9Ob41/25g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei N* GmbH, *, vertreten durch die Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Forsthuber Partner Rechtsanwälte in Baden, wegen Duldung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2025, GZ 18 R 216/24d 25, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 30. September 2024, GZ 18 C 350/24z 19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Stromnetzbetreiberin. Die Beklagte ist Netzkundin der Klägerin. An ihrer Wohnadresse ist ein im Eigentum der Klägerin stehender Ferraris-Zähler verbaut.
[2] Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, den Ausbau dieses Strommessgeräts zum Zweck des Austauschs mit einem digitalen Gerät durch Zutritt zur Messstelle zu dulden.
[3] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren.
[4] Das Erstgericht gab der Klage statt.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten in nichtöffentlicher Sitzung Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Eine Berufungsbeantwortung sei von der Klägerin nicht erstattet worden. Tatsächlich war eine solche fristgerecht eingebracht worden.
[6] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof in Ansehung des zugrundeliegenden, vom Landesgericht St. Pölten gestellten Vorabentscheidungsersuchens und der großen Zahl von anhängigen Parallelverfahren zu.
[7] Mit ihrem – von der Beklagten beantworteten – Rekurs strebt die Klägerin primär die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils an. Sie macht dabei unter anderem als Aktenwidrigkeit die Nichtbeachtung ihrer rechtzeitig erstatteten Berufungsbeantwortung geltend.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.
[9] § 468 Abs 2 ZPO räumt dem Berufungsgegner zwingend das rechtliche Gehör in Form einer Berufungsbeantwortung ein. Nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (§ 503 Z 1 ZPO) ist das angefochtene Urteil und, soweit der Grund der Nichtigkeit das vorangegangene Verfahren ergreift, auch dieses als nichtig aufzuheben, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde (vgl RS0042202). Die Nichtigkeit liegt in diesem Fall in einer Verletzung des rechtlichen Gehörs und wurde etwa auch dann angenommen, wenn das Berufungsgericht über eine Berufung ohne Kenntnis der Berufungsbeantwortung der Gegenpartei entschied (RS0041846; für das Rekursverfahren vgl RS0042158), weil in diesem Fall durch einen ungesetzlichen Vorgang dem Berufungsgegner die Möglichkeit entzogen war, sich am Berufungsverfahren zu beteiligen und ihm auf diese Weise das rechtliche Gehör verweigert wurde.
[10] Das Berufungsgericht hat der Klägerin das Gehör im Berufungsverfahren dadurch entzogen, dass es deren rechtzeitige Berufungsbeantwortung – offenbar aus einem Versehen – unbeachtet ließ. Der Beschluss des Berufungsgerichts ist daher mit Nichtigkeit behaftet. Eine solche Vorgangsweise ist im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit jedenfalls zu korrigieren (vgl 6 Ob 288/04b; 8 Ob 15/12g; 3 Ob 230/17w) und der Beschluss des Berufungsgerichts als nichtig aufzuheben. Das Berufungsgericht wird über die Berufung unter Berücksichtigung der von der Klägerin erstatteten Berufungsbeantwortung neuerlich zu entscheiden haben.
[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO. Da nur die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne ein vorausgegangenes Verfahren aufgehoben wurde, findet § 51 ZPO nicht Anwendung (RS0123067; RS0035870).