2Ds5/24v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 2. Oktober 2024 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer und Mag. Wurzer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Wessely Kristöfel in Gegenwart der Schriftführerin RiAA Mag. Wachter im Disziplinarverfahren gegen den Richter des Bezirksgerichts * über die Berufungen des Disziplinaranwalts und des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts Graz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 18. April 2024, GZ 112 Ds 3/23f 27, nach mündlicher Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Mag. Bauer, des Beschuldigten und dessen Verteidigers Mag. Preisinger zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Der Beschuldigte hat die mit 300 Euro bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschuldigte eines Dienstvergehens (§ 101 Abs 1 RStDG ) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er als Richter des Bezirksgerichts *
I. seine in § 57 Abs 1 RStDG normierten Pflichten, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen und die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, dadurch verletzt, dass er – trotz Begleitung und seit Jahren intensivierter Kontrolle durch die Dienstaufsicht –
A. zumindest von 20. März 2023 bis 7. Juni 2023 eine Vielzahl von C und U Akten in seinem Arbeitszimmer oder an einem anderen Ort außerhalb der Kanzlei verwahrte, ohne eine zeitnahe adäquate Bearbeitung sicherzustellen und einen Überblick über den genauen Auffindungsort, die erforderlichen nächsten Verfahrensschritte und die nicht eingeordneten Priusstücke zu haben, wobei im Zuge der gehäuften stoßweisen Bearbeitung von Akten fehlerhafte Erledigungen erfolgten, so zB „indem er am 12. April 2023 im Verfahren AZ 32 U 93/22z eine Endverfügung in Bezug auf einen Freispruch erließ, obwohl ein Schuldspruch erfolgte, und am 11. Mai 2023 im Verfahren AZ 32 U 61/22v eine Hauptverhandlung trotz vorangegangener Bewilligung einer Diversion anberaumt und im Verfahren AZ 6 C 849/21y die Zustellung des Sachverständigengutachtens nicht verfügt wurde“;
B. in 15 im Erkenntnis näher bezeichneten Verfahren über einen unangemessen langen Zeitraum hinweg keine Erledigungen vornahm;
II. entgegen seiner Verpflichtung nach § 57 Abs 2 RStDG , den dienstlichen Anordnungen von Vorgesetzten Folge zu leisten, ihm von der Vorsteherin des Bezirksgerichts erteilten Berichtsaufträgen nicht oder erst verspätet nach Urgenz entsprochen, indem er im Februar, März, April und Mai 2023 keine Berichte zu den sich aus den monatlichen Prüflisten ergebenden berichtspflichtigen Akten erstellte, eine ihm am 28. Februar 2023 von der Vorsteherin des Bezirksgerichts bis 17. März 2023 aufgetragene Stellungnahme erst nach Urgenz am 22. März 2023 erstattete und eine ihm am 24. März 2023 aufgetragene binnen einer Woche zu erstattende Stellungnahme zumindest bis 7. Juni 2023 nicht vorlegte und
III. entgegen seiner Verpflichtung nach § 57 Abs 3 RStDG , sich im und außer Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen seines Berufsstandes nicht gefährdet wird, am 10. März 2023 für Dritte wahrnehmbar in unmittelbarer Nähe des Gerichtsgebäudes im Freien urinierte.
[3] Gemäß § 104 Abs 1 lit b RStDG wurde ü ber ihn eine Geldstrafe in der Höhe von drei Monatsbezügen verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen den Strafausspruch dieses Erkenntnisses richten sich die Berufungen des Disziplinaranwalts, der die Verhängung einer strengeren Disziplinarstrafe begehrt, sowie des Beschuldigten, der eine mildere Disziplinarstrafe anstrebt.
[5] Für die Strafbemessung ist die Art und Schwere der Pflichtverletzung maßgebend, wobei auch auf Erwägungen der Spezial und Generalprävention Rücksicht zu nehmen ist (2 Ds 2/19w mwN). Diesen Kriterien Rechnung tragend hat das Disziplinargericht erster Instanz die Strafzumessungsgründe im Wesentlichen zutreffend dargestellt.
[6] Erschwerend zu werten waren demnach die am 23. November 2022 zu AZ 112 Ds 15/21t erfolgte disziplinargerichtliche Verurteilung wegen im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahrensstillstände und Verzögerungen und der folgende rasche Rückfall in einschlägige, insuffiziente Arbeits- und Verhaltensmuster. Ungeachtet der rechtlichen Zusammenfassung zu einem Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG waren auch die Wiederholung und die Vielzahl der Verfehlungen erschwerend zu berücksichtigen, weil sie das für eine Qualifikation zum Dienstvergehen erforderliche Ausmaß deutlich übersteigen (RIS-Justiz RS0132730). Gleiches gilt für die Kumulierung von Pflichtverletzungen verschiedener Art, die jeweils für sich allein geeignet waren, ein Dienstvergehen zu verwirklichen.
[7] Mildernd hingegen waren das Bemühen des Beschuldigten, eine Konsolidierung herbeizuführen, und eine ab Mitte 2023 tatsächlich eingetretene Besserung der Situation. Mag diese auch zu einem guten Teil auf unterstützende Maßnahmen durch die Justizverwaltung zurückzuführen sein, kann von einer zur Vorverurteilung deutlich negativeren Prognose, wie sie die Berufung des Disziplinaranwalts behauptet, beim derzeitigen Stand der Dinge nicht ausgegangen werden.
[8] Dem vom Beschuldigten ins Treffen geführten Geständnis kommt hingegen im Hinblick auf die von der Justizverwaltung gründlich aufgearbeitete Sachverhaltsgrundlage kein wesentliches Gewicht zu, zumal seinen „Erklärungen“ für das Fehlverhalten auch die Einsicht in die eigenen Unzulänglichkeiten fehlte (vgl ON 26 S 3 ff).
[9] Insgesamt erweist sich – auch unter Berücksichtigung der Vielzahl der Dienstpflichtverletzungen innerhalb kurzer Zeit und Bedachtnahme auf die Auswirkungen der Verzögerungen auf die betroffenen Verfahrensparteien – die vom Disziplinargericht erster Instanz gefundene Sanktion als tat - und schuldangemessen und – mit Blick auf gezeigte positive Tendenz und in Erwartung deren Bestätigung – keiner Korrektur bedürftig.
[10] Den Berufungen war daher keine Folge zu geben.
[11] Die E ntscheidung nach § 137 Abs 2 iVm § 140 Abs 3 letzter Satz RStDG ist im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof und den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschuldigten begründet .