6Rs27/21v – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz), die Richterinnen Dr.Kraschowetz-Kandolf und Mag.Fabsits sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Zaponig (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, nunmehr vertreten durch Mag.Thomas Böchzelt, Rechtsanwalt in Leoben, als Verfahrenshilfevertreter, gegen die beklagte Partei *****, *****, vertreten durch ihre Angestellte *****, wegen Ausgleichszulage, aus Anlass der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 18.November 2020, 25 Cgs 141/20t-9, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Das angefochtene Urteil wird als nichtig aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung und nach vorangegangener Beratung in einem Senat gemäß § 11 Abs 1 ASGG aufgetragen .
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
begründung:
Mit Bescheid vom 2.Juni 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers (vom 29.Mai 2020) auf Gewährung der Ausgleichszulage und des Ausgleichszulagen-/Pensionsbonus ab. Der Kläger verfüge über eine monatliche Berufsunfähigkeitspension in Höhe von EUR 895,94 sowie eine ausländische Leistung in Höhe von EUR 304,95, womit sich das monatliche Gesamteinkommen mit EUR 1.200,89 errechne und den Ausgleichszulagenrichtsatz von EUR 966,65 übersteige.
Ein Anspruch auf Ausgleichszulagen-/Pensionsbonus bestehe nicht, da der Kläger keine 360 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbsfähigkeit erworben habe.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner auf Gewährung einer Ausgleichszulage in der gesetzlichen Höhe ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt gerichteten Klage. Die ausländische Leistung sei bei der Berechnung des Anspruchs auf Ausgleichszulage nicht zu berücksichtigen. Der Kläger habe zehn Jahre in Großbritannien gearbeitet und im Jahr 2015 um einen Zuschuss aufgrund seiner Behinderung angesucht, welche ihm im Jahr 2016 gewährt worden sei. Er bekomme eine mit „DWP – ESA“ bezeichnete Leistung; ESA (Employment and Support Allowance) könne in Großbritannien beim DWP (Department for Work and Pensions) beantragt werden, wenn man aufgrund einer Behinderung beeinträchtigt sei, und zwar unabhängig davon, ob man arbeite oder nicht. Mit Bescheid des Bundessozialamts vom 8.Februar 2013 sei ein Grad der Behinderung mit 70 % festgesetzt worden. Da es sich bei dieser ausländischen Leistung um einen Zuschuss aufgrund seiner Behinderung und somit um Einkünfte aufgrund seines besonderen körperlichen Zustands handle, habe eine Anrechnung nicht stattzufinden. Entgegen der Ansicht der Beklagten handle es sich bei dieser Leistung um keine solche wegen Krankheit, sondern werde diese aufgrund des besonderen körperlichen Zustands des Klägers gewährt und sei damit gemäß § 292 Abs 4 lit d ASVG („und dergleichen“) ausgenommen. Es handelt sich dabei keinesfalls um eine Pension und auch um keine abgabenrechtliche Einkunftsart, zumal weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge abzuführen seien. Die ÖGK habe die zunächst vorgenommene Vorschreibung von Versicherungsbeiträgen über Intervention des Klägers storniert. Auch diese fehlende Vorschreibung spreche (wie bei Wohnbeihilfen, Beihilfen nach dem Studienförderungsgesetz oder etwa Kinderbetreuungsgeld) dafür, dass diese Leistung nicht unter die auf die Ausgleichszulage anzurechnenden Einkünfte falle. Es liege eine dem Pflegegeld vergleichbare Leistung vor.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung unter Aufrechterhaltung ihres im Bescheid eingenommenen Standpunkts.
Der Kläger stehe seit 1.Mai 2020 im Bezug von Berufsunfähigkeitspension. Im Ausgleichszulagen-Erhebungsbogen vom 29.Mai 2020 habe er keine weiteren Einkünfte angegeben. Dem Fragebogen vom 9.März 2020 sei zu entnehmen, dass der Kläger in Großbritannien erwerbstätig gewesen sei. Nach dem Ergebnis der Erhebungen der Beklagten erhalte der Kläger seit 1.Mai 2020 wöchentlich eine Leistung von 65,60 Pfund Sterling, bei welcher es sich nicht um eine Pension, sondern um eine Leistung wegen Krankheit handle, sodass diese jedenfalls bei Berechnung der Ausgleichszulage zu berücksichtigen sei; dies mit dem Gegenwert in Euro, womit die Höhe des Anspruchs auf Ausgleichszulage von dem bei der Umrechnung der ausländischen Leistung angewandten Wechselkurs abhänge. Die monatliche Leistung aus Großbritannien betrage EUR 321,34 (brutto), womit unter Hinzurechnung der Bruttopension kein Anspruch auf Ausgleichszulage bestehe.
Auch ein Ausgleichszluagenbonus/Pensionsbonus gemäß § 299a ASVG gebühre nicht, da der Kläger in Österreich nur 88 und in Großbritannien nur 92 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben habe.
Auch bei Übergangsgeld, AMS-Geld und Zulagen, Krankengeld und Rehabilitationsgeld würden die Nettoleistungen angerechnet werden. Die Leistung aus dem ESA sei wie das Rehabilitationsgeld zu qualifizieren und am ehesten mit diesem Begriff zu übersetzen.
Zur (einzigen) Tagsatzung vom 18.November 2020 wurden zwei Laienrichter (Arbeitgeber/Arbeitnehmer) geladen, haben daran jedoch nach dem Ergebnis der Zwischenerhebungen des Berufungsgerichts (eine Protokollierung unterblieb) nicht teilgenommen.
Die Verhandlung wurde gemäß § 193 Abs 3 ZPO zur Vorlage der vom Kläger/Klagsvertreter veranlassten Anfrage an die auszahlende Stelle in England geschlossen, den Parteien jedoch ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, die Erörterung dieses ausständigen Beweismittels zu beantragen.
Mit seiner beim Erstgericht am 30.November 2020 eingebrachten Mitteilung gab der Kläger bekannt, die Anfrage beim zuständigen Amt in Großbritannien getätigt und die Mitteilung erhalten zu haben, dass mit deren Beantwortung erst Anfang Februar 2021 gerechnet werden könne.
Mit Eingabe vom 11.Jänner 2021 legte der Kläger das Ergebnis dieser Anfrage dem Erstgericht vor und führte aus, dass es sich bei dieser Leistung (ESA) weder um eine Pension noch um Arbeitslosengeld handle, sondern dieser Zuschuss aufgrund seines körperlichen Zustands bzw aufgrund seiner Behinderungen gewährt werde. Es handle sich bei dieser Leistung um Schwerbeschädigtengeld, welches bei der Anrechnung jedenfalls außer Betracht zu bleiben habe.
Nach dem Ergebnis der Zwischenerhebungen ist davon auszugehen, dass eine Beratung mit den Laienrichtern am 19.November 2020 stattgefunden hat.
Mit Urteil vom 18.November 2020 , den Parteien zugestellt am 26.Jänner 2021, weist das Erstgericht das Klagebegehren ab.
Es geht davon aus, dass der Bezug der Leistung aus Großbritannien ebenso unstrittig sei wie der fehlende Anspruch auf Ausgleichszulage unter Berücksichtigung dieser Leistung und meint rechtlich, die Employment and Support Allowance (ESA) sei ein Beschäftigungs- und Unterstützungsgeld für Erwachsene unter dem Alter der staatlichen Rente, die aufgrund ihrer Krankheit oder ihrer Behinderung Schwierigkeiten haben, eine Arbeit zu finden. Dies entspreche auch der vom Kläger nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegten Auskunft der britischen Behörde, wonach diese Zulage eine Unterstützungszahlung für Menschen sei, die aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung arbeitsunfähig seien. Dabei handle es sich nicht um eine Abgeltung des mit der Erkrankung verbundenen Mehraufwands, sondern vielmehr um eine Zulage im Sinne einer „Invaliditätsrente“ zur Abfederung eines Entgeltentfalls und damit um keine Einkunftsart im Sinne des § 292 Abs 4 lit d ASVG, weshalb eine Anrechnung auf die Ausgleichszulage stattzufinden habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung in Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte , die eine Berufungsbeantwortung erstattet, beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass der Berufung ist eine von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit wahrzunehmen.
Gemäß § 11 Abs 1 ASGG haben sich die Senate der Landesgerichte aus einem Richter und zwei fachkundigen Laienrichtern zusammenzusetzen. Nach § 11b Abs 1 ASGG kann der Vorsitzende die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung auch allein durchführen, wenn beide Parteien dem ausdrücklich zustimmen. In diesem Fall hat der Vorsitzende – vorbehaltlich des Abs 2 leg.cit. – alle Befugnisse des Senats. Nach Abs 2 dieser Bestimmung kann der Vorsitzende auch die Verhandlung für geschlossen erklären; er darf jedoch kein Urteil und keinen Endbeschluss fällen; seine Beweisaufnahmen sind solchen eines beauftragten Richters gleichzuhalten. Zur Fällung der Entscheidung in der Sache durch Urteil sind jedenfalls zwei fachkundige Laienrichter beizuziehen. Bei der Beratung und Abstimmung, die beide nicht öffentlich sind und unter das Amtsgeheimnis fallen (§§ 170 Abs 1, 116 Abs 3 Geo, § 219 Abs 1 ZPO), müssen alle Senatsmitglieder gleichzeitig anwesend sein. Erfolgt der Schluss der Verhandlung in einer durch den Vorsitzenden allein abgehaltenen Tagsatzung, ist eine nichtöffentliche Sitzung zur Beratung anzusetzen, in der den Laienrichtern insbesonders auch das Ergebnis von Beweisaufnahmen darzulegen ist (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm 3 § 11b ASGG Rz 2; Kegelreiter in Köck/Sonntag, Kommentar zum ASGG [2020] Rz 4 zu § 11b; vgl auch § 287 Abs 1 ZPO).
Fällt der Vorsitzende eine Entscheidung allein, liegt ein Besetzungsmangel vor, der nach § 37 Abs 1 ASGG nicht heilbar ist, weil die auch qualifiziert vertretenen Parteien einerseits bei Einlassung in die Verhandlung vor dem Vorsitzenden allein nicht damit rechnen können, dass dieser entgegen der Anordnung des § 11b Abs 2 ASGG auch die Entscheidung allein fällen wird und andererseits eine Heilung neben einer qualifizierten Vertretung der Parteien auch die Erkennbarkeit des Mangels vor der Entscheidung voraussetzt. Wird die mangelhafte Gerichtsbesetzung im Rechtsmittelverfahren nicht gerügt, tritt also dadurch allein eine Heilung nicht ein. Verhandelt der Vorsitzende allein, da die vorgeladenen fachkundigen Laienrichter nicht erschienen sind, und erfolgt dann die Urteilsfällung ohne weitere Verhandlung unter Beiziehung von fachkundigen Laienrichtern, verstößt diese Vorgangsweise gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz; das Urteil ist in einem solchen Fall nichtig (RIS-Justiz RS0113739; RS0041507; RS0085500; hg 6 Rs 6/21f; Kegelreiter aaO Rz 4 zu § 11b ASGG).
Im Lichte dieser Grundsätze erweist sich die angefochtene Entscheidung als nichtig, was vom Berufungsgericht amtswegig wahrzunehmen ist (RS0041901).
Entsprechend dem eingangs geschilderten Verfahrensgang wurde die Verhandlung am 18.November 2020 gemäß § 193 Abs 3 ZPO geschlossen und die Beratung und Abstimmung mit den Laienrichtern, die bei der Tagsatzung nicht anwesend waren, offensichtlich am 19.November 2020 vorgenommen. Daraus ergibt sich zwingend, dass den Laienrichtern die erst am 11.Jänner 2021 eingelangte Urkundenvorlage (ausständige Beweisaufnahme) zum Zeitpunkt der Beratung nicht zur Kenntnis gelangt sein konnte, was im Sinne der dargestellten Grundsätze die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 477 Abs 1 Z 2 ZPO) zur Folge hat.
Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren den Laienrichtern den gesamten Akteninhalt zur Kenntnis zu bringen und im Rahmen einer nichtöffentlichen Sitzung mit diesen beraten und abzustimmen haben.
Darüber hinaus könnte sich die Durchführung einer Tagsatzung auch deshalb als erforderlich erweisen, da zur Vermeidung allfälliger weiterer Rechtsgänge auch Feststellungen zur Höhe der vom Kläger aus Großbritannien bezogenen Leistung in den einzelnen von der Antragstellung umfassten Zeiträumen in Euro ebenso zu treffen sein werden, wie zu Grund, Art und Inhalt der vom Kläger bezogenen Leistung, die eine eindeutige rechtliche Qualifikation derselben im Hinblick auf die hier strittige Frage der Anrechnung zulassen.
Das Verfahren erweist sich daher neben der Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung auch als ergänzungsbedürftig,ohne dass im derzeitigen Verfahrensstadium ein weiteres Eingehen auf das Rechtsmittel erforderlich ist.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Oberlandesgericht Graz, Abteilung 6