JudikaturOLG Graz

8Bs33/24z – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
05. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch den Senatspräsidenten Mag. Ohrnhofer (Vorsitz) und die Richter Mag. Koller und Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen A* und weitere Beschuldigte wegen des Vergehens der schweren gemeinschaftlichen Gewalt nach § 274 Abs 1 StGB über die Beschwerde von B*, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. Jänner 2024, AZ 27 HR 320/23a (ON 19 der Akten 1 St 268/23b der Staatsanwaltschaft Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

BEGRÜNDUNG:

In dem gegen B*, und andere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren zum AZ 1 St 268/23b ordnete die Staatsanwaltschaft Graz am 6. November 2023 (mündlich) gegenüber der Kriminalpolizei die Sicherstellung des Mobiltelefons von B*, aus Beweisgründen gemäß § 110 Abs 1 Z 1 StPO an (ON 2.2, 10 f). In der nachgereichten und am 10. November 2023 auch dem Verteidiger zugestellten schriftlichen Ausfertigung (ON 7) ging sie vom Verdacht aus, B*, habe am 2. November 2023 anlässlich des Fußballcup-Spiels des C* gegen den D* wissentlich an einer Zusammenkunft vieler Menschen teilgenommen, die darauf abzielte, dass durch ihre vereinten Kräfte Körperverletzungen (§§ 84 bis 87 StGB) begangen werden, indem er gemeinsam mit zumindest mehr als 30 weiteren gewaltbereiten und vermummten D*-Anhängern in die Sektoren 13 und 14 der Anhänger des C* eindrang, um dort Anhänger des C* bzw Mitarbeiter eines aufgebauten Fanshops zu attackieren, wobei es tatsächlich zu zahlreichen Attacken in Form von zumindest versuchten schweren Körperverletzungen durch Schläge und Bewurf mit Gegenständen auf gegnerische Fans kam und zumindest ein Anhänger des C* derart verletzt wurde, dass er ( „vermutlich bewusstlos“ ) am Boden lag. Die Sicherstellung sei zur Aufklärung der Tat und Ausforschung weiterer Mittäter erforderlich und stehe in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg.

Am 28. November 2023 erhob B*, gegen die Sicherstellung Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO (ON 12) und brachte zusammengefasst vor, dass keine besondere Dringlichkeit für eine mündliche Anordnung bestanden habe, diese nicht begründet worden sei und die in der schriftlichen Ausfertigung angenommene strafbare Handlung von jener im Sicherstellungsprotokoll (ON 12.3) abweiche. Die Sicherstellung sei zudem unverhältnismäßig, weil hiedurch nicht nur auf jene Daten zugegriffen werden könne, die sich am Gerät selbst befinden, sondern auch auf extern gespeicherte Daten. Dies stelle einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Privatleben gemäß Art 8 EMRK und das Grundrecht auf Datenschutz gemäß § 1 DSG dar und stehe diese daher in keinem Verhältnis zu der im Zeitpunkt der mündlichen Anordnung vorgeworfenen Tat. Als gelinderes Mittel zur Sicherstellung des Mobiltelefons, hätte auch eine Anordnung der Überwachung von Nachrichten genügt. Es werde daher beantragt, „ die Staatsanwaltschaft wolle in Stattgebung des Einspruchs die Anordnung der bekämpften Ermittlungsmaßnahme unterlassen, widrigenfalls die Vorlage an das Landesgericht für Strafsachen Graz beantragt werde“ .

Die Staatsanwaltschaft legte den Einspruch unter Anschluss einer Stellungnahme dem Landesgericht für Strafsachen Graz zur Entscheidung vor (ON 13). Der Beschuldigte erstattete hierzu eine Äußerung (ON 14).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Einspruch ab (ON 19).

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, in der er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und unter zusätzlichen Verweis auf das jüngst zur Sicherstellung von mobilen Datenträgern ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 14. Dezember 2023, G 352/2021, die Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung behauptet (ON 23).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Voranzustellen ist, dass die Aufhebung der Bestimmungen des § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4 sowie § 111 Abs 2 StPO durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 14. Dezember 2023, G 352/2021-46, erst mit Ablauf des 31. Dezember 2024 in Kraft tritt (BGBl I 2023/165). Da der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis nichts anderes ausgesprochen hat, sind diese Bestimmungen daher gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG weiterhin anzuwenden (RIS-Justiz RS0053996; RS0054186; Muzak , B-VG 6 Art 140 Rz 21, 24 mwN). Auf die darauf bezugnehmenden Ausführungen des Beschwerdeführers war daher nicht weiter einzugehen.

Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht steht gemäß § 106 Abs 1 StPO jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch (die) Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil ihr die Ausübung eines Rechts nach der Strafprozessordnung verweigert (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen der Strafprozessordnung angeordnet oder durchgeführt wurde (Z 2).

Subjektive Rechte im Sinn dieser Bestimmung sind solche, welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei der Ausübung von Zwang bzw. bei der Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen nach den jeweils maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozessordnung konkret einzuhalten sind. Darunter fallen nicht nur ausdrücklich als „Rechte“ titulierte Bestimmungen der StPO, sondern auch Vorschriften, deren Sinn und Zweck zeigen, dass der Betroffene an der Einhaltung eben dieser Vorschriften ein berechtigtes Interesse hat ( Pilnacek/Stricker, WK-StPO Rz 11). Bezugspunkt der gerichtlichen Kontrolle ist stets die Rechtmäßigkeit, nicht die Zweckmäßigkeit einer bestimmten Ermittlungsmaßnahme ( Pilnacek/Stricker , aaO Rz 11). Dabei ist eine strikte ex ante Überprüfung vorzunehmen. Nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die aus späterer Sicht zur Annahme führen, es fehle an einer Voraussetzung, machen die seinerzeitige Entscheidung nicht rechtswidrig ( Pilnacek/Stricker, aaO Rz 19).

Der Einspruch ist binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang (zu diesen Begriffen vgl Ratz , Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO² Rz 322 und 324) er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht (wobei die Nennung allenfalls missachteter Gesetzesbestimmungen nicht verlangt wird) und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. In Bezug auf das zuletzt genannte Kriterium kann der Antrag auch (bloß) das Begehren auf Feststellung enthalten, dass durch die zu Grunde liegende Handlung (den Vorgang oder die Unterlassung) das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet und dadurch ein subjektives Recht des Einspruchswerbers verletzt worden sei (vgl Pilnacek/Stricker, WK-StPO § 106 Rz 24; RIS-Justiz RS0130583).

Gegen eine staatsanwaltschaftliche Sicherstellungsanordnung steht dem davon Betroffenen sohin grundsätzlich ein Einspruch wegen Rechtsverletzung offen ( Tipold/Zerbes , WK-StPO § 110 Rz 57).

Die Sicherstellung iS der vorläufigen Begründung der Verfügungsmacht über Gegenstände (§ 109 Z 1 lit a StPO) ist gemäß § 110 Abs 1 Z 1 StPO zulässig, wenn sie aus Beweisgründen erforderlich scheint. Die Sicherstellung zu Beweiszwecken setzt voraus, dass der sicherzustellende Gegenstand geeignet ist, ein Beweisthema zu führen und entweder selbst beweisrelevant ist oder sich beweisrelevante Spuren auf ihm befinden. Seine Bedeutung für das konkrete Verfahren muss nachvollziehbar sein ( Tipold/Zerbes , aaO Rz 5). Die Sicherstellung muss überdies verhältnismäßig sein und ist dementsprechend nur zulässig, wenn sie für den zu erreichenden Zweck erforderlich und geeignet erscheint ( Tipold/Zerbes , aaO Rz 49).

Die Bestimmungen über die Sicherstellung gelten nicht nur für körperliche Sachen, sondern ermöglichen auch den Zugriff auf (immaterielle elektronische) Daten, wobei in diesem Fall das Objekt der eigentlichen Sicherstellung ein Datenträger ist, der die verfahrensrelevanten Informationen enthält (14 Os 51/18h; Tipold/Zerbes , aaO § 111 Rz 12). Damit kann auch ein Mobiltelefon als Datenträger Gegenstand einer Sicherstellung iSd § 109 Z 1 lit a StPO sein.

Fallkonkret hat der Einspruchswerber einen konkreten Vorgang bezeichnet und eine auf diesen bezogene Verletzung in einem subjektiven Recht schlüssig behauptet. Das Begehren „die Staatsanwaltschaft wolle die Anordnung der bekämpften Ermittlungsmaßnahme unterlassen“ impliziert das Begehren der – zur Beseitigung der behaupteten Rechtsverletzung geeigneten – Aufhebung der Sicherstellung und ist daher (gerade noch) ausreichend bestimmt, weshalb der Einspruch (nicht iS des § 107 Abs 1 StPO a limine zurückzuweisen, sondern) einer Sachentscheidung zuzuführen war (vgl 14 Os 110/15f).

Gegen den Beschuldigten bestand zum Zeitpunkt der Sicherstellung der hinreichend konkrete Verdacht, er habe die in der Sicherstellungsanordnung der Staatsanwaltschaft dargestellte Tat, die dem Vergehen der schweren gemeinschaftlichen Gewalt nach § 274 Abs 1 StGB zu subsumieren ist, begangen. Dieser Verdacht ergibt sich aus den im Anlassbericht des Stadtpolizeikommandos vom 7. November 2023 (ON 2.1) festgehaltenen Wahrnehmungen der in den Einsatz involvierten Exekutivbeamten und den zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden Videoaufzeichnungen (ON 8). Demnach drangen nach einer zu Gewalt und Hass aufstachelnden Rede eines Vertreters des Fanclubs des D* im ehemaligen Stadion „Gruabn“ zumindest 30 bis 50 vermummte Anhänger des D* gewaltsam in die Sektoren 13 und 14 des Gegnervereins C* ein, schlugen und traten dort wahllos auf C*-Anhänger ein, bewarfen diese mit Stehtischen und weiteren Gegenständen und plünderten den am Westplateau (vor dem Sektor 17 bzw 18) aufgestellten Fanshop. Auf der Flucht vor den nicht weniger gewaltbereiten C*-Anhängern stürzte einer der Teilnehmer in den Stadiongraben und verletzte sich dabei schwer. Diese Person konnte als B*, identifiziert werden.

Die Sicherstellung war zur Aufklärung einer strafbaren Handlung aus Beweisgründen erforderlich und geeignet, weil zu erwarten war, dass sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon des Beschuldigten Chatverläufe oder sonstige Kommunikationsinhalte finden, die Rückschlüsse auf das gesetzwidrige Ziel der Zusammenkunft und die Identität der weiteren an der Zusammenrottung Beteiligten zulassen, waren diese doch – soweit auf den Videoaufzeichnungen ersichtlich – allesamt vermummt. Die Sicherstellung stellte auch die einzig zuverlässige Maßnahme zur Sicherung dieser zur Aufklärung des Tatverdachts erforderlichen Daten dar. Die Zwangsmaßnahme war im Hinblick auf das Gewicht der Straftat, den Grad des Verdachts und den anstrebten Erfolg angesichts des dadurch zu erwartenden unmittelbaren Beitrags zur Sachverhaltsaufklärung (vgl Tipold/Zerbes , WK-StPO § 119 Rz 4) in Ermangelung anderer (gelinderer, jedoch gleichermaßen effizienter) Ermittlungsmaßnahmen auch verhältnismäßig (§ 5 Abs 1 und 2 StPO). Eine Auswertung bzw Sicherung der Daten auf dem Mobiltelefon war aufgrund der Weigerung des Beschuldigten, die Zugangsdaten zu dem Mobiltelefon herauszugeben, bislang noch nicht möglich, weshalb eine Aufhebung der Sicherstellung derzeit nicht möglich ist (ON 13, 3).

Da konkret zu befürchten war, dass der Beschuldigte bei Kenntnis der gegen ihn geführten Ermittlungen ihn oder andere Teilnehmer der Zusammenkunft belastende Kommunikationsinhalte löschen bzw das Mobiltelefon überhaupt verbergen oder vernichten würde, um die Sachverhaltsaufklärung zu erschweren, lagen auch die Voraussetzungen für die mündliche Erteilung der Anordnung vor. Die schriftliche Ausfertigung wurde am 9. November 2023 nachgereicht und auch dem Verteidiger zugestellt (§ 102 Abs 1 dritter Satz StPO; ErlRV StPRefG 2004, 137; Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher , StPO Band I 2 § 102 Rz 11; Erlass BMJ 14. Dezember 2007 JMZ 590000L/36/II/07, JABl 2008/3, 6).

Soweit der Beschwerdeführer unter Verweis auf das Sicherstellungsprotokoll meint, die Sicherstellung sei nur wegen des Verdachts des Diebstahls erfolgt, ist er darauf zu verweisen, dass das Sicherstellungsprotokoll nur die Bestätigung für die Durchführung der zuvor von der Staatsanwaltschaft mündlich erteilten Anordnung der Sicherstellung war ( Tipold/Zerbes , WK-StPO § 111 Rz 23). Dieser wiederum lag der eingangs beschriebene Lebenssachverhalt zugrunde, der dem Tatbestand der schweren gemeinschaftlichen Gewalt nach § 274 Abs 1 StGB zu subsumieren ist. Eine Falschbezeichnung im Sicherstellungsprotokoll ist damit ohne Relevanz, weil es für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Sicherstellung nur auf das dieser zugrunde liegende historische Geschehen, nicht aber auf die von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei (hier: irrig) angenommene rechtliche Kategorie (strafbare Handlung) ankommt.

Dem weiteren Einwand, der Beweiszweck hätte auch durch eine Überwachung von Nachrichten nach § 134 Z 3 StPO erreicht werden können, ist entgegenzuhalten, dass eine solche nach dem Wortlaut des § 135 Abs 3 Z 2 und 3 StPO (arg „Ursprung oder Ziel einer Nachrichtenübertragung war oder sein wird“ ) zwar auch die nachträgliche Erhebung von Inhaltsdaten beim Betreiber zulässt ( Reindl-Krauskopf , WK-StPO § 134 Rz 54; zu den faktischen Problemen bei Kommunikation über Messengerdienste wie etwa WhatsApp, Facebook Messenger usw im Allgemeinen vgl aber dieselbe , aaO § 134 Rz 45), jedoch nach der aktuellen Rechtslage dann nicht vorliegt, wenn (wie hier) nur auf die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Nachrichten oder über dieses auf extern gespeicherte Daten (etwa einer Cloud) zugegriffen werden soll (14 Os  51/18h; ErlRV 25 BlgNR 22. GP, 156; Tipold/Zerbes , aaO § 111 StPO Rz 14; Reindl-Krauskopf , aaO § 134 Rz 53 und 54, allerdings unter der Einschränkung, dass der Zugriff „beim Kommunikationsteilnehmer“ erfolgt). Im Übrigen ist eine Überwachung von Nachrichten gegenüber der Sicherstellung nicht das gelindere Zwangsmittel.

Zusammengefasst war die Sicherstellung daher zulässig, sodass der Einspruch wegen Rechtsverletzung zu Recht abgewiesen wurde.

Der Ausschluss weiterer Rechtsmittel folgt aus § 89 Abs 6 StPO.

Rückverweise