9ObA36/24w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Gahleitner Rechtsanwältin GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.565,75 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2024, GZ 10 Ra 108/23k 21, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 8. Mai 2023, GZ 7 Cga 95/22y 15, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 453,17 EUR (darin enthalten 75,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand von 27. 10. 2021 bis 31. 1. 2022 ein befristetes Dienstverhältnis, das durch Zeitablauf endete. Die Beklagte verfügt über die Gewerbeberechtigung zur Arbeitskräfteüberlassung und überlässt ihre Arbeitnehmer innerhalb des Postkonzerns an andere Konzernunternehmen. Der Kläger wurde von der Beklagten an die Österreichische Post Aktiengesellschaft (ÖPAG) als Logistikmitarbeiter überlassen und entsprechend dem Kollektivvertrag für Bedienstete der ÖPAG gemäß § 19 Abs 3 PTSG (Post KV) entlohnt.
[2] Die ÖPAG hält 98,8 % der Geschäftsanteile der Beklagten. Mit der Vereinbarung über den Teilbetriebsübergang zwischen der ÖPAG und der Beklagten wurde die Übertragung des Teilbetriebs „überregionale/Gebietsspringer“ des Segments Corporate festgelegt. Geschäftsgegenstand des Teilbetriebs war die Aufnahme und der Einsatz von „überregionalen Gebietsspringern“, die bei Personalengpässen oder Spitzenkapazitätsauslastungen zum Einsatz gebracht wurden. Der Betriebsübergang wurde tatsächlich vorgenommen und die Beklagte führt diesen Geschäftszweck weiter.
[3] Der Kläger begehrt die Entgeltdifferenz, die sich daraus ergebe, dass er unterkollektivvertraglich entlohnt worden sei. Infolge Zugehörigkeit der Beklagten zur Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister sei der Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) anzuwenden. Der Post KV gelte für die Beklagte nicht, weil § 19 Abs 3 des Bundesgesetzes über die Einrichtung und Aufgaben der Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft (Poststrukturgesetz - PTSG) dessen Anwendungsbereich auf die in § 17 Abs 1a PTSG angeführten Tochterunternehmen beschränke und es sich bei der Beklagten nicht um ein in dieser Bestimmung angeführtes Tochterunternehmen handle.
[4] Die Beklagte bestreitet und bringt vor, sie sei ein Tochterunternehmen der ÖPAG, das im Weg der Rechtsnachfolge (Einbringung) aus dieser hervorgegangen sei. Ihre Kollektivvertragsangehörigkeit richte sich daher nicht nach den allgemeinen Regeln des ArbVG, sondern nach den Sonderbestimmungen des § 19 Abs 3 PTSG iVm § 17 Abs 1a PTSG. Dem Post KV komme gemäß § 6 ArbVG Vorrang gegenüber anderen Kollektivverträgen zu. Die Tochterunternehmen seien in § 17 Abs 1a PTSG nicht im Einzelnen angeführt, sondern insofern generell umschrieben, als sie als Unternehmen, die durch Rechtsnachfolge oder Umgründung aus den in der Aufzählung genannten Unternehmen hervorgegangen seien, definiert würden.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte sei im Wege der Rechtsnachfolge aus der ÖPAG hervorgegangen, sodass sie zu den in § 17 Abs 1a angeführten Tochterunternehmen der ÖPAG zähle. Gemäß § 19 Abs 3 PTSG gelte daher auch für den Kläger der Post KV.
[6] Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge. Gemäß § 1 Post KV gelte dieser für alle Mitarbeiter/innen, deren Arbeitsverhältnis entweder zur Österreichischen Post AG oder zu einem ihrer Tochterunternehmen gemäß § 17 Abs 1a PTSG ab Inkrafttreten des Post KV begründet werde.
[7] Mit § 17 Abs 1a PTSG sei der einfache Dienstrechtsgesetzgeber ermächtigt worden, für den „PT Konzern“ zur Dienstleistung zugewiesene Beamte dienstrechtliche Sonderregelungen zu treffen. Diese sollten sich auf den gesamten „PT Konzern“ und nicht nur auf einzelne seiner Unternehmen beziehen, daher auch auf alle Rechtsnachfolger der ÖPAG und auf Unternehmen, die durch Maßnahmen der Umgründung im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsrechts aus der ÖPAG hervorgegangenen seien. Mit der allgemein gehaltenen Umschreibung anstelle einer namentlichen Aufzählung werde vermieden, dass jede gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung eine Gesetzesänderung mit sich zu bringen habe. Die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen nähmen auch nicht auf einen bestimmten Unternehmensgegenstand der Tochtergesellschaft Bezug. Der Unternehmensgegenstand der ÖPAG umfasse gemäß § 2 Abs 1 Z 6 PTSG aber ohnehin auch „andere kommerzielle Leistungen für Dritte oder zusammen mit Dritten, soweit dadurch die übrigen Aufgaben nicht beeinträchtigt würden“. Daher sei auch die Beklagte als Tochtergesellschaft der ÖPAG vom Anwendungsbereich des Post KV erfasst. Auf das Dienstverhältnis des Klägers sei daher der Post KV anzuwenden, weshalb die Klage zu Recht abgewiesen worden sei.
[8] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil die zu beurteilende Rechtsfrage in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe.
[9] Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, sie dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[12] 1. Der Kollektivvertrag für Bedienstete der Österreichischen Post AG, gemäß § 19 Abs 3 Poststrukturgesetz (PTSG) abgeschlossen zwischen der Österreichischen Post AG als Arbeitgeber/in und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten, als Arbeitnehmer/innenvertretung (Post KV), gilt nach seinem § 1 lit c für Mitarbeiter/innen, deren Arbeitsverhältnis entweder zur Österreichischen Post AG oder zu einem Tochterunternehmen gemäß § 17 Abs 1a PTSG ab Inkrafttreten dieses Kollektivvertrags begründet wird.
2. § 19 Abs 3 PTSG idgF lautet:
„Die Österreichische Post Aktiengesellschaft und die Telekom Austria Aktiengesellschaft sind als Arbeitgeber, solange die Österreichische Industrieholding Aktiengesellschaft direkt einen Anteil von mehr als 25% an diesen Gesellschaften hält, und der Österreichische Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Post und Fernmeldebediensteten als Arbeitnehmervertreter kollektivvertragsfähig. Der jeweilige Kollektivvertrag gilt auch für Arbeitnehmer der in § 17 Abs. 1a angeführten Tochterunternehmen der Österreichischen Post Aktiengesellschaft und der Telekom Austria Aktiengesellschaft. Der Kollektivvertrag der Österreichischen Post Aktiengesellschaft gilt auch für Arbeitnehmer der Gebühren Info Service GmbH. Der Kollektivvertragsfähigkeit der Österreichischen Post Aktiengesellschaft und der Telekom Austria Aktiengesellschaft kommt im Verhältnis zur Kollektivvertragsfähigkeit anderer Interessenvertretungen oder Berufsvereinigungen der Arbeitgeber Vorrang gemäß § 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974, in der geltenden Fassung zu.“
§ 17 Abs 1a PTSG idgF lautet:
„Die gemäß Abs. 1 zugewiesenen Beamten werden, wenn sie überwiegend im Unternehmensbereich
1. der Gebühren Info Service GmbH oder der Österreichischen Post Aktiengesellschaft beschäftigt sind, letzterer,
2. der Telekom Austria Aktiengesellschaft beschäftigt sind, dieser, oder
3. der Österreichischen Postbus Aktiengesellschaft beschäftigt sind, dieser
auf die Dauer ihres Dienststandes zur Dienstleistung zugewiesen. Eine Verwendung der zugewiesenen Beamten bei einer Rechtsnachfolgerin eines dieser Unternehmen oder bei einem Unternehmen, das durch Maßnahmen der Umgründung im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsrechts aus einer der Gesellschaften hervorgegangenen ist, sowie bei der Gebühren Info Service GmbH ist zulässig.“
[13] 3. Entgegen der Ansicht des Klägers bezieht sich der Verweis des § 19 Abs 3 PTSG nicht auf die in § 17 Abs 1a PTSG namentlich genannten Gesellschaften, da es sich bei diesen entweder um die in § 19 Abs 3 PTSG ohnehin ausdrücklich genannten (Mutter )Unternehmen handelt bzw hinsichtlich der Postbus Aktiengesellschaft um kein Tochterunternehmen. Auch für die Gebühren Info Service GmbH wird bereits in § 19 Abs 3 PTSG ausdrücklich die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags der Österreichischen Post Aktiengesellschaft angeordnet. Damit wäre auch für sie, unabhängig davon, ob es sich bei ihr früher noch um ein Tochterunternehmen gehandelt hat, ein Verweis auf § 17 Abs 1a PTSG nicht erforderlich gewesen.
[14] Damit kann sich der Verweis in § 19 Abs 3 PTSG aber richtigerweise nur auf die in § 17 Abs 1a PTSG nicht namentlich genannten („angeführten“), sondern nur allgemein umschriebenen Tochterunternehmen beziehen, die Rechtsnachfolger eines dieser namentlich genannten Unternehmen sind oder durch Maßnahmen der Umgründung im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsrechts aus einer der Gesellschaften hervorgegangen sind.
[15] Es ist damit nicht richtig, wie die Revision meint, dass das Gesetz keine Regelung enthält, welche Tochterunternehmen dem jeweiligen Firmen KV unterliegen sollen. Zwar hat § 17 Abs 1a PTSG grundsätzlich einen anderen Regelungsgegenstand, nämlich die Überlassung von Beamten. Das hindert aber nicht, dass die dort verwendete Begrifflichkeit auf die in § 19 Abs 3 PTSG genannten Tochterunternehmen übertragen werden kann.
[16] 4. Aus der historischen Darstellung der Entwicklung von § 19 Abs 3 PTSG in der Revision ist für den Kläger letztlich nichts zu gewinnen. Zu der von der Revision angeführten Einschränkung im Hinblick auf die Kollektivvertragsfähigkeit ergibt sich aus den Materialien, dass damit eine allzu breite Aufsplitterung der Kollektivvertragsfähigkeit auch auf kleinere Unternehmen verhindert und gleichzeitig die Möglichkeit der Kollektivvertragsfähigkeit allenfalls weiterer durch Umgründung entstehender direkter Tochterunternehmen der Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft eröffnet werden sollte (AB 2025 BlgNR 20. GP 3). Beabsichtigt war daher zwar einerseits eine Konzentration der Kollektivvertragsfähigkeit auf die Muttergesellschaften, aber zugleich ein einheitliches Kollektivvertragsregime für Mutter und Tochtergesellschaften.
[17] Dass § 17 Abs 1a PTSG von „angeführten“ Tochterunternehmen spricht, mag zwar zunächst auf die namentlich genannten Unternehmen hindeuten, diese sind aber wie dargelegt, keine Tochterunternehmen, weshalb der Verweis letztlich nur im zuvor aufgezeigten Sinn verstanden werden kann. Auch diese Unternehmen sind in § 17 Abs 1a letztlich „angeführt“, wenn auch nicht namentlich genannt. Dies ist auch im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen und der damit erreichten Flexibilität der gesetzlichen Regelung, sinnvoll und nachvollziehbar, was bei Überlassung von Arbeitnehmern innerhalb des Konzerns nicht zweifelhaft ist.
[18] 5. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass der Verweis in § 19 Abs 3 PTSG sich nicht auf die in § 17 Abs 1a PTSG namentlich genannten Unternehmen bezieht sondern auf Rechtsnachfolger dieser Unternehmen oder auf durch Maßnahmen der Umgründung im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsrechts aus einer der Gesellschaften hervorgegangene Unternehmen.
[19] 6. Mit den allgemein gehaltenen Ausführungen zum Ausnahmecharakter von Firmenkollektivverträgen zeigt die Revision nicht auf, aus welchen Gründen die Anwendbarkeit des PTSG im konkreten Fall unzulässig sein soll.
[20] Ausgehend von der Definition des Unternehmensgegenstands in § 2 Abs 1 PTSG ermächtigt § 2 Abs 2 PTSG die Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft ausdrücklich zu allen Maßnahmen, die im Hinblick auf den übertragenen Unternehmensgegenstand notwendig oder nützlich erscheinen, insbesondere zur Errichtung von Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften im In und Ausland, zur Beteiligung an anderen Unternehmen sowie zur Durchführung von Umstrukturierungen durch Maßnahmen der Umgründung im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsrechts.
[21] Bereits daraus ergibt sich aber, dass damit die wirtschaftliche Tätigkeit den übertragenen Unternehmens-gegenstand beinhalten und für ihn zumindest nützlich sein muss.
[22] 7. Nach den Feststellungen hält die ÖPAG 98,8 % der Geschäftsanteile der Beklagten. Mit der Vereinbarung über den Teilbetriebsübergang zwischen der ÖPAG und der Beklagten wurde die Übertragung des Teilbetriebs „überregionale/Gebietsspringer“ des Segments Corporate festgelegt. Geschäftsgegenstand des Teilbetriebs war die Aufnahme und der Einsatz von „überregionalen Gebietsspringern“, die bei Personalengpässen oder Spitzenkapazitätsauslastungen zum Einsatz gebracht wurden. Der Betriebsübergang wurde tatsächlich vorgenommen und die Beklagte führte diesen Geschäftszweck weiter.
[23] 8. Soweit daher die Revision damit argumentiert, dass es zu keiner Rechtsnachfolge gekommen ist, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt, der Übertragung eines Teilbetriebs aus. Soweit die Revision damit argumentiert, dass die Übertragung eines „lediglich verschwindend kleinen Teilbetriebs“ für eine Rechtsnachfolge nicht ausreicht, da damit eine Umgehung begünstigt werde, muss darauf schon deshalb nicht eingegangen werden, weil ein entsprechendes Tatsachenvorbringen dazu in erster Instanz nicht erstattet wurde.
[24] 9. Da der Kollektivvertragsfähigkeit der Österreichischen Post Aktiengesellschaft und der Telekom Austria Aktiengesellschaft im Verhältnis zur Kollektivvertragsfähigkeit anderer Interessenvertretungen oder Berufsvereinigungen der Arbeitgeber Vorrang gemäß § 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes zukommt (§ 19 Abs 3 PTSG), gilt der Post-KV auch für die Arbeitnehmer der Beklagten.
[25] 10. Davon ausgehend haben die Vorinstanzen die Klage zu Recht abgewiesen. Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.
[26] 11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.