JudikaturOLG Graz

9Bs274/23x – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
12. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Kohlroser (Vorsitz), den Richter Mag. Obmann, LL.M. und die Richterin Mag a . Berzkovics in der Strafsache gegen A * und andere Beschuldigte wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach §§ 12 zweiter Fall, 293 Abs 1 StGB über die Beschwerde der Beschuldigten A* und B* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. August 2023, AZ 28 HR 42/23a (ON 4 der Akten 63 BAZ 666/23p der Staatsanwaltschaft Graz), den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

BEGRÜNDUNG:

Die Staatsanwaltschaft Graz führte zu AZ 63 BAZ 746/20y ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. C* wegen des Verdachts der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 1 und 2 StGB, sowie gegen hunderte weitere Beschuldigte – darunter A* und B* – wegen des Verdachts der Fälschung eines Beweismittels nach §§ 12 zweiter Fall, 293 Abs 1 und 2 StGB. Nach einer Verfahrenstrennung am 22. Mai 2023 wurde das Ermittlungsverfahren gegen A* und B* zu AZ 63 BAZ 666/23p der Staatsanwaltschaft Graz geführt.

Mit Eingabe vom 26. Juli 2023 (ON 3.2) erheben A* und B* Einspruch wegen Rechtsverletzung. In den Akten befinde sich eine zehnseitige Liste mit Patientendaten (Name, Geburtsdatum, Adresse, E-Mail-Adresse, Bezahlungshinweise), welche im Wege der Akteneinsicht an hunderte Personen (erkennbar gemeint: Mitbeschuldigte) weitergegeben worden sei. Dadurch seien die Einspruchswerber in ihrem Grundrecht auf Achtung des Datenschutzes und des Schutzes hochsensibler medizinischer Daten verletzt worden, weshalb sie die Feststellung der Rechtsverletzung beantragen würden. Ferner wird die Aktenführung kritisiert und beantragt, der Bezirksanwältin aufzutragen, den Akt „aufzusplitten“ und „in eine mit vertretbarem Aufwand lesbare Fassung zu bringen“. Überdies bringen die Einspruchswerber vor, dass sie zu einer Einvernahme als Beschuldigte im Ermittlungsverfahren geladen worden seien, der Gegenstand der Vernehmung auf der Ladung aber lediglich mit „Fälschung eines Beweismittels“ bezeichnet worden sei. Aufgrund dieser unzureichenden Bezeichnung seien sie nicht dazu in der Lage, sich entsprechend vorzubereiten, woraus sich eine Verletzung von Verteidigungsrechten ergebe. Sie beantragen, ihnen den bestehenden Tatverdacht in allen Einzelheiten zu spezifizieren.

Die Staatsanwaltschaft leitete den Einspruch an das Landesgericht für Strafsachen Graz weiter, ohne inhaltlich dazu Stellung zu nehmen.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Erstgericht dem Einspruch nicht Folge, weil die Einspruchswerber, denen vollständige Akteneinsicht gewährt worden sei, ausreichend über den Gegenstand des Verfahrens informiert worden seien. Mit dem weiteren Vorbringen werde keine Verletzung von subjektiven Rechten nach der StPO geltend gemacht.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Einspruchswerber, in der sie ihr Einspruchsvorbringen im Wesentlichen wiederholen (ON 5).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Einspruch an das Gericht steht gemäß § 106 Abs 1 StPO jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil ihr die Ausübung eines Rechts nach der Strafprozessordnung verweigert (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen der Strafprozessordnung angeordnet oder durchgeführt wurde (Z 2).

Zur behaupteten Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz:

Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann nicht nur die Verletzung ausdrücklich in der Strafprozessordnung eingeräumter Rechte mittels Einspruch nach § 106 Abs 1 StPO geltend gemacht werden. Vielmehr fließen über § 5 Abs 1 StPO nach ständiger Rechtsprechung auch die Garantien der MRK in die Bestimmung des § 106 Abs 1 StPO ein (RIS-Justiz RS0133225). Daraus folgt, dass auch gegen die Verletzung eines von § 5 Abs 1 erster Satz StPO iVm Art 8 MRK bzw § 1 DSG geschützten subjektiven Rechts grundsätzlich Einspruch erhoben werden kann (11 Os 56/20z). Allerdings gilt das Datenschutzgesetz (DSG) bloß subsidiär gegenüber der StPO, die einen „generalisierend“ wirkenden Vorrang gegenüber dem DSG hat (11 Os 76/19i, 14 Os 82/22y).

Die Einspruchswerber monieren, dass eine Liste mit personenbezogenen Daten zahlreicher Beschuldigter (darunter auch Daten der Einspruchswerber) zu den Akten genommen und im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht an andere Mitbeschuldigte weitergegeben wurde. Hiedurch wurden sie jedoch nicht in subjektiven Rechten verletzt.

Die allgemeinen Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten normiert § 74 StPO. Demnach dürfen Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht im Rahmen ihrer Aufgaben die hierfür erforderlichen personenbezogenen Daten verarbeiten, wobei sie den Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit zu beachten und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person an der Geheimhaltung zu wahren sowie der vertraulichen Behandlung der Daten Vorrang einzuräumen haben. Nach Maßgabe dieser Bestimmung ist nicht zu kritisieren, dass Name, Geburtsdatum, Adresse, E-Mail-Adresse und Datum eines Zahlungseingangs der als Beschuldigte geführten Einspruchswerber von der Staatsanwaltschaft zu den Akten genommen und verarbeitet wurden, weil dies zur Erfüllung der Aufgaben der Anklagebehörde, nämlich zur Aufklärung von Straftaten (§ 1 Abs 1 StPO), zwingend erforderlich war. „Hochsensible medizinische Daten“ enthält die Liste – entgegen dem Einspruch – ohnehin nicht. Insoweit wurde daher keine Rechtsverletzung bewirkt.

Das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Beschuldigten, in sämtliche der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens Einsicht zu nehmen (§ 51 Abs 1 StPO), darf nur in den in § 51 Abs 2 StPO normierten und hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen – nämlich bei Bestehen einer ernsten Gefahr für Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit einer gefährdeten Person iSd § 162 StPO (sohin eines gefährdeten Zeugen) oder bei der auf besondere Umstände gegründeten Befürchtung einer Gefährdung des Zwecks der Ermittlungen durch die sofortige Information eines Beschuldigten – beschränkt werden. Im Verhältnis zu Mitbeschuldigten sieht das Gesetz in Bezug auf die Frage des Umfangs der Akteneinsicht – anders als bei Opfern, Privatbeteiligten oder Privatanklägern (§ 49 Abs 2 StPO) – außerdem keine Interessenabwägung vor (RS0129024 [insb T2]; 14 Os 82/22y mwN). Damit hatte die Anklagebehörde gar keine gesetzliche Grundlage dafür, die in Rede stehende Liste – es handelt sich dabei um eine Aufstellung der persönlichen Daten von Personen, welche nach der von den Ermittlungsbehörden angenommenen Verdachtslage Dr. C* zur Herstellung falscher Beweismittel bestimmt haben und deshalb als Beschuldigte geführt wurden – von der Akteneinsicht für Mitbeschuldigte auszunehmen, sodass auch die behauptete Rechtsverletzung durch die Gewährung von Akteneinsicht nicht vorliegt.

Zum Vorwurf der unzureichenden Belehrung über den Gegenstand des Verdachts:

Gemäß Art 6 Abs 3 lit a MRK hat jeder Angeklagte das Recht, in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe wird in § 6 Abs 2 StPO als strafprozessualer Grundsatz hervorgehoben sowie in §§ 49 Z 1, 50 und 164 Abs 1 erster Satz StPO inhaltlich konkretisiert und ergänzt (12 Os 149/11w). § 50 Abs 1 erster Satz StPO ist die einfachgesetzliche Ausgestaltung des in § 49 Abs 1 Z 1 StPO genannten Rechts auf Information ( Soyer/Stuefer , WK-StPO § 50 Rz 1). Die Erstinformation gemäß § 50 Abs 1 StPO kann mündlich oder schriftlich erteilt werden ( Soyer/Stuefer , WK-StPO § 50 Rz 18; Kirchbacher , StPO 14 § 50 Rz 4/1).

Mag auch grundsätzlich die bloße Möglichkeit der Akteneinsicht als „Unterrichtung über die Anklage“ nicht ausreichen, legen die Einspruchswerber dennoch nicht dar, weshalb im konkreten Fall eine Rechtsverletzung vorliegen sollte, wurde doch den Einspruchswerbern nicht nur Akteneinsicht gewährt, sondern ihnen auch die vorgenommene rechtliche Qualifikation mitgeteilt, sodass sie die Möglichkeit hatten, ohne weiteres tatsächliche und rechtliche (Verteidigungs-)Überlegungen zu dem gegen sie bestehenden Tatverdacht anzustellen. Zudem ist beim Umfang der Informationspflicht auf den Verfahrensstand abzustellen und eine Information über alle Einzelheiten in der Regel gerade zu Beginn, zum Teil aber auch noch im Lauf des Ermittlungsverfahrens kaum möglich (vgl 12 Os 149/11w mwN), kann doch (erst) dieses zu einer Intensivierung des Verdachts führen (11 Os 127/18p). Damit war der Einspruch auch insoweit unbegründet.

Zum Vorwurf der unterlassenen Verfahrenstrennung:

Wenn im Einspruch weiters begehrt wurde, die Staatsanwaltschaft möge den Akt „splitten“, ist dem zu entgegnen, dass die Frage, ob ein Teil des Ermittlungsverfahrens gemäß § 27 StPO zu trennen ist, von der Staatsanwaltschaft – unter Berücksichtigung der in dieser Bestimmung genannten Kriterien (Vermeidung von Verfahrensverzögerungen, Verkürzung von Haft) – im Rahmen gebundenen Ermessens zu entscheiden ist. Dem Beschuldigten steht jedoch kein Anspruch auf Verfahrenstrennung zu (12 Os 15/23g).

Der Einspruch wegen Rechtsverletzung wurde daher zu Recht abgewiesen.

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