6Ra66/17y – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz), den Richter Dr.Deu, die Richterin Mag a .Gassner sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Baumann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch Dr.Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch Schneeberger Partner, Rechtsanwälte in Hartberg, wegen EUR 4.596,04 brutto sA, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.Juli 2017, 24 Cga 47/17x-16, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird abgeändert ; es lautet:
„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 4.596,04 brutto samt 8,58 % Zinsen seit 1.April 2017 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.051,30 (darin EUR 323,55 USt und EUR 110,00 Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.301,97 (darin EUR 121,83 USt und EUR 571,00 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war beim Beklagten in der Zeit vom 3.Oktober 2016 bis 19.Jänner 2017 als Angestellter mit einer 38,5 Stunden-Woche und einem monatlichen Bruttoentgelt von EUR 1.523,00 beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten anzuwenden.
Aufgabe des Klägers war es, die Kunden des Beklagten im 14 Tages-Rhythmus anzufahren, Bestellungen aufzunehmen und Wurst- und Fleischwaren in Form von Kleinaufträgen und kurzfristigen Bestellungen zuzustellen. Zumeist verhält es sich so, dass dem Kunden etwas ausgeht, dieser beim Beklagten anruft und der Fahrer dann die Ware zustellt. Eine Kundenliste gab es nicht. Der Kläger hat das eine oder andere Mal einen Kundenbesuch ausgelassen, worauf ihn der Beklagte aufforderte, jeden Kunden anzufahren. Eine Entlassung wurde dem Kläger aus diesem Grunde nicht angedroht.
Am 8.Jänner 2017 erkrankte der Kläger, was er der Büroangestellten ***** per WhatsApp-Nachricht mitteilte. Diese machte ihn darauf aufmerksam, dass er den Krankenstand dem Beklagten selbst melden müsse. Der Kläger kontaktierte den Beklagten noch am 8.Jänner 2017 (einem Sonntag) und teilte ihm telefonisch die Erkrankung mit, worauf ihm dieser riet, Tee zu trinken und Parkemed zu nehmen, damit er am Montag zur Arbeit kommen könne. Da der Kläger auch am Montag, den 9.Jänner 2017 krank war, suchte er seinen Hausarzt auf, wurde krank geschrieben und für den 16.Jänner 2017 wieder bestellt. Die Krankmeldung faxte der Hausarzt dem Beklagten direkt.
Als Kunden beim Beklagten wegen der beim Kläger bestellten Ware anriefen, versuchte dieser am 9.Jänner 2017 mehrfach, den Kläger telefonisch zu erreichen, um die Kundenbestellungen zu erfragen. Der Kläger hob jedoch nicht ab, da er vermutete, dass der Beklagte wegen des Krankenstandes erzürnt war, zumal er keinen weiteren Fahrer hatte. Der Kläger informierte sich wegen dieser Telefonate bei der Arbeiterkammer und erhielt die Auskunft, nicht abheben zu müssen.
Nachdem der Kläger auf Anrufe des Beklagten nicht reagierte, nahm ***** am Vormittag des 10.Jänner 2017 wiederum über WhatsApp Kontakt zum Kläger auf und forderte ihn auf, sich beim Beklagten zu melden, widrigenfalls es Probleme gebe; sie teilte auch mit, dass sie über Bestellungen nicht Bescheid wüssten und Kunden laufend anrufen würden. Der Kläger antwortete darauf, dass es keine Bestellungen gäbe. Über neuerliche Anfrage von ***** etwa eine Stunde später hinsichtlich einer konkreten Bestellung teilte der Kläger mit, wohin die Ware zu liefern sei.
Am selben Tag verfasste der Beklagte ein Schreiben an den Kläger, in welchem er ihn aufforderte, sich wegen der Bestellungen unverzüglich zu melden, widrigenfalls er ihn unverzüglich entlassen würde. Der Kläger reagierte darauf nicht.
In der Woche des Krankenstandes des Klägers langten Anrufe von Kunden ein, die auf die bestellte Ware gewartet hatten und ihren Unmut ausdrückten, wonach die Beklagte unzuverlässig sei. Es handelte sich dabei um vier bis fünf Bestellungen (Kleinaufträge mit geringem Bestellwert, etwa um einen Kübel Schmalz im Wert von rund EUR 50,00), die der Beklagte sodann selbst an die Kunden zustellte.
Der Kläger begab sich am 16.Jänner 2017 zu seinem Hausarzt, wurde von diesem bis 27.Jänner 2017 als arbeitsunfähig befunden und faxte die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeitsmeldung neuerlich direkt an den Beklagten. Als ***** am 17.Jänner 2017 beim Kläger nachfragte, wann er wieder zur Arbeit kommen würde, antwortete dieser, dass er wegen „Verdacht auf Blinddarm“ ins Krankenhaus müsse. Am 19.Jänner 2017 sprach ***** im Auftrag des Beklagten gegenüber dem Kläger per WhatsApp die fristlose Entlassung aus und übermittelte ihm das Entlassungsschreiben von diesem Tag.
Dass der Beklagte durch das Verhalten des Klägers Kunden verloren hat, ist nicht feststellbar.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage den der Höhe nach nicht strittigen Betrag von EUR 4.596,04 brutto an Kündigungsentschädigung, sowie Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung hiezu mit der Behauptung, der Beklagte habe das Beschäftigungsverhältnis durch zeitwidrige Kündigung gelöst. Er habe keine Entlassungsgründe oder Dienstpflichtverletzungen begangen und sei auch niemals verwarnt worden. Am 5.Jänner 2017 habe er den Firmensitz des Beklagten wegen extrem starken Schneefalls erst gegen Mittag erreichen können, was jedenfalls keine Entlassung rechtfertige. In der Zeit vom 9.Jänner bis 27.Jänner 2017 habe er sich im ordnungsgemäß gemeldeten Krankenstand befunden. Zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit sei nur eine (einzige) Bestellung offen gewesen, welche er am 10.Jänner 2017 an die Büroangestellte ***** per WhatsApp weitergeleitet habe. Weitere offene Bestellungen hätten nicht existiert und daher auch nicht weitergeleitet werden können. Damit erweise sich die ausgesprochene Entlassung als unberechtigt.
Der Beklagte beantragt Klagsabweisung. Unrichtig sei, dass der Beklagte das Beschäftigungsverhältnis durch zeitwidrige Kündigung gelöst habe. Vielmehr sei der Kläger am 19.Jänner 2017 berechtigt entlassen worden. Er sei beim Beklagten als Fahrverkäufer für Wurst- und Fleischwaren beschäftigt gewesen und habe in diesem Bereich auf festgelegten wiederkehrenden Touren Produkte des Beklagten verkauft und auch Bestellungen entgegengenommen. Bereits Wochen vor der Entlassung habe er es immer wieder unterlassen, einzelne im Vorhinein fixierte Häuser auf seinen Touren zu besuchen und sei aufgrund dieser Vorgangsweise bereits mehrmals verwarnt und zur Einhaltung der Pflichten aufgefordert worden. Am 5.Jänner 2017 sei er erst gegen Mittag zur Arbeit erschienen und habe erklärt, wegen des Schneefalls seine Tour nicht fahren zu wollen. Nach mehrmaligen Aufforderungen habe er seinen Dienst schließlich doch angetreten. Am 8.Jänner 2017 habe er mitgeteilt, krank zu sein. In den darauffolgenden Tagen habe der Beklagte feststellen müssen, dass der Kläger von ihm aufgenommene Bestellungen nicht an ihn weitergeleitet habe. Auf telefonische Rückfrage habe er zunächst wahrheitswidrig erklärt, dass es keine Bestellungen gebe. Nachdem in den Folgetagen verschiedene Kunden die Lieferung der von ihnen bestellten Wurst- und Fleischwaren urgiert hätten, habe der Kläger auf die telefonischen Kontaktversuche des Beklagten überhaupt nicht reagiert. Erst über Anruf des Buchhalters ***** und entsprechende Aufforderung habe der Kläger erklärt, die Bestellungen weitergeben zu wollen. Tatsächlich habe er aber dies bis zum Entlassungstag nicht getan. Mit diesem Verhalten habe er sich als vertrauensunwürdig erwiesen, das Ansehen seines Dienstgebers bei den Kunden untergraben und das Unternehmen des Beklagten als unzuverlässig hingestellt. Mehrere Kunden hätten auch mitgeteilt, nicht mehr beim Beklagten einzukaufen, wodurch ihm ein Verdienstentgang entstanden sei. Damit erweise sich die Entlassung als berechtigt.
Mit dem angefochtenen Urteil gibt das Erstgericht dem Klagebegehren im gesamten Umfang statt.
Es meint auf der Grundlage des eingangs wiedergegebenen, soweit in Kursivschrift strittigen Sachverhalts rechtlich, der Kläger habe seine Erkrankung dem Beklagten unverzüglich gemeldet, womit es diesem möglich gewesen wäre, darauf entsprechend zu reagieren. Die Entlassung erweise sich als nicht berechtigt. Auch wenn der Kläger in Auftrag gegebene Bestellungen nicht an seinen Arbeitgeber weitergegeben habe, habe er zwar grundsätzlich vertrauensunwürdig gehandelt, jedoch stelle nicht jede Ordnungswidrigkeit einen Entlassungsgrund dar. Das Unternehmen des Beklagten habe im Bereich des Lieferdienstes nur wenig Struktur aufgewiesen. Der Kläger sei auf sich alleine gestellt gewesen, weshalb der Umstand, dass er einmalig vier bis fünf Bestellungen nicht an den Beklagten weitergeleitet habe, die Befürchtung, dass er in Zukunft seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, nicht rechtfertige. Auch treffe es zu, dass der Kläger das eine oder andere Mal einen Kundenbesuch ausgelassen habe, jedoch sei ihm diesbezüglich eine Entlassung nicht angedroht worden. Da der Beklagte dem wiederholt pflichtwidrigen Verhalten des Klägers bloß mit Ermahnungen entgegengetreten sei, liege auch ein schlüssiger Verzicht auf die Geltendmachung der Dienstverfehlungen vor.
Was das Verhalten des Klägers im Krankenstand angehe, treffe einen Arbeitnehmer zwar grundsätzlich eine Interessenwahrungspflicht zugunsten des Dienstgebers, jedoch sei der Kläger nicht als Arbeitnehmer in gehobener Position anzusehen. Unter bestimmten Voraussetzungen habe ein Angestellter - abhängig vom konkreten Krankheitsbild - auch während des Krankenstandes für die Bekanntgabe unbedingt erforderlicher Informationen zur Verfügung zu stehen. Dem Kläger sei zwar mitgeteilt worden, dass Informationen zu den Bestellungen benötigt würden, jedoch nicht, warum diese nicht anders beschafft werden könnten und warum aus dem Fehlen dieser Informationen ein schwerer wirtschaftlicher Schaden entstehen würde. Im Übrigen habe es sich um lediglich vier bis fünf Bestellungen mit geringem Bestellwert gehandelt. Entgegen der Prozessbehauptung des Beklagten sei auch der geltend gemachte Verdienstentgang durch Kundenverlust nicht feststellbar. Insgesamt erweise sich die Entlassung als unberechtigt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten aus den Anfechtungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung in Klagsabweisung.
Der Kläger , der eine Berufungsbeantwortung erstattet, beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Die Berufung erweist sich als berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die im Rahmen der Beweisrüge bekämpfte Feststellung über die Krankenstandsmeldung des Klägers gegenüber dem Beklagten am 8.Jänner 2017 ist jedoch durch die Berufungsausführungen nicht zu entkräften.
Das Erstgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit den Aussagen der Parteien zu diesem Beweisthema auseinandergesetzt und mit nachvollziehbaren Argumenten dargelegt, aus welchen Erwägungen es diesbezüglich der Aussage des Klägers, nicht aber jener des Beklagten zu folgen vermochte. Im Übrigen kommt es auf diesen Umstand entgegen der Darstellung in der Berufung aus rechtlichen Gründen nicht an, zumal nicht die unterlassene (unverzügliche) Krankenstandsmeldung noch am 8.Jänner 2017 - dass eine telefonische und schriftliche Krankenstandsmeldung am darauffolgenden Tag erfolgte, ist nicht weiter strittig - den Entlassungsgrund bildet, sondern die Nichtweiterleitung von Kundenbestellungen und das Verhalten des Klägers im Krankenstand.
Das Berufungsgericht übernimmt daher den festgestellten Sachverhalt als richtig und vollständig und legt ihn gemäß § 498 Abs 1 ZPO (§ 2 Abs 1 ASGG) seiner Beurteilung zugrunde.
Davon ausgehend erweist sich die Rechtsrüge als berechtigt.
In dieser vertritt der Berufungswerber im Wesentlichen die Auffassung, der eigenverantwortlich tätige Kläger habe nicht nur offene Bestellungen vor dem Krankenstand nicht von sich aus weitergeleitet, sondern auch missachtet, dass der von derartigen Aufträgen lebende Betrieb des Beklagten in anderer Weise nicht an diese Informationen hätte gelangen können. Es wäre ihm ohne Gefährdung des Genesungsverlaufs wohl leicht möglich gewesen, dem Beklagten eine entsprechende Nachricht zukommen zu lassen, zumal es ihm trotz seiner Erkrankung auch möglich gewesen sei, sich bei der zuständigen Arbeiterkammer über seine Rechte zu informieren. Dazu komme noch, dass der Kläger selbst auf das Aufforderungsschreiben vom 10.Jänner 2017 in keiner Weise reagiert habe, was nicht nur seine Unzuverlässigkeit zum Ausdruck bringe, sondern auch ein immens vertrauensunwürdiges Verhalten. Demgemäß hätte das Erstgericht von einer berechtigten Entlassung ausgehen müssen.
Das Berufungsgericht hält diese Argumente für zutreffend.
Insoweit im Rechtsmittel ein Verfahrensmangel behauptet und moniert wird, dass das Erstgericht davon ausgegangen sei, im Bereich des Lieferdienstes des Beklagten habe es nur „wenig Struktur“ gegeben, und es sich dabei um Mutmaßungen handle, zumal das Erstgericht hiezu weder die Parteien noch Zeugen einvernommen habe, trifft dies insoweit nicht zu, als jedenfalls (im Übrigen unbekämpft) festgestellt wurde, dass es im Unternehmen des Beklagten eine Kundenliste nicht gab, was sich ausdrücklich aus der Aussage der Zeugin ***** in der Tagsatzung vom 3.Juli 2017 (Seite 6 des Protokolls/AS 81 verso Mitte) entnehmen lässt. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser im Übrigen von beiden Parteien in ihrem erstinstanzlichen Vorbringen nicht aufgeworfenen Frage ist jedoch mangels rechtlicher Relevanz entbehrlich.
Die behauptete Mangelhaftigkeit haftet demnach der angefochtenen Entscheidung nicht an.
Von beiden Parteien wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Kläger als Angestellter tätig war. Der vom Beklagten angezogene Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinn des § 27 Z 1 dritter Fall AngG erfasst Handlungen oder Unterlassungen eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (RIS-Justiz RS0029547). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise - also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen - als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers derartig heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann und daher eine sofortige Abhilfe erforderlich ist (RIS-Justiz RS0029323; RS0029009). Das jedem Entlassungstatbestand immanente Merkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt. Es ist daher weder jede Ordnungswidrigkeit noch zwingend jeglicher Verstoß gegen die Treuepflicht bereits ein Entlassungsgrund (RIS-Justiz RS0029095; RS0029600; RS0029009; 9 ObA 12/16d uva). Für die Beurteilung der Frage, ob ein Arbeitnehmer durch sein Verhalten aufgrund der ihn treffenden Treuepflicht die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers verletzt hat, kann auch der Art des Betriebes maßgebliche Bedeutung zukommen, weil in manchen Branchen den Angestellten ein besonderes Vertrauen entgegengebracht werden muss (8 ObA 12/15w mwN). Dabei kommt es jedoch nicht darauf an, ob der Dienstnehmer im Unternehmen eine leitende Stellung bekleidete, sondern ob er in seiner beruflichen Tätigkeit eine besondere Vertrauensposition inne hatte (9 ObA 111/14k mwN). Ob der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht ist, ist regelmäßig nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (9 ObA 68/17s mzwN). Eine Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt ist bei diesem Entlassungsgrund nicht erforderlich; entscheidend ist vielmehr die Vertrauensverwirkung (RIS-Justiz RS0029531 [T3]); 9 ObA 68/17s).
In Beachtung dieser Grundsätze vermag sich das Berufungsgericht der Rechtsauffassung des Erstgerichts, die Verfehlungen des Klägers würden eine Entlassung nicht rechtfertigen, nicht anzuschließen.
Zunächst ist davon auszugehen, dass der Kläger im Verlauf der doch recht kurzen Beschäftigungsdauer vom 3.Oktober 2016 bis 19.Jänner 2017 das eine oder andere Mal einen Kundenbesuch ausließ und der Beklagte ihn, wenn auch ohne Entlassungsandrohung, aufforderte, jeden einzelnen Kunden anzufahren. Ein weiteres Fehlverhalten, welches letztlich auch zum Entlassungsausspruch führte, bildete dann die unterlassene Weitergabe von vier bis fünf Bestellungen von Kunden vor seinem Krankenstandsantritt. Dies führte in der Folge dazu, dass diese Kunden im Unternehmen des Beklagten telefonisch die von ihnen getätigten Bestellungen urgierten und ihren Unmut über die Unzuverlässigkeit des Beklagten ausdrückten. Der Umstand, dass es sich dabei um Kleinaufträge mit geringem Bestellwert handelte, kann schon deshalb nicht zugunsten des Klägers ausschlagen, zumal sowohl nach den Feststellungen als auch der Parteienaussage des Beklagten sein Betrieb geradezu von Kleinaufträgen und kurzfristigen Bestellungen lebt.
Selbst wenn man die unterlassene Weitergabe dieser Bestellungen im Betrieb des Beklagten noch als bloße Ordnungswidrigkeit ansehen würde, erreicht das Verhalten des Klägers während des Krankenstandes jenes Gewicht, welches die in der Folge ausgesprochene Entlassung entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts zu rechtfertigen vermag. Nach dem Inhalt der Feststellungen hat der Beklagte - bedingt durch die Urgenzen der Kunden - am 9.Jänner 2017 mehrfach vergeblich versucht, den Kläger telefonisch zu erreichen, um die Kundenbestellungen zu erfragen. Der Kläger hat vermutet, dass der Beklagte ob des Krankenstandes des Klägers erzürnt war, da dieser keinen weiteren Fahrer hatte. Dass ihm die Führung eines Telefonats oder die Absendung einer SMS-Nachricht aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht möglich gewesen wäre, wurde einerseits nicht einmal behauptet, andererseits ist dies durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens widerlegt. Der Kläger hat sich nämlich Rechtsauskunft bei der zuständigen Arbeiterkammer eingeholt und die Information erhalten, nicht abheben zu müssen. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit Arbeitnehmer auch während des Krankenstandes verpflichtet sind, dem Arbeitgeber für bestimmte Auskünfte zur Verfügung zu stehen.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner schon vom Erstgericht zitierten Entscheidung zu 9 ObA 115/13x ausgesprochen, dass Arbeitnehmer aufgrund der sie treffenden Treuepflicht grundsätzlich die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu wahren haben. Sie haben insbesondere alles zu unterlassen, was den unternehmerischen Tätigkeitsbereich, dessen Organisationswert und dessen Chancen beeinträchtigt und die Interessen des Arbeitgebers zu gefährden geeignet ist (vgl auch RIS-Justiz RS0021449). Dass Angestellte auch während des Krankenstandes für die Bekanntgabe unbedingt erforderlicher Informationen, deren Vorenthaltung zu einem wirtschaftlichen Schaden des Arbeitgebers führen würde, etwa telefonisch zur Verfügung stehen müssen, sofern dies ihren Genesungsprozess nicht beeinträchtigt, kann nicht ausgeschlossen werden. Dies erfordert jedoch, dass vom Arbeitgeber konkretisiert wird, um welche Informationen es sich handelt, warum diese nicht anderweitig beschafft werden können und warum aus dem Fehlen der Information ein schwerer wirtschaftlicher Schaden entstehen würde.
All diese Voraussetzungen erklären sich im Fall des Klägers von selbst. Dass eine telefonische Information des Beklagten bzw der *****, mit welcher der Kläger in weiterer Folge ohnehin WhatsApp-Kontakt hatte, aufgrund seines Gesundheitszustandes ausgeschlossen gewesen wäre, wurde - wie bereits ausgeführt - nicht einmal behauptet und ist auch schon dadurch widerlegt, dass es zu diesem Nachrichtenaustausch einerseits gekommen ist, andererseits der Kläger - worauf der Beklagte zutreffend hinweist - auch offenbar in der Lage war, sich entsprechende Rechtsauskunft zu beschaffen. Dass vom Beklagten konkretisiert wurde, welche Informationen er benötigt und bei Fehlen derselben ein schwerer wirtschaftlicher Schaden entstehen würde, kann nicht zweifelhaft sein, wurde dem Kläger doch ausdrücklich klar gemacht, dass laufend Kunden anrufen würden und im Betrieb niemand über Bestellungen Bescheid wüsste. Fest steht auch, dass die Kunden nicht nur auf die von ihnen bestellte Ware warteten, sondern auch ihren Unmut über die (durch den Kläger begründete) Unzuverlässigkeit des Beklagten ausdrückten. Dass die Informationen über die Bestellungen nicht anderweitig beschafft werden konnten, leuchtet schon deshalb ein, zumal es offenbar der Kläger war, der die verschiedenen Kunden anfuhr, von ihnen Bestellungen entgegennahm und diese im Unternehmen des Beklagten weiterzuleiten hatte. Dass es dem Beklagten nicht zumutbar sein kann, jeden in Betracht kommenden potenziellen Kunden von ihm telefonisch mit der Frage zu konfrontieren, ob allenfalls von ihm eine beim Kläger in Auftrag gegebene Bestellung noch offen wäre, versteht sich von selbst.
Besonders erschwerend fällt dem Kläger aber auch zur Last, dass er am 10.Jänner 2017 gegenüber ***** wahrheitswidrig mitteilte, dass es keine Bestellungen gebe und erst über neuerliche Anfrage durch sie etwa eine Stunde später hinsichtlich einer konkreten Bestellung mitteilte, wohin die Ware zu liefern sei. Dass er letztlich auf das Schreiben des Beklagten von diesem Tag in keiner Weise reagierte, rundet das Bild vom Gesamtverhalten des Klägers nur ab.
Bei dieser Sachlage kann entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts nicht mehr von bloßen Ordnungswidrigkeiten ausgegangen werden, sondern liegt eine erhebliche Gefährdung der Interessen des Betriebes des Beklagten vor, welche den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht.
Es ist daher der Berufung des Beklagten Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung in Abweisung des (ausschließlich beendigungsabhängige Ansprüche umfassenden) Klagebegehrens abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich für beide Instanzen auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
Bei der Kostenentscheidung für das erstgerichtliche Verfahren ist zu berücksichtigen, dass die verzeichneten Barauslagen nur im Umfang des für Zeugengebühren anerlaufenen Betrages von EUR 110,00 zuzusprechen sind. Auch der Einwand des Klägers, die Vertagungsbitte vom 19.Juni 2017 (ON 14) sei nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, ist berechtigt. Es entspricht ständiger Judikatur in Kostensachen, dass Vertagungsbitten in die Sphäre der antragstellenden Partei fallen und nicht zu einer Kostenbelastung des Prozessgegners führen dürfen (RIS-Justiz RS0121621 uva). Der gesamte Kostenersatzanspruch des Beklagten für das erstinstanzliche Verfahren errechnet sich demgemäß mit EUR 2.051,30 (darin EUR 323,55 USt und EUR 110,00 Barauslagen).
Da die Berechtigung eines Entlassungsausspruchs jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängt und Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen waren, besteht für eine Revisionszulassung kein Anlass.
Oberlandesgericht Graz, Abteilung 6