JudikaturOGH

10ObS65/25v – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Claus Marchl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Familienzeitbonus, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 24. April 2025, GZ 9 Rs 146/24t 16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger nahm anlässlich der Geburt seiner Tochter am 17. 2. 2024 für den Zeitraum von 19. 2. 2024 bis 17. 3. 2024 Familienzeit in Anspruch und schloss mit seinem Dienstgeber eine entsprechende Vereinbarung. Er kümmerte sich in dieser Zeit ausschließlich um seine Familie, mit der eine dauerhafte Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft bestand. Die Gattin des Klägers kehrte am 19. 2. 2024 mit der Neugeborenen vom Spital an den Wohnsitz der Familie zurück. Da die Eheleute für die Auswahl des vollständigen Namens ihrer Tochter Zeit benötigten, wurde die Tochter erst am 7. 3. 2024 hauptwohnsitzlich angemeldet.

[2] Mit Bescheid vom 23. 4. 2024 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für den Zeitraum vom 19. 2. 2024 bis 17. 3. 2024 mangels gemeinsamen Haushalts im Sinn des FamZeitbG ab.

[3] Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger den Familienzeitbonus für den genannten Zeitraum. Ihm sei die konkrete Melde f rist nicht bekannt gewesen.

[4] Das Erstgericht gab der Klage hinsichtlich des Zeitraums vom 7. 3. 2024 bis 17. 3. 2024 unter Bezugnahme auf 10 ObS 161/21f statt. Das den Zeitraum 19. 2. 2024 bis 6. 3. 2024 betreffende Mehrbegehren wurde wegen Nichterfüllung der gemeinsamen hauptwohnsitzlichen Meldung rechtskräftig abgewiesen.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es bestehe für die Tage, an denen alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, ein anteiliger Anspruch auf Familienzeitbonus. Aus Art 8 der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (EU) 2019/1158 (im Folgenden: RL) sei nicht abzuleiten, dass eine Unterstützungsleistung nicht zustehe, wenn eine Mindestbezugsdauer unterschritten werde.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision nicht zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Aliquotierung des Anspruchs auf Familienzeitbonus bereits Stellung bezogen habe.

Rechtliche Beurteilung

[7] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung i Sd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[8] 1. Der Senat hat die auch im gegenständlichen Verfahren relevanten Fragen zum Anspruch auf Familienzeitbonus bereits geklärt. In der umfassend begründeten Entscheidung 10 ObS 161/21f (DRdA infas 2022/121 [ Juhasz ] = ARD 6818/10/2022 [ Lass Könczöl ] = EvBl 2022/132 [ Ziegelbauer ; Schöffmann ] = DRdA 2022/53 [ Reissner ]) wurde die Möglichkeit eines anteiligen Anspruchs auf Familienzeitbonus für jene Tage bejaht, an denen alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (10 ObS 161/21f Rz 40; RS0133955; anders noch RS0133088). Für einen solchen anteiligen Anspruch schadet es demnach nicht, wenn an einzelnen Tagen während des Antragszeitraums bestimmte Anspruchsvoraussetzungen des § 2 FamZeitbG fehlen (idS auch 10 ObS 60/22d Rz 23; 10 ObS 109/22k Rz 25; 10 ObS 130/24a Rz 5 f).

[9] 2. Die den referierten Entscheidungen zugrunde liegenden Konstellationen waren – ebenso wie der gegenständliche Fall – davon geprägt, dass die jeweils klagenden Väter Familienzeit im ausreichenden Ausmaß in Anspruch genommen haben, wobei für den gesamten von ihnen in Anspruch genommenen Zeitraum jeweils aber kein gemeinsamer Haushalt im Sinn des FamZeitbG vorlag. Der Familienzeitbonus wurde daher nur für die Zeit des fehlenden Haushalts nicht gewährt.

[10] 3. Der Kläger unterbrach seine Erwerbstätigkeit für 28 Tage, um sich ausschließlich seiner Familie zu widmen, er nahm also Familienzeit iSd § 2 Abs 4 FamZeitbG in Anspruch. Ebenso wie bei der Entscheidung 10 ObS 161/21f fehlte es auch hier mangels formaler hauptwohnsitzlicher Meldung (nur) für einen Teil des gewählten Zeitraums an einem gemeinsamen Haushalt.

[11] 4. Wenn die Vorinstanzen (nur) für jenen Zeitraum Familienzeitbonus zusprachen, in dem sämtliche Voraussetzungen des § 2 FamZeitbG (einschließlich der hauptwohnsitzlichen Meldung) erfüllt waren (in casu: elf Kalendertage), deckt sich das mit der aufgezeigten neueren Rechtsprechung.

[12] 5. Die Vorinstanzen konnten zu einer von der Beklagten behaupteten zwingenden Mindestbezugsdauer einer Unterstützungsleistung für den Vaterschaftsurlaub aus der RL nichts ableiten.

[13] 5.1 Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft ( RS0042656 ).

[14] 5.2 Der Hinweis im Rechtsmittel, dass der Zuspruch die in Art 4 Abs 1 der R L vorgegebene Mindestbezugsdauer von zehn Arbeitstagen (bzw zwölf Kalendertagen) unterschreite, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels ebenso wenig stützen wie die Argumentation mit Art 8 RL, wonach der Vaterschaftsurlaub entsprechend zu vergüten sei.

[15] 5.3 Aus diesen Bestimmungen ist nur die Verpflichtung der Mitgliedstaaten abzuleiten, Vätern einen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub im Ausmaß von zehn (zu vergütenden) Arbeitstagen einzuräumen, wobei der Urlaub anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss. Aus der RL ergibt sich jedoch nicht ansatzweise, dass den Mitgliedstaaten (zwingend) untersagt sein soll, eine finanzielle Unterstützung auch für einen Zeitraum von unter zehn Arbeitstagen (iSd oben aufgezeigten anteiligen Anspruchs auf Familienzeitbonus) zu normieren. Eine solche Einschränkung der finanziellen Unterstützung ist auch der oben zitierten Rechtsprechung nicht zu entnehmen.

[16] 5.4 Dass die Vorinstanzen keinen Anlass sahen, im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation die Bestimmungen des FamZeitbG im Sinne der Argumentation der Beklagten auszulegen, bedarf daher keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

Rückverweise