JudikaturOGH

10ObS26/25h – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und die Hofrätin Dr. Wallner Friedl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Heimopferrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2025, GZ 7 Rs 106/24w 18, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 6. März 2024 lehnte die Beklagte die Zuerkennung einer Heimopferrente ab.

[2] Die Klägerin erhob dagegen Klage und brachte vor, sie habe von 1971 bis 1984 im Halbinternat im * gelebt. Sie habe dort die Volksschule, Hauptschule und Berufsschule absolviert und sei dort jeden Tag von 8:00 Uhr bis 17:30 Uhr untergebracht gewesen. Während dieser Zeit sei sie sowohl der Gewalt der Lehrerinnen und Lehrer als auch der Erzieherinnen und Erzieher ausgesetzt gewesen.

[3] Die Beklagte wandte ein, bei Besuch eines Halbinternats liege eine Unterbringung im Sinne des § 1 Abs 1 HOG nicht vor.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei nicht in einer der in § 1 HOG genannten Institutionen untergebracht gewesen, sondern habe im Halbinternat die Schule besucht.

[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] 1.1. § 1 Abs 1 Heimopferrentengesetz (HOG) lautet:

„§ 1. (1) Personen, die eine Entschädigungsleistung wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung in Kinder oder Jugendheimen, als Kinder oder Jugendliche in Kranken , Psychiatrie und Heilanstalten beziehungsweise in vergleichbaren Einrichtungen der Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbände, in entsprechenden privaten Einrichtungen, sofern diese funktional für einen Jugendwohlfahrtsträger tätig wurden, in entsprechenden Einrichtungen der Kirchen oder in Pflegefamilien von einem Heim , Jugendwohlfahrts , Krankenhausträger oder Träger der vergleichbaren Einrichtung beziehungsweise den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen erhalten haben, haben ab dem Zeitpunkt und für die Dauer der Zuerkennung einer Eigenpension, spätestens aber mit Beginn des Monats, der auf die Erreichung des Regelpensionsalters (§§ 253 und 617 Abs 11 ASVG) folgt, Anspruch auf eine monatliche Rentenleistung nach diesem Bundesgesetz.“

[8] 1.2. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hat der Gesetzgeber den Kreis der nach § 1 Abs 1 HOG anspruchsberechtigten Personen eng umschrieben. Er hat die Gewährung einer Heimopferrente als besondere Fürsorgeleistung und spezifische Reaktion auf ein Unrecht geschaffen, das typischerweise und in besonderer Intensität sogenannten „Heimkindern“ bzw „Pflegekindern“ widerfahren ist. Er stellt daher auf kindliche und jugendliche Opfer von Gewalt ab, die solcher Gewalt im Rahmen einer regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege, der sie sich nicht entziehen konnten, ausgesetzt waren (VfGH G 226/2018).

[9] 2.1. Der Oberste Gerichtshof entschied bereits in einem vergleichbaren Fall, in dem der Kläger nach dem Besuch einer Ganztagsschule/eines Halbinternats von 8:00 Uhr bis ca 16:00/16:30 Uhr täglich nach Hause zurückkehrte, dass es schon räumlich an einer „regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege“, wie sie zB bei der Aufnahme in ein Heim oder in einer Pflegefamilie vorliegt, fehlt (10 ObS 121/21y Rz 10 f; RS0133504 [T1]). Dieser Entscheidung lag zwar noch § 1 Abs 1 HOG in der (alten) Fassung BGBl I 2018/49 zugrunde. Diese unterscheidet sich aber von § 1 Abs 1 HOG in der (aktuellen) Fassung BGBl I Nr 12/2023 nur insoweit, als der Gesetzgeber mit der neuen Fassung auch Personen einbeziehen wollte, die keine pauschale, sondern eine individuelle Entschädigungsleistung (etwa aufgrund eines Urteils oder eines Vergleichs) erhalten haben (vgl die Begründung des Initiativantrags 3069/A XXVII. GP 2). Der räumliche (inhaltliche) Anwendungsbereich wurde durch die neue Fassung nicht erweitert.

[10] 2.2. Auch im vorliegenden Fall fehlt es somit schon nach dem Vorbringen der Klägerin an einer regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege, wie sie zB bei der Aufnahme in ein Heim oder in einer Pflegefamilie vorliegt und lässt sich daraus eine „Unterbringung“ im Sinne des § 1 Abs 1 HOG nicht ableiten. Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die besuchte Einrichtung eine „vergleichbare Einrichtung der Gebietskörperschaften“ im Sinne des § 1 Abs 1 HOG darstellt, kommt es somit nicht entscheidend an (vgl auch 10 Ob 86/24f Rz 12).

[11] 2.3. Es kommt somit entgegen der Ansicht der Revision auch nicht darauf an, ob es der Klägerin aufgrund ihrer damaligen Minderjährigkeit überhaupt rechtlich möglich gewesen wäre, das Autoritätsverhältnis selbst zu beenden. Sie behauptet im Übrigen auch nicht, dass dies ihrem gesetzlichen Vertreter unmöglich gewesen wäre (vgl 10 ObS 86/24f Rz 11; 10 ObS 148/20t Rz 28).

[12] 2.4. Auch der Umstand, dass der Klägerin nach ihrem Vorbringen weiters zu Hause von ihrem Vater Gewalt angetan wurde, ändert nichts, da diese nicht im Rahmen einer Fremdunterbringung erfolgt wäre (vgl jüngst zu Gewalt durch die Adoptivmutter 10 ObS 22/24v Rz 12).

[13] 2.5. Soweit die Revision argumentiert, dass die Beeinträchtigung der Klägerin aufgrund ihrer Gehörlosigkeit den Besuch der konkreten Schule erforderlich gemacht habe, ist ihr zu entgegnen, dass der Senat bereits mehrfach darauf hingewiesen hat, dass die Schulpflicht nicht den (weiteren) Besuch einer bestimmten (oder der konkreten) Einrichtung fordert (10 ObS 121/21y Rz 11; 10 ObS 86/24f Rz 11). Dies gilt auch im Fall der Klägerin, mag für sie die Auswahl einer geeigneten Schule auch faktisch eingeschränkt gewesen sein.

[14] 3. Eine erhebliche Rechtsfrage wird somit nicht aufgezeigt. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Rückverweise