JudikaturOLG Graz

112Ds3/19z – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sutter als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Bott und die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Mag a . Kohlroser als weitere Richter im Beisein der Richteramtsanwärterin Mag. a Sebinger als Schriftführerin in der Disziplinarsache des Richters des Landesgerichts für Strafsachen ** Mag. A* wegen Pflichtverletzung nach § 57 Abs 1 und 3 RStDG nach öffentlicher Verhandlung am 23. Mai 2023 in Anwesenheit des Oberstaatsanwaltes Dr. Kirschenhofer als Vertreter der Oberstaatsanwaltschaft Graz als Disziplinaranwalt, des Beschuldigten sowie seines Verteidigers Staatsanwalt Mag. Löw zu Recht erkannt:

Spruch

Mag. A* ist schuldig , er hat als Staatsanwalt in ** die ihm nach § 57 Abs 1 und 3 RStDG auferlegten Pflichten, die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten, die Pflichten seines Amtes gewissenhaft zu erfüllen und sich im Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen seines Berufsstandes nicht gefährdet wird, dadurch schuldhaft verletzt, dass er

1. im Zeitraum 23. April 2012 bis 7. Jänner 2019 im Ermittlungsverfahren AZ 604 St 13/11k der Staatsanwaltschaft ** nach Einstufung des Ermittlungsverfahrens als Verschlusssache die Abbrechung des Ermittlungsverfahrens nach § 197 StPO verfügte und es ebenso wie in weiterer Folge bei jeder Vorlage des Tagebuchs zu den von ihm verfügten Terminen unterließ, den Beschuldigten Mag. C* nach § 50 Abs 1 StPO über das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren AZ 604 St 13/11k und den gegen ihn bestehenden Tatverdacht sowie über seine wesentlichen Rechte im Verfahren (§ 49 StPO) zu informieren, die gerichtlich bewilligte Anordnung vom 3. Jänner 2012 auf Auskunftserteilung gemäß §§ 109 Z 3 lit a und b, 116 Abs 1 und 2 Z 1 und 2 StPO dem Genannten nach § 116 Abs 5 StPO zuzustellen sowie Sachverhalt und Tatverdacht durch Ermittlungen zumindest in Form der Vernehmung des Mag. D* zu seiner Informationsquelle und den näheren Umständen der im Raum stehenden Zahlung an Mag. C* zu klären (§ 91 Abs 1 StPO) sowie

2. am 20. Dezember 2018 im Ermittlungsverfahren AZ 617 St 1/17z der Staatsanwaltschaft ** (Causa G*) den Abgeordneten zum Nationalrat Dr. E* darüber informierte, dass es eine Weisung gebe, wonach Unterlagen aus Gründen der nationalen Sicherheit an das Verteidigungsministerium zurückzustellen sind, obwohl Dr. E* zu diesem Zeitpunkt kein Recht auf diese Information aus den Ermittlungsakten hatte.

Mag. A* hat hiedurch ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen und wird hiefür nach § 104 Abs 1 lit b RStDG zu einer Geldstrafe in Höhe von 50% eines Monatsbezugs verurteilt.

Mag. A* hat die mit EUR 300,00 bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.

Text

GRÜNDE:

Rechtliche Beurteilung

Der am ** geborene österreichiche Staatsbürger Mag. A* ist verheiratet und sorgepflichtig für ein Kind. Er absolvierte zunächst die Ausbildung zum Rechtsanwalt und wurde mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2006 zum Richteramtsanwärter ernannt. Nach Ablegung der Richteramts(ergänzungs)prüfung am 20. November 2006 erfolgte mit 1. Jänner 2007 die Ernennung auf eine Planstelle eines Staatsanwalts der Staatsanwaltschaft **. Mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 2012 wurde er Gruppenleiter und in dieser Funktion in der Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft ** eingesetzt. Am 1. Februar 2019 übernahm er eine mit allgemeinen Strafsachen befasste Abteilung bei der Staatsanwaltschaft **. Seit 1. Jänner 2023 ist Mag. A* Richter des Landesgerichts für Strafsachen ** (vgl Disziplinaranzeige ON 1; Mag. A* in der Disziplinarverhandlung). Sein Bruttomonatsbezug im Monat Mai 2023 (ohne anteilige Sonderzahlung und Aufwandsentschädigung) beträgt EUR 7.520,60 (vgl Mitteilung des Oberlandesgerichts ** vom 17. Mai 2023). Er ist bislang nicht negativ in Erscheinung getreten.

Zu 1.:

Mag. A* bearbeitete mit Staatsanwältin Mag a . B* bis zum 14. Jänner 2019 die „Causa G*“, wobei der Verfahrenskomplex „G*“ mehrere formal voneinander getrennte Ermittlungsverfahren gegen verschieden Beschuldigte bzw Verbände (AZ 604 St 6/11f, 604 St 3/17y, 604 St 1/18f, 604 St 3/14v, 604 St 2/14x, 604 St 22/16f, 604 St 2/17a, 617 St 1/17z und 617 St 3/17v) umfasste. Mag. A* fungierte dabei als Gruppenleiter der Mag a . B*.

Die Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ** zum Komplex „G*“ wurden in weiterer Folge gemäß § 516 Abs 8 StPO an die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption übertragen. Anlässlich dieser Übertragung wurde im Jänner 2019 das Tagebuch AZ 604 St 13/11k der Staatsanwaltschaft ** samt Ermittlungsakt aufgefunden. Im Tagebuch hatte Mag. A* am 24. November 2011 gegen Mag. C* gemäß § 193 Abs 2 Z 1 und 2 StPO die Fortführung des zu AZ 61 St 48/02a der Staatsanwaltschaft ** gegen den Genannten und andere wegen § 302 Abs 1 und 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen geführte Strafverfahren - welches laut VJ in den Jahren 2002 und 2003 nach § 90 Abs 1 StPO aF eingestellt worden war - verfügt. Mag. A* stufte die Akten als Verschlusssache ein, indem er im Tagebuch „Verschlussakt bilden“ sowie am AB- Bogen „VERSCHLUSS“ verfügte (Seite 1 des Tagebuchs).

Am 24. November 2011 stand die Verordnung des Bundesministers für Justiz, mit der besondere Vorschriften über die Aufbewahrung von Ergebnissen einer optischen oder akustischen Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel nach § 149d Abs 1 Z 3 StPO erlassen werden (kurz: Verschlußsachenordnung), BGBl II 1998/256, in Geltung. Diese Verordnung enthielt - entgegen der aktuell geltenden Verschlusssachenverordnung, BGBl II 2015/3, die erst mit 1. Jänner 2015 in Kraft trat - keine Bestimmung, wer über die Einstufung als Verschlusssache zu entscheiden hat, sodass Mag. A* grundsätzlich zur Entscheidung über den Verschluss befugt war. Tatsächlich lagen aber die in der Verordnung angeführten Voraussetzungen für die Einstufung als Verschlusssache (vgl § 1 über Gegenstand und Geltungsbereich) im gegenständlichen Fall nicht vor.

Auslöser für die Entscheidung des Mag. A*, das Ermittlungsverfahren gegen Mag. C* fortzusetzen, war ein in einem anderen Verfahren sichergestelltes E-Mail vom 20. Juni 2006 in englischer Sprache, in dem Mag. D*, Managing Partner der D* GmbH in ** unter anderem mitteilte, er sei darüber informiert worden, dass „F*“ - gemeint Mag. C* - eine größere Überweisung von einer Liechtensteinischen Stiftung erhalten habe, wobei aufgrund der Höhe der auf das Konto der F„*“ überwiesenen Summe die O* eingeschaltet worden sei.

Am 3. Jänner 2012 beantragte Mag. A‘* im Ermittlungsverfahren AZ 604 St 13/11k die gerichtliche Bewilligung einer an die O* gerichteten Anordnung der Auskunftserteilung bei gleichzeitiger Aufhebung des Bankgeheimnisses gemäß §§ 109 Z 3 lit a und b, 116 Abs 1 und 2 Z 1 und 2 StPO betreffend sämtlicher über das System ** oder sonstiger bei der O* verwendeter Systeme abgewickelter oder in Auftrag gegebener Zahlungen seitens einer Liechtensteinischen Stiftung im Zeitraum 1. November 2005 bis 1. Juni 2009 mit einem Überweisungsbetrag von mehr als 1 Million Euro, wobei die Überweisung durch die P* AG auf ein bei einer Bank (Kreditinstitut oder Zweigstelle eines Kreditinstitutes) im Bezirk ** geführtes Konto erfolgt sei. Die Anordnung, welche unter Hinweis auf die Verschlusssache eine Geheimhaltungsverpflichtung enthielt, wurde am selben Tag durch einen Richter des Landesgerichts für Strafsachen ** bewilligt. Mit dem bei der Staatsanwaltschaft ** am 23. April 2012 einlangten Schreiben vom 30. März 2012 berichtete die O*, dass die Suche anhand der in der Anordnung genannten Kriterien keinen Treffer ergeben habe (vgl Tagebuch; ON 4, AS 3 und ON 6 der Ermittlungsakten  AZ 604 St 13/11k der Staatsanwaltschaft **).

Mag. A* unterließ es, Mag. C* nach § 50 Abs 1 StPO sobald wie möglich über das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren AZ 604 St 13/11k und den gegen ihn bestehenden Tatverdacht sowie über seine wesentlichen Rechte im Verfahren (§ 49 StPO) zu informieren (§ 50 Abs 1 StPO: Jeder Beschuldigte ist durch die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft sobald wie möglich über das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren und den gegen ihn bestehenden Tatverdacht sowie über seine wesentliche Rechte im Verfahren (§§49, 164 Abs 1) zu informieren. [...] Dies darf nur so lange unterbleiben, als besondere Umstände befürchten lassen, dass ansonsten der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre, insbesondere weil Ermittlungen oder Beweisaufnahmen durchzuführen sind, deren Erfolg voraussetzt, dass der Beschuldigte keine Kenntnis von den gegen ihn geführten Ermittlungen hat.) .

Besondere Umstände, welche befürchten hätten lassen, dass bei gesetzlicher Information des Mag. C* der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre, insbesondere weil Ermittlungen oder Beweisaufnahmen durchzuführen gewesen wären, deren Erfolg voraussetzt, dass der Beschuldigte keine Kenntnis von den gegen ihn geführten Ermittlungen hat (§ 50 Abs 1 letzter Satz StPO), lagen spätestens nach Einlangen obiger Auskunft der O* nicht mehr vor, sodass ab diesem Zeitpunkt die Unterlassung der Information durch Mag. A* gesetzwidrig war.

Mag. A* unterließ es ferner, die genannte Anordnung der Auskunftserteilung dem Beschuldigten Mag. C* nach § 116 Abs 5 StPO in der damals geltenden Fassung ( § 116 Abs 5 StPO idF BGBl. I Nr. 108/2010: Die Anordnung samt gerichtlicher Bewilligung ist dem Kredit- oder Finanzinstitut, dem Beschuldigten und den aus der Geschäftsverbindung verfügungsberechtigten Personen zuzustellen, sobald diese der Staatsanwaltschaft bekannt geworden sind. Die Zustellung an den Beschuldigten und an die Verfügungsberechtigten kann aufgeschoben werden, solange durch sie der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre. Hierüber ist das Kredit- oder Finanzinstitut zu informieren, das die Anordnung und alle mit ihr verbundenen Tatsachen und Vorgänge gegenüber Kunden und Dritten geheim zu halten hat.) zuzustellen, obwohl spätestens nach Einlangen der Auskunft der O* kein Grund zur Annahme war, dass durch die Zustellung der Zweck der Ermittlungen gefährdet gewesen wäre.

Der im Ermittlungsverfahren AZ 604 St 13/11k der Staatsanwaltschaft ** beschuldigte Mag. C* konnte folglich wegen Unkenntnis des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren weder sein Recht auf Mitwirkung am gesamten Verfahren und rechtliches Gehör im Sinne des § 6 StPO (§ 6 Abs 1 StPO: Der Beschuldigte hat das Recht, am gesamten Verfahren mitzuwirken […]. § 6 Abs 2 StPO: Jede am Verfahren beteiligte oder von der Ausübung von Zwangsmaßnahmen betroffene Person hat das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör und auf Information über Anlass und Zweck der sie betreffenden Verfahrenshandlung sowie über ihre wesentlichen Rechte im Verfahren. Der Beschuldigte hat das Recht, alle gegen ihn vorliegende Verdachtsgründe zu erfahren und vollständige Gelegenheit zu deren Beseitigung und zu seiner Rechtfertigung zu erhalten) , noch sonstige nach dem Gesetz eingeräumte situationsbezogene Verfahrensrechte im Sinne des § 49 StPO ausüben, insbesondere etwa durch einen Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 108 StPO oder Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO eine gerichtliche Überprüfung der Vorgangsweise des Mag. A* erwirken.

Mag. A* unterließ es auch, Sachverhalt und Tatverdacht durch Ermittlungen zumindest in Form der zeugenschaftlichen Vernehmung des Mag. D* zu seiner Informationsquelle und den näheren Umständen der im Raum stehenden Zahlung an Mag. C*, etwa zum Zeitpunkt und der Höhe der Zahlung oder des Empfänger- und Absenderkontos weiter zu klären, somit eine naheliegende Erkenntnisquelle auszuschöpfen und auf diese Weise die Ermittlungen so zu führen, dass entschieden werden kann, ob und wie das Ermittlungsverfahren zu beenden ist (vgl §§ 4 Abs 1, 91 Abs 1 StPO).

Am 17. April 2013 verfügte Mag. A* die Abbrechung des gegenständlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 197 StPO sowie einen Fristenvormerk ( FV 20/1/2014 ) und hielt fest: „ dzt. keine weiteren Ermittlungsansätze; Verfahren war abzubrechen; allenfalls weitere Erkenntnisse durch das Verfahren 604 St 6/11; ansonsten § 190 StPO “.

§ 197 StPO regelt die Abbrechung des Ermittlungsverfahrens gegen Abwesende und gegen unbekannte Täter. § 197 Abs 1, 2, 2a, 3 und 4 StPO sind seit 1.6.2009 unverändert in Geltung. Abs 4 betrifft das sichere Geleit. Abs 1, 2, 2a und 3 lauten wie folgt:

Wenn der Beschuldigte flüchtig oder unbekannten Aufenthalts ist, ist das Ermittlungsverfahren soweit fortzuführen, als dies zur Sicherung von Spuren und Beweisen erforderlich ist. Ermittlungshandlungen und Beweisaufnahmen, bei denen der Beschuldigte das Recht hat, sich zu beteiligen (§§ 150, 165), können in diesem Fall auch in seiner Abwesenheit durchgeführt werden. Der Beschuldigte kann zur Ermittlung seines Aufenthalts oder zur Festnahme ausgeschrieben werden. Danach hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren abzubrechen und nach Ausforschung des Beschuldigten fortzusetzen (Abs 1).

In Verfahren gegen unbekannte Täter ist Abs. 1 sinngemäß anzuwenden (Abs 2).

Das Verfahren gegen eine Person, gegen die nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann, ist abzubrechen und nach Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen. Maßnahmen zur Sicherung und Aufnahme von Beweisen dürfen nur vorgenommen werden, soweit dies nach den das Verfolgungshindernis betreffenden Bestimmungen zulässig ist (Abs 2a).

Von der Abbrechung des Verfahrens gegen einen bekannten Täter und von der Fortsetzung oder Einleitung des Verfahrens sind die Kriminalpolizei und das Opfer zu verständigen (Abs 3).

Mit dem am 1.6.2016 in Kraft getretenen Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016 (BGBl. I Nr. 26/2016) wurde in § 197 StPO folgender Abs 2b eingefügt: Wenn eine Vernehmung des Beschuldigten (§§ 164,165 StPO) wegen dessen schwerwiegender Erkrankung nicht in absehbarer Zeit durchgeführt werden kann, ist sinngemäß nach Abs 2a erster Satz vorzugehen.

Gelegentlich wurde bei der Staatsanwaltschaft Wien in Finanzstrafverfahren § 197 StPO analog angewendet, wenn (rechtskräftige) Abgabenbescheide der Finanzbehörden ausständig waren. Desgleichen kam vor, wenn Ergebnisse aufgrund von Rechtshilfeersuchen an ausländische Justizbehörden abgewartet werden mussten. Bis zum Inkrafttreten des Abs 2b des § 197 StPO am 1.6.2016 wurde bisweilen auch die Verhandlungs- und/ oder Vernehmungsunfähigkeit des Beschuldigten als Anlass für die analoge Anwendung des § 197 StPO angesehen (vgl Bericht des Bundesministeriums für Justiz vom 14.12.2021, ON 56 in den Ermittlungsakten AZ 4 St 110/20y des Staatsanwaltschaft **). Grund dafür waren „registertechnische“ Erwägungen, womit gemeint ist, dass Verfahren abgebrochen werden, damit sie im Register nicht längere Zeit als offen aufscheinen. Nichts davon traf aber auf das Ermittlungsverfahren AZ 604 St 13/11k der Staatsanwaltschaft ** zu. Tatsächlich lagen in diesem Ermittlungsverfahren weder die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abbrechung nach § 197 StPO vor, noch ein Sachverhalt, der vergleichbar gewesen wäre mit Fällen, in denen bei der Staatsanwaltschaft ** die analoge Anwendung der Bestimmung praktiziert wurde. Gleichwohl brach Mag. A* das Ermittlungsverfahren in der Auffassung, eine analoge Anwendung des § 197 StPO sei vertretbar, ab.

Die gesetzlich vorgesehenen Informationen des Beschuldigten Mag. C* und die Zustellung der gerichtlich bewilligten Anordnung der Auskunftserteilung vom 3. Jänner 2012 an den Genannten wollte Mag. A* wegen der (zu Unrecht angenommenen) Verschlusssache (vgl Aussage des Mag. A*, Beilage zu ON 4) und wegen des „Graubereichs“ der Verdachtslage „vorläufig“ nicht vornehmen. Da er sich außerdem „insgesamt“ durch die komplexen Verfahren, mit denen er befasst war, „etwas“ überlastet fühlte, unterließ er auch die Beweisaufnahme betreffend Mag. D* (vgl Einlassung des Mag. A* in der Disziplinarverhandlung). Abhilfemaßnahmen bzw Hilfestellung in Bezug auf die von ihm subjektiv empfundene Überlastung versuchte Mag. A* nicht zu erwirken.

In der Folge prüfte Mag. A* im Rahmen der von ihm verfügten Tagebuchvorlagen am 18. Jänner 2014, 20. Mai 2015, 19. November 2015, 5. März 2016, 20. Juni 2016, 20. Juni 2017, 20. Juni 2018 und 7. Jänner 2019 das Vorliegen neuer Ermittlungsergebnisse im Verfahren AZ 604 St 6/11f der Staatsanwaltschaft **, stellte bei einigen Terminen deren Ausbleiben fest und verfügte neuerliche Fristenvormerke, zuletzt am 7.Jänner 2019 für den 20. September 2019.

Nach Einlangen des Berichts der O* wäre Mag. A* bei jeder Vorlage des Tagebuchs zu den von ihm verfügten Terminen verpflichtet gewesen, die Verständigungen des Mag. C* und die Zustellung der Anordnung der Auskunftserteilung vom 3. Jänner 2012 an den Genannten (nach § 116 Abs 5 StPO in der jeweils geltenden Fassung) vorzunehmen sowie die Vernehmung des Mag. D* zu veranlassen bzw das Ermittlungsverfahren nach der (unzulässigen) Abbrechung fortzusetzen (und gegebenenfalls nach § 190 StPO einzustellen), was er aber aus den angeführten Gründen nicht tat.

Schließlich gelangte die Information, dass der Beschuldigte C* jahrelang von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren nicht in Kenntnis gesetzt wurde, auch an die Öffentlichkeit, wodurch der Anschein eines von der Justiz geführten „Geheimverfahrens“ erweckt wurde (vgl die in der Disziplinarverhandlung vorgehaltenen Artikel aus „Der Standard“ und „Die Presse“).

Mag. A* ließ bei seinem Vorgehen jene Sorgfalt außer acht, zu der er als Staatsanwalt nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt und die ihm zuzumuten war. Hätte er sich mit den einschlägigen Bestimmungen (§§ 6, 49, 50, 116 Abs 5, 197 StPO) vertraut gemacht, hätte er erkannt, dass das Unterlassen der gesetzlich vorgesehenen Informationen des Mag. C* und der Zustellung der Anordnung auf Auskunftserteilung vom 3. Jänner 2012 an den Genannten spätestens ab dem 23. April 2012 ebenso gesetzeswidrig ist wie die Abbrechung des Ermittlungsverfahrens, weil weder die Voraussetzungen des § 197 StPO vorlagen, noch ein Grund, die Bestimmung analog anzuwenden (vgl im übrigen Nordmeyer in Fuchs/Ratz , WK- StPO § 197 Rz 5). Ein sorgfältig arbeitender Staatsanwalt hätte außerdem zumindest die zeugenschaftliche Vernehmung des Mag. D* veranlasst, um den Tatverdacht, der von Mag. A* als vage eingeschätzt wurde (vgl Aussage Mag. A* in der Disziplinarverhandlung), weiter zu klären. Mag. A* handelte somit fortgesetzt fahrlässig und erkannte dadurch auch nicht, dass er durch sein Verhalten die allgemeinen Pflichten eines Staatsanwaltes, die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten, die Pflichten seines Amtes gewissenhaft zu erfüllen und sich im Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen seines Berufsstandes nicht gefährdet wird, verletzt.

Die Feststellungen basieren auf der Disziplinaranzeige der Oberstaatsanwaltschaft ** vom 13. Februar 2019 (ON 4 samt Beilagen), dem Inhalt des Tagebuchs AZ 604 St 13/11k und der Ermittlungsakten AZ 604 St 13/11k jeweils der Staatsanwaltschaft **, den in der Disziplinarverhandlung einverständlich vorgelesenen und als glaubhaft eingestuften Aussagen der Zeugen HRin. Dr. in U*, Dr. V*, Dr. in W* und Mag. X*, den zur Auslegungspraxis des § 197 StPO erstatteten Berichten der Oberstaatsanwaltschaft ** und des Bundesministeriums für Justiz (ON 54, 55 und 56 der Ermittlungsakten AZ 4 St 110/20y der Staatsanwaltschaft **) sowie der Einlassung des Mag. A*.

Dabei ist auf die Aussage des Mag. X* nur insofern einzugehen, als dieser laut Tagebuch am 18. April 2013 eine Prüfung im Sinne der Vorstandsverfügung A- 1/13 betreffend die Kontrolle der verzögerungsfreien Bearbeitung aller Verfahren zu bestimmten Stichtagen vornahm (vgl Eintrag im Tagebuch: „ gepr-lt VVfg A1/13 “), welche sich nicht auch auf die Entscheidung der Abbrechung des Ermittlungsverfahrens bezog, weil nach den Angaben des Mag. X* Mag. A* zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf Abbrechungen gemäß § 197 StPO nicht revisionspflichtig war (vgl ON 12).

Beweisergebnisse, wonach innerhalb der Staatsanwaltschaft ** oder einer anderen Staatsanwaltschaft die analoge Anwendung des § 197 StPO in allgemeinen (nicht Finanz-) Strafsachen ohne Auslandsbezug oder (bis zum Inkrafttreten des Abs 2b des § 197 StPO am 1.6.2016) ohne Vorliegen von Verhandlungs- und/oder Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten geduldete Praxis gewesen wäre, liegen nicht vor. Auch die „Musterverfügungen“ für Abbrechungen, auf die sich Mag. A* bezog (vgl ON 13, Beilage./8 und in ON 68 der Ermittlungsakten 4 St 110/20y der Staatsanwaltschaft **), betreffen Finanzstrafverfahren.

Die von Mag. A* mit dem Einspruch gegen die Anklageschrift vorgelegte Weisung der Oberstaatsanwaltschaft ** vom 1. Februar 2017, AZ 8 OStA 406/16b (ON 39, AS 37f der Ermittlungsakten 4 St 110/20y der Staatsanwaltschaft **), bezog sich außerdem - anders als das gegen Mag. C* geführte Ermittlungsverfahren - auf ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter , dessen Abbrechung auf § 197 Abs 2 StPO gestützt werden konnte (vgl auch Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft ** in ON 54 der Ermittlungsakten 4 St 110/20y der Staatsanwaltschaft **).

Die Feststellungen zur Fahrlässigkeitsschuld ergeben sich aus dem objektiven Sachverhalt in Verbindung mit den Kenntnissen und Fähigkeiten des Mag. A*, die sich in seiner beruflichen Stellung widerspiegel(te)n sowie dessen geständiger Einlassung.

Zu 2.:

Mit Beschluss des Nationalrats vom 19. April 2018 wurde der Untersuchungsausschuss zur Untersuchung der politischen Verantwortung im Zusammenhang mit dem Kampfflugzeugsystem „G* **“ von Anfang 2007 bis Ende 2017 eingesetzt. Über Anforderung des Untersuchungsausschusses übermittelten die Strafverfolgungsbehörden Akten zur Einsichtnahme.

Im Ermittlungsakt AZ 617 St 1/17z der Staatsanwaltschaft ** befanden sich unter anderem vom Bundesministerium für Landesverteidigung vorgelegte Unterlagen. Diese Aktenteile waren vom genannten Bundesministerium als „geheim“ klassifiziert worden. In der Folge ersuchte das Bundesministerium für Landesverteidigung, vertreten durch die Finanzprokuratur, um Rückgabe dieser Aktenstücke mit der Begründung, sie enthielten als besonders geheim zu behandelnde Informationen, deren Offenbarung - im Zuge einer Akteneinsicht nach den Bestimmungen der StPO - wichtige Interessen der nationalen Sicherheit und der umfassenden Landesverteidigung beeinträchtigen könnte.

Als die Staatsanwaltschaft ** mehreren Beschuldigten die Akteneinsicht in diese Aktenteile verweigerte, erhoben sie dagegen Einsprüche wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 StPO, die mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen ** vom 12. Jänner 2018, GZ 333 HR 122/17m-153, abgewiesen wurden. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts ** vom 28. August 2018, AZ 20 Bs 54/18i, wurde den dagegen erhobenen Beschwerden Folge gegeben und den Einsprüchen jeweils dahin stattgegeben, dass festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführer durch die Verweigerung der Akteneinsicht in für das Ermittlungsverfahren relevant erachtete Aktenteile in ihrem subjektiven Recht auf Akteneinsicht nach §§ 51ff iVm § 68 StPO verletzt worden seien. In der Begründung seiner Entscheidung wies das Oberlandesgericht ** darauf hin, dass es der Staatsanwaltschaft - sollte sie eine Gefährdung der nationalen Sicherheit durch die im Ermittlungsverfahren bereits angeschlossenen Aktenteile befürchten - unbenommen bliebe, dieselben dem Ermittlungsakt wieder zu entnehmen, in welchem Fall sie sich auf dieselben im Ermittlungsverfahren aber nicht mehr stützen werden können.

Mit Erlass des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz vom 12. Dezember 2018, GZ BMVRDJ-S1176/0015-IV 5/2018, umgesetzt mit Erlass der Oberstaatsanwaltschaft ** vom selben Tag, AZ 8 OStA 34/16x, wurde die Staatsanwaltschaft ** gemäß § 29 Abs 1 StAG angewiesen, im Rahmen einer vorzunehmenden Relevanzprüfung jene Unterlagen, die vom Bundesministerium für Landesverteidigung klassifiziert vorgelegt und in zwei Stellungnahmen der Finanzprokuratur vom 8. November und vom 14. November 2018 genau bezeichnet und farblich hervorgehoben worden waren, dem Ermittlungsakt zu entnehmen und dem Bundesministerium für Landesverteidigung zurückzustellen.

Aufgrund der damaligen Dringlichkeit übermittelte der Sachbearbeiter der Oberstaatsanwaltschaft ** mit E-Mail vom 12. Dezember 2018, 11.14 Uhr, eine PDF-Datei mit dem eingescannten Original-Erlass des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz direkt an die zuständigen Sachbearbeiter Mag. A* und Mag a . B*. Noch am selben Tag machte Mag. A* die Weisung den zu einem regelmäßigen Kaffee-Treff erschienenen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten der Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft ** (ca 15 Personen) bekannt, wobei die rechtliche Thematik der Weisung im Vordergrund stand.

Im Ermittlungsverfahren AZ 617 St 3/17v der Staatsanwaltschaft ** (Strafsache gegen BM a.D. Mag. H* wegen § 153 Abs 1 und 3 StGB) vereinbarte Mag. A* mit dem dem Untersuchungsausschuss angehörenden Abgeordneten Dr. E* den 20. Dezember 2018 als Termin für dessen zeugenschaftliche Vernehmung. Diese erfolgte im Amtsraum von Mag. A* in Anwesenheit von Mag a . B* und der Kriminalbeamten der „I*“, Chefinspektor J*, Chefinspektor K* und Kontrollinspektor L* sowie des Rechtspraktikanten Mag. M* als Schriftführer.

Nach Beendigung der Vernehmung und Verabschiedung des Schriftführers ersuchte Mag. A* die Kriminalbeamten, den Raum zu verlassen, damit er mit Dr. E* noch etwas besprechen könne. Die Kriminalbeamten entfernten sich daraufhin ebenso wie Mag a . B*. Als sie später zurückkehrte, saß Mag. A* vor seinem Computerbildschirm, auf dem eine Datei geöffnet war. Dr. E* befand sich gegenüber von Mag. A* und machte sich Notizen. Da Dr. E* Mag. A* 2017 oder 2018 mitgeteilt hatte, dass er Informationen über einen möglichen Schmiergeldfall in Kroatien habe (Abfangjägerausschreibung der Republik Kroatien, an der sich auch die Firma G* beteiligt habe), erkundigte sich Mag. A* nach weiteren Informationen. Dr. E* hatte keine diesbezüglichen Informationen, berichtete aber, dass am Vortag im G*-Untersuchungsausschuss des Nationalrats ein weiterer Beschluss auf Aktennachlieferung gefasst worden sei. Mag. A* erwiderte, dass nunmehr geklärt werden könne, wie mit jenen Aktenteilen umzugehen sei, die dem Bundesministerium für Landesverteidigung zurückzustellen seien. Auf die Frage des Dr. E*, warum er die Aktenteile zurückgeben wolle, antwortete Mag. A*, dass es eine Weisung gebe. Dr. E* reagierte erstaunt und sinngemäß mit den Worten „Oh, dass interessiert mich jetzt aber“, worauf Mag. A* offenbarte, dass Unterlagen aus Gründen der nationalen Sicherheit an das Verteidigungsministerium zurückzustellen seien. Ob Mag. A* auch erwähnte, dass die Weisung vom Generalsekretär stammt, kann nicht festgestellt werden. Weder folgte Mag. A* die gegenständliche Weisung oder eine Ausfertigung/Kopie Dr. E* aus, noch gewährte er diesem Einblick in diese. Weitere Details aus der Weisung gab Mag. A* dem Dr. E* nicht bekannt.

Durch die Äußerung, dass es eine Weisung gebe, wonach Unterlagen aus Gründen der nationalen Sicherheit an das Verteidigungsministerium zurückzustellen seien, offenbarte Mag. A* Dr. E* Tatsachen, welche ihm ausschließlich kraft seines Amtes in seiner Funktion als für das Ermittlungsverfahren AZ 617 St 1/17z der Staatsanwaltschaft ** zuständiger Staatsanwalt zugänglich waren. Diese Tatsachen waren Dr. E* (noch) nicht bekannt. Ihm gegenüber wäre Geheimhaltung geboten gewesen, weil er (zu diesem Zeitpunkt) keinen Anspruch auf diese Information aus den Ermittlungsakten hatte und Mag. A* Dr. E* über die offenbarten Tatsachen keine amtliche Mitteilung zu machen hatte.

Mag. A* ließ bei seinem Vorgehen jene Sorgfalt außer acht, zu der er als Staatsanwalt nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt und die ihm zuzumuten war und erkannte deshalb nicht, dass Staatsanwälte – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen (etwa im Fall der Leistung von Amtshilfe oder der Gewährung von Akteneinsicht) abgesehen - grundsätzlich keine Befugnis zur Weiterleitung von amtsgeheimen Informationen (vgl RS0096646) haben und er durch sein Verhalten die allgemeinen Pflichten eines Staatsanwaltes, die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten und die Pflichten seines Amtes gewissenhaft zu erfüllen, verletzt (zur Beurteilung der unzulässigen Gewährung von Akteneinsicht nach § 57 Abs 1 RStDG vgl Fellner/Nogratnig , RStDG, GOG und StAG I 5 § 57 RStDG Rz 118; Ds 12/83). An der Sorgfaltswidrigkeit ändert auch nichts der Umstand, dass Dr. E* als Mitglied des parlamentarischen G*-Untersuchungsausschusses zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin Kenntnis von der Weisung des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz vom 12. Dezember 2018 erlangte, da das Ermittlungsverfahren gemäß § 12 Abs 1 zweiter Satz StPO nicht öffentlich und nur entscheidend ist, dass Dr. E* zum Zeitpunkt des Gesprächs am 20. Dezember 2018 keinen Anspruch auf die inkriminierte Informationsweitergabe durch Mag. A* hatte, was bei entsprechender Sorgfalt leicht zu erkennen war.

Die Feststellungen stützen sich auf die Disziplinaranzeige der Oberstataatsanwaltschaft ** vom 25.Jänner 2019 (ON 1), die Einlassung des Mag. A*, der einräumte, die Tatsache einer im Ermittlungsakt AZ 617 St 1/17z erteilten Weisung gegenüber Dr. E* offenbart zu haben, und die glaubwürdigen Angaben der Zeugin Mag. a B*, wonach Mag. A* in Gegenwart von Dr. E* ferner enthüllte, dass Unterlagen aus Gründen der nationalen Sicherheit an das Verteidigungsministerium zurückzustellen seien. Weil sich die Zeugin letztendlich genauso wenig wie Mag. A* sicher war, ob von einer Weisung des „Generalsekretärs“ die Rede war (vgl Zeugenvernehmung in ON 12, AS 5 in den Ermittlungsakten AZ 4 St 28/19p der Staatsanwaltschaft **; Mag. A* in der Disziplinarverhandlung), war keine Feststellung über diese Informationsweitergabe zu treffen. Zudem bestritt Mag. A* glaubwürdig, Dr. E* den Wortlaut der Weisung mitgeteilt, die Weisung oder eine Ausfertigung/Kopie ausgefolgt oder Dr. E* Einblick in diese ermöglicht zu haben. Beweisergebnisse dafür liegen nicht vor. Sofern einzelne Fragen in der am 21. Dezember 2018 von Dr. E*, Freundinnen und Freunde im Nationalrat eingebrachten schriftlichen Anfrage an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz betreffend „Weisung des Generalsekretärs“ (ON 2, AS 39f der Ermittlungsakten 4 St 28/19p der Staatsanwaltschaft **) darauf hindeuten, dass Dr. E* der konkrete Inhalt der Weisung bekannt war, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Informationen dazu von anderen mit Dr. E* in dieser Angelegenheit kommunizierenden Personen stammten (vgl Aussage Dr. E* in ON 14 der Ermittlungsakten AZ 4 St 28/19p der Staatsanwaltschaft **). Dass die Anfrage just am Tag nach der Vernehmung des Dr. E* erfolgte, besagt schließlich nichts über den Umfang der Informationsweitergabe durch Mag. A*.

Unglaubwürdig ist die Aussage des Zeugen Dr. E*, wonach Mag. A* „eigentlich“ nur die Existenz der Weisung bestätigt habe. Soweit der Zeuge die von Mag. a B* geschilderte Reaktion auf die Mitteilung einer Weisung („Oh, das interessiert mich jetzt aber“) in Abrede stellte und behauptete, bei dem Gespräch sei außer Mag. A* und ihm sonst niemand im Raum gewesen (vgl ON 14 der Ermittlungsakten AZ 4 St 28/19p der Staatsanwaltschaft **), ist den gegenteiligen Angaben der Mag. a B* und des in der Disziplinarverhandlung vernommenen Mag. A* zu glauben, weil diese übereinstimmen und kein Grund zur Annahme einer abgestimmten falschen Darstellung besteht.

Die Feststellungen zur Fahrlässigkeitsschuld ergeben sich aus dem objektiven Sachverhalt in Verbindung mit den Kenntnissen und Fähigkeiten des Mag. A*, die sich in seiner beruflichen Stellung widerspiegel(te)n sowie dessen geständiger Einlassung.

Anzumerken bleibt, dass die inkriminierten Informationen an Dr. E* weder geeignet waren, ein öffentliches oder berechtigtes privates Interesse zu verletzten (zur Gefährdung von Interessen nach § 310 Abs 1 StGB vgl Nordmeyer in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 310 Rz 29ff [Stand 20.1.2021, rdb.at]; Fabrizy/Michel-Kwapinski-Oshidari , StGB 14 § 310 Rz 4; RS0133513), noch war deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten (§ 46 Abs 1 BDG; zur Anwendung des § 46 BDG auf Staatsanwälte vgl Fellner/Nogratnig , aaO § 58 RStDG Rz 3; vgl auch Art 20 Abs 3 B- VG, welcher aber explizit nur an [funktionelle] Verwaltungsorgane gerichtet ist [vgl Fellner/Nogratnig, aaO § 58 RStDG Rz 1]), sodass fallbezogen weder tatbildliches Verhalten nach § 310 Abs 1 StGB, noch eine Verletzung des § 46 Abs 1 BDG in Frage kommt.

Die dargestellten fortgesetzten und fahrlässig begangenen (zur fahrlässigen Dienstpflichtverletzung vgl OGH 7. November 1983, Ds 11/83; Fellner/Nogratnig , aaO § 101 RStDG Rz 22; Wanke/Perl/Sachs , RStDG (2014) § 101 Rz 7) Verstöße gegen die in § 57 Abs 1 und 3 RStDG normierten Pflichten des Staatsanwalts begründen ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG (iVm Art IIa Abs 2 Z 3 RStDG), wobei dahingestellt bleiben kann, ob jede einzelne der pflichtverletzenden Handlungen per se ein Dienstvergehen darstellt, gilt doch der Grundsatz der einheitlichen Beurteilung inkriminierten Verhaltens (vgl Fellner/Nogratnig, aaO § 101 RStDG Rz 9; Ds 7/14).

Bei der Bestimmung der Disziplinarstrafe ist nach § 101 Abs 2 RStDG im einzelnen Fall auf die Schwere des Dienstvergehens und die daraus entstandenen Nachteile sowie auf den Grad des Verschuldens und das gesamte bisherige Verhalten Bedacht zu nehmen. Dabei sind unter Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung gemäß §§ 32ff StGB auch Erwägungen der General- und Spezialprävention anzustellen (vgl Ds 9/09, Ds 27/13, 2 Ds 6/17f, 2 Ds 2/19d, 2 Ds 2/21y).

Erschwerend ist in concreto die Kumulierung von Pflichtverletzungen verschiedener Art über einen mehrjährigen Zeitraum (April 2012 bis Jänner 2019). Außerdem wirkt sich zum Nachteil des Mag. A* aus, dass durch das zu Punkt 1. beschriebene Fehlverhalten Rechte eines Beschuldigten (Mag. C*) im Ermittlungsverfahren betroffen waren (das gegenständliche Ermittlungsverfahren gegen Mag. C* wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen ** vom 9. April 2019 zu AZ 316 HR 98/19k eingestellt. Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption erhob dagegen Beschwerde, der mit Beschluss des Oberlandesgerichts ** vom 18. Dezember 2019 zu AZ 23 Bs 132/19h nicht Folge gegeben wurde [ON 31 der Ermittlungsakten AZ 4 St 110/20y der Staatsanwaltschaft **]).

Mildernd sind hingegen das reumütige Geständnis, das allerdings in Ansehung der belastenden Beweisergebnisse für die Beweisführung nur von geringer Bedeutung war und folglich zur Wahrheitsfindung nicht erheblich beizutragen vermochte (vgl 2 Ds 2/19w; 2 Ds 3/17y), die disziplinäre Unbescholtenheit, das längere Zurückliegen der Verfehlungen und das sonst tadellose und lobenswerte Verhalten (vgl Schreiben der ehemaligen Leiterin der Staatsanwaltschaft **, ON 58) sowie der unrechts- und erfolgsreduzierende Umstand, dass Dr. E* die ihm offenbarten Tatsachen zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen des Untersuchungsausschusses ohnehin zur Kenntnis gelangten. Zu Gunsten des Disziplinarbeschuldigten ist ferner zu berücksichtigen, dass er fahrlässig handelte und somit der Unrechtsgehalt gegenüber vorsätzlichem Handeln geringer wiegt (vgl Ebner in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 32 Rz 91 [Stand 1.6.2018, rdb.at]), sowie die - ohne allerdings einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 MRK zu bewirken (vgl Ebner , aaO § 34 Rz 43ff) - auf die gesetzlich vorgesehene Unterbrechung des Disziplinarverfahrens während der Anhängigkeit eines Strafverfahrens zurückzuführende lange Verfahrensdauer (vgl 113 Ds 11/17a). Schließlich können auch die bisherigen Folgen der Verfehlungen für Mag. A* nicht unbedacht bleiben. Zwar stellte die Staatsanwaltschaft ** das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Preisgabe der Weisung ein, erhob aber auch Anklage wegen des Verbrechens des Amtsmissbrauchs nach § 302 Abs 1 und Abs 2 zweiter Satz StGB (unter anderem) wegen des hier (zu Punkt 1.) inkriminierten Sachverhalts. Erst nach Erhebung eines Einspruchs gegen die Anklageschrift durch Mag. A* und vorläufiger Zurückweisung der Anklageschrift in diesem Punkt durch Beschluss des Oberlandesgerichts ** vom 26.Mai 2021, AZ 19 Bs 217/20f, sowie daran anschließenden weiteren Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft ** wurde das Verfahren schließlich über Antrag des Disziplinarbeschuldigten mit Beschluss des Landesgerichts ** vom 20 Mai 2022, AZ 6 HR 74/72d, eingestellt. Mag. A* war durch die strafrechtliche Verfolgung erheblich belastet, bis die Vorwürfe durch Einstellung des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens erledigt waren und das Disziplinarverfahren fortgesetzt werden konnte, was als nachhaltige Betroffenheit zu seinen Gunsten in Rechnung zu stellen ist.

Ungeachtet dessen kann den Strafzumessungsgründen sowie den Erfordernissen insbesondere der (positiven) Generalprävention Rechnung tragend mit der niedrigstschwelligen Disziplinarstrafe des Verweises nach § 104 Abs 1 lit a RStDG nicht das Auslangen gefunden werden, ist doch die (wiederholte) Verletzung von Verhaltenspflichten von Organen im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit (zu Staatsanwälten als Organen der ordentlichen Gerichtsbarkeit vgl Fellner/Nogratnig , aaO Art IIa RStDG Rz 1) derart zu sanktionieren, dass das Vertrauen in deren Amtshandlungen erhalten und bestärkt wird (vgl RIS- Justiz 0108407; Ds 26/13; 2 Ds 1/17w). Vor allem mit Rücksicht auf die erhebliche negative Außenwirkung des zu Punkt 1. beschriebenen Fehlverhaltens ist daher nach § 104 Abs 1 lit b RStDG eine tat- und schuldangemessene Geldstrafe in Höhe von 50 % eines Monatsbezugs (zur zulässigen Ausmessung der Geldstrafe mit einem Teil des Monatsbezugs vgl 2 Ds 2/21y ua) zu verhängen.

Die Entscheidung über die Kosten des Disziplinarverfahrens ist in § 137 Abs 2 RStDG begründet. Dabei wurde auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie auf den Verfahrensumfang Bedacht genommen.

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