JudikaturOLG Graz

10Bs185/23s – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
13. Juli 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Dr in . Steindl-Neumayr und Mag a . Tröster in der Strafsache gegen A* B* und andere wegen des Verbrechens des Raubs nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den Einspruch des gesetzlichen Vertreters des Angeklagten A* B*, C* B*, gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vom 30. März 2023, AZ 17 St 123/22v (ON 45 der Akten AZ 38 Hv 23/23x des Landesgerichts Klagenfurt), in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Einspruch wird abgewiesen und es wird die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift festgestellt.

Gegen diese Entscheidung steht ein Rechtsmittel nicht zu.

BEGRÜNDUNG:

Text

Mit der im Beschlusskopf beschriebenen Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft Jugendlichen (§ 1 Abs 1 Z 2 JGG), und zwar dem am ** geborenen A* B*, dem am ** geborenen D* und dem am ** geborenen E* zur Last, es haben teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter, teils als Alleintäter

I.) A* B* und E* am 23.10.2022 in ** durch Gewalt gegen eine Person, dem G* fremde bewegliche Sachen, nämlich dessen Bauchtasche mit einem Bargeldbetrag von EUR 70,00, eine Powerbank im Wert von zumindest EUR 14,00 und ein iPhone Ladekabel im Wert von EUR 25,00 mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem A* B* den Genannten an der Kleidung erfasste, gegen eine Thujenhecke drückte und [ihm] einen Faustschlag gegen den Hinterkopf versetzte, während E* ihm die Bauchtasche abnahm (ON 25),

II.) Nachgenannten fremde bewegliche Sachen teilweise durch Einbruch mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

1.) weggenommen , und zwar

a) am 20.12.2022 in ** (ON 27),

aa) A* B*, D* und E* dem I* durch Aufbrechen einer Bürotür im Sonnenstudio "F*", Münzgeld in Höhe von zumindest EUR 100,00, 60 Wertkarten für das Sonnenstudio im Wert von EUR 200,00, eine Kaffeemaschine samt Kaffeekapseln im Wert von EUR 120,00, ein Radio im Wert von EUR 100,00, Süßigkeiten im Wert von EUR 10,00 und eine unbekannte Anzahl von Schlüssel[n] unbekannten Werts,

bb) A* B* und E* der J* Bargeld in Höhe von EUR 700,00, diverse Lebensmittel und Getränke im Wert von EUR 110,90 (Eistee, Cola, Kaugummi, Haribo), durch Aufbrechen eines Fensters und Einsteigen in das Gebäude des K*[s], Aufbrechen der versperrten Kantine durch zu Boden Werfen einer Kühlvitrine und Einsteigen in die Kantinenräumlichkeiten,

b) A* B*

aa) zu einem nicht bekannten Zeitpunkt zwischen 01.02.2022 und 31.03.2022 in ** Berechtigten des H* zwei Lautsprecherboxen im Wert von EUR 550,00 (ON 21),

bb) am 19.02.2023 in ** dem L* dessen Herrenhandtasche samt Laptop und Bargeld von EUR 200,00 sowie taiwanesische und arabische Banknoten unbekannten Wertes (ON 33);

c) A* B* und E* am 24.01.2023 in **, Berechtigten des S* die Registrierkassa mit Bargeld von EUR 591,80 und ein Sparschwein mit Bargeld von zumindest EUR 100,00, durch Einwerfen eines Fensters mit einem Stein und Einsteigen in die Räumlichkeiten (ON 22 und ON 27),

2.) A* B* und E* wegzunehmen versucht , und zwar

a) am 20.12.2022 in ** (ON 27),

aa) Berechtigten der M* ** und der N* ** durch Aufbrechen der Eingangstüre,

bb) Berechtigten des K* durch Aufbrechen der versperrten Tür zum Sekretariat,

b) am 24.01.2023 in **, Berechtigten des O*, Filiale **, durch Aufbrechen eines Fensters und Aufzwängen der Glasschiebetüre ,

III.) [A* B*] am 21.12.2022 in ** die Polizeibeamten GI P* und Insp. Q* R* mit Gewalt und durch Drohung mit Gewalt, indem er mit Körperkraft und ruckartigen Bewegungen versuchte, seine Hände aus der Fixierung durch die Polizeibeamten zu lösen, nach „dessen“ Fixierung am Boden mit seinen Beinen gegen die Polizeibeamten trat sowie gegenüber Insp. R* äußerte, ihm den „Schädel wegzuschießen“, an einer Amtshandlung, nämlich dessen Festnahme und Vorführung zur Polizeiinspektion ** zu hindern versucht (ON 42).

Zur näheren Darstellung des Sachverhalts und zu den beweiswürdigenden Erwägungen der Anklagebehörde wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung der Anklageschrift (ON 45, 5ff) verwiesen.

Während die Angeklagten die Anklageschrift unbekämpft ließen, erhob C* B*, der gesetzliche Vertreter des A* B*, und – als dieser grundsätzlich gemäß § 38 Abs 3 JGG berechtigt – Einspruch „zu dem in Faktum 3 (III.) beschriebenen Wortlaut, da er diese Handlung und auch diese Drohung gegenüber den Polizeibeamten nicht gesehen und auch nicht gehört habe, obwohl er über den gesamten Zeitraum der Handlung direkt vor Ort gewesen sei“. Seiner Eingabe schloss er eine Kopie der Seite 9 der Anklageschrift an, in der er den Satz „weiters versuchte er zur Dienstwaffe am Holster des Inspektor R* zu gelangen, während er damit drohte, dass er ihm mit dem Inhalt des gesamten geladenen Magazins den Schädel wegschießen werde“ farblich markierte (ON 53.1f).

Rechtliche Beurteilung

Das Oberlandesgericht hat aus Anlass eines Anklageeinspruchs die Zulässigkeit der Anklage und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts an sich von Amts wegen nach allen Richtungen auf das Vorliegen der Voraussetzungen zu prüfen ( Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 8.31; Birklbauer in WK StPO Vor §§ 210 bis 215 Rz 47). Aus dem Dispositionsprinzip ergibt sich aber, dass der Einspruchswerber eine Einschränkung der amtswegigen Überprüfung soweit wirksam vornehmen kann, wie der Gesetzgeber eine differenzierte Beurteilung durch das Einspruchsgericht zulässt und keine einheitliche Entscheidung verlangt. Das ist in Bezug auf einzelne Anklagepunkte als selbständige Teile des Prozessgegenstands der Fall (§ 215 Abs 5 StPO).

In Ansehung des Vorwurfs III. kommt eine solche Teilerledigung grundsätzlich in Betracht (vgl Nordmeyer in WK StPO § 190 Rz 18 und Lendl in WK StPO § 259 Rz 2f).

Da die Rechtsprechung nur bei einem Rechtsmittel des Angeklagten stets einen umfassenden Anfechtungswillen unterstellt (siehe Birklbauer in WK StPO Vor §§ 210 bis 215 Rz 58 und Ratz in WK StPO § 295 Rz 10) und sich im Gegenstand der vom gesetzlichen Vertreter des Angeklagten B* erhobene Einspruch ausdrücklich nur gegen das Faktum III. richtet, beschränkt sich der Umfang der Überprüfung durch das Oberlandesgericht fallbezogen auf dieses Faktum.

Der dem Angeklagten B* zu III. der Anklageschrift zur Last gelegte Lebenssachverhalt ist – hypothetisch als erwiesen angenommen – dem Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung, und zwar dem Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB zu subsumieren. Strafausschließungsgründe sind nach der Aktenlage nicht indiziert (§ 212 Z 1 StPO).

Auch die Einspruchsgründe der fehlenden Verurteilungswahrscheinlichkeit und der nicht hinreichenden Sachverhaltsklärung (§ 212 Z 2 und 3 StPO) sind nicht gegeben. Ihrer Prüfung ist voranzustellen, dass eine Einstellung des Verfahrens nach § 215 Abs 2 StPO iVm § 212 Z 2 StPO nur in Betracht kommt, wenn das Oberlandesgericht zur Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte der inkriminierten Tat keinesfalls überwiesen werden könne, somit wenn Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz eingehender Ermittlungen nicht ausreichen, bei lebensnaher Betrachtung eine Verurteilung auch nur (entfernt) für möglich zu halten ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 18; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 8.28: Verurteilung nahezu ausgeschlossen). Bei ausermitteltem Sachverhalt kommt dem Oberlandesgericht gleichsam eine Missbrauchskontrolle nur in jenen Fällen zu, in denen die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, obwohl so gut wie überhaupt keine Verurteilungsmöglichkeit besteht, andernfalls ist über die erhobenen Vorwürfe in der Hauptverhandlung zu entscheiden ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 19).

Eine (vorläufige) Zurückweisung der Anklageschrift kommt dann in Betracht, wenn die Staatsanwaltschaft von weiteren möglichen Erhebungen Abstand nimmt und auf Basis eines nicht hinreichend geklärten und ausermittelten Sachverhalts anklagt ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 14). Der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO ist daher nicht gegeben, wenn keine schulderheblichen Beweisaufnahmen mehr ausstehen und wenn bei Gegenüberstellung sämtlicher be- und entlastender Verdachtsmomente sowie unter Berücksichtigung indizierter Schuldausschließungsgründe mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten ist ( Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 15).

Fehlende Verurteilungswahrscheinlichkeit aus vom Einspruchswerber sinngemäß relevierten „Beweisgründen“ im Sinn des § 212 Z 2 StPO liegt in Ansehung der unter III. beschriebenen Tat nicht vor. Auch Ermittlungsdefizite im Sinn des § 212 Z 3 StPO sind mit Blick auf die erfolgten Beweisaufnahmen (Einvernahme des Angeklagten im Beisein des Einspruchswerbers [ON 42.6] und der beteiligten Beamten P* und Q* R* [ON 42.7 und 42.9]) im Rahmen amtswegiger Prüfung nicht auszumachen. Für den Fall, dass der gesetzliche Vertreter auf sein ihm gesetzlich eingeräumtes Recht auf Aussagebefreiung nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO verzichtet und in der Hauptverhandlung aussagt, werden seine Angaben vom Erstgericht zu würdigen sein.

Die Anklageschrift gibt in diesem Umfang (zu III.) den Lebenssachverhalt, den sie dem Angeklagten anlastet, und die diesbezügliche Begründung deutlich genug zu erkennen. Damit weist sie die vom Gesetz verlangten Inhalte (§ 211 Abs 1 und 2 StPO) auf und erfüllt die gesetzlichen Formvorschriften des § 212 Z 4 StPO.

Die Anklageschrift wurde von der für die Verfolgung derartiger Straftaten zuständigen Staatsanwaltschaft als öffentliche Anklägerin erhoben (§ 212 Z 7 StPO) und beim für das gemeinsame Verfahren (§ 37 Abs 1 StPO) sachlich und örtlich zuständigen Landesgericht Klagenfurt als Schöffengericht eingebracht (§ 212 Z 5 und Z 6 StPO).

Mangels vorangegangener diversioneller Erledigung kann auch keine zu Unrecht erfolgte Fortsetzung des Verfahrens im Sinn des § 212 Z 8 StPO vorliegen.

Da keine Anklagehindernisse vorliegen, ist der Einspruch abzuweisen und die Rechtswirksamkeit der Anklage festzustellen (§ 215 Abs 6 StPO).

Der Ausschluss weiterer Rechtsmittel folgt aus § 214 Abs 1 StPO.

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