23Ds1/24k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 26. Februar 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Mag. Stolz und Dr. Müller als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Müller BSc in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 5. Juni 2023, AZ D 21-30-27, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter-Longitsch LL.M. sowie der Verteidigerin Mag. Noha, LL.M., zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im schuldigsprechenden Teil, demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch der Verpflichtung zum anteiligen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der * Rechtsanwaltskammer verwiesen.
Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, in Abwesenheit des Beschuldigten ergangenen ( § 35 DSt) Erkenntnis, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde Rechtsanwalt * der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er als Kläger (ES 2) im Verfahren AZ * des Landesgerichts * durch folgende Äußerung in seinem Schriftsatz vom 21. Mai 2021 den Beklagtenvertreter Rechtsanwalt * persönlich angegriffen und dadurch gegen § 21 Abs 1 RL BA 2015 verstoßen hat: „ Der Beklagtenvertreter * hat in wohl vorsätzlicher und disziplinärer, jedenfalls massiver unkollegialer Art und Weise das Gericht veranlasst, die nächste Verhandlung genau in den ihm bekannten Urlaubszeitraum bzw Abwesenheitszeitraum der klagenden Partei und des Klagevertreters zu verlegen. “
[2] Er wurde hierfür zu einer Geldbuße in Höhe von 2.500 Euro verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die – auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a, 9 lit b, 10 und 11 StPO relevierende (vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung des B eschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe .
[4] Ihr kommt schon aus dem Grunde des § 281 Abs 1 Z 4 StPO Berechtigung zu.
[5] § 21 Abs 1 RL-BA 2015 verpflichtet den Rechtsanwalt zum kollegialen Umgang, zur Sachlichkeit und zur Korrektheit im Umgang mit anderen Rechtsanwälten im Interesse einer sachlichen Arbeit und der Wahrung von Ehre und Ansehen des Standes ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek , RAO 11 § 21 RL BA 2015 Rz 2). Unzulässig sind unsachliche, polemische oder beleidigende Äußerungen in Bezug auf die berufliche Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse des gegnerischen Rechtsanwalts ebenso wie leichtfertige, ohne eingehende Prüfung sowie ohne entsprechende rechtliche und tatsächliche Anhaltspunkte gegen den anderen Rechtsanwalt erhobene Vorwürfe. Die Standespflicht des § 21 RL-BA 2015 ist zwar st reng auszulegen, soll aber nicht sachliche, in der gebotenen Form geäußerte Kritik durch einen anderen Standesangehörigen verhindern, wobei das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) Zurückhaltung bei der Beurteilung als standeswidrig erfordert und deswegen auch ein möglicher Wortüberschwang tolerabel sein kann ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 21 RL BA 2015 Rz 5, 7, 9 und 10; Csoklich/Scheuba , Standesrecht der Rechtsanawälte 4 , S 89 je mwN).
[6] Nach den Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats (ES 2 f) brachte Rechtsanwalt * als Beklagtenvertreter im Verfahren AZ * des Landesgerichts * am 19. Mai 2021 folgende Vertagungsbitte ein: „Der Beklagtenvertreter hat versucht, die Verlegung mit dem Kläger (Beschuldigter) zu erörtern, leider hat der Beklagtenvertreter den Kläger persönlich nicht erreicht. Aus diesem Grund hat der Beklagtenvertreter dem Sekretariat des Klägers mitgeteilt, dass das Gericht bereit wäre auf einen der Dienstage ab der 37. Kalenderwoche, sohin 14., 21. oder 28. September zu verlegen, woraufhin der Beklagtenvertreter am 19. Mai 2021 vom Sekretariat des Klägers lediglich die Auskunft ausgerichtet erhielt, dass der Kläger einer Vertagung nicht zustimme, da er, ... Den ganzen Sommer auf Urlaub ...“ sei. „Offenbar findet es der Kläger nicht der Mühe wert, direkt mit dem Beklagtenvertreter zu korrespondieren, sodass eine Koordinierung eines Ersatztermins nicht möglich ist für den Beklagtenvertreter.“
[7] Das Gericht verlegte daraufhin die Verhandlung auf den 14. September 2021. Der Beschuldigte brachte sodann (als Kläger) am 21. Mai 2021 eine eigene Vertagungsbitte ein, in der er unter anderem Folgendes ausführte: „ Der Beklagtenvertreter * hat in wohl vorsätzlicher und disziplinärer, jedenfalls massiv unkollegialer Art und Weise das Gericht veranlasst, die nächste Verhandlung genau in den ihm bekannten Urlaubszeitraum bzw Abwesenheitszeitraum der klagenden Partei und des Klagevertreters zu verlegen. “
[8] Der Disziplinarrat ging in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass dieser vom Beschuldigten gegenüber dem gegnerischen Rechtsanwalt * erhobene Vorwurf, Letztgenannter habe vorsätzlich die Verlegung der Verhandlung genau „ in den Urlaubszeitraum “ des Beschuldigten beantragt und veranlasst, sachlich nicht gerechtfertigt und objektiv unrichtig war, weil zwei der von * vorgeschlagenen Termine bereits im Herbst und nicht mehr im Sommer lagen (ES 4), und bejahte damit implizit die inhaltliche Richtigkeit der Ausführungen des * in dessen Vertagungsbitte .
[9] Der Beschuldigte hatte sich in seiner Stellungnahme (vgl § 35 erster Satz DSt) vom 2. Juni 2023 (auch) dahingehend verantwortet, dass seine damalige Rechtsanwaltsanwärterin * dem Beklagtenvertreter Rechtsanwalt * im Telefonat vom 19. Mai 2021 mitgeteilt habe, dass sich der Beschuldigte „praktisch den ganzen September 2021 (nicht 'Sommer', wie in der Disziplinaranzeige unrichtigerweise behauptet wurde) im Ausland befinde und daher im September jedenfalls keine Verhandlung wahrnehmen könne“ (ON 22 S 2). Dazu hatte er einen – in der mündlichen Disziplinarverhandlung verlesenen (ON 25 S 2), im Erkenntnis allerdings unerörtert gebliebenen – Aktenvermerk der Genannten über dieses am 19. Mai 2021 geführte Telefonat (Blg ./B zu ON 22) vorgelegt und die Vernehmung von * als Zeugin begehrt (S 8 der Stellungnahme ON 22).
[10] Zu Recht kritisiert die Verfahrensrüge (Z 4) – der Sache nach – die Abweisung des in der mündlichen Disziplinarverhandlung am 5. Juni 2023 von der Verteidigerin – noch deutlich und bestimmt gestellten (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 309 ff) – Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung der Rechtsanwaltsanwärterin * zum Beweis dafür, dass sie dem Beklagtenvertreter anlässlich der telefonischen Kontaktaufnahme mitgeteilt habe, „dass sich der Disziplinarbeschuldigte den gesamten September 2021 auf Urlaub befinde“ (S 3 der Niederschrift ON 25).
[11] Die begehrte Beweisführung über den Inhalt der dem Beklagtenvertreter am 19. Mai 2021 seitens der Kanzlei des Beschuldigten telefonisch erteilten Information über den Zeitraum dessen Abwesenheit ist für die Beurteilung des Vorliegens entsprechender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Richtigkeit und der sachlichen Begründetheit des vom Beschuldigten gegen den Rechtsanwalt * erhobenen Vorwurfs und somit für die Lösung der Schuldfrage von Bedeutung. Durch das Unterbleiben der Beweisaufnahme wurden daher Verteidigungsrechte des Beschuldigten verletzt.
[12] Diese Nichtigkeit erfordert die Aufhebung des Disziplinarerkenntnisses im angefochtenen Umfang.
[13] Ein Eingehen auf das weitere Berufungsvorbringen erübrigt sich daher.
[14] Es war sohin – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Stattgebung der Berufung das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der * Rechtsanwaltskammer zurückzuverweisen (§ 54 Abs 2 DSt).
[15] Mit seiner Berufung im Übrigen war der Beschuldigte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.