JudikaturOGH

9Ob62/25w – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Mag. Martin J. Moser, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei S* S.p.A., *, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 28.950 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert: 8.400 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Februar 2025, GZ 6 R 22/25k 24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 9. Dezember 2024, GZ 5 Cg 55/24y 19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.017,43 EUR (darin 183,47 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb 2015 ein im April desselben Jahres erstzugelassenes, gebrauchtes Wohnmobil um 84.000 EUR. In dem von der Beklagten hergestellten Basisfahrzeug „Fiat Ducato“ ist ein Dieselmotor des Typs F1AE3481E verbaut. Das nach Euro 5b genehmigte Wohnmobil hat eine Leistung von 109 kW und einen Hubraum von 2.287 cm³.

[2] Das Fahrzeug ist mit einem „Thermofenster“ ausgestattet, dessen konkrete Wirkungsweise nicht festgestellt werden kann. Es kann weder festgestellt werden, ob diese Abschalteinrichtung den überwiegenden Teil des Jahres nicht funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, noch, ob keine andere technische Lösung bestanden hat und ob die Abschalteinrichtung ausschließlich notwendig ist, um unmittelbare Risiken für den Motor zu vermeiden, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen.

[3] Der Kläger begehrte schadenersatzrechtliche Preisminderung von 30 % des Kaufpreises samt der Sonderausstattungen, Investitionen und Zubehör iHv insgesamt 28.950 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Im Fahrzeug seien mehrere illegale Abschalteinrichtungen verbaut, ua ein „Thermofenster“, dass dafür sorge, dass die Abschaltung der Abgasreinigungsanlage außerhalb von Außentemperaturen von 20 bis 33 °C erfolge.

[4] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass im Basisfahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 8.400 EUR sA statt und wies das darüber hinausgehende Leistungs- und Zinsenbegehren sowie das Feststellungsbegehren ab. Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, in welchem Temperaturbereich das Thermofenster aktiv sei und ob es unter die Ausnahme des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG falle.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Der Kläger habe den ihn nach herrschender Rechtsprechung (10 Ob 31/24t) treffenden Beweis des Vorliegens einer Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG nicht erbracht. Er habe insbesondere (mangels Stellung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens trotz richterlicher Erörterung) nicht den Beweis angetreten, dass der Einsatz eines Konstruktionsteils, der einen beliebigen Teil des Emissionskontrollsystems aktiviere, verzögere oder deaktiviere (hier das „Thermofenster“), unter den üblichen bzw vernünftigerweise zu erwartenden klimatischen Bedingungen im Unionsgebiet aktiv sei, also die Wirkung des Emissionskontrollsystems beeinträchtige. Die Beklagte habe das Vorliegen eines „illegalen Thermofensters“ auch nicht iSd § 276 ZPO zugestanden.

[7] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht aufgrund eines Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO des Klägers nachträglich zugelassen, weil beim Obersten Gerichtshof in Abgasfällen eine weitergehende Kenntnis von Umständen, insbesondere was die angeblichen Parallelen der Motortypen F1AE3481E und F1AE3481D betreffe, bestehe. Sollte die Behauptung des Klägers in seinem Abänderungsantrag zutreffen, wonach die Motortypen (bis auf die Leistung) ident wären, läge ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot vor.

[8] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils erkennbar im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision des Klägers ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig; sie kann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[11] 1. Gemäß § 269 ZPO bedürfen offenkundige Tatsachen keines Beweises. Auch aufgrund des Ergebnisses einer Mehrzahl gleichartiger Entscheidungen kann eine ursprünglich beweisbedürftige Tatsache gerichtsbekannt iSd § 269 ZPO werden, sodass diese in der Folge keiner neuerlichen Beweisaufnahme bedarf. In diesem Sinne kann auch der Inhalt früherer Entscheidungen verwertet werden. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Einzelfall zutreffen, obliegt der Beurteilung der Tatsacheninstanzen (6 Ob 229/15t Pkt 4.) und stellt daher keine Rechtsfrage dar, die vom Obersten Gerichtshof zu beantworten wäre (vgl 10 Ob 57/16d Pkt 2.3.; RS0040046).

[12] 2. Bloßes unsubstantiiertes Bestreiten ist ausnahmsweise als Geständnis anzusehen, wenn die vom Gegner aufgestellte Behauptung offenbar leicht widerlegbar sein musste, dazu aber nie konkret Stellung genommen wird (RS0039927). Ob in diesem Sinn tatsächliche Behauptungen einer Partei als zugestanden anzusehen seien, hat das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung des gesamten Inhaltes des gegnerischen Vorbringens zu beurteilen (RS0040091). Die Wertung des fehlenden substantiellen Bestreitens als schlüssiges Tatsachengeständnis (§ 267 ZPO) hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0040078 [T4]).

[13] Mit seiner Beurteilung, ein schlüssiges Geständnis der Beklagten zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG liege nicht vor, weil die Beklagte das Vorliegen jeglicher vom Kläger behaupteten „illegalen“ Abschalteinrichtung ausdrücklich bestritten und der Kläger zudem nicht offengelegt habe, wie er zur Behauptung des „Rahmens“ des „Thermofensters“ gelangt sei, ist dem Berufungsgericht kein vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender Fehler unterlaufen. Soweit sich der Revisionswerber mit diesen und weiteren Argumenten des Berufungsgerichts – auch nicht ansatzweise – auseinandersetzt, ist die Rechtsrüge zudem nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043312 [T13]).

[14] 3. Richtig ist, dass das Gericht die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300).

[15] Nach Ansicht des Revisionswerbers habe ihn das Berufungsgericht mit seiner Rechtsansicht, es könne „nicht festgestellt werden, dass das Klagsfahrzeug mit einer Abgas-bzw NOX-Reduktionsstrategie (Verringerung/Abschaltung) ausgestattet sei, welche die Abgasrückführung nach Ende der Typ 1-Prüfung bzw nach einer Fahr- und Betriebszeit des Motors von 22 oder 33 Minuten erheblich reduziert oder überhaupt unterbinde[t]“ und seiner weiteren Auffassung, der Kläger habe den Beweis des Vorliegens einer Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG nicht erbracht und insbesondere zu diesem Beweisthema kein Sachverständigengutachten beantragt, überrascht und dem Kläger die Möglichkeit versagt, Tatumstände und Rechtsansichten vorzubringen, die ihm zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt erheblich erscheinen.

[16] Die damit erkennbar geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (vgl RS0037095 [T11]) liegt schon deshalb nicht vor, weil eine erfolgreiche Geltendmachung der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens als Folge eines Verstoßes gegen die §§ 182, 182a ZPO voraussetzt, dass die Partei die Relevanz des Mangels darlegt und das Unterlassene nachholt (RS0037095 [T19]). Dies ist in der Revision aber unterblieben.

[17] Die Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Das Revisionsinteresse beträgt – wie die Revisionsgegnerin in ihrer Revisionsbeantwortung selbst zutreffend ausführt – 8.400 EUR. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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