9ObA40/25k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Gusenleitner Helm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Peter Csar (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. S*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch die E+H Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 2025, GZ 8 Ra 12/25f 29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Juli 2024, GZ 8 Cga 18/23x 24, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.166,90 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 361,15 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger war im Betrieb der Beklagten zuletzt in Graz als (hoch spezialisierter) T echniker beschäftigt. Er befand sich ab 19. 3. 2019 befristet bis 18. 4. 2024 oder einem späteren Schuleintritt des Kindes in Elternteilzeit. Aufgrund der Schließung dieses Standortes im Dezember 2020 wurden alle Mitarbeiter entweder nach Wien versetzt oder schieden aus. Der Kläger lehnte das diesbezügliche Abänderungsangebot allerdings ab , weshalb die Beklagte die Fahrzeiten des Klägers nach Wien als Arbeitszeit berücksichtigen und die Reisekosten ersetzen musste. Aufgrund der Fahrzeiten und des durch Elternteilzeit reduzierten Wochenbeschäftigungsausmaßes konnte der Kläger keine vollständigen Schichten übernehmen.
[2] Im Jänner 2022 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er Elternteilzeit für ein weiteres Kind ab 16. 4. 2022 in Anspruch nehme. Die von ihm gewünschten Arbeitszeiten waren für die Beklagte mit den betrieblichen Erfordernissen nicht vereinbar. Über den von der Beklagten unterbreiteten Gegenvorschlag wurde keine Einigung erzielt.
[3] Die (hier) Beklagte klagte in einem Vorverfahren auf Zustimmung zur Entlassung, in eventu zur Kündigung des Klägers nach § 8f Abs 1 iVm § 7 Abs 3 VKG und § 10 Abs 4 MSchG. Das stattgebende Urteil über das Eventualbegehren wurde dem Kläger am 15. 3. 2023 zugestellt. Unter Einhaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens sprach die Beklagte am 20. 3. 2023 die Kündigung zum 30. 9. 2023 aus. Das Urteil über die Zustimmung zur Kündigung des Klägers erwuchs in Rechtskraft (9 ObA 91/23g).
[4] Der Kläger ficht die Kündigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf seinen Familienstand gemäß § 12 Abs 7 iVm § 3 Z 7 GlBG, wegen Vorliegens eines verpönten Motivs gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit i) ArbVG und wegen Sozialwidrigkeit gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG an.
[5] Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass d iskriminierende oder verpönte Motive nicht vorlägen; für eine Kündigung wegen Sozialwidrigkeit bleibe aufgrund der gerichtlichen Zustimmung zur Kündigung kein Raum. Jedenfalls lägen die Kündigungsgründe des § 105 Abs 3 Z 2 lit a) und b) ArbVG vor.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es verneinte eine Diskriminierung, da die Kündigung nicht in Zusammenhang mit der Meldung der Elternteilzeit gestanden sei. Weiters ging es davon aus, dass nach der gesetzlichen Konzeption der Kündigungsschutz nach dem VKG bzw MSchG den allgemeinen Kündigungsschutz verdränge. Aber auch unabhängig davon sei zumindest im konkreten Fall eine erfolgreiche Anfechtung nach § 105 ArbVG nicht möglich.
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob ein Dienstnehmer, der nach gerichtlicher Zustimmung zur Kündigung gemäß § 8f Abs 1 iVm § 7 Abs 3 VKG und § 10 Abs 4 MSchG gekündigt werde, diese Kündigung wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG anfechten könne, zumal dazu höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig.
[10] 1.1. Richtig ist, dass das MSchG/VKG anders als etwa § 12 Abs 7 APSG und § 8 Abs 5 BEinstG eine Anfechtung der Kündigung nach §§ 105 bis 107 ArbVG nicht ausdrücklich ausschließt. Aus den Materialien zum MSchG (ErläutRV 197 BlgNR 8. GP 14 ) ergibt sich, dass der Gesetzgeber deshalb davon ausgeht, dass diese Vorschriften „ nebeneinander gelten “. Die Lehre vertritt zu dieser Problematik unterschiedliche Auffassungen. Der Oberste Gerichtshof konnte die Frage bislang offen lassen (8 ObA 233/01z). Sie muss auch hier nicht abschließend geklärt werden:
[11] 1.2. Die Kündigungsgründe des § 10 Abs 4 MSchG entsprechen – mit Ausnahme des zusätzlichen Erfordernisses der Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber – jenen des § 105 Abs 3 Z 2 lit a) und b) ArbVG. Aufgrund der Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer muss es sich dabei um besonders schwerwiegende Umstände in der Person des Arbeitnehmers oder auf betrieblicher Ebene handeln. Um dem Gedanken der Unzumutbarkeit zu entsprechen, sind Umstände zu verlangen, die zu einer Kündigung des Arbeitnehmers keine sinnvolle Alternative bieten (in diesem Sinne bereits 9 ObA 82/15x und 9 ObA 91/12s, Pkt 4.2. ) .
[12] 1.3. Dass der dem Vorverfahren diesbezüglich zugrunde gelegte Sachverhalt vorliegt, wird vom Kläger nicht bestritten. Er geht jedoch davon aus, dass seine noch festzustellende soziale Beeinträchtigungen durch die Kündigung im Rahmen einer Interessenabwägung allfällige betriebliche oder persönliche Kündigungsgründe überwiegen.
[13] Demgegenüber vertrat das Berufungsgericht die Rechtsauffassung, dass das zusätzliche Kriterium der Unzumutbarkeit im MSchG/VKG sicherstelle, dass nur solche personen- oder betriebsbedingten Kündigungsgründe zu einer gerichtlichen Zustimmung zur Beendigung des Dienstverhältnisses führen können, die typischerweise auch nicht durch eine allfällige soziale Interessenbeeinträchtigung des Arbeitnehmers aufgewogen würden.
[14] Eine konkrete Auseinandersetzung mit diesem tragenden Argument des angefochtenen Urteils lässt die Revision vermissen (vgl RS0043603 [insb T9]). Insbesondere legt die Revision nicht dar, aus welchen Gründen eine Interessenabwägung – bei Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung iSd § 10 Abs 4 MSchG – selbst unter Zugrundelegung der Prozessbehauptungen des Klägers zu seinen Gunsten ausschlagen sollte.
[15] 1.4. Dass der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Sinne des § 10 Abs 4 MSchG ein anderer Zeitpunkt zugrunde liegt als jener der personen- und betriebsbedingten Gründe nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, ist im konkreten Zusammenhang ebenfalls irrelevant. Dass sich die wesentlichen Umstände in diesem Zeitraum geändert hätten, wurde im Verfahren nicht behauptet.
[16] 1.5. Soweit die Revision eine Einschränkung der Rechte des Betriebsrats fürchtet, genügt ein Hinweis darauf, dass hier das betriebsverfassungsrechtliche Vorverfahren eingehalten wurde.
[17] 2.1. Zum Verhältnis der gerichtlichen Zustimmung zur Kündigung gemäß § 8f Abs 1 iVm § 7 Abs 3 VKG und § 10 Abs 4 MSchG und dem Motivkündigungsschutz des § 105 Abs 3 Z 1 lit i) ArbVG liegt entgegen der Darstellung der Revision höchstgerichtliche Rechtsprechung vor: Demnach steht dem Arbeitnehmer im Fall einer Arbeitgeberkündigung im Zusammenhang mit der Geltendmachung des Anspruchs auf Teilzeitbeschäftigung nach dem VKG neben dem in § 8f VKG normierten Kündigungs- und Entlassungsschutz auch noch die Anfechtungsklage nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i) ArbVG (wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche) sowie nach dem GlBG (§ 3 Z 7 GlBG; § 12 Abs 7 GlBG) zur Verfügung ( 9 ObA 92/22b Rz 10).
[18] 2.2. Als verpöntes Motiv behauptet die Revision die „ Verweigerung durch den Kläger, einer Versetzung nach Wien bzw einer einvernehmlichen Lösung im Hinblick auf die weitere Elternteilzeitvereinbarung zuzustimmen “. Darauf wurde das Klagebegehren aber schon im Berufungsverfahren nicht mehr gestützt; dort wurde vielmehr das zweite Elternteilzeitbegehren als „ wahrer Grund “ für die Kündigung bezeichnet. Auf die Verweigerung der Zustimmung zur Änderungsvereinbarung kann daher das Klagebegehren in der Revision nicht mehr gestützt werden.
[19] 2.3. Zu alledem übergeht die Revision, dass nach den vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Feststellungen (auf tatsächlicher Ebene) kein Motivzusammenhang der Kündigung mit der Anmeldung der Elternteilzeit vorliegt.
[20] 3.1. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht: Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken ( § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO ).
[21] 3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.