JudikaturOLG Graz

10Bs18/24h – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
01. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. a Tröster und Dr. in Steindl-Neumayr in der Strafvollzugssache des A* wegen vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbots oder Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG über die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 5. Jänner 2024, GZ 23 BE 4/24v-5, in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben und vom weiteren Vollzug der über A* im Verfahren AZ 28 Hv 23/23p des Landesgerichts Eisenstadt verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 133a StVG abgesehen.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

BEGRÜNDUNG:

Der am ** geborene bulgarische Staatsangehörige A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt Graz-Jakomini die über ihn im Verfahren AZ 28 Hv 23/23p des Landesgerichts Eisenstadt wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG verhängte Freiheitsstrafe von 16 Monaten.

Dem Urteil liegt zugrunde, dass A* am 22. Mai 2023 in ** als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und unter Mitwirkung weiterer Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung bestehend zumindest aus ihm, seinem unbekannten türkischen Auftraggeber sowie den unbekannten Tätern „B*“ und „C*“ im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 StGB), die rechtswidrige Ein- bzw Durchreise von mindestens drei Fremden, konkret von sieben türkischen Staatsangehörigen, in und durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, und zwar von Ungarn nach Österreich, mit dem Vorsatz gefördert hat, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er diese als Lenker des PKW der Marke ** in einem ungarischen Waldstück in das Fahrzeug aufnahm und sie bis über die österreichische Grenze transportierte.

Das urteilsmäßige Strafende fällt auf den 22. September 2024. Die Hälfte der Freiheitsstrafe ist seit 22. Jänner 2024 verbüßt, zwei Drittel werden am 11. April 2024 erreicht sein (ON 2.2).

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 24. November 2023, AZ 4 BE 254/23t, wurde der Antrag des Strafgefangenen auf bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG zum Hälftestichtag aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen (rechtskräftig) abgewiesen (Beilage).

Gegen den Strafgefangenen besteht im Sinne des (rechtskräftigen) Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 29. August 2023 ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von acht Jahren (ON 2.5). Er verfügt über ein gültiges Ausreisedokument (ON 2.4) und erklärte sich bereit, seiner Ausreiseverpflichtung nach Bulgarien nachzukommen (ON 2.3 und 2.7). Anhaltspunkte dafür, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen werde, sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Einer freiwilligen Ausreise stehen im Sinne der Stellungnahme des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl Steiermark keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegen (ON 2.5 und 2.6).

Am 7. November 2023 beantragte der Verurteilte, gemäß § 133a Abs 1 StVG vom Strafvollzug vorläufig abzusehen (ON 2.3).

Die Leitung der Justizanstalt äußerte sich mangels Deckung der Rückreisekosten von EUR 285,-- negativ (ON 2, AS 1). Auch die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag wegen Nicht-Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen entgegen (ON 1.2).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag des Strafgefangenen vom 7. November 2023 auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG wegen tatsächlicher Hindernisse, nämlich der fehlenden Deckung der Rückreisekosten, sowie aus generalpräventiven Gründen im Hinblick auf die Art und Schwere der vom Strafgefangenen zu verantwortenden Delinquenz ab (ON 5).

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Strafgefangenen, mit der er unter Hinweis darauf, dass seine Familie die erforderlichen Geldmittel für das Heimreiseticket von EUR 285,-- binnen 14 Tagen auf sein GGV-Konto in der Justizanstalt Jakomini überweisen werde, das Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG anstrebt (ON 6).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde hat Erfolg.

Gemäß § 133a Abs 1 StVG ist vom weiteren Vollzug einer Freiheitsstrafe vorläufig abzusehen, wenn ein Verurteilter die Hälfte der Strafzeit, mindestens aber drei Monate, verbüßt hat, gegen ihn ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot besteht, er sich bereit erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat (§ 2 Abs 1 Z 17 AsylG) unverzüglich nachzukommen, zu erwarten ist, dass er dieser Verpflichtung auch nachkommen wird, und der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen.

Als tatsächliches Hindernis ist jeder faktische Grund – ob er vom Strafgefangenen zu vertreten ist oder nicht – anzusehen, der sich der Ausreise entgegenstellen kann. Ein solches Hindernis kann auch zeitlich begrenzt sein, etwa durch vorübergehenden Entfall der Reisemöglichkeit auf Grund von Naturkatastrophen. Als solches gilt auch der Mangel, die erforderlichen Reisekosten tragen zu können ( Drexler/Weger , StVG 5 § 133a Rz 2).

Die Tragung der Kosten für die Reise ist grundsätzlich in § 150 Abs 1 StVG geregelt. Darüber hinaus stehen dem Strafgefangenen Haus- und Eigengeld zur Verfügung. Soweit dies nicht ausreicht, kann der Anstaltsleiter gemäß § 54a Abs 3 StVG der Bezahlung aus der Rücklage zustimmen. Schließlich besteht nach § 150 Abs 3 StVG die Möglichkeit der Gewährung eines Zuschusses. Erst wenn weder dadurch noch durch Unterstützung von dritter Seite (zB wohltätigen Einrichtungen, BFA [Rückkehrhilfe gem § 52a BFA-VG]) die erforderlichen Mittel aufgebracht werden können (was derzeit auch aufgrund von EU-finanzierten – zwar jeweils befristeten, aber immer wieder verlängerten – Rückkehrhilfeprogrammen kaum vorkommen sollte), liegt ein tatsächliches Hindernis im Sinne des § 133 Abs 1 Z 3 StVG vor (vgl OLG Wien 17 Bs 103/19z; Pieber in WK2 StVG § 133a Rz 15).

Erhebungen des Beschwerdegerichts bei der Justizanstalt haben nunmehr ergeben, dass der Strafgefangene bei unverändert niedrigem Hausgeldkontostand (EUR 2,86) Anspruch auf Entlassenenhilfe nach § 150 Abs 3 StVG im Umfang von EUR 456,38 hat, wodurch auch die Rückreisekosten gedeckt sind (vgl Mitteilung der Justizanstalt Graz-Jakomini vom 25. Jänner 2024). Aufgrund der im Beschwerdeverfahren geltenden Neuerungserlaubnis ( Tipold in WK StPO § 89 Rz 8, RIS-Justiz RS0118014) stehen im Hinblick auf diese geänderten Umstände tatsächliche Hindernisse einer Ausreise nicht mehr entgegen.

Hat ein Verurteilter die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel einer Freiheitsstrafe verbüßt, so ist trotz Vorliegens der genannten Voraussetzungen so lange nicht vorläufig vom weiteren Vollzug der Strafe abzusehen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 133a Abs 2 StGB).

Die „Schwere der Tat“ im Sinne des § 133a Abs 2 StVG stellt auf den sozialen Störwert (die kriminelle Bedeutung) einer Tat ab (RIS-Justiz RS0091863), der durch den Handlungs- und Erfolgsunwert determiniert wird. Für die Annahme einer Tatschwere nach § 133a Abs 2 StVG müssen – als Ausnahmesatz – gewichtige Gründe vorliegen, die sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig auftretenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben (vgl Pieber in WK² StVG § 133a Rz 18, Jerabek/Ropper in WK² StGB § 46 Rz 16), wobei nicht nur der Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern vor allem auch das Interesse an der Festigung genereller Normentreue in der Bevölkerung zu beachten ist (vgl Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 43 Rz 18). Bezugspunkt der generalpräventiven Erforderlichkeitsprüfung ist nicht nur die auf die Anlasstaten angewendete rechtliche Kategorie, sondern auch die konkreten tatsächlichen Umstände. Wenn sich daraus im Einzelfall eine besondere Tatschwere im Sinn eines besonderen sozialen Störwerts ergibt, liegen generalpräventive Ausschlussgründe im Sinn des § 133a Abs 2 StVG vor (OLG Graz 10 Bs 53/23d, 10 Bs 180/22d uvm).

Ungeachtet der im Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Vorbewertung des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 4 FPG handelt es sich bei der konkreten Tat um keine besonders schwere Form der Deliktsverwirklichung, was auch das verhängte Strafmaß von 16 Monaten belegt, sodass sich unter weiterer Berücksichtigung der sich aus dem Urteil ergebenden Tatumstände (keine führende Beteiligung in einer kriminellen Organisation, verhältnismäßig geringe Zahl von geschleppten Personen im Rahmen einer einzigen Fahrt, keine qualvollen oder besonders gefährlichen Verhältnisse während der Schlepperfahrt) keine besonderen, einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug zum Hälftestichtag nach § 133a Abs 1 und 2 StVG entgegenstehenden generalpräventiven Hindernisse ergeben (vgl OLG Graz 1 Bs 44/23i, 9 Bs 115/23i). Der mit dem bisherigen Vollzug einhergehende Warn- und Aufzeigeeffekt erscheint vor diesem Hintergrund fallbezogen generalpräventiv ausreichend, um potentielle Täter abzuhalten und der Allgemeinheit ein ausreichendes Gefühl der Rechtsbewährung zu vermitteln. Solcherart liegen alle Voraussetzungen für ein Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG vor.

Der Rechtsmittelausschluss gründet auf § 17 Abs 1 Z 3 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO.

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