JudikaturOLG Graz

6R5/23m – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Bott (Vorsitz) sowie die Richterinnen Mag a . Fabsits und Mag a . Gassner als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A* , **, vertreten durch die Schlösser Partner Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei B* AG , **, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, wegen EUR 17.316,76 sA (hier: wegen Kosten [Rekursinteresse EUR 397,26]), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 13. Jänner 2023, 44 Cg 21/22g-24, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Kostenentscheidung wird abgeändert ; sie lautet:

„Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.097,68 (darin EUR 516,28 USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 169,75 (darin EUR 28,29 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Ein Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .

Text

begründung:

Der Kläger begehrte mit seiner beim Erstgericht am 5. Mai 2022 eingebrachten Klage die Bezahlung eines Betrages von EUR 17.316,76 sA aus einem bei dieser abgeschlossenen Versicherungsvertrag, betreffend einen Unfall vom 6. September 2021 und die daraus erlittenen Verletzungen.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung mit der Begründung, dass dem Kläger keine Versicherungsleistung zustehe.

Der für die Führung dieses Verfahrens damals zuständige Richter Mag. C* bestellte mit Beschluss vom 11. Oktober 2022 Univ.-Doz. Dr. D* mit der Erstellung eines unfallchirurgischen Gutachtens (ON 12).

Nach dessen Vorliegen (ON 13) und Eintritt eines Richterwechsels verfügte die für die Führung dieses Verfahrens nun zuständige Erstrichterin Dr. E* am 21. November 2022 (ON 15) die Zustellung des Gutachtens samt Gebührennote mit folgendem Hinweis:

Daraufhin gab die Beklagte mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2022 (ON 16), dessen Honorierung im Rekursverfahren umstritten ist, einerseits bekannt, den verzeichneten Gebühren die Zustimmung zu erteilen, und beantragte andererseits die Ladung des Sachverständigen zur nächsten Streitverhandlung zwecks Erläuterung des Gutachtens und formulierte gleichzeitig einen Fragenkatalog.

Mit Beschluss vom 3. Jänner 2023 (ON 18) beraumte die Erstrichterin eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für den 27. Jänner 2023 mit den Themen „Neudurchführung der Verhandlung wegen Richterwechsels“ und „Schluss der Verhandlung“ an.

Am 11. Jänner 2023 (ON 19) zog der Kläger die Klage unter Anspruchsverzicht zurück.

Mit Schriftsatz vom 11. Jänner 2023 (ON 20) stellte die Beklagte einen Kostenbestimmungsantrag, der unter anderem auch den Schriftsatz vom 1. Dezember 2022, verzeichnet nach TP 3A, enthält.

Der Kläger sprach sich in seiner Äußerung hiezu (ON 21) gegen eine Honorierung des Erörterungsantrags mit der Begründung aus, dieser sei nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlich, da das Gutachten im Wesentlichen den von der Beklagten behaupteten Prozessvortrag stütze. Des Weiteren sei eine Zustimmungserklärung zur Gebührenbemessung für das schriftliche Gutachten nicht abverlangt worden und damit auch nicht erforderlich.

Mit Beschluss vom 12. Jänner 2023 (ON 22) nahm das Erstgericht die Klagsrückziehung zur Kenntnis und beraumte die Tagsatzung vom 27. Jänner 2023 ab.

Mit dem nun angefochtenen Beschluss verpflichtet das Erstgericht den Kläger zur Bezahlung der mit EUR 2.700,42 (darin EUR 450,07 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens.

Es begründet dies damit, die Kosten seien infolge Klagsrückziehung gemäß § 237 Abs 3 ZPO zu bestimmen. Den seitens des Klägers erhobenen Einwendungen komme im Wesentlichen Berechtigung zu.

Die Frage der Zweckmäßigkeit und der Erfolgsaussichten einer Prozesshandlung sei immer ex ante zu betrachten. Als notwendig sei jede Aktion zu verstehen, deren Zweck mit geringerem Aufwand nicht erbracht werden könne. Der Erörterungsantrag der Beklagten (ON 16) sei nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, da das Gutachten (im Wesentlichen) ohnedies den von ihr behaupteten Prozessvortrag gestützt habe. Auch sei eine Zustimmungserklärung zur Gebührenverzeichnung nicht erforderlich gewesen, da nach dem Inhalt des Beschlusses ON 15 bei Nichtäußerung Zustimmung zur Bemessung in der begehrten Höhe angenommen worden wäre.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, sie in Stattgebung des Rechtsmittels und in Abänderung des angefochtenen Beschlusses in Zuspruch von Verfahrenskosten in Höhe von insgesamt EUR 3.097,68 inklusive USt (also in Zuerkennung eines Mehrbetrags von EUR 397,26) abzuändern.

Der Kläger , der eine Rekursbeantwortung erstattet, beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Inwieweit der angefochtenen Entscheidung eine allfällige Nichtigkeit ob eines Verstoßes gegen § 412 Abs 1 iVm § 425 Abs 3 ZPO anhaften könnte, was die Beklagte in ihrem Rechtsmittel andeutet, erschließt sich dem Rekursgericht nicht.

§ 412 Abs 1 ZPO enthält Regelungen über die Vorgangsweise unter anderem bei Urteilsfällung in Fällen eines eingetretenen Richterwechsels und sieht grundsätzlich die Neudurchführung der Verhandlung mit entsprechenden Beweisaufnahmen vor. § 425 Abs 3 ZPO regelt, dass die Vorschriften des § 412 auf Beschlüsse des Gerichtes sinngemäß anzuwenden sind.

Es entspricht ganz herrschender Meinung, dass die letztgenannte Bestimmung das in § 412 ZPO vorgesehene Unmittelbarkeitsprinzip auf jene Fälle beschränkt, in denen das Gesetz eine mündliche Verhandlung als Grundlage der Beschlussfassung anordnet. Kommt es also vor der Beschlussfassung zu einem Richterwechsel, so hat der neue Richter das Beweisverfahren neuerlich durchzuführen, sofern nicht auch eine mittelbare Beweisaufnahme zulässig ist (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 III/2 § 425 ZPO, Rz 6; Rechberger/Klicka , ZPO 5 , Rz 5 zu § 425).

Dem vorliegenden Fall liegt aber keine Beschlussfassung zugrunde, die im Sinne der dargestellten Grundsätze eine mündliche Verhandlung erfordert hätte, sondern vielmehr eine beschlussmäßige Kostenentscheidung, die ihre Ursache in einer außerhalb einer Verhandlung vorgenommenen Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht hat, weshalb es weder der Durchführung einer mündlichen Verhandlung noch einer durch einen Richterwechsel erforderlichen Neudurchführung allfälliger Beweise bedurfte. Ein Verstoß nach den genannten Bestimmungen kann demgemäß schon begrifflich nicht vorliegen.

Im Rekursverfahren ist ausschließlich strittig, ob der Erörterungsantrag der Beklagten (ON 16), – wie von ihr behauptet – zu honorieren ist, oder – wovon sowohl der Kläger als auch das Erstgericht ausgehen – im Hinblick auf die bereits vorliegenden Ergebnisse des schriftlichen Gutachtens ON 13 einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und damit auch einer Honorierung entgegensteht.

Die Beklagte macht geltend, sie habe den genannten Antrag dem Auftrag im Sinne des Beschlusses des Erstgerichts ON 15 entsprechend gestellt. Wenn das Erstgericht zur Ansicht gelange, bereits ex ante beurteilen zu können, dass ein Erörterungsantrag der Beklagten deshalb nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nötig gewesen sei, zumal ihr Obsiegen schon vor Erörterung festgestanden sei, dränge sich die Frage auf, warum es diese Ansicht nicht bereits im Beschluss ON 15 zum Ausdruck gebracht und damit den Erörterungsantrag entbehrlich gemacht habe. Die Beklagte habe in der Erörterung verschiedene Fragen der Auswirkung der Vorverletzung aus dem Jahr 2009 und der Operation 2005 abklären lassen wollen. Hätte etwa der Kläger selbst einen Erörterungsantrag unter Vorlage eines Privatgutachtens gestellt, auf dessen Grundlage der Sachverständige dann doch eine unfallkausale Gesundheitsschädigung mit Anspruch auf Versicherungsleistung erkannt hätte, hätte sich die Beklagte dann streng genommen der „Erweiterungsmöglichkeit“ verschwiegen. Wenn das Erstgericht schon vor Schluss der Verhandlung bei möglichen weiteren Beweisergebnissen zur nun vertretenen Ansicht gelange, wäre damit die Macht der Prozessleitung massiv überschritten. Dadurch würde dem Gericht rückwirkend über die Kostenentscheidung die Möglichkeit eröffnet, bekanntzugeben, wann bereits das Verfahrensergebnis klar gewesen sei und welche Prozesshandlungen sich davon ausgehend als unnötig erwiesen hätten.

§ 357 Abs 2 ZPO räume den Parteien auch im Falle einer schriftlichen Begutachtung das Recht auf Erörterung desselben in einer Tagsatzung ein. Diesem Anspruch könne nicht durch den seitens des Klägers erhobenen und vom Erstgericht übernommenen Einwand begegnet werden, würde dies doch zu einem gravierenden Mangel des Verfahrens führen.

Das Rekursgericht hält diese Argumentation für zutreffend.

Es trifft zwar nicht zu, dass das Erstgericht mit Beschluss ON 15 den Auftrag erteilt hätte, einen Antrag auf Gutachtenserörterung zu stellen, in welchem auch allfällige Fragen zu stellen oder Mängel/Ergänzungsbedürftigkeit des Gutachtens zu formulieren wären, sondern wurde den Parteien ausdrücklich nur die Gelegenheit zur Stellung eines Antrags auf Gutachtenserörterung eingeräumt, in welchem dann (wenn davon Gebrauch gemacht wird) auch die Fragen zu stellen bzw die Mängel/Ergänzungsbedürftigkeit zu formulieren wären.

Die Beklagte hat in ihrer darauffolgenden Eingabe ON 16 nicht nur ihre Zustimmung zur Gebührenbemessung in der begehrten Höhe erteilt, sondern auch von der eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und einen Fragenkatalog an den Sachverständigen formuliert.

Es trifft zu, dass § 357 Abs 2 ZPO im Falle der schriftlichen Gutachtenserstattung die Sachverständigen verpflichtet, auf Verlangen über das schriftliche Gutachten mündliche Aufklärungen zu geben oder dieses bei der mündlichen Verhandlung zu erläutern.

Es entspricht mittlerweile ständiger höchstgerichtlicher Judikatur, dass auch die Parteien dazu befugt sind, das „Verlangen“ nach Ladung des Sachverständigen zur Erörterung seines Gutachtens zu stellen, zumal diese ein Recht darauf haben, vom Sachverständigen Vervollständigungen seines schriftlichen Gutachtens zu verlangen und ihm alle Fragen zu stellen, die ihnen zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig erscheinen. Auch die Literatur folgt ganz überwiegend dieser Auffassung.

Mit diesem eindeutig gesetzlich verbrieften Fragerecht kommt diesem auch eine gewisse Kontrollfunktion im Hinblick auf das vorgelegte Gutachten zu (vgl Schneider in Fasching/Konecny 3 III/1 Rz 12 zu § 357).

Der Antrag der Partei auf mündliche Erörterung des Gutachtens ist zu begründen. Die Parteien müssen zwar nicht die konkreten Fragen anführen, die sie an den Sachverständigen zu stellen beabsichtigen, doch muss dem Antrag schon zur Verhinderung von möglichen Prozessverschleppungen zu entnehmen sein, welche Aufklärungen bzw Erläuterungen im Sinn des § 357 Abs 2 ZPO sich der Antragsteller erwartet (vgl 1 Ob 116/08b; 9 Ob 47/08i; 6 Ob 245/07h; RIS-Justiz RS0040376).

Tragender Grundsatz der Kostenersatzregelungen der ZPO für alle Schriftsätze ist, dass diese unabhängig von ihrer Bezeichnung und von ihrer rechtlichen Qualifikation nur unter dem Erfordernis ihrer Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit zu honorieren sind (RIS-Justiz RS0121828, RW0000666; hg 5 R 113/20g mwN; hg 6 R 36/21t ua).

Die Begründung, die das Erstgericht – den Einwendungen des Klägers folgend – für die Nichthonorierung des Gutachtenserörterungsantrags der Beklagten herangezogen hat, ist auch nach Auffassung des Rekursgerichts nicht tragfähig.

Zunächst ist davon auszugehen, dass das Erstgericht mit dem Beschluss ON 15 den Parteien ganz ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet hat, einen Gutachtenserörterungsantrag zu stellen und für den Fall, dass hievon Gebrauch gemacht wird, gleichzeitig die an den Sachverständigen zu stellenden Fragen zu formulieren, was die Beklagte – wie dargestellt – getan hat.

Diese Vorgangsweise entspricht dem in § 357 Abs 2 ZPO verbrieften Recht der Parteien. Dass eine Gutachtenserörterung durch beide Parteien gleichermaßen beantragt werden kann, kann nicht zweifelhaft sein und entspricht auch dem tragenden Grundsatz der Waffengleichheit. Demgemäß kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass das Recht auf Gutachtenserörterung etwa nur jener Partei zukäme, die nach den Ergebnissen des schriftlichen Gutachtens mit einem Prozessverlust rechnen müsste, nicht aber jener, deren Rechtsstandpunkt durch diese Ergebnisse gestärkt wird. Allein der Umstand, dass die Ergebnisse eines schriftlichen Gutachtens ON 13 für die Beklagte günstig sind, vermag demnach an ihrem Anspruch auf Gutachtenserörterung nichts zu ändern, zumal durchaus auch in Betracht gezogen werden muss, dass es im Rahmen der allenfalls auch von Amts wegen oder über Antrag des Klägers etwa durch Vorlage medizinischer Befunde oder Gutachten im Rahmen der mündlichen Erörterung in der nachfolgenden Streitverhandlung zu einem Umschwenken der gutachterlichen Ausführungen und zu einer anderen Beurteilung der Kausalitätsfrage für vorliegende Verletzungen kommt.

Der Argumentation des Klägers und des Erstgerichts, der Erörterungsantrag der Beklagten sei schon deshalb nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, da das Gutachten „im Wesentlichen“ deren Prozessvortrag stütze, ist damit die Grundlage entzogen. Ob die Beklagte darüber hinaus (überschießend) auch der Gebührenhöhe ihre Zustimmung erteilt hat, ist kostenrechtlich ohne Belang.

Dass der Erörterungsantrag der Beklagten begründungslos erfolgt wäre, wurde seitens des Klägers weder behauptet noch vom Erstgericht für die Begründung der Versagung des Kostenersatzes herangezogen, weshalb sich ein Eingehen des Rekursgerichts darauf, ob die schriftlich gestellten Fragen den Erörterungsantrag inhaltlich gerechtfertigt hätten, entbehrlich ist.

Es entspricht ganz gefestigter Judikatur auch des Rekursgerichts in Sozialrechtssachen, dass Anträge auf Gutachtenserörterung als sonstige Schriftsätze nach TP 2 RATG dann zu honorieren sind, wenn dabei konkrete Fragestellungen etwa in Form einer Fragenliste erfolgen, wenn also dargelegt wird, welche Aufklärungen bzw Erläuterungen des schriftlichen Sachverständigengutachtens gewünscht werden. Lediglich dann, wenn bloß ein Antrag auf Ladung des Sachverständigen zur Erörterung gestellt wird, ist eine Entlohnung nach TP 1 RATG vorzunehmen (vgl OLG Linz 1 R 117/10x, 1 R 20/15i, 1 R 33/16b; hg 6 Rs 63/21p, 6 Rs 49/19a je mzwN; 7 Ob 270/08v; 2 Ob 201/99v uva).

Die Beklagte hat dieser Judikatur Rechnung getragen, weshalb ihr in Abänderung der angefochtenen Kostenentscheidung und in Honorierung des Erörterungsantrags ein Mehrbetrag von EUR 397,26 zuzuerkennen und der gesamte Kostenersatzbetrag für das erstinstanzliche Verfahren mit EUR 3.097,68 inklusive USt festzusetzen ist.

Die Entscheidung über die Rekurskosten beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 11 RATG.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Rückverweise