1Ob198/24k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V* GmbH, *, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Mag. Klaus Hanten, Mag. Clemens Kurz, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei G* Inhaberin *, Deutschland, *, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in Wien, wegen 101.587,68 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. März 2023, GZ 11 R 58/23i 16, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Februar 2023, GZ 16 Cg 131/22k 11, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Das mit Beschluss vom 13. Juli 2023, 1 Ob 73/23a, gemäß § 90a GOG ausgesetzte Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.
II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.842,15 EUR (darin enthalten 973,69 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens einschließlich des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die klagende Gesellschaft mit Sitz in Wien ist im Geschäfts zweig IT Dienstleistungen tätig. Die Beklagte ist in Deutschland ansässig. Die Klägerin entwickelte für die Beklagte eine Software zur Ermöglichung der Auswertung von Corona-Tests nach den Vorgaben des deutschen Gesetzgebers und für den Einsatz in deutschen Testzentren . Gegenstand des Vertrags war die ursprüngliche und laufende Entwicklung und der laufende Betrieb der Software in Deutschland. Die Parteien schlossen keinen schriftlichen Vertrag ab und vereinbarten weder einen Gerichtsstand noch einen Erfüllungsort.
[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung eines offenen Honorars von gesamt 101.587,68 EUR s A für den Leistungszeitraum 1. Jänner 2022 bis 3. Juni 2022. Sie stützte die Zuständigkeit de s angerufenen Gericht s auf Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012, weil die Dienstleistungen im Sinn des Vertrags in Wien erbracht worden seien und erbracht werden sollten. Die Software sei speziell für die individuellen Bedürfnisse der Beklagten angepasst und weiterentwickelt worden. Die Software sei zwar für den deutschen Gebrauch laufend angepasst worden, sämtliche Arbeiten seien aber in Wien erbracht worden.
[3] Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Da charakteristische Leistung der Einsatz der Abwicklungssoftware nach Vorgaben des deutschen Gesetzgebers in Deutschland für deutsche Probanden gewesen sei, sei für alle Klagen aus dem Vertrag der Sitz der Beklagten der maßgebliche Erfüllungsort.
[4] Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Für die Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO 2012 sei zu prüfen, wo im konkreten Fall die vertragscharakteristischen Leistungen liegen würden. Sofern man bei der Erstellung einer – wie hier – extra für die Bedürfnisse des Vertragspartners konzipierten Software, die ständig weiterentwickelt werden solle, überhaupt von einer beweglichen Sache sprechen könne, sei der Erfüllungsort aufgrund der Charakteristika des Kaufgegenstands Deutschland gewesen.
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
[6] Im vorliegenden Fall sei nicht von einem Kaufvertrag beweglicher Sachen (Art 7 Nr 1 lit b erster Gedankenstrich EuGVVO 2012), sondern von der „Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinn des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 auszugehen, zumal die Software speziell für die individuellen Bedürfnisse der Beklagten angepasst und weiterentwickelt werden und den Vorgaben des deutschen Gesetzgebers entsprechen sollte. Erfüllungsort bei der Erbringung von Dienstleistungen sei gemäß Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 der Ort, an dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht worden sei oder hätte erbracht werden müssen. Dagegen sei der Ort, an dem die Dienstleistung Erfolge zeitigen solle, zuständigkeitsrechtlich ohne Bedeutung. Bei synallagmatischen Verträgen sei die nicht in Geld bestehende Leistung die jeweilige den Vertrag prägende Leistung. Beziehe sich die Dienstleistung auf einen bestimmten Ort, wie zB alle auf ein bestimmtes Bauwerk gerichteten Dienstleistungen, dann sei der Erfüllungsort der Ort, auf den sich die Dienstleistung beziehe, auch wenn eine Dienstleistung an einem anderen Ort erbracht worden sein sollte. Nicht ortsbezogene Dienstleistungen würden dort erbracht, wo sie den (richtig:) Gläubiger der Dienstleistung erreichten.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin , der darauf abzielt, die Beschlüsse der Vorinstanzen zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
[8] In ihrer (vom Obersten Gerichtshof freigestellten) Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Zu I.: Mit Beschluss vom 13. 7. 2023, 1 Ob 73/23a, legte der Senat die hier klärungsbedürftige Frage zur internationalen (örtlichen) Zuständigkeit dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung vor und setzte das Revisionsrekursverfahren bis zum Einlangen der Vorabentscheidung aus. Mit Urteil vom 28. 11. 2024 hat der EuGH die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsrekursverfahren ist daher fortzusetzen.
[10] Zu II.: Der Revisionsrekurs ist zulässig , nach dem Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens aber nicht berechtigt.
[11] 1. Der EuGH hat mit Urteil vom 2 8 . 11. 2024, C 526 /23, ECLI:EU:C:2024:985, das Vorabentscheidungsersuchen des Senats wie folgt beantwortet:
„Art 7 Nr 1 Buchst b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass 'Erfüllungsort' eines Vertrags über die Entwicklung und den anschließenden Betrieb einer Software, die auf die Bedürfnisse eines Bestellers ausgerichtet ist, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als das für die Schöpfung, Erstellung und Programmierung dieser Software verantwortliche Unternehmen, der Ort ist, an dem die Software den Besteller erreicht, also abgerufen und eingesetzt wird.“
[12] Aufgrund der Vorabentscheidung des EuGH ist für den Anlassfall geklärt, dass eine Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien nach Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 nicht besteht, weil die Beklagte die Software in Deutschland abgerufen und eingesetzt hat. Da her haben die Vorinstanzen die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte zu Recht verneint.
[13] 2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.