10ObS66/25s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden und den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Dr. Vollmaier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch den Erwachsenenvertreter NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz, 3300 Amstetten, Wienerstraße 65/2/8, dieser vertreten durch Mag. Petra Smutny, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Waisenpension, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 28. März 2025, GZ 7 Rs 94/24f 106, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Mai 2024, GZ 25 Cgs 46/20s-102, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden in Ansehung des den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Ausspruchs über das Teilbegehren auf Gewährung einer Waisenpension ab dem 5. August 2019 aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des 1987 geborenen Klägers auf Gewährung einer Waisenpension nach dem Tod seines Vaters am 9. 10. 2013.
[2] Der Kläger hat einen Maturaabschluss und hat aufgrund unselbständiger Tätigkeiten als EDV-Techniker und Programmierer auf nicht geschützten Arbeitsplätzen, allerdings bei einem besonders sozialen Arbeitgeber, der auf die persönliche Situation der Mitarbeiter Rücksicht nimmt, insgesamt 124 Versicherungsmonate erworben.
[3] Er leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sowie am Asperger-Syndrom, weshalb er Schwierigkeiten mit Sozialkontakten hat, in der verbalen Kommunikation beeinträchtigt ist und seine Hygiene vernachlässigt. Zugleich hatte er aufgrund seiner Erkrankung bereits vor seinem 18. Geburtstag Schwierigkeiten, pünktlich aufzustehen und sich um seine Angelegenheiten zu kümmern. Ohne den Einsatz seiner bereits 2011 verstorbenen Mutter und seines Vaters, die ihn auch noch nach seinem 18. Geburtstag regelmäßig weckten, wäre es ihm nicht möglich gewesen, pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen; er wäre jedenfalls öfter als zweimal pro Monat zu spät gekommen. Letztlich wurde er von seinem Arbeitgeber wegen wiederholter Unpünktlichkeit gekündigt. Seit Juli 2019 hat der Kläger einen Erwachsenenvertreter.
[4] Aufgrund des näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls des Klägers war er bereits vor Eintritt des 18. Lebensjahres in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit nur mäßig eingeschränkt und war ihm auch Tagespendeln unter Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (bei einer Pendelstrecke von nicht mehr als einer Stunde) möglich.
[5] Ausgehend davon konnte er zum Eintritt des 18. Lebensjahres grundsätzlich die (näher umschriebenen) Tätigkeiten des Programmierers, Netzwerkadministrators, Netzwerkbetreuers oder EDV-Technikers ausüben. Die angeführten Arbeitsplätze waren auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch in ausreichender Anzahl vorhanden.
[6] Ausgehend von einem Alleinarbeitsplatz im Back-Office-Bereich ist selbst bei einer problematischen Körperhygiene auch kein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers erforderlich. Allerdings wird, bezogen auf die konkrete Tätigkeit, mehr als einmaliges Zuspätkommen zur Arbeit im Monat am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht toleriert.
[7] Mit Bescheid vom 14. 11. 2019 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 5. 8. 2019 auf Gewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus nach seinem verstorbenen Vater ab.
[8] Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Gewährung der Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Todestag seines Vaters. Er sei nie erwerbsfähig gewesen und folglich nach wie vor als Kind iSd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG zu qualifizieren.
[9] Die Beklagte hält dem entgegen, eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers sei weder vor der Vollendung des 18. Lebensjahres noch während der Schulausbildung eingetreten.
[10] Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht dem Kläger eine Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß über das 18. Lebensjahr hinaus ab dem 5. 8. 2019 zu und wies das Mehrbegehren auf Gewährung der Waisenpension auch für den Zeitraum von 9. 10. 2013 bis 4. 8. 2019 – insoweit rechtskräftig – ab.
[11] Nur aufgrund umfassender Einbeziehung seines familiären Umfelds sei der Kläger in der Lage gewesen, ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit zu erzielen. Seine ohne diese Unterstützung auftretenden Unpünktlichkeiten würden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr toleriert; er sei daher erwerbsunfähig.
[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen den Teilzuspruch Folge und wies die Klage zur Gänze ab.
[13] Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sei de r Umstand, dass der Versicherte wegen einer Motivationsschwäche einer Bezugsperson bedürfe, die ihn zum Aufstehen und zum Aufsuchen des Arbeitsplatzes anhalte, als persönlicher Umstand bei Prüfung des Pensionsanspruchs außer Betracht zu lassen. Solche im privaten Bereich erforderlichen Vorbereitungshandlungen zur Verrichtung einer Berufstätigkeit – die von der Frage der Bewältigbarkeit des Anmarschwegs zu unterscheiden seien – gehörten nicht zu den versicherten Risken. Diese Judikatur sei für die Frage des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit i Sd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG fruchtbar zu machen, weil auch bei der Erwerbsunfähigkeit ausschließlich auf medizinische Gesichtspunkte abzustellen sei und insofern ein Gleichklang zwischen Invalidität bzw Berufungsunfähigkeit einerseits und Erwerbsunfähigkeit andererseits bestehe.
[14] Die Revision ließ das Berufungsgericht mangels höchstgerichtlicher Judikatur zur Frage zu, ob die angesprochene Judikatur zu Vorbereitungshandlungen zur Verrichtung einer Berufstätigkeit auch für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit iSd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG heranzuziehen sei.
[15] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers , mit der er die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[16] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[17] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[18] Der Kläger macht zusammengefasst geltend, da er aus medizinischen Gründen nicht in der Lage sei, durchwegs pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen, sei ihm eine Erwerbstätigkeit nur möglich, wenn ihm der Dienstgeber über den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Rahmen hinaus entgegenkomme. Ihn könne entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht die Pflicht treffen, im privaten Bereich für notwendige organisatorische Maßnahmen zu sorgen, um das rechtzeitige Aufsuchen des Arbeitsplatzes sicherzustellen, zumal seine psychische Erkrankung ihn gerade auch daran hindere, diese Organisationsmaßnahmen zu treffen.
Dazu hat der Senat erwogen:
[19] 1. Anspruch auf Waisenpension kommt nach dem Tod des Versicherten den Kindern iSd § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 ASVG zu (§ 260 ASVG).
[20] Als Kinder gelten nach § 252 Abs 1 Z 1 ASVG bis zum vollendeten 18. Lebensjahr unter anderem die Kinder der versicherten Person. Während der Anspruch auf Waisenpension bis zum vollendeten 18. Lebensjahr an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist, setzt er nach Vollendung des 18. Lebensjahres eine besondere Antragstellung voraus (§ 260 Satz 2 ASVG). Es ist zu prüfen, ob die besonderen Voraussetzungen des § 252 Abs 2 ASVG erfüllt sind.
[21] Abgesehen von dem (hier nicht gegenständlichen) Fall einer Schul- oder Berufsausbildung (§ 252 Abs 2 Z 1 ASVG) bleibt die Kindeseigenschaft auch bestehen , wenn und solange das Kind seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in § 252 Abs 2 Z 1 (oder Z 2) ASVG genannten Zeitraums infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist (§ 252 Abs 2 Z 3 ASVG).
[22] 2. Die Waisenpension hat – als eine aus dem Versicherungsfall des Todes zu gewährende Leistung der Pensionsversicherung (§ 222 Abs 1 Z 3 lit a ASVG) – den Zweck, im Sinn eines Unterhaltssurrogats den Wegfall der Unterhaltsleistung des Verstorbenen auszugleichen und eine entsprechende Schul- oder Berufsausbildung zu gewährleisten. Es soll der Wegfall der Unterhaltsleistungen solange ausgeglichen werden, bis die Waise im s tande ist, nach Abschluss einer entsprechenden Ausbildung selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen (10 ObS 150/15d ErwGr 1.2. mwN; 10 ObS 27/19x ErwGr 2.4.; 10 ObS 34/21d Rz 19; vgl auch Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV Komm § 252 ASVG Rz 6).
[23] So ging es dem Gesetzgeber auch bei der Bestimmung des § 252 Abs 2 Z 3 ASVG (idF BGBl I 2012/17) darum, Versorgungsansprüche eines Kindes zu erhalten; er beabsichtigte aber nicht, Versorgungsansprüche für Personen neu zu schaffen, die erst später ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben (RS0113891). Ein Anspruch auf Waisenpension setzt also voraus, dass im Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit die Kindeseigenschaft (zB i Sd § 252 Abs 2 Z 1 ASVG) noch gegeben war (RS0113891 [T4]; 10 ObS 137/23d Rz 18). Eine später eingetretene Erwerbsunfähigkeit führt zwar zu einem Wiederaufleben eines Unterhaltsanspruchs des Kindes gegenüber den Eltern. Nach deren Tod wird dieser Unterhaltsanspruch jedoch ungeachtet fehlender Selbsterhaltungsfähigkeit nicht durch einen Waisenpensionsanspruch ersetzt ( R. Müller , Richterliche Rechtsfortbildung im Leistungsrecht der Sozialversicherung, DRdA 1995, 465 [473]).
[24] 3. In seiner Stammfassung (BGBl 1955/189) stellte das ASVG für die Frage, ob die Kindeseigenschaft durch eigenes Erwerbseinkommen verloren geht, nur darauf ab, ob Selbsterhaltungsfähigkeit vorlag oder nicht. Mit der Neufassung des § 252 ASVG durch die 29. Novelle zum ASVG (BGBl 1973/31) wurde das Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit aufgegeben (10 ObS 34/21d Rz 9 f; vgl dazu Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV-Komm § 252 ASVG Rz 7 ff).
[25] Während zuvor noch eine deutliche Annäherung an die zivilrechtliche Unterhaltsregelung erkennbar war (indem darauf abgestellt wurde, ob das Kind „wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen“), regelt das Gesetz nunmehr die (weiterbestehende) Kindeseigenschaft als Voraussetzung für die Waisenpension eigenständig, indem das Merkmal der Erwerbsunfähigkeit jenes der Unterhaltsbedürftigkeit ersetzt (vgl 10 ObS 59/16y ErwGr 2.3. und 6.2. [zur Parallelbestimmung des § 119 Abs 2 Z 3 BSVG]; R. Müller , DRdA 1995, 473 ). Bürgerlich-rechtliche Vorschriften über die Unterhaltsberechtigung eines Kindes sind folglich zur Auslegung des – eben nicht mehr auf dessen individuelle Bedürftigkeit abzielenden – Erwerbsunfähigkeitsbegriffs nicht heranzuziehen (vgl RS0085546).
[26] 4. Nach ständiger Rechtsprechung ist erwerbsunfähig i Sd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG, wer infolge Krankheit oder Gebrechens, also eines nicht nur vorübergehenden Zustands der körperlichen und geistigen Kräfte (und nicht etwa nur wegen der ungünstigen Lage des Arbeitsmarkts oder wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit), nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder als Selbständiger (etwa durch Heimarbeit; vgl 10 ObS 446/97d mwN; RS0109267) einen nennenswerten Verdienst zu erzielen (RS0085556 [T10]; RS0085536; vgl auch Schrammel in Tomandl , SV-System [28. Erg Lfg] 129 ff, unter Verweis darauf, dass der hier zu beurteilende Erwerbsunfähigkeitsbegriff mit dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Selbständigen nur den Namen gemeinsam habe ). Als nicht nennenswert kann ein Entgelt angesehen werden, das den Betrag nicht übersteigt, bis zu dem nach § 122 Abs 4 ASVG Erwerbslosigkeit anzunehmen ist (10 ObS 84/94 mw N ; RS0085556 [T2]).
[27] Die Erwerbsunfähigkeit nach § 252 Abs 2 Z 3 ASVG muss – aus den schon unter Punkt 2. angeführten Erwägungen – bereits vor den beiden in § 252 Abs 2 Z 1 und Z 2 ASVG genannten Zeitpunkten (Vollendung des 18. Lebensjahres oder Ablauf des in diesen Bestimmungen genannten Zeitraums) eingetreten sein und über diese Zeitpunkte hinaus andauern (10 ObS 131/20t Rz 19).
[28] Für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit, also der Frage, ob das Kind einem Erwerb (im zuvor dargelegten Sinn) nachgehen kann , sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte ausschlaggebend. Auf äußere Umstände, etwa d arauf, ob und in welchem Umfang das Kind nicht dennoch – etwa auf Kosten seiner Gesundheit, aufgrund eines besonderen Entgegenkommens seines Arbeitgebers oder aber mit Hilfe anderer Personen – weiterhin ein Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit bezieht, ist nicht Bedacht zu nehmen (RS0085570; RS0085536 [T1]; 10 ObS 59/16y ErwGr 7.). Der Gesetzgeber wollte mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit in § 252 Abs 2 Z 3 ASVG ausdrücken, dass beim Kind ein Zustand vorhanden sein muss, der es ihm nicht gestattet, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten (10 ObS 131/20t Rz 20 mwN).
[29] Als entscheidendes Kriterium verbleibt damit , ob d em Kind (die von ihm ausgeübten) Erwerbs tätigkeiten medizinisch auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dazu üblichen Bedingungen bzw als Selbstständiger möglich sowie zumutbar gewesen wären ( idS schon 10 ObS 131/20t Rz 2 8 ) und unter diesen Voraussetzungen ein nennenswerter Verdienst erzielt hätte werden können.
[30] 5. Dass diese Prüfung auch die Frage miteinschließt, ob es dem Kind unter medizinischen Gesichtspunkten möglich und zumutbar ist, den Anmarschweg zur Arbeitsstätte zu bewältigen, steht im Verfahren (zu R echt) nicht in Zweifel.
[31] 5.1. Das Berufungsgericht steht allerdings sinngemäß auf dem Standpunkt, von der (recht s erheblichen) Frage de s Bewältig enkönnens des Anmarschwegs als solchen sei jene der medizinischen Notwendigkeit organisatorischer (Vorbereitungs-)M aßnahmen im privaten b zw häuslichen Bereich (zur Ermöglichung des Antritts des Arbeitswegs) abzugrenzen, die bloß (nicht vom versicherten Risiko erfasste) persönliche Umstände des Kindes betreffe und damit für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit ohne R elevanz sei.
[32] Diese Überlegung basiert auf der zum Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs: Danach ist zwar der Arbeitsweg selbst nicht dem „privaten“ Lebensbereich zuzuordnen; davon zu unterscheiden ist allerdings der Fall, dass ein Versicherter Hilfe bei Vorbereitungshandlungen im privaten Bereich benötigt, um den Weg zur Arbeit überhaupt erst anzutreten ( 10 ObS 144/21f Rz 15 mwN). Der Umstand, dass ein Versicherter im häuslichen Bereich – vor dem Antritt des Arbeitswegs – besonderer Betreuung bedarf, etwa wegen einer Motivationsschwäche eine Bezugsperson braucht, die ihn zum Aufstehen und zum Aufsuchen des Arbeitsplatzes anhält, hat demnach als persönliches Moment bei der Prüfung eines Pensionsanspruchs wegen geminderter Arbeitsfähigkeit außer Betracht zu bleiben ( 10 ObS 120/90 ; 10 ObS 332/91 ; RS0084929 ). Im privaten Bereich notwendige Organisationsmaßnahmen, die erforderlich sind, um dem Versicherten letztlich das Aufsuchen des Arbeitsplatzes zu ermöglichen, sind nämlich nicht Gegenstand der im Rahmen des Versicherungsfalles der Arbeitsunfähigkeit versicherten Risken ( 10 ObS 120/90 ; 10 ObS 332/91 ).
[33] 5.2. Diese Judikatur lässt sich jedoch – wie vom Kläger in der Revision zutreffend aufgezeigt – nicht auf die Frage der Verlängerung der Kindeseigenschaft iSd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG wegen (infolge Krankheit oder Gebrechens fortbestehender) Erwerbsunfähigkeit übertragen. Vorliegend gilt es nämlich nicht, das versicherte Risiko der Unfähigkeit zur Verrichtung einer Berufstätigkeit vom persönlichen Lebensbereich des Versicherten und einem dort allenfalls bestehenden Betreuungsbedarf abzugrenzen. Das hier zu beurteilende Risiko ist (mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen unter Punkt 2.) vielmehr der Verlust des Versorgungsanspruchs des Kindes, das (noch) nicht selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann, durch den Tod des unterhaltspflichtigen Angehörigen.
[34] 5.3. Ausgehend von dieser abweichenden Zweckrichtung der Versicherungsleistung der Waisenpension spricht aber grundsätzlich nichts dagegen, bei der Beurteilung der Frage der Erwerbsunfähigkeit des Kindes durch körperliche oder geistige Beeinträchtigung verursachte Probleme mit ins Kalkül zu ziehen, den Weg zur Arbeit überhaupt erst anzutreten und damit die Arbeitsstätte – abgesehen von gelegentlichen, am allgemeinen Arbeitsmarkt tolerierten Unpünktlichkeiten – rechtzeitig zu erreichen.
[35] Nur wenn ihm in diesem Zusammenhang das Setzen allenfalls erforderlicher und geeigneter organisatorischer Abhilfemaßnahmen im häuslichen Bereich – gerade auch unter Bedachtnahme auf seine körperlichen bzw geistigen Einschränkungen – eigenständig (also ohne Hilfe anderer Personen; vgl 10 ObS 131/20t Rz 20) möglich und auch zumutbar ist, wird davon auszugehen sein, dass das Kind aus medizinischer Sicht unter den am allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Bedingungen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen kann.
[36] 6. Die vor diesem Hintergrund maßgebliche Frage, ob der Kläger aus medizinischen Gründen durchgehend daran gehindert war (und nach wie vor ist), von sich aus zumutbare organisatorische Vorkehrungen im soeben dargelegten Sinn zu treffen, die sein (in aller Regel) rechtzeitiges Erscheinen am Arbeitsplatz gewährleisten, kann auf Grundlage des bisherigen Urteilssachverhalts nicht abschließend beantwortet werden.
[37] Schon aus diesem Grund erweist sich die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen in Ansehung des noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Ausspruchs als unumgänglich. Das Prozessgericht wird den Parteien im fortzusetzenden Verfahren zunächst Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen zu diesem bisher noch nicht hinreichend berücksichtigten Aspekt zu geben und darauf aufbauend den Sachverhalt zu verbreitern haben.
[38] 7. Entsprechendes gilt für die im bisherigen Verfahren auch noch nicht geklärte entscheidungswesentliche Frage, ob der Kläger bereits vor seinem 18. Geburtstag und auch nachfolgend aufgrund seiner Gesundheitsbeeinträchtigung und den daraus folgenden Einschränkungen nicht in der Lage war bzw ist, einer selbständigen Tätigkeit (etwa Heimarbeit) in einem solchen Ausmaß nachzugehen, dass er damit einen nennenswerten Verdienst erzielt. Die im Ersturteil getroffenen Feststellungen beziehen sich – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – erkennbar nur auf die Frage der Einsetzbarkeit des Klägers am allgemeinen Arbeitsmarkt und damit auf dessen Möglichkeiten zur Verrichtung unselbständiger Tätigkeiten.
[39] Im Übrigen wird im fortzusetzenden Verfahren auch noch zu prüfen sein, ob der Kläger aus medizinischen Gesichtspunkten einen der nach den Feststellungen grundsätzlich in Frage kommende Berufe allenfalls dann ausüben kann, wenn er den Beginn seiner täglichen Arbeitszeit innerhalb eines festgelegten Gleitzeitrahmens selbst bestimmen kann, und, bejahendenfalls, ob entsprechende Arbeitsplätze mit Gleitzeitvereinbarung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bereits vor seinem 18. Geburtstag in ausreichender Anzahl vorhanden waren bzw nach wie vor sind.
[40] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.