1Ob125/25a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen I*, geboren * 2014, wohnhaft bei der Mutter A*, pA *, diese vertreten durch Mag. Kurt P. Nemec, M.B.L.-HSG, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters B*, vertreten durch die BHF Briefer Hülle Frohner Gaudernak Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. Juni 2025, GZ 43 R 333/25a 44, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Beschluss des Rekursgerichts wurde den Parteien unter Bedachtnahme auf § 89d Abs 2 GOG am 9. 7. 2025 zugestellt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Mit seinem – inhaltlich ausschließlich gegen die Abweisung seines Antrags auf Einräumung eines vorläufigen Kontaktrechts durch die Vorinstanzen gerichteten – außerordentlichen Revisionsrekurs vom 23. 7. 2025 zeigt der Vater keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[3] 1. Nach § 107 Abs 2 AußStrG kann das Gericht die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte nach Maßgabe des Kindeswohls, insbesondere zur Aufrechterhaltung der verlässlichen Kontakte und zur Schaffung von Rechtsklarheit, auch vorläufig einräumen oder entziehen.
[4] Nach dem Willen des Gesetzgebers hat das Gericht eine solche vorläufige Entscheidung dann zu treffen, wenn zwar für die endgültige Regelung noch weitergehende Erhebungen (etwa die Einholung oder Ergänzung eines Sachverständigengutachtens) notwendig sind, aber eine rasche Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft und dadurch das Kindeswohl fördert ( RS0129538 [T9]).
[5] 2. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob eine beantragte vorläufige Maßnahme nach § 107 Abs 2 AußStrG zur Sicherung des Kindeswohls zu erlassen ist, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Frage kommt daher keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden ( RS0130780 ). Dies ist hier nicht der Fall.
[6] 2.1 Für die Regelung des (vorläufigen) Kontaktrechts ist das Wohl des Kindes ausschlaggebend ( RS0047958 ; RS0087024 ; RS0097114 [T18]).
[7] Das Kindeswohl wird maßgeblich von den Kindeswünschen mitbestimmt, wozu auch die in § 105 AußStrG vorgesehene Befragung in Obsorge- und Kontaktrechtsstreitigkeiten dient. Dies ergibt sich im Rahmen der Kontaktrechtsregelung auch aus der ausdrücklichen Anordnung des § 187 Abs 1 aE ABGB, wonach das Alter, die Bedürfnisse und die Wünsche des Kindes sowie die Intensität der bisherigen Beziehung „besonders zu berücksichtigen“ sind (vgl 4 Ob 4/25d Rz 10, 12).
[8] 2.2 Nach der Rechtsprechung ist, unter Bedachtnahme auf § 108 AußStrG, gegenüber mündigen Minderjährigen kein Zwang auszuüben, wenn sie den persönlichen Verkehr mit einem Elternteil (selbst wenn es unbegründet sein sollte) ablehnen, weil eine anständige, von gegenseitiger Achtung und Zuneigung getragene Begegnung nicht erzwungen werden kann und ein mit Zwangsmitteln gegen den Willen des mündigen Minderjährigen durchgesetzter persönlicher Verkehr jedenfalls dem Kindeswohl widerspräche (vgl 4 Ob 4/25d Rz 14 mwN; RS0047981 ).
[9] 2.3 Jüngere Kinder können demgegenüber grundsätzlich auch gegen ihren Willen zu einem Kontakt verhalten werden ( RS0047981 [T7]). Wenngleich § 108 AußStrG auf unmündige Minderjährige keine Anwendung findet, kommt deren Verweigerung des Kontakts mit einem Elternteil aber dennoch ein gewisses Gewicht bei der Beurteilung zu, inwieweit gegen ihren feststehenden Willen die Ausübung des Kontaktrechts ermöglicht werden soll; und zwar schon deshalb, weil durch den erzwungenen Kontakt die ablehnende Haltung des Kindes vertieft und verstärkt werden kann ( RS0047981 [T12]), was dem Kindeswohl erst recht wieder abträglich wäre (vgl auch 5 Ob 134/21y Rz 16). Die Mündigkeit bildete daher keine starre Grenze, zumal die Einstellung eines Kindes zum Kontaktrecht mit zunehmendem Alter größeres Gewicht erlangt ( RS0047981 [T9]). Je älter ein bereits einsichts- und urteilsfähiges Kind ist, desto eher wird seinem Wunsch zu entsprechen sein ( 2 Ob 19/11z Pkt IV.2.; 3 Ob 147/22x Rz 1; vgl RS0047937 [T7] ).
[10] 2.4 Ob die Weigerung eines noch nicht 14 jährigen Kindes zu beachten ist, hängt unter grundsätzlicher Berücksichtigung, ob die Ablehnung aus eigener Überzeugung erfolgt, von seiner Einsicht und Urteilsfähigkeit ab und kann stets nur nach den konkreten Umständen des Falls beantwortet werden ( 9 Ob 201/02b mwN; vgl auch RS0047981 [T5]).
[11] 2.5 Eine im Einzelfall aufzugreifende Überschreitung des den Vorinstanzen bei dieser Frage zukommenden Beurteilungsspielraums legt der Revisionsrekurs nicht dar:
[12] Der Vater zieht selbst gar nicht in Zweifel, dass sein nunmehr elfjähriges Kind, wie von den Vorinstanzen festgestellt, vor ihm derzeit tatsächlich „große Angst“ hat und im Verfahren anlässlich seiner Anhörung seitens des Erstgerichts – in deren Rahmen es unter anderem auf die Möglichkeit von begleiteten Kontakten hingewiesen wurde – deutlich und strikt jegliche Art des Kontakts zum Vater, selbst einen schriftlichen Kontakt, ablehnte.
[13] Wenn die Vorinstanzen – unter Bedachtnahme auf den von der Erstrichterin gewonnenen persönlichen Eindruck vom Kind – zur Auffassung gelangten, ein erzwungener Kontakt entgegen dem derart klar und vehement geäußerten Wunsch des Kindes berge die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung, weshalb von der Erlassung der vorläufigen Maßnahme nach § 107 Abs 2 AußStrG abzusehen sei, so ist diese Beurteilung jedenfalls vertretbar.
[14] 3. Angesichts der feststehenden kategorischen Ablehnung jeglichen Kontakts zum Vater kommt der Frage, ob das derzeitige (subjektive) Bild des Kindes vom Vater erlebnisbasiert ist, für die Beurteilung, ob aktuell ein vorläufiges Kontaktrecht im Sinn des § 107 Abs 2 AußStrG anzuordnen ist, keine entscheidende Bedeutung zu (vgl auch 4 Ob 62/24g ).
[15] Vor diesem Hintergrund fehlt es den im Revisionsrekurs geltend gemachten Verfahrensverstößen in Zusammenhang mit der vom Erstgericht getroffenen Feststellung zum „Alkoholproblem“ des Vaters und seiner daraus folgenden Aggressivität an der erforderlichen Relevanz (vgl RS0120213 [T20]).