JudikaturOLG Graz

10Bs99/13d – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
25. April 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr.Haidacher (Vorsitz), Dr.Sutter und Mag a .List in der Strafsache gegen Dr.W***** L***** wegen § 81 Abs 1 Z 1 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Klagenfurt gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 8.März 2013, 15 Hv 178/12f-23, in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

Begründung:

Am 10.Dezember 2012 brachte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt beim Landesgericht Klagenfurt Strafantrag gegen den am 22.Juni 1950 geborenen Arzt Dr.W***** L***** ein, weil er am 13.August 2012 in V***** als niedergelassener Facharzt für Innere Medizin fahrlässig unter besonders gefährlichen Verhältnissen den Tod der E***** W***** herbeigeführt habe, indem er an ihr eine Coloskopie vornahm, wobei er entgegen der Leitlinie der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie trotz Einschätzung einer erhöhten Risikolage vor dem Eingriff keine hinreichende Risikostratifizierung vorgenommen habe, keine speziell für die Verabreichung von sedierenden Medikamenten und die Überwachung hinreichend ausgebildete Person beim Eingriff beigezogen habe und zur Überwachung der Vitalfunktionen der Patientin lediglich einen Pulsoxymeter zur technischen Überwachung benützt habe, wodurch es geschehen sei, dass eine durch die Gabe von Midazolam und Propofol ausgelöste, bei rechtzeitigem Erkennen durch geschultes Personal beherrschbare Atemwegsverlegung nicht mehr beherrschbar geworden sei und zum Tod der E***** W***** geführt habe.

Die Staatsanwaltschaft sieht hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB erfüllt an (ON 18 [der Akten 15 Hv 178/12f des Landesgerichts Klagenfurt]).

Nach Einbringung einer umfangreichen Gegenäußerung des Angeklagten (ON 22) erklärte sich das angerufene Gericht mit dem bekämpften Beschluss zur Führung des Strafverfahrens sachlich nicht zuständig. Der Erstrichter sah – zusammengefasst – keine qualifiziert gesteigerte Gefahrenlage (ON 23).

Die dagegen von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt erhobene Beschwerde (ON 24) bleibt erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 80 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt. Für diesen Fall ist sachlich die bezirksgerichtliche Zuständigkeit normiert (§ 30 Abs 1 StPO).

Wer fahrlässig den Tod eines anderen unter besonders gefährlichen Verhältnissen herbeiführt ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen (§ 81 Abs 1 Z 1 StGB). Insoweit ergibt sich für die Verfahrensführung eine sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO).

Besonders gefährliche Verhältnisse iSd zitierten Gesetzesstelle liegen vor, wenn der Täter ein gesteigert gefährliches Verhalten setzt, und zwar unter Umständen, die nach dem Urteil eines sachkundigen Beobachters, das dieser im Zeitpunkt der Verhaltensvornahme vom Standpunkt des Sich-Verhaltenden aus fällt, mit außergewöhnlich hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass ein anderer Mensch getötet oder zumindest schwer verletzt wird (Burgstaller in WK² StGB § 81 Rz 10, in diesem Sinn auch Fabrizy StGB 10 Rz 2, Kienapfel/Schroll BT I³ § 81 Rz 10). Ob besonders gefährliche Verhältnisse vorliegen – die sich im Erfolg auswirken müssen – ist immer bereichsspezifisch zu interpretieren. Ist ein Verhalten an sich schon gesteigert gefährlich, wie etwa Operationen, so sind gefährliche Verhältnisse nur dann gegeben, wenn zusätzlich zur derart normalen Gefährlichkeit weitere Komponenten hinzukommen, die die Erfolgswahrscheinlichkeit noch mehr erhöhen (Birklbauer/Hilf/Tipold in BT I § 81 Rz 4, in diesem Sinn auch Kienapfel/Schroll BT I³ § 81 Rz 26, Burgstaller in WK² § 81 Rz 16 mwN). Dabei hat eine konkrete Wertung und Gewichtung aller risikoerhöhenden und -mindernden Umstände zu erfolgen. In subjektiver Hinsicht müssen die konkreten Umstände in ihrer gefahrensteigernden Bedeutung dem Täter entweder bekannt oder doch nach seinem individuellen Tatsachen-Erfahrungswissen sowie seinen individuellen intellektuellen Fähigkeiten erkennbar sein (Burgstaller in WK² § 81 Rz 22 mwN). Eine zumindest gesteigerte Sorgfaltswidrigkeit wird von der Judikatur verlangt (vgl hiezu Kienapfel/Schroll BT I § 81 Rz 37, aA Burgstaller in WK² § 81 Rz 22 f).

Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass Dr.W***** L***** am 13.August 2012 einen gastro-coloskopischen Eingriff bei der im Jahr 1942 geborenen E***** W***** vornahm, an dem diese verstarb. Zwar wurde von Dr.L***** ein erhöhtes Eingriffsrisiko festgestellt; unwiderlegt bestand allerdings die Patientin darauf von ihm in seiner Ordination behandelt zu werden. Die Sedierung der Patientin erfolgte mit niedriger Sedierungstiefe mit Verabreichung von Midazolam und Propofol unter Beobachtung der Patientin durch den Arzt, deren Überwachung durch ein Pulsoxymeter sowie eine erfahrene, den Blutdruck kontrollierende Ordinationsgehilfin als Assistentin, die allerdings nicht speziell für entsprechende notfallsmedizinische Maßnahmen wie eine möglicherweise notwendige Intubation geschult war. Als der Pulsabfall der Patientin vom technischen Gerät angezeigt wurde, war mit dem coloskopischen Eingriff gerade erst begonnen worden. Trotz dessen sofortigen Abbruchs und Setzung von Notfallsmaßnahmen durch den Angeklagten trat der Tod der Patientin ein.

Aus den gutachterlichen Ausführungen des beigezogenen Sachverständigen ergibt sich hiezu, dass der Angeklagte ein erhöhtes Risiko vor dem Eingriff erkannte (Seite 7 der ON 16). Auf das erkannte Risiko wurde aber nicht mittels geeigneter Maßnahmen reagiert (Seite 9 der ON 16). Es wäre Anlass für eine intensivere Überwachung der Patientin beim Eingriff gewesen. In concreto hätte bei einer Überwachung der Patientin durch eine geschulte Person die zum Tode führende Verlegung der Atemwege erkannt und behoben werden können (letzte beide Absätze der AS 9 der ON 16).

Bei der dargestellten gesetzlichen Lage und dem auf das Wesentlichste zusammengefassten Sachverhalt werden auch vom Beschwerdegericht keine besonders gefährlichen Verhältnisse ersehen. Der Fehler des behandelnden Arztes bestand (einzig) darin, nicht für eine (bessere) persönliche Überwachung der Patientin durch eine kompetentere Assistentin gesorgt zu haben. Dieser Fehler erscheint nicht derart krass, dass dadurch eine qualifiziert gesteigerte Gefahrenlage gegenüber sonstigen Coloskopien bei vorgeschädigten Personen geschaffen worden wäre.

Die Staatsanwaltschaft verknüpft in ihrem Strafantrag die mangelnde Risikostratifizierung mit dem Vorwurf der Nichtbeiziehung speziell ausgebildeten Personals und der mangelnden technischen Überwachung der Patientin. Im Endeffekt hatte aber die unzureichende Risikofolgenabschätzung durch den Arzt gerade (nur) zur Folge, dass er keine qualifiziertere Person zur Überwachung der Patientin beizog – worin der Fahrlässigkeitsvorwurf liegt. Dass außer dem Pulsoxymeter andere technische Geräte zur Unterstützung benutzt hätten werden sollen/müssen, ergibt sich aus den Akten nicht. Damit reduziert sich der (aktenkonforme) Vorwurf auf die angesprochene Fehleinschätzung, die zwar in concreto dem Verdacht nach zum Tod eines Menschen führte, ohne aber diesen von vornherein sehr wahrscheinlich zu machen.

Wenn in der Beschwerde dahin argumentiert wird, dass der Eingriff im Krankenhaus durchgeführt hätte werden sollen, so ist sie darauf zu verweisen, dass – unwiderlegt – sich die Patientin weigerte (neuerlich) ein Spital aufzusuchen. Der Vergleichsrahmen für den konkreten Eingriff bildet damit ausschließlich eine ordnungsgemäß in einer Ordination durchgeführte Gastro-Coloskopie. Von dieser unterschied sich, wie angeführt, der Eingriff nach verfehlter Risikofolgeneinschätzung (nämlich „ASA 2“ statt „ASA 3“), die eben zur Überwachung der Patientin mit nur „unzulänglichem“ Personal führte, was allerdings (allein) nicht besonders gefährliche Verhältnisse iSd Z 1 des § 81 Abs 1 StGB bedingte.

Damit ging das Erstgericht zutreffend iSd § 485 Abs 1 Z 1 StPO nach § 450 StPO durch Ausspruch seiner sachlichen Unzuständigkeit vor.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

Rückverweise