägerin, dem von der Judikatur ganz allgemein gezogenen Rahmen, unter Berücksichtigung dessen, dass die Klägerin als sehbehinderte Person, die auch für die Pflege ihres Mannes verantwortlich ist, durch ihre unfallkausale körperliche Beeinträchtigung einer erhöhten psychischen Belastung ausgesetzt war, sowie unter Berücksichtigung der Dauerfolgen erachtet der Berufungssenat gemäß § 273 ZPO ein Schmerzengeld von EUR 10.000,00 als angemessen. Ausgehend von einer Verschuldensteilung von 3:1 zu Lasten der Klägerin ergibt dies einen Schmerzengeldanspruch von EUR 7.500,00, sodass der erstgerichtliche Zuspruch um 3.000,00 an Schmerzengeld zu erhöhen war.

5.4. Zutreffend verweist die Klägerin auf einen Rechenfehler des Erstgerichts in Bezug auf die Kosten der Physiotherapie. Der zugesprochene Betrag entspricht nur der Hälfte der festgestellten Kosten, weshalb der Zuspruch um weitere EUR 136,56, insgesamt daher um EUR 3.126,56 zu erhöhen war. Die Klägerin begehrte Zinsen ab 26. Oktober 2021, die Beklagten stellten den Beginn des Zinsenlaufs mit Klagseinbringung außer Streit. Das Erstgericht ließ den Beginn des Zinsenlaufs mit 16. November 2021 (unbekämpft) unbegründet. Eine vor Klagseinbringung ziffernmäßig bestimmte Einforderung ist den Schreiben Beilagen ./K und ./L nicht zu entnehmen, weshalb das erhöhte Schmerzengeld (vor Ausdehnung nur zur Hälfte) ab Klagseinbringung zu verzinsen war.

6. Der Berufung der Beklagten kommt somit kein Erfolg zu, der Berufung der Klägerin insofern, als der Zuspruch im Leistungsbegehren um EUR 3.126,56 zu erhöhen war.

IV. Kosten, Bewertung, Zulassung:

1. Hat das Erstgericht - wie hier - die Kostenentscheidung vorbehalten, so ist im weiteren Rechtsgang keine Kostenentscheidung zu treffen. Über die Verpflichtung zum Kostenersatz für das gesamte Verfahren entscheidet das Gericht erster Instanz nach rechtskräftiger Erledigung der Streitsache (§ 52 Abs 3 ZPO).

2. Mangels anderer Anhaltspunkte fand das Berufungsgericht keine Veranlassung, von der Bewertung des Feststellungsbegehrens durch die Klägerin (EUR 20.000,00, Berufungsfeststellungsinteresse daher EUR 8.333,33) abzuweichen.

3. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil (Rechts)Fragen des Verschuldens und der Verschuldensteilung stets von den Umständen des Einzelfalls abhängen und damit in der Regel nicht revisibel sind. Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RS0087606 [T2]; 2 Ob 160/22a). Der Umstand, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einem genau vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet noch keinen Anlass, die ordentliche Revision zuzulassen.

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