10Ob62/25b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofräte Dr. Annerl und Dr. Vollmaier sowie die Hofrätin Dr. Wallner Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei Russische Föderation, 1030 Wien, Reisnerstraße 45–47, vertreten durch OBLIN Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P*, vertreten durch Brauneis Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 25. Juni 2025, GZ 11 R 26/25m 258, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO und die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens sind die (unterschiedlich formulierten) Räumungsbegehren der Klägerin wegen titelloser Benützung einer in Wien gelegenen Liegenschaft, deren Eigentümer im ersten und zweiten Rechtsgang strittig waren.
[2] Mit Teilurteil vom 16. 5. 2023 zu 10 Ob 9/23f hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass infolge der völkervertraglich vereinbarten anteiligen Fortsetzung der Eigentümerstellung der ehemaligen UdSSR (jedenfalls) die Russische Föderation und die Ukraine Miteigentümerinnen der streitgegenständlichen Liegenschaft sind. Aus diesem Grund wies der Oberste Gerichtshof den Zwischenantrag der Beklagten auf Feststellung, dass die Klägerin nicht Eigentümerin der gegenständlichen Liegenschaft sei, ab. Er stellte allerdings (aufgrund des Miteigentums der Ukraine) fest, dass die Klägerin nicht Alleineigentümerin der hier gegenständlichen Liegenschaft ist, und wies das Begehren der Klägerin, die Beklagte sei schuldig, die Liegenschaft binnen 14 Tagen geräumt (an die Klägerin) zu übergeben, ab. Betreffend das weitere (Eventual-)Begehren, die Liegenschaft schlechthin zu räumen, verwies der Oberste Gerichtshof die Rechtssache an das Erstgericht zurück, um der Klägerin Gelegenheit zu geben, sämtliche materiell Berechtigte zu nennen und ihr Eventualbegehren entsprechend zu formulieren.
[3] Die Klägerin begehrte im fortgesetzten Verfahren neuerlich die Übergabe der geräumten Liegenschaft (nur) an sich selbst (als Hauptbegehren) und modifizierte das Eventualbegehren dahin, dass die Beklagte schuldig sei, die Liegenschaft von ihren eigenen Fahrnissen geräumt „an sämtliche Miteigentümer der Liegenschaft“ zu übergeben. Ergänzend brachte sie vor, dass keine weiteren Berechtigten vorhanden seien, sondern die Klägerin Alleineigentümerin sei.
[4] Die Vorinstanzen wiesen das auf Räumung und Übergabe an die Klägerin gerichtete Hauptbegehren zurück und das auf Räumung und Übergabe an „sämtliche Miteigentümer der Liegenschaft“ gerichtete Eventualbegehren ab. Den ordentlichen Revisionsrekurs und die ordentliche Revision ließ das Rekurs- bzw Berufungsgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] Gegen die Zurückweisung des Klagebegehrens richtet sich (richtig:) der außerordentliche Revisionsrekurs und gegen die Abweisung des Eventualbegehrens die außerordentliche Revision der Klägerin. Diese sind mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO bzw § 502 Abs 1 ZPO jeweils nicht zulässig.
1. Zurückweisung des Räumungsbegehrens
[6] 1.1. Wenn bereits einmal über ein konkretes Rechtsschutzbegehren entschieden wurde, sind nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beide Parteien dieses Verfahrens vom Vorbringen neuer anspruchsbegründender oder anspruchsvernichtender Tatsachen in einem zweiten Verfahren zum selben Begehren präkludiert, wenn diese Tatsachen schon den im Vorverfahren geltend gemach ten Anspruch hätten stützen oder abwehren können (RS0039347 [T18]). Tatsachen, die in dem für die E ntscheidung maßgeblichen Zeitpunkt bereits entstanden waren, aber nicht ausgeführt wurden, durchbrechen die Rechtskraft daher nicht ( RS0106966 [T4]).
[7] 1.2. Über das Begehren der Klägerin auf Räumung der streitgegenständlichen Liegenschaft und auf Übergabe (nur) an sie wurde bereits mit Teilurteil vom 16. 5. 2023 zu 10 Ob 9/23f rechtskräftig entschieden. Entgegen der nicht näher begründeten Behauptung der Klägerin im Rechtsmittel hat das nunmehr erhobene Räumungsbegehren das gleiche Rechtsschutzziel. Mit der bloßen Behauptung, dass sich die nunmehr zur Stützung dieses Begehrens vorgebrachten Tatsachen von jenen, die dem Teilurteil zugrunde lagen, unterscheiden, legt die Klägerin nicht dar, inwiefern die Zurückweisung dieses Begehrens durch die Vorinstanzen ein Abweichen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung bedeutet, insbesondere bestreitet die Klägerin im Rechtsmittel nicht, dass die nunmehr vorgetragenen Tatsachen im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bereits entstanden waren (und bloß nicht ausgeführt wurden).
[8] 1.3. Die im außerordentlichen Revisionsrekurs als erheblich bezeichneten (und in der Entscheidung 10 Ob 9/23f adressierten) Fragen der Staatennachfolge stellen sich in diesem Zusammenhang nicht, sodass schon deswegen keine Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO zur Darstellung gebracht wird.
2. Abweisung des Eventualbegehrens
[9] 2.1. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, mit dem auf Übergabe „an sämtliche Miteigentümer“ gerichteten Eventualbegehren alle materiell Berechtigten erfasst zu haben und damit die im Aufhebungsbeschluss vom 16. 5. 2023 zu 10 Ob 9/23f genannten Vorgaben erfüllt zu haben.
[10] 2.2. In dieser Entscheidung wurde allerdings bereits ausgeführt, dass die Räumung im Sinn des § 349 EO von der Übergabe der geräumten Liegenschaft an den betreibenden Gläubiger nicht getrennt werden kann und zur Übernahme der geräumten Wohnung die Miteigentümer insgesamt berechtigt sind, weshalb im Übergabebegehren sämtliche Miteigentümer als daraus Berechtigte zu nennen sind ( RS0013226 [T4]). Dabei bedarf es zwar dann keiner namentlichen Nennung aller Miteigentümer im Begehren selbst, wenn diese durch einen Verweis auf Urkunden oder auf andere Unterlagen (etwa die Eintragung im Grundbuch) identifizierbar sind und diese zu einem integrierenden Bestandteil des Begehrens gemacht werden ( RS0037420 [insb T8]).
[11] 2.3. Im vorliegenden Fall zielt die Klägerin mit dem Übergabebegehren „an sämtliche Miteigentümer“ nach ihrem – auch in der außerordentlichen Revision aufrecht erhaltenen – Vorbringen auf die Übergabe ausschließlich an sie selbst ab, weil sie (weiterhin) nur sich selbst als materiell berechtigt betrachtet. Damit übergeht die Klägerin aber die Bindungswirkung des Teilurteils vom 16. 5. 2023 zu 10 Ob 9/23f , nach dem feststeht, dass die Klägerin (infolge des Miteigentums [zumindest] der Ukraine) nicht Alleineigentümerin der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft ist. Die dagegen im fortgesetzten Verfahren vorgetragenen Umstände, die in dem für diese Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt bereits entstanden waren, aber nicht ausgeführt wurden, durchbrechen die Rechtskraft nach der oben (Pkt 1.1. f) dargelegten höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht. Da dieses Vorbringen im fortgesetzten Verfahren somit nicht zu prüfen war, liegt insofern auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor ( RS0053317 ).
[12] 2.4. Soweit sich die Klägerin in der außerordentlichen Revision auf einen von ihrem Eigentum verschiedenen „Rechtstitel im Sinn von § 349 EO“ stützt, der die Beklagte ihrer Ansicht nach dazu berechtigen soll, die Räumung und Übergabe der Liegenschaft (nur) an sie zu fordern, übersieht sie, dass sie sich bislang, insbesondere in der Berufung nur auf ihre Stellung als Alleineigentümerin berief. Wurde die Entscheidung erster Instanz nur in einem bestimmten Punkt wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten, können andere, selbständig zu beurteilende Rechtsfragen in der Rechtsrüge in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden ( RS0043352 [T33]).
[13] 2.5. Wenn die Vorinstanzen das Eventualbegehren – entsprechend den Vorgaben des Aufhebungsbeschlusses zu 10 Ob 9/23f (Rz 72) – mit der Begründung abwiesen, dass die Klägerin die Übergabe der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft ausschließlich an sie selbst fordert, obwohl sie nicht allein berechtigt ist, stellt dies somit keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Auf die im Rechtsmittel als erheblich bezeichneten (völkerrechtlichen) Fragen kommt es ebenso wenig an, wie auf das (Nicht-)Vorhandensein weiterer Miteigentümer (neben der Klägerin und der Ukraine), sodass auch insofern keine sekundären Feststellungsmängel vorliegen (RS0053317 [T5, T9]).