11Os44/25t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Mai 2025 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Rechtspraktikantin Boyer LL.M. (WU), LL.M. als Schriftführerin in der Strafsache gegen * Z* wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB, AZ 34 Hv 76/19t des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss jenes Gerichts vom 10. Oktober 2023 (ON 282) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, sowie der Verteidigerin Mag. Geronta zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 34 Hv 76/19t des Landesgerichts Innsbruck verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 10. Oktober 2023 (ON 282) Art 6 Abs 2 Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf des vorläufigen Absehens vom Vollzug der mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30. August 2019 (ON 47) angeordneten Unterbringung der * Z* gemäß § 21 Abs 2 StGB wird abgewiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck vom 30. August 2019, GZ 34 Hv 76/19t 47, wurde die am 16. Juni 1999 geborene * Z* eines (am 26. März 2019 begangenen) Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt sowie gemäß § 21 Abs 2 StGB (idF vor BGBl I 2022/223) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Die vorbeugende Maßnahme wurde gemäß § 45 Abs 1 StGB (idF vor BGBl I 2022/223) unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren bedingt nachgesehen.
[2] Mit zugleich ergangenem Beschluss (§ 494 Abs 1 StPO) wurden der Genannten überdies mehrere Weisungen (§§ 50, 51 StGB) erteilt.
[3] Über Antrag der Staatsanwaltschaft vom 26. September 2023 (ON 279 S 8) widerrief das Landesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 10. Oktober 2023 (ON 282) das vorläufige Absehen vom Vollzug der vorbeugenden Maßnahme.
[4] Zur Begründung ging es zusammengefasst davon aus, dass sich die erteilten Weisungen als unzureichend erwiesen hätten und auch durch deren Änderung oder Ergänzung der Gefahr, derentwegen die strafrechtliche Unterbringung angeordnet worden sei, nicht hinreichend entgegengewirkt werden könne (BS 4).
Rechtliche Beurteilung
[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[6] Zwischen dem Zeitpunkt der Fällung des erwähnten Urteils und dem Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen Widerrufsbeschlusses ist das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 BGBl I 2022/223 (MVAG 2022) in Kraft getreten.
[7] Gemäß Art 6 Abs 2 zweiter Satz MVAG 2022 sind auf Betroffene, deren Unterbringung im Zeitpunkt des Inkrafttretens jenes Gesetzes – wie hier – gemäß (dem zugleich aufgehobenen) § 45 Abs 1 StGB aF bedingt nachgesehen ist, die (neu geschaffenen) §§ 157a ff StVG anzuwenden.
[8] Daraus folgt zunächst, dass – wie das Landesgericht Innsbruck an sich zutreffend erkannt hat – die Erfüllung der Kriterien des § 157f StVG jedenfalls Voraussetzung für den Widerruf war.
[9] Zusätzlich ist der zweite Satz des Art 6 Abs 2 MVAG 2022 jedoch mit dem ersten Satz dieser Bestimmung (hierzu 13 Os 12/24z [insbesondere Rz 7 und 10 f] EvBl 2024/276, 951 [ Ratz ]) systematisch verschränkt, nämlich dahin auszulegen, dass bei (nach altem Recht gewährter) bedingter Nachsicht der Unterbringung ein Widerruf (§ 157f StVG) auch dann ausscheidet, wenn der Betroffene nach den Bestimmungen des MVAG 2022 überhaupt nicht untergebracht werden dürfte (vgl VfGH 29. 11. 2024, G 113/2024 [Rz 36 ff]).
[10] Auf der Tatsachenbasis (BS 1 f) des angefochtenen Beschlusses ist gerade dies hier der Fall:
[11] Nach § 21 Abs 3 StGB können Anlass einer strafrechtlichen Unterbringung Taten sein, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Wurde die Tat jedoch vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen, kann sie gemäß § 19 Abs 2 JGG iVm § 5 Z 6b JGG – anders als nach der Gesetzeslage vor BGBl I 2022/223 – nur dann Anlass einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 21 StGB sein, wenn für sie nach den allgemeinen Strafgesetzen lebenslange Freiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zehn Jahren angedroht ist (siehe dazu Schroll/Oshidari in WK 2 JGG § 5 Rz 59 und 12 Os 124/23m [Rz 8]).
[12] Die dem Einweisungserkenntnis (ON 47) zugrundeliegende Tat ist nach § 107 Abs 2 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht. Demzufolge hätte die zur Tatzeit 19 jährige Betroffene nach den erwähnten Bestimmungen des MVAG 2022 (§ 19 Abs 2 JGG iVm § 5 Z 6b JGG) überhaupt nicht untergebracht werden dürfen.
[13] Indem der angefochtene Beschluss dennoch den Widerruf aussprach, verletzte er – nach dem zuvor Gesagten – Art 6 Abs 2 MVAG 2022.
[14] Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung der Betroffenen zum Nachteil gereicht, war ihre Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
[15] Vom aufgehobenen Beschluss rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichermaßen als beseitigt (RIS Justiz RS0100444; Ratz , WK StPO § 292 Rz 28).