5Ob54/24p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Painsi als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Mag. Wurzer sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr, den Hofrat Dr. Steger und die Hofrätin Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei, V*, vertreten durch die Heinisch Weber Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei B* Aktiengesellschaft, FN *, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 5.500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil und die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2023, GZ 3 R 153/23a 22, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2023, GZ 11 Cg 23/23d 15, teilweise als Teilurteil bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das vom Sąd Rejonowy w Koszalinie (Polen) am 3. Februar 2025 eingereichte und zu C 70/25 (EuGH) behandelte Ersuchen auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger ist ein gemäß § 29 Abs 1 KSchG klageberechtigter Verband.
[2] Die Beklagte betreibt das Bankgeschäft. Sie bietet ihre Leistungen, unter anderem solche nach dem Zahlungsdienstegesetz (ZaDiG) 2018, im gesamten Bundesgebiet an. Sie schließt auch Kontoführungsverträge.
[3] Behauptet ein Kunde der Beklagten, eine kontobezogene Zahlung nicht autorisiert zu haben, berichtigt die Beklagte den Kontostand nicht durch eine Rückbuchung der Zahlung, wenn sie der Meinung ist, gegen den Kunden Schadenersatzansprüche wegen eines sorgfaltswidrigen Verhaltens oder sonstige Einwendungen zu haben.
[4] Der Kläger sieht darin unerlaubte Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit Zahlungsdiensten (§ 28a Abs 1 KSchG) und begehrt die Unterlassung dieser Geschäftspraktiken. Gestützt auf die §§ 65–67 ZaDiG 2018 stellte er zwei Hauptbegehren auf Unterlassung und zum ersten Hauptbegehren vier Eventualbegehren sowie ein weiteres Hauptbegehren auf Urteilsveröffentlichung.
[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren und entgegnete, s ie sei dazu berechtigt, die Kontoberichtigung in dem Umfang abzulehnen, in dem ihr Schadenersatzansprüche gegen den Kunden zustehen.
[6] Das Erstgericht gab den beiden Hauptbegehren und dem Urteilsveröffentlichungsbegehren statt. § 67 und § 68 ZaDiG 2018 stünden in einem teleologischen Zusammenhang. Nur wenn der Kunde ganz offensichtlich betrügerisch handle und eine entsprechende Meldung an die FMA erfolge, könne eine Kontoberichtigung unterbleiben. In allen anderen Fällen komme dem Zahlungsdienstleister zwar ein (bei leichter Fahrlässigkeit beschränkter, sonst unbeschränkter) Schadenersatzanspruch zu, den er allerdings aktiv geltend machen müsse. Da die Beklagte die Kontoberichtigung auch dann unterlasse, wenn kein offensichtlicher Betrugsverdacht vorliege und keine Meldung an die FMA erfolge, handle sie rechtswidrig und sei zur Unterlassung zu verpflichten.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil im Umfang des zweiten Hauptbegehrens als Teilurteil und hob es im Übrigen auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands jeweils 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und lies die Revision sowie den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu.
[8] Die in den Unterlassungsbegehren abgebildeten Geschäftspraktiken der Beklagten erfassten in allen Varianten ausschließlich das Vorenthalten der dem Verbraucher zustehenden Berichtigung durch die Beklagte. Eine Ausnahme von der in § 67 Abs 1 ZaDiG 2018 statuierten Berichtigungspflicht des Zahlungsdienstleisters bestünde nach Abs 2 dieser Bestimmung lediglich dann, wenn berechtigte Gründe einen Betrugsverdacht stützten und der Zahlungsdienstleister der FMA unverzüglich eine schriftliche Meldung über den Betrugsverdacht erstatte. Da das zweite Hauptbegehren allein darauf gerichtet sei, dass es die Beklagte unterlasse, das Berichtigungsanliegen des Zahlers mit der Begründung abzulehnen, sie habe gegen ihn einen Schadenersatzanspruch, sei das Ersturteil als Teilurteil zu bestätigen. Demgegenüber sei das erste Unterlassungsbegehren sowohl in der Fassung des Hauptbegehrens als auch in jener der Eventualbegehren unschlüssig und erörterungsbedürftig.
[9] Die Revision und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof seien zulässig, weil (unter anderem) zu der Frage, ob die in der Entscheidung zu 10 Ob 102/15w zu § 44 Abs 1 ZaDiG aF vertretene Ansicht zur Aufrechnung von Schadenersatzansprüchen des Zahlungsdienstleisters gegen den Berichtigungsanspruch des Zahlers auf die Rechtslage nach dem ZaDiG 2018 zu übertragen sei, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
[10] Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten ; gegen dessen Aufhebungsbeschluss haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Rekurs erhoben.
[11] In ihren jeweiligen Rechtsmittelbeantwortungen beantragen die Parteien, den Rechtsmitteln der jeweils anderen Seite keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Das Verfahren über die Revision der Beklagten und die Rekurse der Parteien ist zu unterbrechen.
[13] 1. Die Unterlassungsbegehren des Klägers erfassen in allen Varianten das Vorenthalten der dem Verbraucher zustehenden Berichtigung durch die Beklagte. Dem liegt jeweils die von ihm als unerlaubt beanstandete Geschäftspraktik der Beklagten zugrunde, die eine Rückbuchung der Zahlung verweigert, wenn sie der Meinung ist, gegen den Kunden Schadenersatzansprüche wegen eines (grob) sorgfaltswidrigen Verhaltens oder sonstige Einwendungen zu haben.
[14] Das Sąd Rejonowy w Koszalinie (Polen) hat dem EuGH am 3. Februar 2025 folgende (am 12. Mai 2025 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte) Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Sind die Bestimmungen von Art. 73 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt dahin zu verstehen, dass ein Zahlungsdienstleister die unverzügliche Erstattung des Betrags eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs an einen Zahler verweigern kann, wenn der Zahler durch eine grob fahrlässige Verletzung der in Art. 69 genannten Pflichten einen Schaden infolge des nicht autorisierten Zahlungsvorgangs erlitten hat?“
[15] 2. Die zentrale Bestimmung zur Beurteilung des vom Kläger der Beklagten als unerlaubte Geschäftspraktik angelasteten Verhaltens ist § 67 ZaDiG 2018, der Art 73 der Richtlinie (EU) 2015/2366 umsetzt. Die Auslegung dieser unionsrechtlichen Bestimmung ist damit auch im vorliegenden Verfahren von entscheidender Bedeutung, weil auch der vom Kläger inkriminierten Geschäftspraktik zugrunde liegt, dass die Beklagte die Erstattung im Fall eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs verweigert, wenn sie der Meinung ist, dass dem Zahlungsdienstnutzer eine grob fahrlässige Verletzung seiner Pflichten nach Art 69 der Richtlinie (EU) 2015/2366, der im nationalen Recht mit § 63 ZaDiG 2018 umgesetzt wurde, anzulasten ist und ihr damit Schadenersatzansprüche nach § 68 Abs 3 ZaDiG 2018 (Art 74 Abs 1 der Richtlinie [EU] 2015/2366) zustehen. Von der zu 10 Ob 102/15w zu § 44 Abs 1 ZaDiG aF vertretenen Ansicht, der Zahlungsdienstleister könne mit Schadenersatzansprüchen nach § 44 ZaDiG aF (nunmehr § 68 ZaDiG 2018) aufrechnen, ist der 8. Senat zwar in der Entscheidung zu 8 Ob 106/20a für die Rechtslage nach dem ZaDiG 2018 abgegangen. Ein acte clair liegt – entgegen der Meinung des Klägers – dessen ungeachtet aber schon im Hinblick auf die vor allem im deutschen Schrifttum vertretene Auffassung, Schadensersatzansprüche des Zahlungsdienstleisters gegen den Nutzer, etwa wegen grob fahrlässiger Pflichtverstöße, könnten den Erstattungsanspruch aufheben (dazu etwa BRHP / Schmalenbach , BGB § 675u Rz 14; Ermann / Graf v. Westphalen , BGB, 17. Auflage, § 675u Rn 8; vgl auch Staudinger / Omlor [2020], BGB § 675u Rn 29), nicht vor.
[16] Da der Oberste Gerichtshof von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden hat, ist das Verfahren – der Anregung der Beklagten folgend – aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (vgl RS0110583).