3Ob126/24m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn (Vorsitzender), die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Fitz in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Prutsch-Lang Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei S*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger, Dr. Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, und deren Nebenintervenientin Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle *, vertreten durch Dr. Peter Schaden, Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, wegen restlicher 29.873,60 EUR sA, über die Revision der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 18. April 2024, GZ 5 R 30/24g 57, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 3. Jänner 2024, GZ 12 Cg 89/22x 49, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.261,40 EUR (hierin enthalten 376,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Aufgrund eines rechtskräftigen Urteils steht fest, dass die beklagte Krankenhausträgerin der Klägerin für alle künftigen Schäden aufgrund einer ärztlichen Fehlbehandlung nach einer unfallbedingten Handverletzung haftet.
[2] Im Hinblick auf das im Vorprozess erstattete unfallchirurgische Sachverständigengutachten, wonach die Klägerin wegen der bestehenden Dauerfolgen ihren erlernten Beruf als Denkmal , Fassaden und Gebäudereinigerin nicht mehr ausüben könne, und die damit im Einklang stehende gutachtliche Einschätzung eines berufskundlichen Sachverständigen des von der Klägerin kontaktierten Beruflichen Bildungs und Rehabilitationszentrums entschied sich die Klägerin für eine (vom Arbeitsmarktservice durch Gewährung eines Stipendiums in Form von Arbeitslosengeld geförderte) Umschulung zur Diplomsozialbetreuerin.
[3] Tatsächlich wäre die Klägerin trotz ihrer von der Beklagten zu verantwortenden körperlichen Einschränkungen in der Lage (gewesen), als Raumpflegerin für Büroräumlichkeiten sowie als Reinigungskraft in der sogenannten Unterhaltsreinigung zu arbeiten, weil mit diesen Tätigkeiten maximal leichte bis mittelschwere körperliche Anforderungen verbunden sind. Dabei hätte sie zumindest so viel ins Verdienen bringen können wie eine Reinigungstechnikerin laut Kollektivvertrag für Denkmal , Fassaden und Gebäudereiniger.
[4] Im Vergleich zu diesem hypothetischen Verdienst entstand der Klägerin durch den Bezug von Krankengeld, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe im Zeitraum März 2019 bis Juni 2022 ein Verdienstentgang von 29.873,60 EUR netto.
[5] Die Vorinstanzen gaben dem auf Ersatz des Verdienstentgangs gerichteten Klagebegehren statt.
[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass eindeutige Rechtsprechung dazu fehle, unter welchen besonderen Umständen die Folgen eines unrichtigen medizinischen Gutachtens dem ursprünglichen Schädiger anzulasten seien.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Revision der Nebenintervenientin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
[8] 1. Die geltend gemachten Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[9] 2.1. Ein Umstand ist für einen Erfolg ursächlich, wenn er ihn herbeiführt, ihn bewirkt hat. Nach der Formel der conditio sine qua non ist zu fragen, ob der Erfolg auch ohne den zu prüfenden Umstand eingetreten wäre. Dieser ist ursächlich für einen Erfolg, wenn er nicht weggedacht werden kann, ohne dass dann der Erfolg entfiele (RS0128162). An der Kausalität der Fehlbehandlungen der Ärzte der Beklagten für den der Klägerin im Zusammenhang mit der Umschulung entstandenen Verdienstentgang kann angesichts der getroffenen Feststellungen kein Zweifel bestehen.
[10] 2.2. Nach der Theorie von der adäquaten Kausalität ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden Umstand und dem eingetretenen Schaden nicht nur dann anzunehmen, wenn der Umstand den eingetretenen Schaden unmittelbar verursacht hat: ein adäquater Kausalzusammenhang liegt vielmehr auch dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden hinzugetreten ist und dieses Hinzutreten nicht außerhalb der allgemeinen menschlichen Erfahrung steht. Es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten des weiteren Umstands, wenn auch nicht normal, so doch nicht ganz außergewöhnlich ist (RS0022546). Der Schädiger haftet für alle, auch zufällige Folgen, mit deren Möglichkeit abstrakt zu rechnen gewesen ist, nur nicht für einen atypischen Erfolg (vgl RS0022944). Auch wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu tritt, ist die Adäquanz zu bejahen, wenn nach den allgemeinen Erkenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (vgl RS0022918). An der Adäquanz fehlt es, wenn die Möglichkeit eines bestimmten Schadenseintritts so weit entfernt liegt, dass nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte (RS0022918 [T17]). Das Dazwischentreten eines Dritten durchbricht den Kausalzusammenhang (nur), wenn mit einem derartigen Handeln und mit dem dadurch bedingten Geschehnisablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war (RS0022918 [T19]).
[11] 2.3. Wegen der Einzelfallbezogenheit kann die Beurteilung der Adäquanz nur dann die Zulässigkeit der Revision begründen, wenn das Berufungsgericht seinen Beurteilungsspielraum, der sich in dieser Wertungsfrage aus den Leitlinien der genannten Rechtsprechung ergibt, überschritten hat (vgl RS0110361; 2 Ob 58/23b).
[12] 2.4. Die Vorinstanzen haben ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten, indem sie zum Ergebnis kamen, die (teilweise) Unrichtigkeit des im Vorprozess eingeholten unfallchirurgischen Gutachtens (wie auch der damit übereinstimmenden nachfolgenden Begutachtung durch einen Arbeitsmediziner) liege nicht völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, sodass die Adäquanz zu bejahen sei, weshalb die Beklagte für den mit der Umschulung verbundenen Verdienstentgang einzustehen habe (vgl 2 Ob 58/23b [überschießende Sanierungsempfehlung eines Sachverständigen]).
[13] 3. Aufgrund der der Klägerin erteilten medizinischen Informationen, wonach ihr eine Tätigkeit in ihrem erlernten Beruf nicht mehr möglich sei, entschloss sich diese für eine Ausbildung zur Diplomsozialbetreuerin, was vom Beruflichen Bildungs und Rehabilitationszentrum und vom Arbeitsmarktservice unterstützt wurde. Die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin insbesondere aufgrund der aus der Fehlbehandlung resultierenden Beschwerden bei der Tätigkeit als Raumpflegerin das ihr mitgeteilte medizinische Kalkül nicht bezweifeln musste und insoweit keine Verletzung der Schadensminderungspflicht vorliegt, ist ebenfalls nicht korrekturbedürftig.
[14] 4. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Kosten der Beantwortung eines erfolglosen Rechtsmittels des Nebenintervenienten haftet die von ihm unterstützte Hauptpartei (vgl RS0036057 [T3, T5, T11]), weil es an einer gesetzlichen Bestimmung mangelt, den unterlegenen Nebenintervenienten zum Kostenersatz zu verpflichten (vgl RS0036057 [T2, T7]). Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der verzeichnete Streitgenossenzuschlag gebührt jedoch nicht, weil der Klägerin bei Verfassung der Revisionsbeantwortung nur die Nebenintervenientin als Prozessgegnerin gegenüber stand (vgl 4 Ob 70/23g mwN).