10Bs26/24k – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. a Tröster und Dr. in Steindl-Neumayr in der Strafvollzugssache des A* wegen vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbots oder Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG über die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Vollzugsgericht vom 10. Jänner 2024, GZ 75 BE 329/23i-3, in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben und vom weiteren Vollzug der über A* im Verfahren AZ 9 Hv 65/23i des Landesgerichts für Strafsachen Graz verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 133a StVG abgesehen.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.
Text
BEGRÜNDUNG:
Der am ** geborene kroatische Staatsangehörige A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt Klagenfurt die über ihn im Verfahren AZ 9 Hv 65/23i des Landesgerichts für Strafsachen Graz wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 2 Z 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe von 15 Monaten.
Dem Urteil liegt zugrunde, dass A* am 17. November 2022 in ** fremde bewegliche Sachen der Familie B* durch Einbruch in eine Wohnstätte mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er durch Aufbrechen eines Fensters ins Wohnhaus eingestiegen ist und einen Kugelschreiber im Wert von EUR 280,-- gestohlen hat.
Urteilsmäßiges Strafende ist der 29. August 2024. Die Hälfte der Freiheitsstrafe ist seit 13. Jänner 2024 verbüßt, zwei Drittel werden am 29. März 2024 erreicht sein (ON 2, AS 3ff).
Gegen den Strafgefangenen besteht im Sinne des (rechtskräftigen) Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 1. August 2023, rechtskräftig seit 31. August 2023, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von drei Jahren (ON 2, AS 21ff). Er verfügt über ein gültiges Ausreisedokument (ON 2, AS 1), kann die Ausreisekosten selbst tragen (ON 2, AS 1) und erklärte sich bereit, seiner Ausreiseverpflichtung nach Kroatien nachzukommen (ON 2, AS 9).
Mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. Dezember 2023, AZ 75 BE 291/23a, wurde der Antrag des Strafgefangenen auf bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG zum Hälftestichtag (rechtskräftig) abgewiesen.
In der Folge beantragte er gemäß § 133a Abs 1 StVG vom Strafvollzug vorläufig abzusehen (ON 2, AS 9ff).
Die Leitung der Justizanstalt äußerte sich dazu positiv (ON 2, AS 1), während die Staatsanwaltschaft einem Vorgehen nach § 133a StVG vor 29. März 2024 unter Hinweis auf die Schwere der Tat entgegentrat (ON 1).
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag des Strafgefangenen auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG aus generalpräventiven Gründen mit dem Hinweis auf die Art und Schwere der vom Strafgefangenen zu verantwortenden Delinquenz und die Erfordernisse der Abschreckung im Rahmen eines Kriminaltourismus aktiver Täter(gruppen) ab (ON 3). Bei der (unrichtigen) Anführung des Namens „C* “ sowie des Urteilsdatums „08.07.2023“ im Spruch handelt es sich um bei einer Gesamtbetrachtung offenkundige und daher unbeachtliche Schreibfehler (RIS-Justiz RS0107358 [T2]).
Gegen diesen Beschluss erhob der Strafgefangene fristgerecht Beschwerde (ON 4).
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde hat Erfolg.
Gemäß § 133a Abs 1 StVG ist vom weiteren Vollzug einer Freiheitsstrafe vorläufig abzusehen, wenn ein Verurteilter die Hälfte der Strafzeit, mindestens aber drei Monate, verbüßt hat, gegen ihn ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot besteht, er sich bereit erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat (§ 2 Abs 1 Z 17 AsylG) unverzüglich nachzukommen, zu erwarten ist, dass er dieser Verpflichtung auch nachkommen wird, und der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen. Hat ein Verurteilter die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel einer Freiheitsstrafe verbüßt, so ist trotz Vorliegens der genannten Voraussetzungen so lange nicht vorläufig vom weiteren Vollzug der Strafe abzusehen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 133a Abs 2 StGB).
Die „Schwere der Tat“ im Sinne des § 133a Abs 2 StVG stellt auf den sozialen Störwert (die kriminelle Bedeutung) einer Tat ab (RIS-Justiz RS0091863), der durch den Handlungs- und Erfolgsunwert determiniert wird. Für die Annahme einer Tatschwere nach § 133a Abs 2 StVG müssen – als Ausnahmesatz – gewichtige Gründe vorliegen, die sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig auftretenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben (vgl Pieber in WK² StVG § 133a Rz 18, Jerabek/Ropper in WK² StGB § 46 Rz 16), wobei nicht nur der Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern vor allem auch das Interesse an der Festigung genereller Normentreue in der Bevölkerung zu beachten ist (vgl Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 43 Rz 18). Bezugspunkt der generalpräventiven Erforderlichkeitsprüfung ist nicht nur die auf die Anlasstaten angewendete rechtliche Kategorie, sondern auch die konkreten tatsächlichen Umstände. Wenn sich daraus im Einzelfall eine besondere Tatschwere im Sinn eines besonderen sozialen Störwerts ergibt, liegen generalpräventive Ausschlussgründe im Sinn des § 133a Abs 2 StVG vor (vgl OLG Graz 10 Bs 53/23d, 10 Bs 180/22d uvm).
Im Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bringt der Gesetzgeber eine Vorbewertung zum Ausdruck, wonach das Verbrechen des Diebstahls durch Einbruchs nach §§ 127, 129 Abs 2 Z 1 StGB einen höheren, aber nicht weit überdurchschnittlichen sozialen Störwert aufweist. Bei der konkreten Tat (eine als Einzeltäter begangene Tathandlung) handelt es sich weder unter dem Aspekt des Handlungs- und Gesinnungs-, noch jenem des Erfolgsunwerts um eine besonders schwere Form der Deliktsverwirklichung, die sich von den regelmäßig auftretenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens deutlich abhebt, was auch das verhängte Strafmaß von 15 Monaten belegt, sodass sich unter Berücksichtigung der sich aus dem Urteil ergebenden konkreten Tatumstände keine besonderen, einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug zum Hälftestichtag nach § 133a Abs 1 und 2 StVG entgegenstehenden generalpräventiven Hindernisse ergeben (vgl auch OLG Graz 10 Bs 157/19t, 10 Bs 66/19k). Der mit dem bisherigen Vollzug einhergehende Warn- und Aufzeigeeffekt erscheint vor diesem Hintergrund fallbezogen generalpräventiv ausreichend, um potentielle Täter abzuhalten und der Allgemeinheit ein ausreichendes Gefühl der Rechtsbewährung zu vermitteln. Solcherart liegen alle Voraussetzungen für ein Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG vor.
Der Rechtsmittelausschluss gründet auf § 17 Abs 1 Z 3 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO.